023. Brennende Kerzen

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»Unter den Umhang!«

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Severus saß gelangweilt und allein am Tisch der Slytherins. Das Kinn in die Handfläche gestützt, beobachtete er die Rothaarige, die mit ihrer Freundin fröhlich über die Tanzfläche wirbelte, während auf einer hölzernen Bühne eine Band aus Skeletten Musik spielte.
Wie sehr er sich wünschte mit Marlene McKinnon den Platz tauschen zu können - er wollte es sein, der Lilys Hand ganz zwanglos in die seine nahm und sie auf der Stelle um die eigene Achse wirbelte, so dass sich ihre Haare wie ein rubinroter Wirbelwind in die Lüfte hoben. Doch nie hätte er es gewagt sie heute anzusprechen, nicht mit den Katzenohren, die in ihrem Haar steckten und den aufgemalten Schnurrhaaren in ihrem Gesicht.

Seit ihrem Eintreffen in der großen Halle hatten sich die anderen Slytherins das Maul über die wenigen Verkleideten zerrissen. Auch Lucius Malfoy, Severus' einzig wirklicher Freund, hatte kein Blatt vor den Mund genommen und Lily kritisch gemustert, ehe er sich mit den anderen grauenhafte Spitznamen für sie ausgedacht hatte.
Severus hatte nichts gesagt. Als Mulciber ihn fragte, ob er es fassen könnte, dass diese Schlammblüter sich anmaßten, in so einem Aufzug in ihrer Schule aufzutauchen, grummelte Severus bloß zustimmend und wandte sich darauf wieder seinem Kürbiskuchen zu.

Wieso musste Lily auch jedermann zeigen, dass sie aus einer Muggelfamilie stammte? Severus hatte ihr mehr als einmal eingebläut, dass das in Hogwarts - hauptsächlich in Slytherin, doch das hatte er verschwiegen - nicht gern gesehen wurde.
Bei jeder Gelegenheit musste sie es darauf anlegen, ins Visier der älteren Slytherins zu geraten. Severus wusste nicht, was er noch tun könnte. Er hatte doch weiß Merlin alles versucht, um Lilys Familiengeschichte geheim zu halten, doch ihr war das egal. Nur weil dieser arrogante Blutsverräter Potter ihr im Zug etwas vorgemacht hatte. Sie hatte nicht verstanden, dass er sich nur über sie lustig gemacht hatte. Severus konnte nicht verstehen, wie es etwas Gutes sein sollte, von Muggeln abzustammen, wo sein eigener Vater doch ein Musterbeispiel für die Abgründe der Magielosen war. Sie waren schlecht, sie waren gewöhnlich.

Lily war besonders. Trotz ihrer Familie.

Doch viel länger ertrug er diesen Anblick einfach nicht. Marlene McKinnon war kein guter Umgang für sie, doch wie er Lily kannte, würde sie seinen gut gemeinten Rat nicht wahrhaben wollen. In ihren Augen waren selbst die armseligsten Menschen etwas wert, auch wenn sie sich damit manchmal selbst mit auf deren niedriges Niveau begab.
Wenigstens hasste sie Potter genauso wie er und das würde sich niemals ändern.

Mit der Ausrede, genug von den Festlichkeiten und dem Essen zu haben, erhob sich Severus und lief aus der großen Halle, die Treppen hinab in die Kerker auf dem Weg in seinen Gemeinschaftsraum.
Die Reizüberflutung der Schülerversammlungen im Alltag dröhnte ihm immer so stark auf den Kopf, dass er diese ruhigen Momente allein oder mit Lily an seiner Seite einfach genoss.

Während er durch die Gänge wanderte, beschlich ihn ein merkwürdiges Gefühl. Fast so, als könnte er anhand der kalten Steinwände spüren, dass etwas oder jemand hier gewesen war, der hier nicht hingehörte. Severus hatte sein Leben lang solche Vorahnungen gehabt. Er konnte sich nicht genau erklären, wie diese Art von Instinkt sich in seinem Inneren etabliert hatte, doch manchmal glaubte er, dafür seinem elenden Muggelvater danken zu müssen. Dessen Stimmungsschwankungen hatten Severus früh gelehrt, Anzeichen zu erkennen, bevor sie wirklich zu sehen waren, um sich selbst vor großem Schaden zu bewahren. So oft hatte er geglaubt, in den Geist und die Gedanken seines Vaters schauen zu können, um dessen Schritte zu kennen, bevor er sie tat. Er hatte einigen Schlägen ausweichen können, doch am Ende des Tages war es wohl nur Glück im Unglück gewesen...

