029. Zwischenstopp: Weihnachten
ᵗᵃᵏᵉ ᵐᵉ ʰᵒᵐᵉ
Die letzten Tage, bevor die Schüler zu ihren Familien über Weihnachten aufbrachen, vergingen beinahe schon wie im Flug.
Auf dem Hof und den Ländereien trugen sich epische Schneeballschlachten aus, während das Schloss selbst in ein Winterwunderland verwandelt wurde und der Schneefall nicht zu bremsen war.
Drei Tage vor Abreise stand der Schnee so hoch, dass er den Jungen beinahe bis an die Knie reichte. Niemand beschwerte sich verständlicherweise darüber, dass das Schloss wie gepudert aussah, besonders nicht Peter, der nach über einer Woche endlich aus dem Krankenflügel entlassen worden war und sich liebend gern in einen der Schneeballlkriege mit seinen Freunden stürzte.
Madam Pomfrey hatte sich mehrfach bei Peter erkundigt, ob er sich nicht doch an den Schüler erinnerte, der ihn verflucht hatte, doch eine Antwort war ihr verwehrt geblieben. Peter und Sirius waren auf die glorreiche Idee gekommen, einfach zu behaupten, es wäre Snape gewesen, Remus wollte davon nichts hören und schließlich war es James, der - zu Sirius' Enttäuschung - die Vernunftkarte ausspielte. (»Evans weiß, was wirklich passiert ist und würde nicht zulassen, dass wir ihren Freund an Dumbledore ausliefern. Damit hexen wir uns nur selbst ins Bein -... 'tschuldige, Pete.«) Schlussendlich sahen sie alle ein, dass es keine gute Idee war, einen Unbeteiligten ans Messer zu liefern, wenn so viel wie ein Schulverweis auf dem Spiel stand, nicht einmal Snape, dessen Blicke sie seit Halloween zu verfolgen schienen, wohin sie auch gingen.
Der Tag der Abfahrt aus Hogwarts löste im Schloss eine kleine Massenpanik aus. Im Gemeinschaftsraum der Gryffindors ging es besonders chaotisch zu. Schüler rannten zum fünften Mal in ihre Schlafsäle, aus Angst etwas vergessen zu haben, während andere weinten und sich in den Armen lagen, weil sie ihre Freunde über die ganzen Ferien nicht sehen würden.
Remus war das alles egal, er blendete die Hektik und den Trubel schon aus seit er noch vor Sonnenaufgang mit seinem fertig gepackten Koffer auf dem roten Samtsofa Platz genommen hatte und seither nur darauf wartete, dass sie mit den Kutschen hinab ins Dorf fahren würden, wo der Zug nach Hause schon auf sie wartete.
Den Brief seiner Mutter, in dem in umschmeichelnden Worten beschrieben war, wie viel besser es für ihn doch wäre, über Weihnachten in Hogwarts zu bleiben, umklammerte er fest mit zittrigen Fingern.
Als Professor McGonagall die Liste mit den Schülern, die über Weihnachten im Schloss bleiben würden, am Gryffindortisch herumgeben lassen hatte, hatte Remus sich nicht dazu überwinden können, seinen Namen unter die der anderen zu setzen, nicht nachdem James in den höchsten Tönen von dem Weihnachtsfest geschwärmt hatte, das wie jedes Jahr im Anwesen der Potters stattfinden würde. (»Dad und ich schlagen zusammen immer den größten Baum, den wir finden können, während Mum zusammen mit den Hauselfen das Festmahl für Heiligabend vorbereitet und das Haus in so viele bunte Lichter und Schleifen hüllt, dass es das ganze Dorf erhellt. Der Schnee steht einem bis hoch an die Knie, wir bauen Schneemänner bis es dunkel wird und das Festessen aufgetischt wird. Köstlicher kann man nicht einmal in Hogwarts essen. Doch dann am nächsten Morgen, dann erwartet einen unter dem Baum der größte Geschenkeberg, den ihr je gesehen habt. Er scheint jedes Jahr zu wachsen und noch gewaltiger zu sein als im Jahr zuvor. Den ganzen Tag werden Weihnachtslieder gesungen, Mum und Dad tanzen miteinander zu Mums Schallplatten, wir trinken heiße Schokolade und essen Minzplätzchen, so viele wir nur wollen.«) Dem jungen Potter waren die neidvollen Blicke seiner Freunde gar nicht aufgefallen, während er gedankenverloren auf sein halbangebissenes Buttertoast gestarrt hatte, ein seliges Grinsen der Vorfreude auf den Lippen.
Die Tage danach hatte Remus immer wieder versucht, den Mut aufzubringen, an Professor McGonagalls Bürotür zu klopfen, seinen Fehler zu korrigieren, ihr mitzuteilen, dass er Weihnachten nicht nach Hause fahren könnte, doch dazu war es nie gekommen.
