011. Eine Frage des Blutes
ᵅᶠᵗᵊʳ ᵃᶩˡ ᵗʱⁱˢ ᵗᶤᶬᵋ
»Snape, Severus!«
Mit pochendem Herzen trat er vor, jeder Schritt zog sich, als würde die Zeit zum Stillstand kommen, als wäre er gefangen zwischen zwei Sekunden und die Zeiger hätten aufgehört sich zu drehen, doch das altbekannte Tick, das blieb zurück, verfolgte ihn, brannte sich ihm ins Gedächtnis ein. Es heftete sich an seine Fersen und bremste ihn.
War das das Gefühl der Unendlichkeit? In einer einzigen Zeitspirale festzustecken, in der es kein Entkommen gab? Immer wieder den selben stechenden Schmerz zu ertragen, immer wieder mit dem konfrontiert zu werden, wovor man sich fürchtete und doch war man allein? Völlig auf sich gestellt? Ohne Hoffnung auf Hilfe?
Severus griff nach dem Holz, zog sich beinahe am Ende seiner Kräfte auf den alten Dreibeiner, blickte durch die Halle und fand ihre strahlend grünen Augen, die wie zwei Smaragde im Schein der Kerzen zu ihm aufleuchteten, bevor das dunkle Leder über seinen Kopf rutschte und ihm die Sicht nahm.
Die plötzliche Dunkelheit riss Severus aus seiner Starre, teleportierte ihn zurück in die Realität und versetzte ihm den Anstoß, seine Bitte vorzubringen.
Er wollte nicht von Lily getrennt sein, selbst dann nicht, wenn es bedeutete, nach Gryffindor zu gehen. Er war bereit, seine Jahre mit den grausamen Jungen aus dem Zug zu verbringen, sollte das bedeuten, er würde bei seiner Lily bleiben.
Doch das Gesicht seiner Mutter tauchte vor seinem inneren Auge auf, Eileen lächelte ihm zu, sie war stolz, stolz auf ihn... »Mein Prinz, du wirst diesem Haus Ehre bringen.« Sie sprach nicht von den Löwen, nicht von Lily.
Überwältigt von den Schuldgefühlen, seine Mutter zu enttäuschen, verschlug es ihm die Sprache...
Listig... ja...
Du willst gewinnen, um jeden erdenklichen Preis...
Du willst stets der Größte sein... der, zu dem alle aufsehen...
Ja ja... ganz klar, kein Zweifel...
Und noch bevor Severus etwas einwenden konnte, hatte der sprechende Hut sein Urteil bereits verkündet:
»SLYTHERIN!«
Er rutschte von dem Stuhl, zog sich den Hut vom Schädel und drückte ihn der Professorin in die Hände. Der rechte Tisch brach in Beifall aus und Severus ließ seinen Blick über die Gesichter der Schüler schweifen. Er vermied es bewusst zu den Gryffindors zu sehen. Das traurige Lächeln, das Lily ihm schenkte, könnte er jetzt nicht ertragen und so eilte er noch immer schweren Schrittes zu den Schlangen. Missmutig ließ er sich auf einen Platz neben Lucius Malfoy nieder, der ihn mit einem verhaltenen Grinsen empfing, das blonde Haar zu einem kleinen Zopf zurückgebunden.
»Severus«, säuselte er. »Willkommen daheim.«
Snape quittierte seine Worte mit einem halben Kopfnicken, ehe er die Augen wieder der Zeremonie zuwandte, ohne jedoch wirklich auf das Geschehen zu achten. Viel mehr tobten in ihm zwei Stürme, die seine gesamte Konzentration beanspruchten. Er fühlte sich seekrank, als stünde er auf einem kleinen Ruderboot, wie noch vor einer Stunde auf dem spiegelglatten Wasser des schwarzen Sees, nur schlugen die Wellen gegen die Barke, brachten es zum Schaukeln, ließen ihm keine Ruhe. Er kämpfte gegen das Schwindelgefühl an, versuchte die Finger im Holz zu vergraben, um nicht über Bord zu gehen und in den Tiefen zu ertrinken, ohne Erfolg.
Die Sturmfronten schlugen aufeinander, implodierten über ihm und begruben Severus unter einer Schicht aus verlorenen Träumen, Hoffnungen und Leid. Er wusste sich nicht zu helfen, ertrank in den Fluten, wusste nicht, ob ein Slytherin zu sein, ihm nun Segen oder Fluch war.