Severus hielt nichts von Wahrsagerei, das alles war doch völliger Mumpitz, den Wichtigtuer anwandten, um den Muggeln das Geld aus den Taschen zu ziehen - wobei, verdient hatten sie es allemal...

Fröstelnd zog er sich den Umhang enger um die Schultern und legte eine Hand auf die Steinmauer, die nun vor ihm aufragte. Er nannte das Passwort. Das leichte Zittern seiner Stimme durch die Kälte erklärt, trat er in den Gemeinschaftsraum. Seine Schritte hallten durch den ganzen Saal und dann war ein Poltern zu hören. Sofort richtete Severus seine Augen nach oben zu den Wendeltreppen, die in die Schlafsäle der Mädchen und Jungen führten.

»Hallo?«, rief er in die nun ohrenbetäubende Stille hinein.
Natürlich erhielt er keine Antwort.

Doch er wusste es einfach. Jemand war hier. »Hallo?«, rief er erneut.

Verflixter Drachenmist!

Severus erstarrte. Er drehte sich erschrocken um die eigene Achse, doch niemand stand in unmittelbarer Nähe. Severus wusste, was soeben passiert war, doch er wollte es nicht wahrhaben. Das konnte nicht schon wieder passieren. Das letzte Mal war vor einer halben Ewigkeit gewesen. Er hatte es nun im Griff... so hatte er gedacht.

Verflixter, elender Drachenmist!

Severus kannte diese Stimme. Doch Sirius Black war nicht hier, er konnte gar nicht hier sein. Und doch hörte Snape die Worte des Gryffindors so deutlich in seinem Kopf, als stünde der Schwarzhaarige direkt neben ihm.

›Wenn ich mich nicht konzentriere, wenn ich an gar nichts denke - wenn ich einfach versuche loszulassen... dann kann ich sie hören. Die Stimmen.‹

Lily hatte ihn verängstigt gemustert.
›Und ist das etwas Gutes?‹

Severus hatte heftig mit dem Kopf geschüttelt. ›Stimmen zu hören, ist auch in der Welt der Zauberer kein gutes Zeichen.‹ Auf seine zersplitterten Fingernägel blickend, hatte Severus aufgeschluchzt. Die Tränen waren ihm in die Augen gestiegen und energisch hatte er versucht, sie vor Lily zu verbergen. Lily aber hatte seine Hand in ihre genommen.

›Glaubst du, ich werde verrückt?‹, hatte er gefragt.

›Nein.‹

›Wie kannst du dir so sicher sein?‹

Das Lächeln war von ihren Lippen verschwunden, stattdessen hatte sich eine tiefe Falte über ihre junge Stirn gelegt. Mit einem traurigen Lächeln hatte sie gesagt: ›Weil ich mein Leben lang auch dachte, ich sei verrückt. Doch dann hast du mich gefunden und mir gesagt, dass ich zaubern kann. Dass ich nicht krank bin, dass das nichts Schlechtes ist. Du bist nicht verrückter als ich.‹ Ein leises Schnauben, einem Lachen zum verwechseln ähnlich, war ihr entwichen. ›Es wird schon einen Grund geben, wieso du diese Stimmen hörst. Vielleicht sollen sie dich beschützen. Wie dein persönlicher Schutzengel.‹

Severus hatte sich nie getraut ihr zu sagen, dass er ihren Worten nicht glaubte. Diese Stimmen kamen eher seinem persönlichen Fluch gleich. Sein Schutzengel war sie, Lily. Sie war es und sie würde es bleiben. Immer.

»Hallo?« Noch ein Versuch. Dieses Mal hätte Severus schwören können, aus einem der Jungenschlafsäle ein Trampeln gehört zu haben. Blacks Stimme in seinem Kopf war verschwunden.

Freiwillig hatte Severus sich nie gewagt, die Stimmen herbeizurufen. Es war einfach immer passiert. Immer dann, wenn er nicht damit rechnete. Beinahe so, als könnte er unbewusst in die Köpfe anderer hineinblicken. Sehen, was sie sich wünschten, fürchteten, verheimlichten. Hören und fühlen, was sie dachten.