Ich bin ein Feigling, dachte Remus.
Wie um Merlins Willen hatte der sprechende Hut es für eine gute Idee halten können, ihn nach Gryffindor zu stecken? Er konnte nicht einmal zugeben, dass seine Eltern die Feiertage lieber ohne ihn verbringen wollten. Doch das war nicht sein größtes Problem. Wesentlich dringlicher zwängte sich ihm die Frage auf, was nun passieren würde. Seine Mutter und sein Vater erwarteten ihn nicht, in Hogwarts konnte er auch nicht bleiben und seinen Freunden... er wollte ihnen nichts davon erzählen. Während sie am Bahnhof sehnsüchtig von ihren Eltern erwartet werden würden, wäre er allein. Niemand würde ihn abholen, niemand würde auf ihn warten.
Ohne Geld war es unmöglich von Kings Cross aus Zentrallondon in die Grenzgebiete rauszufahren, weder mit dem Zug oder dem Bus, geschweige denn mit einem Taxi.
Das Haus seiner Familie stand abseits der Stadt am Rande eines kleinen Dorfes umgeben von Feldern, Blumenwiesen und einem dichten, fast schon düsteren Wald. Sein Vater hatte frühzeitig Anti-Apparationszauber gewirkt und ihr alter, verrußter Kamin war nicht an das Flohnetzwerk angeschlossen, einen Portschlüssel gab es nicht. Es war aussichtslos...
Gryffindors um ihn herum eilten von einem Ende des Gemeinschaftsraum an das andere. Olive stellte wegen ihrer Suche nach einem verschwundenen Stapel Pergament beinahe das gesamte Zimmer auf den Kopf, ehe Alice ihr von der Treppe zu den Schlafsälen zurief, dass sie die Aufzeichnungen unter ihrem Bett gefunden hätte. Die älteren Schüler waren nicht weniger gestresst.
Remus musste sich das Lachen verkneifen, als Henry Bell, der Vertrauensschüler, seinen Koffer so energisch hinter sich die Treppe hinabzog, dass dieser aufsprang und sich eine gesamte Ladung Unterwäsche und Socken über den Boden verteilte. Mit hochrotem Kopf machte er sich daran zu schaffen, alles eifrig wieder einzusammeln, doch er hatte die Rechnung nicht mit Bilius Weasley, Clarence Ebony und Maxwell McCoy gemacht, die in eben jenem Moment die Treppenstufen hinabgestiegen kamen, jeweils selbst einen großen Schrankkoffer in der Hand.
»Ich wusste, er trägt insgeheim Rüschenunterwäsche, Max. Du schuldest mir fünf Galleonen.« Bilius feixte.
»Enttäuschend, Bell, ich hatte dich ja eher für einen Mann gehalten, der sich mit nichts Geringerem als Seide zufriedengibt.«
Einige der umstehenden Schüler kicherten, während Henry Bells Gesicht mehr Rottöne annahm, als gesund sein konnten.
Clarence Ebony hob ein paar Unterhosen mit der Spitze seines Zauberstabs auf und rümpfte die Nase. »Die hier hat ein Muster... sind das kleine Herzen?«
Max und Bil's Gesichter hellten auf, doch ehe ihnen eine originelle Antwort einfallen konnte, hatte ihnen jemand das Wäschestück entwendet. Maxs Grinsen verschwand in dem Moment, als er realisierte, wen er nun vor sich hatte.
»Ihr seid schrecklich.« Quinn Shirley half mit einem Schwung ihres Zauberstabs alle noch verstreuten Kleidungsstücke zurück in Henry Bells Koffer fliegen zu lassen. »Dass ihr euch nicht schämt. Clarence, du bist Vertrauensschüler.« Ihre Standpauke war längst nicht vorbei, als James, Sirius und Peter die Treppen hinuntergepoltert kamen, neugierig, wer oder was so einen Krach veranstaltete. Ihre Koffer hatten sie dabei und als James, Remus' Blick auffing, grinste er ihm zu.
»Hier bist du«, sagte Peter überrascht. »Wir haben uns schon gewundert.«
»Was haben wir verpasst?«, fragte James und deutete hinter sich auf die Streithähne.
Max versuchte im Augenblick Quinn beruhigend zuzureden - vergeblich. Remus seufzte bloß.
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»Ihr müsst mich über Weihnachten unbedingt besuchen!«, flötete James, als sie zusammen in eine der pferdelosen Kutschen stiegen, die sie zum Bahnhof in Hogsmead bringen sollten. Ihre Koffer hatten sie im Schloss zurückgelassen. Sie würden ihren eigenen Weg zum Zug finden. Der Schnee lag noch immer kniehoch und kleine Flocken tanzten getragen vom Wind durch die Lüfte.