Ob Lily den Jungen im Zug nun Glauben schenkte? Ob sie glaubte, ein Slytherin zu sein, wäre schlecht? Er wäre schlecht? Lily mochte ihn verabscheuen, seine Mutter jedoch wäre erfreut. Immer schon hatte sie sich bloß gewünscht, er würde dem Haus einmal wieder Ehre bringen, er könnte gutmachen, was sie zerstört hatte. Er würde sie zurück zu ihrer Familie bringen...
Eileen Prince war einmal eine stolze Frau gewesen, stolz und schön und groß, angesehen und bewundert von vielen, doch Severus erinnerte sich mit Schrecken zurück an den Tag vor zwei Jahren, als sie auf Knien gerutscht, sich auf die polierten Marmorfließen geworfen, schluchzend und am Ende ihrer Kräfte, um Gnade gefleht hatte. Er erinnerte sich an Abraxas Malfoy, Lucius Vater, der die einst so wunderschöne Frau zurück auf die Beine gezerrt und ihr ausgemergeltes Gesicht, ihre Schrammen, Wunden und Blutergüsse betrachtet hatte. In seinen hungrigen Augen lag die Abscheu, doch Severus konnte nicht zuordnen, ob sie Tobias Snape oder Eileen galt, aber Abraxas hatte sie aufgenommen, hatte ihnen zu Essen und zu Trinken gegeben, sie in warme Decken gehüllt und aus dem Elend befreit. Die Malfoys hatten sich seiner und der seiner Mutter angenommen, hatten sich um sie gekümmert, als sie allen anderen egal gewesen waren.
Zumindest für eine Zeit lang...
Severus warf dem blonden Jungen neben ihm scheue Blicke zu. Er sollte dankbar sein, einen Freund wie Lucius neben sich zu wissen. Ein Freund, der ihn anleiten und beschützen konnte, aber Severus brauchte keinen Schutz, er kannte genug Flüche, um sich gegen seine Mitschüler und die dunklen Mächte außerhalb der Mauern dieses Schlosses zu verteidigen. Die Bücher in der Bibliothek des Malfoy Manors waren überaus aufschlussreich gewesen, doch auch Eileen verwahrte ihre eigenen schwarzmagischen Schätze, versteckt vor den Augen ihres Mannes, zu Hause in Spinner's End. Aber das Wissen hatte ihn und seine Mutter nicht davor bewahrt, unter Tobias Snape zu leiden, einem Abschaum von Muggel - doch Muggel waren eben so... sie hassten, was sie nicht verstehen konnten.
Nun war Severus hier, ein Slytherin, der kleine Prinz, den sich seine Mutter immer gewünscht hatte...
Und Lily saß am anderen Ende der Halle, ihre trüben Augen lagen auf dem Hut, verfolgten seine Bewegungen und sie lauschte den Worten der Professorin. Ob sie Severus schon vergessen hatte? Nein, nicht Lily, nicht seine Lily. Aber er war hier und sie dort, es trennten sie keine dreißig Meter und dennoch waren sie Welten voneinander entfernt. Als wäre ihr Schicksal bereits besiegelt worden...
Lucius folgte seinem Blick und runzelte die Stirn.
»Ist sie das? Das Schlammblut aus deiner Nachbarschaft?«, fragte er.
Severus widerstand dem Drang, ihm zu widersprechen. Lily war kein Schlammblut, sie nicht. Stattdessen nickte er verhalten. »Das ist Lily.«
Lucius schüttelte abschätzig den Kopf. Er sah am Tisch der Slytherins auf und ab, verweilte einige Sekunden an einem blonden Mädchen, das der Zeremonie lauschte und verkniffen drein blickte.
Als sich Lucius vergewissert hatte, dass ihm niemand zuhörte, wandte er sich wieder an Severus.
»Du bist ein Halbblut, Severus. Unsere Familie mag Eileen Prince und dir Unterschlupf gewährt haben, als ihr den kalten Winter überdauern musstet, doch das tat mein Vater einzig und allein aus seiner Freundschaft zu deiner Mutter.«
Severus starrte auf die Tischplatte. Freundschaft war ein seltsames Wort, so wie Lucius es in diesem Moment nutzte, um die Verwandtschaft ihrer Familien zu beschreiben. »Alle Reinblutfamilien sind miteinander verwandt, mein kleiner Prinz«, hatte Eileen gesagt. Ihre Stimme war so zittrig gewesen, als sie ihn an der Hand durch die Straßen Londons geführt hatte, um den Weg zum Malfoy Manor zu Fuß zu gehen. Zu geschwächt, um zu apparieren, waren Eileen und er gezwungen gewesen von Haus zu Haus zu gehen, ihre Verwandten um Hilfe zu bitten. Der Ausdruck der Verzweiflung in Eileens Augen war mit jedem Nein angestiegen, ließ sie wahnsinnig erscheinen, beinahe mahnisch, völlig besessen. Schließlich blieb ihnen bloß noch die Familie Malfoy, obgleich Eileen sich zu sträuben schien, das Anwesen zu betreten. Sie hatten keine Wahl...