Er presste die Lider aufeinander, versuchte in der Stille zu hören, was anderen verwehrt blieb... Nichts.

Enttäuscht ließ er die Schultern sinken, als plötzlich die unterste Stufe der Wendeltreppe zum Jungenschlafsaal knarrte.

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Oh nein, nein, nein! Bitte nicht!, James verfluchte sich und jeden einzelnen Kesselkuchen, den er seit seiner Ankunft in Hogwarts verdrückt hatte. Die Stufe unter seinen Füßen musste natürlich in eben jenem Moment knarzen, in dem sich die vier Jungen unbemerkt davonschleichen wollten. Trotz Schniefelus' Auftauchen war alles gut gegangen, bis jetzt...
Es war ein verflixter kosmischer Scherz. Professor Pluviam hätte ihnen heute bestimmt geraten, nicht das Bett zu verlassen. Die Sterne standen ungünstig und bedeuteten verflixtes Pech oder Merkur stand im Zentrum des Jupiter - was immer das auch bedeuten mochte.

Den Slytherin, der keine 3 Schritte von ihm entfernt im Raum stand, fest im Blick, hielt James den Atem an.

Schniefelus hatte sich nicht bewegt, doch auch seine Augen ruhten auf James. Doch das war völlig unmöglich. Oder?

Der Tarnumhang war alt, das hatte Fleamont Potter seinem Sohn erzählt. Ein altes Familienerbstück, weitergereicht von Generation an Generation. James wusste, dass kein Tarnumhang ewig hielt. War das Verfallsdatum nun endgültig überschritten worden? Würden James und seine Freunde gleich einfach mitten im Slytheringemeinschaftsraum sichtbar werden? Waren sie es vielleicht schon?

»Ich weiß, dass ihr hier seid. Zeigt euch!« Snape zückte seinen Zauberstab, um damit in der Luft herumzufuchteln, was weniger bedrohlich aussah, als er vermutlich beabsichtigte. James konnte Sirius' Grinsen in seinem Nacken förmlich spüren. Auch ihm zuckten die Mundwinkel, doch er riss sich zusammen. Das war nun wirklich nicht der richtige Augenblick.

Ich denke gar nicht daran, dachte James und trat vorsichtig einen weiteren Schritt nach vorn. Dieses Mal gab die Stufe kein Geräusch von sich. Sirius, Peter und Remus folgten. Langsam. Leise. Ein Schritt nach dem anderen. Sie waren so klug, die knarzende Stufe auszulassen und schlichen sich weiter zum Ausgang.

Snape schien nun endgültig den Verstand zu verlieren. Das Haar hing ihm strähnig im Gesicht, während er auf und ab durch den Raum tigerte, den Zauberstab noch immer vor sich ausgestreckt. »Ich weiß, dass ihr hier seid! Black! Potter!«

James' Blut gefror zu Eis.

Und auch Sirius hielt urplötzlich inne, weswegen Remus und Peter ihnen beinahe in die Hacken stolperten.

Remus fing sich als Erster wieder. Mit sanfter Gewalt schob er Sirius und James näher an den Ausgang heran, doch ihre Lage war aussichtslos.
Sollte Snape nicht den Raum verlassen, könnten sie die Mauer nicht öffnen. Sie müssten hierbleiben und irgendwann würde er sie doch erwischen, selbst wenn auch nur durch Zufall. Er würde auf den Stoff des Umhangs treten, oder einen von ihnen streifen, die Gryffindors könnten ein Geräusch von sich geben oder Snape würde sie in eine Ecke drängen. Sie mochten unsichtbar sein, sie waren aber noch immer aus Fleisch und Blut.

»Zeigt euch jetzt sofort oder ich jage euch einen Fluch auf den Hals.«

Sehr verlockendes Angebot, dachte Sirius, aber das wird wohl nichts.

In eben jenem Moment meinte es das Schicksal offenbar gut mit ihnen, denn als Severus den Kopf in ihre Richtung wandte, als hätte er Sirius' gehört, öffnete sich die Steinmauer zu einem breiten Spalt, durch den Lucius Malfoy, Wyatt Graves, Narcissa Black und Lavinia Zabini traten.

Der perfekte Ausweg.