»Mum freut sich immer über Gäste.«
»Ich fürchte, meine Eltern werden mich vierteilen, sobald ich über unsere Hausschwelle trete. Ich muss wohl passen.« Sirius verzog angestrengt das Gesicht, als bereitete ihm der alleinige Gedanke an Weihnachten schon Magenschmerzen. Unsicher ließ er sich James' gegenüber in den Sitz fallen, Remus nahm neben ihm Platz. Peter stieg zuletzt ein. Sobald sein Hintern den Sitz berührt hatte, setzte sich die Kutsche auch schon in Bewegung, als hätte sie auf nichts anderes gewartet.
James schüttelte den Kopf. »Eulendreck. Ich befreie dich natürlich aus den Klauen der Drachenlady, wird das reinste Kinderspiel.«
Das brachte Sirius tatsächlich dazu zu lächeln.
»Ihr anderen?« Der junge Potter wirkte ganz aufgeregt. »Peter? Remus?«
Aufgeregt nickte Peter, Remus dagegen musterte seine dreckigen und abgesplitterten Fingernägel. »Weiß nich'«, nuschelte er, »s' gibt bestimmt ne Familienfeier. Mum ist da streng.«
Seine Freunde runzelten die Stirn.
»Alles okay?«, fragte Peter besorgt.
Sofort drückte Remus den Rücken gerade durch und nickte eifrig. »Sicher, Mum ist an Weihnachten nur immer besonders gestresst.«
»Dann nehmen wir ihr ja Arbeit ab, wenn du mit uns feierst«, gluckste Sirius. Remus lächelte nicht.
»Ich bin keine Arbeit für meine Mutter.« Die Heftigkeit seiner Worte, ließ die anderen Jungen verstummen. Remus war selbst ganz überrascht mit welcher Intensität der Satz aus ihm herausgebrochen war.
»So meinten wir das nicht«, beschwichtigte ihn James. Für den Rest der Fahrt blieben sie jedoch stumm.
Das gelegentliche Klappern der Räder, wenn sie über Geröll oder kleine Äste fuhren, war die einzige Geräuschquelle, die die unangenehme Stille hier und da durchbrach.
Remus war der Erste, der aus der Kutsche sprang, als diese in Hosmead endlich Halt machte, und den Bahnsteig entlangeilte. Er lief so schnell, dass die anderen Schwierigkeiten hatten, mit ihm Schritt zu halten. Obwohl Peter sich die größte Mühe gab, war es doch Sirius und James' längeren Beinen geschuldet, dass sie ihren Freund vor ihm erreichten.
»Lupin«, maulte Sirius reumütig. »Sei kein Mädchen, so war das doch nicht gemeint.«
Remus reagierte nicht, er schlängelte sich bloß seinen Weg durch die Gruppen von Schülern, die den Hogwarts Express stürmten, um ja einen guten Sitzplatz und ein eigenes Abteil für sich und ihre Freunde zu ergattern.
James und Sirius tauschten einen kurzen Blick, ehe Sirius sich zu ihm beugte und flüsterte - nicht so leise, wie gehofft: »Ich hab es dir gesagt. Lupin ist nicht wie wir, gehört eher zu den Weibern, so emotional und...«
James sollte nie erfahren, was Sirius noch sagen wollte, denn in eben jenem Moment riss Remus der Geduldsfaden.
In sekundenschnelle hatte er sich auf dem Absatz umgedreht und die Fäuste erhoben, bereit Sirius ein blaues Auge zu verpassen. James wich erschrocken aus und zog seinen Freund, der unvorbereitet den ersten Schlag kassiert hätte, mit sich.
»Lupin!«
»Sag das nochmal!«, schrie Remus, Tränen standen ihm in den Augen.
Das Schülergetummel um sie herum verblasste, einige blieben stehen, um einen Blick auf die Erstklässler zu werfen, die sich scheinbar gleich einen Faustkampf liefern würden.
Mädchen und Jungen drückten die Nasen von innen gegen die Scheiben des Zuges oder streckten die Köpfe aus den Fenstern.
»Sag das nochmal!«
»Remus«, versuchte James die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen, doch keiner hörte ihm zu, erst recht nicht Remus.
Sirius hatte einen wilden Ausdruck aufgesetzt. So überrascht er im ersten Moment auch gewesen sein mochte, ein Schlag ins Gesicht wäre für ihn nichts Neues gewesen, nichts mit dem er nicht fertig würde. Irgendwie hoffte er darauf, dass Lupin einen weiteren Versuch starten würde. Wenn er ihn traf, könnte Sirius zurückschlagen, er hätte eine Entschuldigung so kräftig auszuholen, wie er nur konnte. James' lästige Stimme, die versuchte auf ihn einzureden, ausblendend, zuckte er mit den Augenbrauen und warf Remus ein spöttisches Grinsen zu.