»Deine Mutter hat die Ehre ihrer Familie besudelt, als sie diesen Muggel heiratete und dich bekam. Und gerade weil du ein Halblut bist, solltest du ganz vorsichtig sein, in welchen Kreisen du verkehrst. Wer sind deine wahren Freunde? Die, die dich in den Abgrund reißen oder die, die dich an die Macht führen? Überlege weise... hast du einmal deine Wahl getroffen, gibt es vielleicht kein Zurück mehr.«
Severus sah auf. Der Kloß, der sich bei den Worten seines Freundes in seiner Kehle gebildet hatte, war nicht wegzudenken und erschwerte es ihm, Luft zu holen.
Er war ein Halbblut. Aber er war auch zur Hälfte ein Prince - er war nicht wie die anderen Halbblute aus minderen Zaubererfamilien, er war etwas Besonderes und genauso war es Lily.
»Lily ist anders als die anderen Schlammblüter«, murmelte er mehr zu sich selbst, als zu Lucius, doch dieser verstand jedes Wort.
»Nun gut«, erwiderte er. »Tu aber nicht so, als hätte ich dich nicht gewarnt.« Und er wandte den Blick zurück zu dem blonden Mädchen, die ihn auffing, verführerisch eine Augenbraue hochzucken ließ, eine ihrer Haarsträhnen um ihren Finger wickelte und die Lippen spitzte. Sie wäre wirklich hübsch, wenn sie sich nicht benehmen würde, als würde es in ihrer Umgebung nach Abfall müffeln, dachte Severus.
Doch nicht so hübsch wie seine Lily...
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Eliot Eka Watanabe wurde ein Hufflepuff und mit ihm war die Zeremonie vorüber. Professor McGonagall ließ den Hut und den Dreibeiner verschwinden, wartete bis der letzte Applaus verklungen war und nahm dann an der großen Lehrertafel neben Professor Dumbledore Platz.
Dieser erhob sich stattdessen und trat vor an sein Rednerpult, das aus purem Gold die Form einer Eule mit ausgebreiteten Schwingen darstellte, die sich aus einem ebenholzfarbenen Sockel erstreckte. Peter setzte sich automatisch aufrechter, als der überaus großgewachsene Schulleiter die beiden Flügel der Eule packte, um sich einen festeren Stand zu sichern, den er jedoch überhaupt nicht nötig gehabt hätte.
»Meine lieben Schüler!«, begrüßte er sie alle und strahlte. Die halbmondförmigen Brillengläser reflektierten das schimmernde Kerzenlicht und der rußige Geruch kroch angenehm zwischen ihren Bänken umher. »Willkommen zu einem neuen Jahr in Hogwarts! Willkommen ihr Grünschnäbel und Willkommen zurück ihr Alten Hasen!«
»Willkommen zurück, Professor!«, rief auf einmal ein Junge, der bei Peter und den anderen am Gryffindortisch saß. Seine roten Haare und das spitzbübische Grinsen waren unverkennbar und Peter erkannte ihn als den Quatschkopf aus dem Zug wieder, der ihn beinahe geköpft hatte.
Einige Schüler lachten über den Einwand, andere schmunzelten bloß. James und Sirius warfen sich einen kurzen Blick zu, ehe auch sie sich wieder grinsend der Lehrertafel zuwandten.
»Ah ja, Willkommen zurück, Mr. Weasley, vielen Dank!«, rief Dumbledore und zwinkerte. »Ich belästige euch ungern mit meinen Worten, wenn ihr euch doch alle bloß danach sehnt, etwas zwischen die Kiemen zu schieben. Die Zeit für Reden wird noch kommen, genießt das Festmahl!«
Er klatschte zweimal in die Hände.