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Severus hätte am liebsten schreien mögen, als die vier Slytherins den Gemeinschaftsraum betraten und ihn, der den Zauberstab noch immer fest umgriffen und erhoben hatte, anstarrten, als wäre er ein Irrer, entflohen aus einer Nervenheilanstalt.

Schnell ließ er die Zauberstabhand sinken und setzte einen neutralen Gesichtsausdruck auf.

Lucius musterte ihn kritisch, während Narcissa besorgt einen Schritt nähertrat. »Bist du okay? Was machst du hier allein?«

»Und mit dem Zauberstab. Pack den weg, Mann.« Wyatt Graves hatte seinen Arm um Lavinias Schultern gelegt. Sein Blick verriet deutlich, was er von der Situation und Severus hielt.

Severus wusste nicht, was er sagen sollte. Die Wahrheit lag ihm auf der Zunge, doch wie sollte er ihnen erklären, dass er die Präsenz und die Stimmen der Gryffindor-Erstklässler gespürt hatte, ohne, dass sie ihn für komplett unzurechnungsfähig erklärten. Er hatte seinen Stolz und würde sich nicht freiwillig zum Gespött seiner Hausgenossen machen.

Den Zauberstab zurück in die Umhangtasche gleiten lassend, schüttelte er mit dem Kopf. »Hab nur geübt. Hausaufgaben.«

Lucius nickte. Er war immer besorgt über Severus und seine Leistungen, er war das, was nach Lily einem Freund am ehesten glich.
»Du solltest dich mehr mit deinen Klassenkameraden verständigen. Übung ist gut, aber nicht während eines Festes. Die sozialen Kontakte, die du in Slytherin schließt, sind auch noch wichtig nach deinem Abschluss. Du wirst sie brauchen.«

Severus nickte verhalten. Lucius' Worte klangen vernünftig, doch Severus hörte heraus, was den anderen dreien entging. 'Du wirst sie brauchen' - als Halbblut war Severus den anderen aus seinem Haus nicht ebenbürtig. Er besonders hatte gute Freundschaften nötig, um nach seinem Abschluss nicht auf sich allein gestellt zu sein.

Den reinblütigen Zauberern gehörte die Welt... und das würde immer so bleiben.

Severus wartete bis die vier auf ihre Zimmer gegangen waren und lauschte. Er hoffte einen Gedankenfetzen Blacks oder Potters aufzugreifen. Einen Ausruf, nur ein Wort, doch nichts.

Es blieb stumm.

Immer mehr Slytherins kehrten vom Halloweenfest zurück. Sie achteten nicht auf den schwarzhaarigen Erstklässler, der auf einem der Sofas saß und angestrengt in die züngelnden Flammen des Kamins stierte. Das grünliche Licht des Sees strahlte ihm in den Nacken, während das rote Feuer seine Haut wärmte.

Die Stimmen waren verstummt.
Doch Severus wartete... und wartete...

Die große Turmuhr schlug gerade zwei Uhr, als Severus, der auf der Ledercouch eingenickt war, hochschreckte.

Ein Schrei hallte durch die Nacht.

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Der nächste Morgen war für die Jungen der ersten Klasse aus Gryffindor eine reine Zitterpartie.
Unruhig saßen sie auf ihren Plätzen in der großen Halle, doch Wyatt Graves und seine Freunde tauchten nicht auf.

Am Abend zuvor hatten sie es geschafft aus dem Gemeinschaftsraum der Slytherins zu verschwinden, ehe Snape sie erwischen konnte oder jemand ihr Fehlen bemerkt hatte.
Filch waren sie mehr als nur einmal unter dem Tarnumhang begegnet und so langsam glaubte Remus, dass der alte Hausmeister durch Wände gehen konnte. So häufig hatten sie gehofft, ihm entkommen zu sein. Doch kaum wogen sie sich in Sicherheit, wartete er schon umlängst hinter der nächsten Biegung. Er konnte sie nicht sehen, aber bei Mrs. Norris waren sich die Jungen nicht so sicher.

Wirkten Tarnumhänge auch bei Katzen?

Nun, zum Morgen des 01. Novembers, schien Wyatt Graves nicht aufzutauchen. Und während James so nervös war, dass er seine Serviette in tausend kleine Stofffetzen zerrupfte, wirkte Sirius mehr als nur genervt. Mehr als einmal hatte der Black schon gemeint, dass es einfach unverschämt wäre, wenn die Slytherinjungen nicht auftauchen und ihnen signalisieren würden, ob ihr Plan gescheitert oder ein Erfolg gewesen war.