»Nicht treffsicher genug? Lausiger Zauberer, Lupin, dass du mit deinen Fäusten kämpfst wie ein Muggel.«
»Klingst ganz wie der Rest der Familie Black, deine Eltern sind bestimmt stolz.«
Sirius schlug zuerst zu.
Remus landete den ersten Treffer.
Peter schrie auf.
Und James stürzte sich dazwischen.
»AUFHÖREN!«
Die Anfeuerungsrufe, das Buhen und das Gerangel verstummten allesamt, als Everett Radley Hand in Hand mit Florence Windsor am Bahnhof erschien. Das Schulsprecherpaar hatte die Zauberstäbe gezückt und ihre Mienen sprachen Bände.
Dank der Atempause, die das Auftreten der beiden James verschaffte, konnte er Sirius' Arm packen und ihn von Remus runterziehen, der mittlerweile hilflos auf dem Bahnsteig lag und bloß noch versuchte, sich zu wehren, statt Schläge auszuteilen.
»Was ist hier los?!« Florence, als Gryffindorschülerin, kannte die Gesichter der vier Jungen und schien mehr als überrascht, sie für diesen Tumult verantwortlich machen zu müssen. Wenn James' es sich nicht einbildete, zuckten ihre Augen einmal umher, als glaubte sie, es müsse noch jemand anderes involviert sein. Hätte James wetten müssen, hätte er sein gesamtes Vermögen darauf gesetzt, dass Florence nach einem Slytherin Ausschau hielt.
Keiner antwortete.
Remus hievte sich zurück auf die Beine, ignorierte dabei James' Hand, die dieser ihm anbot und schlurfte auf die Zugtüren zu. Die Schülermenge, die eine Art Kreis um das Schauspiel gebildet hatte, machte ihm ohne Widerworte Platz. Florence rief ihm hinterher, doch nichts...
Everett wandte sich an Sirius, dessen Auge sich langsam bläulich färbte.
»Er hat gut zugeschlagen«, meinte Radley.
Sirius patzte zurück: »Er schlägt wie ein kleines Mädchen.«
»Also bist du deiner Meinung nach von einem Mädchen verhauen worden?«, lachte Florence bissig.
Sirius' Wangen verfärbten sich dunkelrosa, einige Umstehende kicherten.
Everett verscheuchte die Schaulustigen, trieb sie alle in den Zug, bevor er sich erneut an Florences Seite begab und die drei Jungen fassungslos anstarrte.
»Was bei Merlins Bart sollte das? Ich dachte, ihr vier seid Freunde?«
»Sind wir«, protestierte James in eben jenem Moment, als Sirius nuschelte: »Waren wir.«
James zuckte heftig zusammen.
»Was soll das bedeuten, Mann?«
Sirius antwortete nicht sofort, wich den Blicken seines Freundes aus und scharrte mit der rechten Schuhspitze über den Boden.
Florence seufzte. »Klärt das unter euch. Aber, wenn wir noch einmal so einen Aufstand mitbekommen, verliert Gryffindor mächtig viele Hauspunkte.«
Überrascht schaute Sirius doch noch auf. Bedeutete das...? »Uns werden heute keine Punkte abgezogen?«
»Heute nicht, Black... es ist Weihnachten, die Zeit des Friedens. Nehmt euch daran für die nächste Zeit ein Beispiel. Und jetzt ab mit euch!«
Das Schulsprecherpaar verschwand entlang des Gleises. Sie scheuchten die Nachzügler durch die Zugtüren und vergewisserten sich, dass alle Gepäckstücke eingeladen worden waren. Der Hogwartsexpress war beinahe so voll wie an ihrem ersten Schultag. Nur wenige, vielleicht ein Dutzend aller Schüler, waren über die Ferien in Hogwarts zurückgeblieben.
Sirius, wünschte sich nichts sehnlicher, als die nächsten Wochen mit James, Peter und... - mit James und Peter jeden Winkel des Schlosses unter die Lupe zu nehmen. Von den älteren Schülern hatten sie gehört, dass noch kein Schüler die Küche je betreten hatte, doch dass es Gerüchte von Bergen an Süßigkeiten und Köstlichkeiten gab, die man dort stibitzen konnte.
Die Jungen stiegen in den Zug und schlenderten durch den Gang zwischen den Abteilen hindurch, auf der Suche nach einem, das noch leer stand.
Was hatte Lupin sich nur dabei gedacht? Sirius verfiel lautstark in eine Schimpftirade und ließ kein gutes Haar an dem Jungen, mit dem er die letzten Monate seinen Schlafsaal geteilt hatte.