Peter und Remus ging es, doch das hätten sie wohl nie laut ausgesprochen, genau wie James.

Was, wenn sie uns von der Schule verweisen?

Was werden Mum und Vater sagen?

Remus hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Während die anderen Gryffindors vor sich hin schnarchten, hatte er auf der großflächigen Fensterbank gekauert und den beinahe vollen Mond betrachtet, dessen Licht auf seiner Haut ein brennendes Kitzeln auslöste.
Sein Schädel brummte und das nicht zu gering. Morgen schon sollte der nächste Mondzyklus wieder dafür sorgen, dass der schüchterne Junge das Biest in seinem Innern entfesselte.

Selten waren die Wochen so schnell dahingeflogen wie in Hogwarts, so dass Remus sich kaum von dem letzten Vollmond erholt, wieder dem nächsten gegenübertreten musste. Die Verschnaufspausen zwischendurch waren zu kurzen Schnappatmungsversuchen geworden. Momente, die zu schnell verstrichen, als dass er sie überhaupt auskosten konnte.

»Morgen Nacht ist es also soweit«, sagte James verschwörerisch, woraufhin Remus seinen gesamten Becher Kürbissaft auf den Boden befördert hätte, wenn Peter nicht so schnell reagiert hätte. Das Rosa auf seinen Wangen zeigte, dass er selbst ganz erstaunt darüber war, solche Reflexe an den Tag zu legen, aber Remus achtete nicht sonderlich auf ihn, viel eher schrumpfte er in sich zusammen und vermied es, James in die Augen zu sehen.

Tausend wirre Gedanken wirbelten durch Remus' Kopf, keinen davon konnte er greifen und so setzte sein Fluchtinstinkt ein. Er wollte aufspringen, aus der Halle rennen, doch seine Beine waren dafür zu schwach, allein der Weg von den Schlafsälen hinunter in die große Halle hatte ihn alle Anstrengung gekostet, wie sollte er den Weg im Sprint zurücklegen können?

Sie waren hinter sein Geheimnis gekommen, sie wussten vom Vollmond, sie wussten alles.

Der Rest einer halbwegs gesunden Hautfarbe wich nun gänzlich aus Remus' Gesicht, als er schockiert aufblickte. Was blieb ihm anderes übrig...

Zu seiner Überraschung galt James' verschmitztes Grinsen gar nicht ihm. Der junge Potter klopfte Sirius freudig auf die Schulter. »Um Mitternacht wird gefeiert!«

Remus verstand nicht, was sich vor seinen Augen abspielte und zeigte sich offenbar in jeder seiner Gesichtsregungen, denn Peter musterte ihn einen Augenblick argwöhnisch, ehe er sich zu ihm beugte und flüsterte: »Sirius' Geburtstag.«

Sofort hätte Remus sich entspannen sollen, seine Sorgen waren unbegründet gewesen, doch die schiere Panik saß ihm noch immer im Nacken.
Denn wieder einmal hatte er sich vor Augen geführt, was passieren würde, wenn seine Freunde von seinem Problem erfahren würden.

Dann wären sie nicht mehr seine Freunde... dann wäre er ganz allein und er wollte nicht mehr allein sein.

Bevor James noch weiter über Sirius' Geburtstag sinnieren konnte, traten Lily Evans und Marlene McKinnon durch die Flügeltüren der großen Halle, die Köpfe zusammengesteckt, als würden sie streng vertrauliche Geheimnisse ausplaudern. Sofort schoss James' Kopf, als hätte er ihr Eintreffen gespürt, in die Richtung der Mädchen. Sein Gesichtsausdruck spiegelte alles andere als Freude wieder.

»Wie kann sich Marlene nur mit dem Feind verbünden?«, schmollte er und kassierte von Sirius einen Stoß in die Rippen.

»Evans ist jetzt der Feind?«

»Sie stiehlt beste Freunde.«

»Vielleicht ist sie eine bessere beste Freundin als du«, grinste Sirius.

»Ich bin ja wohl die beste Freundin, die es gibt!«, protestierte James so laut, dass man ihn selbst am anderen Ende der Halle gehört haben musste. Er dann fiel ihm auf, was er gerade gesagt hatte und ein tiefroter Schatten fiel über seine Wangen.

»Stehst du endlich zu deiner Weiblichkeit?«, flötete Marlene McKinnon, die zusammen mit Lily an den Gryffindortisch getreten war und sich nun neben James pflanzte, um ihm ein Stück seines Buttertoasts zu klauen.

Lily schien alles andere als erfreut, sich zu den Jungs setzen zu müssen, doch sie sagte nichts und nahm neben Marlene Platz.

»Halt den Mund, McKinnon.«

»Das ist nichts wofür man sich schämen müsste, Jane Potter - klingt doch auch gleich viel besser als James.«

James schnappte ihr das Toast, das sie von seinem Teller geklaut hatte, aus der Hand und stopfte es sich in den Mund. »Vrätfer kriefgn ken Essfn«, sagte er mit vollem Mund.

Marlene lachte. »Wie bitte? Ab 100 Gramm wird es undeutlich.«

»Verräter kriegen kein Essen«, erklärte Lily unbedacht, während sie sich eine Tasse Tee einschenkte.

»Die Potterflüsterin«, scherzte Peter und erntete daraufhin einen Todesblick seitens der Rothaarigen, der ihn beinahe so blass aussehen ließ wie Remus.

Marlene schlug James auf den Unterarm. »Hey! Wofür war das?«, beschwerte sich dieser, doch ein freches Grinsen zupfte an seinen Mundwinkeln.

Seine beste Freundin zuckte nur mit den Schultern, ehe sie sich verschwörerisch vorbeugte. »Habt ihr es schon gehört? Heute Nacht war im Slytheringemeinschaftsraum die Hölle los.«

Sofort setzten die Jungen neutrale Mienen auf. Sirius ging sogar soweit, ehrlich betroffen dreinzublicken und zu fragen: »Was ist denn passiert?«

Nun war es an Lily sich einzumischen. »Sev hat mir erzählt, im Schlafsaal der Fünftklässlerjungen sind mitten in der Nacht Fledermäuse aufgetaucht.«

»Igitt!«, kam es von Olive und Alice, die ein Stück abseits von ihnen saßen und trotzdem alles mitanhören konnten. »Wo kamen die denn her?«

»Sie waren nicht echt. Jemand hat Möbel- und Kleidungsstücke mit einem Zauber belegt. Professor Slughorn und Professor McGonagall mussten mitten in der Nacht in den Gemeinschaftsraum gerufen werden... sie konnten nicht herusfinden, wer es war. Alle Zauber waren mit Zeitverzögerungszaubern verbunden, doch die lernt man erst frühestens im 3. Jahr, also kann es nicht sein, dass...«

»Was?«, fragte James verunsichert.

Auch Remus rutschte unruhig auf seinem Platz hin und her. Sie hatten irgendwie erwartet, niemand würde merken, dass Zeitverzögerungszauber angewandt worden waren. Am Ende könnte man sie nun doch noch für das Schlamassel verantwortlich machen.

Marlene bedachte Lily mit einem kurzen Blick, ehe sie an ihrer Stelle antwortete. »Die Slytherins denken, es war Snape.«

»Was?!«, alle vier Jungen hatten gleichzeitig aufgeschrien und auf einen Schlag war es in der ganzen Halle mucksmäuschenstill.

»Psscht!«, herrschte Lily sie an. »Wyatt Graves hat Sev allein im Schlafsaal gefunden, als er nach dem Halloweenfest mit seinen Freunden zu Bett gehen wollte. Sev wollte mir nicht sagen, was er dort gemacht hat«, die letzten Worte hörten sich beinahe nach einem Vorwurf an, als könnte Lily Evans tatsächlich einen leichten Groll gegen ihren Freund hegen, weil er ihr nicht die Wahrheit sagen wollte. Doch Remus war nur allzu froh darüber.

Während die Slytherins Severus Snape vielleicht für verrückt halten würden, wenn er ihnen erzählte, er hätte vier unsichtbare Gryffindors vertreiben wollen, so wäre Lily nicht so dumm, solche Vorwürfe einfach von der Hand zu weisen.