Er setzte gerade zum Finale an, als James abrupt stehen blieb, weswegen Peter unvorbereitet mit ihm zusammenstieß und ins Wanken geriet. »Jetzt halt aber mal den Atem an. Remus ist dein Freund, er ist unser Freund und du bist gerade voll von der Rolle, weil du über Weihnachten nach Hause musst, obwohl du keine Ahnung hast, was dich da erwartet. Deswegen kannst du dich trotzdem nicht einfach mit Remus prügeln oder solche Dinge über ihn sagen.«
Überrumpelt blieb Sirius einen Augenblick lang stumm. Er wusste, dass James hin und wieder den Moralapostel spielte. In jenen Momenten versuchte er all die schlechten Einfälle und Widerworte wiedergutzumachen, für die ihm seine Mutter Feuer unterm Hintern hexen würde, doch bislang war Sirius davon ausgegangen, dass ihn das nicht treffen würde. Zumindest nicht so...
Er schluckte schwer.
»Was soll das bedeuten? Dass ich mich nur mit jemandem schlagen kann, der nicht unser Freund ist?« Ein halbherziges Grinsen umspielte seine Lippen, James lachte.
»So in etwa.«
»Na dann lass uns Schniefelus suchen. Dem würde ich furchtbar gerne eine reinhauen.«
»Die Nase ist kein schwer zu treffendes Ziel«, hüstelte Peter und die Jungen brachen in Gelächter aus.
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Lily saß allein in ihrem Abteil.
Sie hatte sich noch im Schloss von Marlene verabschiedet, weil Severus sie um Privatsphäre gebeten hatte. Er mochte das Ravenclawmädchen nicht, egal wie oft ihm Lily versicherte, dass Marlene nicht die geringste Ähnlichkeit zu James Potter aufwies. Sev gefiel nicht, wie viel Zeit sie mit ihr verbrachte.
»Ich sehe dich ja kaum noch«, hatte er gesagt. Doch das stimmte nicht. Jeden Abend vor dem Essen in der großen Halle gingen sie bei den Gewächshäusern spazieren. Er wollte Zeit mit ihr im Verborgenen verbringen, seine Hauskameraden waren fürchterlich, Sev hatte Lily erzählt, was für schreckliche Dinge sie tun würden, wenn sie wüssten, dass einer von ihnen sich mit einer Gryffindor traf. Es war zu ihrer eigenen Sicherheit.
Lily verstand das nicht. Sie konnte nicht glauben, dass sie die nächsten Jahre geheim halten musste, dass er ihr bester Freund war. Dass Sev dazu bereit schien, und dass so viel Wert auf die Hausehre gelegt wurde, war noch schlimmer. Doch dann dachte sie an ihre Freunde aus Gryffindor. Sie hassten die Slytherins genauso, einfach aus Prinzip... ein Haufen Dummköpfe.
Doch im Augenblick hielt sie auch Severus für einen Dummkopf. Nachdem er von ihr verlangt hatte, Marlene sitzen zu lassen, war er kurz nachdem sie am Zug angelangt waren zu seinen Klassenkameraden gelaufen. Er hatte sich nicht einmal richtig verabschiedet, war geflohen wie eine Kakerlake aus dem Licht. Wütend trat sie gegen ihre Schultasche, ehe sie sich vorbeugte, um eins der Schulbücher daraus hervorzuziehen. Die Lehrer hatten ihnen furchtbar viele Aufgaben über die Ferien aufgegeben.
Ein Seufzen entfloh Lilys Lippen.
Jungs waren Idioten, nicht nur Severus, James Potter sowieso, er war immer ein Idiot und heute reihten sich Sirius Black und Remus Lupin dicht dahinter. Aus ihrem Fenster hatte Lily beobachten können, wie die zwei sich gegenseitig angeschrien hatten und aufeinanderlosgegangen waren. Einfach nur dämlich.
Sie nahm das Buch zur Hand und vergrub die Nase dahinter, den Kopf lehnte sie gegen das kühle Glas der Fensterscheibe und verlor sich zwischen den Seiten.
Sie merkte erst viel zu spät, dass jemand die Abteiltür aufgeschoben und hereingekommen war. Überrascht hob sie den Blick.
»Ist hier noch frei?«
Sie nickte und Remus setzte sich.
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»Hier rein, aber sofort!«
»Du klingst wie meine Mutter, Marlene.«
»Dann hörst du hoffentlich auf mich, wenn ich dir sage, dass das eine total bescheuerte Idee ist.«
»Was meinst du?«
»Stell dich nicht dümmer, als du bist - auch wenn da nicht viel Spielraum zu sein scheint. Ich habe Augen im Kopf, James, ich habe gesehen, welches Abteil ihr angesteuert habt...«
James schob beleidigt die Unterlippe vor, doch Marlene kannte keine Gnade. Sie zog ihn, Sirius und Peter in ihr Abteil und schloss die Tür mit einem Knall. Quälend langsam setzte sie sich zurück auf ihren Platz, wartete bis es ihr die Jungs gleich getan hatten, um ihre Füße auf James' Schoß abzulegen.