»Jedenfalls ist es so oder so unmöglich. Die Verwandlungszauber waren viel zu fortgeschritten. Kein Erstklässler hätte das gekonnt.« Erleichtert atmete Remus aus, nur um im nächsten Augenblick beinahe von der Bank zu fallen. »Außer vielleicht dir, Potter.«

James riss die Augen auf. »Ich?!« Seine Stimme hüpfte zwei Oktaven höher.

»Ich habe gesehen, was du ohne große Anstrengung in Verwandlung geleistet hast. Du und Black ihr übt ja nicht einmal oder hört zu. Und trotzdem...«

»Danke für das Würdigen unseres Talents«, grinste Sirius, »Aber wir hatten damit rein gar nichts zu tun.«

Lily wirkte nicht überzeugt, ein paar Sekunden starrte sie James und Sirius tief in die Augen, wie um ihnen die Lüge abzulesen, doch sie fand nicht, was sie suchte. Resigniert ließ sie die Schultern hängen.

»Vermutlich waren es ein paar ältere Schüler, die Graves und den anderen einen Streich spielen wollten. Ihr wärt ja sowieso nie in den Slytheringemeinschaftsraum gekommen.«

Ein kleiner Schwall Erleichterung spülte über die Jungen hinweg.

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Dienstag Abend war es soweit. James und Peter hatten allerlei Essen aus der großen Halle mitgehen lassen, dass die vier Jungen es sich in ihrem Schlafsaal heute Nacht richtig gut gehen lassen konnten. Oder besser gesagt, die drei Jungen.
Zu ihrer allen Enttäuschung hatte sich Remus mal wieder etwas eingefangen, weswegen er sich früh am Nachmittag bei ihnen verabschiedet hatte, um in den Krankenflügel zu gehen.

Eigentlich hatten James, Sirius und Peter gehofft, würde Remus zu ihrer kleinen Feier wieder dazustoßen, doch noch immer war von ihm keine Spur zu sehen.

Sirius betrat in eben jenem Moment den Schlafsaal, als James all ihre Süßigkeitenvorräte auf einen kleinen Haufen auf seinem Bett zusammenschob. »Noch vier Stunden und dreiundvierzig Minuten«, verkündete James und grinste. »Dann bist du offiziell zwölf Jahre alt.«

Sirius strahlte. Seit langem hatte er sich nicht mehr so sehr auf einen Geburtstag gefreut.

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Sie hatten sich die Bäuche vollgeschlagen. Nicht einmal an Halloween hätten sie so viele Süßigkeiten auf einmal verdrückt.
Nun lagen sie alle erledigt durch den Zuckerschock auf ihren Betten und starrten die Decke an, versuchten zwanghaft die Augen offen zu halten.

Die vergangenen Stunden wirkten mehr wie ein Fiebertraum als die wahrhaftige Realität. Aus vollen Lungen hatten sie in den schiefsten Tönen alte Zauberer-Geburtstagslieder geträlltert (so laut, dass Max McCoy und Bilius Weasley sie angefleht hatten, die Klappe zu halten, weil sie schlafen wollten, bevor sie und Frank Longbottom, ein Zweitklässler, beim nächsten Lied ›Merlin wird nur einmal 152‹ miteinstiegen). Von den Älteren liehen sie sich außerdem leere Butterbierflaschen, um mit alten (und steinharten) Kesselkuchen eine Partie Bowling zu spielen. Daraufhin folgte eine Partie Russisch Roulette mit Bertie Botts Bohnen in sämtlichen Geschmacksrichtungen, doch dabei blieb es nicht. Man sah die Jungen nie auch nur eine Sekunde ohne eine süße Leckerei in den Händen - nun bezahlten sie die Strafe...

»Wie spät ist es?«, stöhnte Sirius.

»Noch zweiunddreißig Minuten bis Mitternacht«, erwiderte James, die Hände auf den Magen gepresst.

»Sollte so ein Reinfeiern nicht Spaß machen?«, scherzte Peter halbherzig, von den anderen kam nur ein tierisches Grunzen.

»Würde es wohl, wenn wir nicht die doppelte Menge unseres Gewichts in Süßigkeiten in uns aufgenommen hätten...« James schluckte. »Merlin, ist mir schlecht. Nie hätte ich gedacht, meine Mutter würde recht behalten... sagt ihr nie, dass ich das gesagt habe. Das wird sie mich mein Lebtag nicht vergessen lassen.«

»Ich dich auch nicht, wenn du dich übergibst«, mahnte Sirius, doch ein Grinsen konnte er sich nicht verkneifen. »...wie spät ist es jetzt?«

»Zwei Minuten später seit du das letzte Mal gefragt hast«, kam es erneut von James.

»Remus kommt also nicht mehr.« Sirius richtete sich langsam auf. Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben.

»Nein, wohl nicht.«

Von einer auf die andere Sekunde war ihre Übelkeit verschwunden. Das Funkeln in Sirius' Augen blitze auf und sprang wie ein Laubfeuer auf den schwarzhaarigen Jungen neben ihm über.

»Verlagern wir die Party?« James wackelte mit den Augenbrauen und Sirius' Mundwinkel zuckten nach oben. »Worauf du wetten kannst, Potter.«

Peter hob erschöpft den Kopf. »Ihr könnt mich runter rollen... ich glaube nicht, dass ich mich bewegen kann.« Ein Hicksen folgte seinen Worten.

»Mach kein Angebot, das ich nicht ablehnen kann«, sagte Sirius und stemmte sich auf, begann die restlichen Süßigkeiten in seine Umhangtaschen zu stopfen.

»Denk an die Schokofrösche«, wies James seinen Freund an, während er in seinem Schrankkoffer nach dem Tarnumhang fischte. So kurz hintereinander... und schon wieder kam er zum Einsatz - wenn das nicht das beste Geschenk zum Schulanfang gewesen war, das eben geben konnte, würde James seinen Besen fressen.

»Remus sollte nicht wegen einer blöden Erkältung auf eine hammermäßige Geburtstagsparty verzichten.«

Und mit dieser Aussage rappelte sich auch Peter auf und tapste hinüber zu James, der sich den Tarnumhang schon über die Schultern geworfen hatte. Sie konnten es nicht riskieren, im Gemeinschaftsraum einen ihrer Mitschüler anzutreffen. Glücklicherweise brannte zwar der Kamin, sonst war jedoch nichts und niemand in dem großen rubinfarbenen, runden Raum zu sehen, der ihnen Schwierigkeiten bereiten könnte.

Leise und bedacht stiegen sie durch das Portrait der fetten Dame, ehe sie die Korridore und Gänge entlangeilten, Treppen hinauf- und hinabstiegen, nur um vor den Türen des Krankenflügels zu einem Halt zu kommen.

Ein Blick auf die Uhr, die um James' Handgelenk geschlungen war, zeigte an, dass sie noch zwei Minuten und dreiundvierzig Sekunden hatten, bevor es zur Mitternachtsstunde läuten würde. Genug Zeit also, um einen erkrankten Remus Lupin mit Schokolade aus dem Schlaf zu locken und ein letztes Geburtstagslied anzustimmen.

»Wir müssen leise sein, damit Madam Pomfrey uns nicht bemerkt«, flüsterte James und schob die Türen auf.

Der Krankenflügel lag ruhig und kalt da. Das klinische Weiß, das ihnen von allen Seiten entgegenstrahlte vermischte sich mit der kühlen Herbstluft, die durch eins der geöffneten Fenster hereinbrauste, und ihnen den Umhang um die Knöchel wehen ließ. Der Vollmond spendete das einzige Licht, doch das war ausreichend um mit Ernüchterung festzustellen, dass sie umsonst des nachts durch das Schloss geschlichen waren.

Ihre Mienen, die eben noch so voller Vorfreude gestrahlt hatten, verloren jeden Glanz. Missmutig und verwirrt starrten sie auf die vielen leeren Betten.

»Wo ist Remus?«, fragte Peter unsicher.

»Nicht hier«, gab Sirius zurück, ein mulmiges Gefühl hinunterschluckend. Zornig verzog er das Gesicht und riss sich den Umhang vom Kopf. Er schritt durch die Reihen von Betten, doch in keinem konnte er seinen Zimmergenossen finden. »Wieso hat er gelogen?«

Peter wollte schon einwenden, dass es dafür bestimmt eine Erklärung gab, doch Sirius trat gegen eines der Betten und Peter blieben die Worte im Hals stecken.

James seufzte, ein letzter Blick auf seine Uhr.

»Happy Birthday.«

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⁰²³· ᴮʳᵉᶯⁿᵉⁿᵈᵉ ᴷᵉʳᶻᵉⁿ

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