»Dumme Idee.« Mehr sagte sie nicht, sie verschränkte bloß die Arme vor der Brust und wartete auf eine angemessene Reaktion.
»Wir hatten überhaupt nichts Dummes im Sinn.« Das war nicht angemessen und wurde mit einem leichten Schlag auf den Hinterkopf gewürdigt.
»Au!« James rieb sich über den Schopf aus ungezähmten, schwarzen Fransen.
»Nächster Versuch.«
Sirius räusperte sich: »Severus Snape ist ein Idiot und Remus darf ich ja nicht nochmal schlagen.«
»Bei dem Veilchen, das dein Auge verziert, würde ich auch meinen, du möchtest dich nicht noch einmal mit Lupin anlegen. Zumal das eine ebenso dumme Idee gewesen ist, wenn nicht sogar die Dümmere von beiden. Seid ihr nicht befreundet?«
Sirius war es leid, diese Frage gestellt zu bekommen.
Er war wütend. Wütend auf Remus, wütend auf seine Eltern, wütend, weil er seit seiner Einschulung nichts von ihnen gehört hatte, wütend auf die Ferien und Hogwarts und irgendwo, auch wenn er es nie zugegeben hätte, wütend auf sich selbst.
Ein Ventil für seine ganze Wut war ihm nur recht, und wenn dieses Ventil den Namen Schniefelus Snape trug, dann war das umso besser.
»Natürlich sind wir befreundet«, verfiel James in seine Rolle des heutigen Tages.
»Es gab nur ein paar... Kommunikationsschwierigkeiten, ja genau.«
Peter nickte bekräftigend.
Wenig überzeugt rollte Marlene mit den Augen. »Wenn ich Probleme mit der Kommunikation habe, wäre mein erster Versuch, darüber zu reden und nicht gleich zuzuschlagen, aber vielleicht denke ich da einfach anders...«
Jetzt reichte es aber.
»McKinnon, ich wüsste nicht, was es dich angeht«, blaffte Sirius gereizt, »bei meinem letzten Blick auf meine Geburtsurkunde stand da nicht dein Name unter 'Mutter', du darfst dich also aus meinen Angelegenheiten raushalten.«
James und Peter machten sich auf das Donnerwetter gefasst, dass nach einer solchen Ansage folgen musste, doch umso überraschter stellten sie fest, dass Marlene nur lächelte.
Sirius war nicht weniger erstaunt. Er hatte provozieren wollen, auch wenn ihm das erst jetzt im Nachhinein klar wurde, ihre Reaktion brachte ihn aber vollkommen aus dem Konzept.
»Da hast du eigentlich recht. Es geht mich nun wirklich nichts an. Tut mir leid.«
»D-das braucht es... braucht es nun - nun wirklich nicht«, stotterte Sirius.
James grinste hinter vorgehaltener Hand und Sirius lief wiederholt rot an. Marlene wirkte ganz zufrieden, eine Unschuldsmiene aufgesetzt, als wäre ihr überhaupt nicht bewusst gewesen, welche Reaktion ihr Verhalten auslösen würde.
Um Sirius die anhaltende Peinlichkeit zu ersparen, ergriff James das Wort: »Lasst uns doch ein Spiel spielen. Wie wäre es mit Zauberschach? Wir spielen in Teams.«
»Vergiss es!«, lachte seine beste Freundin, »Du kennst doch nicht einmal die Regeln.«
»Doch klar, der König zieht zuerst und alle Bauern sterben nach 2 Zügen automatisch.«
Marlene blinzelte. Einmal. Zweimal.
Dann schüttelte sie den Kopf.
»Wie wäre es mit Zauberer-Schnipp-Schnapp?«
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Marlene und die Jungen hatten ihren Spaß. Sie spielten mehrere Runden des freudig explodierenden Kartenspiels und tauschten sich über die anstehende Weihnachtsfeier im Potter Manor aus, zu der Marlene wie in jedem Jahr ebenfalls eingeladen war. Auch sie schwärmte in den höchsten Tönen von der Dekoration, dem Essen und der Musik, über das Fest bei ihr zu Hause verlor sie kein Wort.
Ihr großer Bruder, der Quidditch-Star, wie sie ihn meistens bloß nannte - jedes Mal ein Hauch von Sarkasmus mehr in der Stimme -, musste die Feiertage in Australien verbringen, um für das nächste Quidditchspiel der Saison zu trainieren.
Als der Zug dann endlich in London einfuhr, hatte Sirius seine schlechte Laune längst vergessen und war - dank James' Überredungskünsten - sogar dazu bereit, Remus so schnell wie möglich um Verzeihung zu bitten, doch das sollte sich schwieriger rausstellen als gedacht, denn Remus war nirgends zu sehen.
Die Schülermassen drängten die drei Jungen und Marlene auf den Ausgang zu. Sirius stellte sich auf Zehenspitzen, um über die Köpfe der anderen hinwegsehen zu können, Remus konnte er trotzdem nicht entdecken.
»Er ist bestimmt schon durch die Absperrung gegangen«, sagte James und gemeinsam traten sie durch die Steinmauer. Vorbei war die Suche in eben jenem Moment, als sie auf der anderen Seite des Gleises wieder herauskamen und Sirius' Augen denen seiner Mutter begegneten. Zusammen mit Regulus stand sie abseits der anderen Familien, die dunkelroten Lippen fast schon schwarz und schmal zu einer Linie gepresst.
James' erkannte sofort die Ähnlichkeit in ihren harten und markanten Gesichtszügen, die Sirius geerbt hatte. Regulus, Sirius' Bruder von dem er nur selten sprach, sah aus wie eine jüngere Version von ihm selbst. Auch er lächelte nicht.
»Hallo, Mrs. Potter«, sagte Marlene freundlich, als plötzlich James' Sichtfeld ganz klein wurde und sich zwei Arme um seinen kleinen Körper schlangen und ihn so fest umklammerten, dass ihm beinahe die Luft ausging.
»Muuum!«, protestierte er, drückte sie aber genauso fest zurück.
»Hallo, Marlene«, strahlte Fleamont Potter, auch er nahm seinen Sohn einmal fest in den Arm, nachdem dieser aus den Griffen seiner Mutter befreit war. »Wir nehmen dich und deine Schwester mit zurück ins Dorf. Deine Mutter wurde aufgehalten.«
Marlenes Lächeln verblasste. »Typisch. Welche Teegesellschaft ist es heute? Oder brüstet sie sich mal wieder damit, dass ihr Sohn ein Ligaspieler ist?«
Fleamont schmunzelte. »Aber, aber, Marlene. Was hälst du davon, heute Abend bei uns zu essen? Eliana und Thomas sind natürlich auch eingeladen, wenn sie möchten.«
»Au ja!«, riefen Marlene und James unisono. Sie lachten.
Nun ergriff Euphemia die Gelegenheit, sich den beiden anderen Jungen zu widmen, die noch bei ihnen standen und bislang kein Wort gesagt hatten. Peter nestelte nervös an einem losen Faden herum, der sich aus seiner Pullinaht gelöst hatte, während Sirius aussah, als hätte er einen Geist gesehen.
»So, und ihr beide seid bestimmt Jamies Freunde. Remus und Peter, richtig Schnatz?«
James' Lächeln entgleiste.
»Ja, Ma'am, ich bin Peter Pettigrew.«
»Sirius.«
Euphemia stutzte überrascht und hielt es nicht für nötig, in eben diesem Moment den Blick ihres Sohnes aufzufangen, der ihr ohne ein Wort zu verlieren, vermittelt hätte, nicht weiterzusprechen.
»Ich war mir so sicher, dass es Remus war. Bitte entschuldige, Sirius.«
»Remus ist unser anderer Freund«, erklärte Peter zu James' Leidwesen, »wir haben ihn... aus den Augen verloren.«
Nun hatte James' Mutter endgültig den Faden verloren. Verwirrt kniff sie die Augen zusammen, verschränkte die Arme vor der Brust und deutete mit einem Finger auf James. »Ich dachte, du hättest bloß zwei Zimmergenossen. In deinen Briefen klang es...«
»Euphemia, Liebes«, unterbrach Fleamont seine Frau, »lassen wir die Kinder sich doch erst einmal verabschieden. Deinen Halbjahresbericht kannst du aus dem Jungen noch die ganze nächste Woche herauspressen, aber bitte zu Hause.«
Stumm sandte James ein riesiges Danke an seinen Vater, der, einen Arm um seine Mutter gelegt, mit ihr ein paar Schritte Richtung Ausgang ging.
Alle Augenpaare landeten auf James, doch noch bevor Sirius überhaupt etwas sagen konnte, stand Walburga Black dunkel und bedrohlich über ihnen. Erschrocken zuckten sie alle zurück.
»Pünktlichkeit ist eine Tugend und Geduld etwas für Muggel. Es wird Zeit, Sirius. Ich habe nicht vor Wurzeln auszuschlagen und am Boden festzuwachsen. Deine...«, das Wort Freunde wollte ihr nicht über die Lippen kommen, »Gesellschaft darf sich von dir verabschieden.«
Jedwede Vorsicht ignorierend streckte James seine Hand aus, zu überrumpelt von der Geste, machte Walburga zunächst sogar Anstalten sie zu ergreifen, zuckte aber sofort zurück, als hätte sie sich verbrannt.
»Guten Tag, Mrs. Black. Mein Name ist James«, er war klug genug seinen Nachnamen nicht zu erwähnen, »und ich hatte mich gefragt, ob Sirius mich über Weihnachten besuchen kommen könnte.«
Regulus, der bislang unauffällig hinter seiner Mutter gestanden hatte, riss die Augen auf. Walburga schenkte jedoch weder ihm noch ihrem anderen Sohn, der nach wie vor etwas verwirrt war von dem, was James' Mutter angesprochen hatte, einen Funken Aufmerksamkeit, wo doch ihr ganzer Fokus auf James' lag, den sie mit einer Abneigung musterte, bei der jeder andere wohl vor Scham im Erdboden versunken wäre.
»Ein Potter«, es war keine Frage.
»Ja, Ma'am.«
»Sirius' ist bessere Gesellschaft gewöhnt und beansprucht über die Ferien scheinbar dringendere Führung als angenommen.« Die nächsten Worte waren einzig an ihren Sohn gerichtet. »Verabschiede dich. Jetzt. Wir haben heute noch mehrere Termine mit Privatlehrern.«
Perplex schoss Sirius' Kopf in die Höhe. »Was?!«
»Sofort!«
Ihre Finger schnellten vor und umschlossen sein Handgelenk, mit kontrollierter Wut zog sie ihn und Regulus mit sich an die Apparationsplätze, die extra in den entlegeneren Räumlichkeiten des Bahnhofs geschaffen worden waren.
Sirius' hatte kaum die Chance, einen letzten Blick auf seine Freunde zu werfen. Hilflos blickten sie ihm hinterher.
Eine weitere Gruppe von Schülern trat in eben jenem Moment aus der Absperrung, als Sirius' um die nächste Ecke stolperte, für einen kurzen Augenblick hatte er Remus' jedoch erhaschen können und der ihn auch.
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Am Bahnhof Kings Cross dauerte es Ewigkeiten, bis sie das Gleis 9¾ auf gleichem Wege verlassen konnten, wie sie es am 01. September betreten hatten. Die Schaffner standen am Ausgang und gestatteten immer nur kleinen Gruppen durch die Absperrung zu gehen, um keine zu große Aufmerksamkeit der Muggel auf sich zu lenken.
Obwohl sich Remus und Lily die Fahrt über gut verstanden hatten, fiel es ihnen jetzt auf den letzten Metern doch tatsächlich schwer, ein Gesprächsthema zu finden, während sie darauf warteten, auf die andere Seite des Gleises treten zu dürfen.
Remus hatte Lily nichts von seinem Problem erzählt, Lily ihm dafür umso mehr von ihrem. Sie hatte über ihre Schwester gesprochen und beinahe nicht mehr aufgehört. Irgendwann waren ihr jedoch die Synonyme ausgegangen, um das abweisende Verhalten Petunia Evans' zu beschreiben.
Lily war nett, aber sie redete ihm eindeutig zu viel.
Als sie endlich an der Reihe waren und durch die steinerne Mauer traten, malte Remus sich aus, wie seine Mutter und sein Vater auf der anderen Seite auf ihn warten würden, wie er sich vollkommen umsonst solche Sorgen gemacht hatte. Sie stolperten durch die Mauer auf Gleis 9 und 10, doch das einzige Augenpaar, das Remus' sofort in der Masse registrierte war weder grün-braun noch himmelblau. Es waren die silbergrauen Augen seines Zimmergenossen Sirius, genau derjenige, den Remus jetzt am wenigsten sehen wollte. So schnell er ihn entdeckt hatte, so schnell verschwand er jedoch wieder, als er mit einer hochgewachsenen, dunkelhaarigen Frau in einem alten Trachtenkleid und einem kleineren Jungen um die nächste Ecke bog.
Lily neben ihm wurde plötzlich von ihren Füßen gerissen.
»Dad!«
»Blümchen!«
Und Remus fühlte sich so allein wie noch nie.
Niemand wartete hier auf ihn, niemand wollte ihn so herzlich empfangen, niemand würde ihn mit nach Hause nehmen und niemand hatte vor, Weihnachten mit ihm zu verbringen.
James' Winken ignorierend stampfte Remus zielsicher auf den Ausgang zu.
Niemand würde ihn nach Hause bringen.
Das musste er selbst schaffen.
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⁰²⁹· ᶻʷⁱˢᶜʰᵉⁿˢᵗᵒᵖᵖ‧ ʷᵉⁱʰⁿᵃᶜʰᵗᵉⁿ
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