Peter wandte sich voller Vorfreude dem Geschirr auf den Tischen zu und stellte mit Genugtuung fest, wie, von mehreren kleinen Aufschreien der Unwissenden begleitet, ein herrliches Festmahl entlang der Tafeln erschien. Das Essen türmte sich geradezu und er hätte schwören können, noch nie so viel gutes Essen auf einem Fleck gesehen zu haben, nicht einmal, als seine Mutter die Hochzeit von Peters Onkel Albert ausgerichtet hatte und sie die ganze Familie und alle Freunde hatten versorgen müssen. Die vier Tische entlang brachen viele Gespräche aus, die sich wie kleine Feuer durch die ganze große Halle verbreiteten. Das rege Gemurmel wurde nur hin und wieder durch klirrendes Besteck oder vereinzelte Ausrufe eingedämmt, die das herrliche Festmahl in höchsten Tönen lobten.
»Fetzig!«, rief Sirius enthusiastisch.
Seine Hand griff unachtsam quer über den Tisch nach den Bratkartoffeln, vorbei an mehreren Tellern Yorkshire-Pudding, Würsten, Schinken und Steaks, einem ziemlich großen Spanferkel, Pommes, Erbsen, Karotten, einem Haufen Roastbeef, Ketchup und - aus irgendeinem merkwürdigen Grund - vielen kleinen Schüsseln Zitronenbonbons.
»War dir eben nicht noch furchtbar schlecht? Das kommt davon, wenn man so viel Süßes ist.« Ein besorgtes Grinsen umspielte James Lippen. »Mach langsam und iss nicht zu viel.«
»Ach Gehörnte Wellhornschnecke«, Sirius schüttelte den Kopf und fuchtelte mit seiner Gabel in der Luft herum, wobei er Lily Evans beinahe ein Auge ausstach, die deswegen fast von der Bank hinten überfiel.
»Pass doch auf!«, echauffierte sie sich und rückte einige Zentimeter von ihm ab, doch Sirius beachtete sie gar nicht, sondern deutete mit den Zinken der Gabel auf James' Nase und schnalzte mit der Zunge. »Ich bin wieder topfit. Wie ein achtärmiger Hippogreif.«
Die beiden lachten laut los.
»Hippogreife haben keine Arme«, warf Remus Lupin dazwischen, der sich gerade Bohnen auf den Teller schöpfte und das Gelächter erstarb. »Sie sind halb Pferd und halb Greif, deswegen... haben sie nur Flügel, Krallen und... äh... Hinterbeine...« Remus verstummte augenblicklich, als er den starren Blick seitens Sirius bemerkte, seine Wangen nahmen einen dunklen Ton an, während er bewusst von den anderen wegsah und die Tischplatte einer eindringlichen Untersuchung unterzog. Er hatte sich seinen ersten Eindruck wohl ganz anders vorgestellt... Peter beäugte ihn mitleidig, sagte aber nichts. Er wollte seine Freundschaft zu Sirius nichts aufs Spiel setzen und so wie dieser im Augenblick aussah, hätte er glatt einen Mord begehen können. Er war es wohl nicht gewöhnt, zurechtgewiesen zu werden, dachte Peter.
James hingegen konnte sich nicht mehr halten und prustete unkontrolliert los, zusätzlich zu seinem Lachen ereilte ihn ein Schluckauf, der immer schlimmer zu werden drohte und ihn unerbittlich nach Luft schnappen ließ. Allein das war ein Anblick, der Peter beinahe einen ähnlichen Zustand bescherte.
»Ein richtiger Neunmalklug«, murmelte Sirius eingeschnappt, schüttelte den Kopf und griff erneut zu den Bratkartoffeln. Remus sagte kein Wort mehr, es schien, als würde er sich innerlich rügen, überhaupt den Mund geöffnet zu haben, doch James schlug ihm spielerisch auf die Schulter und rief: »Nicht schlecht, Lupin.« Er schenkte Lily Evans ein breites Grinsen, die sich daraufhin bloß schnaubend abwandte, bevor er sich ebenfalls eine halbe Wagenladung des köstlichen Essens auflud. Remus machte nicht wirklich den Eindruck, als hätte ihn der freundschaftliche Schlag aufgemuntert, vielmehr schien er dabei regelrecht zusammengezuckt zu sein, doch James bemerkte davon nichts. Wohl aber Peter und Lily Evans. Das Mädchen warf ihm einen besorgten Blick nach dem nächsten zu, doch immer wich Remus aus, stocherte mit seiner Gabel in den Bohnen umher, ohne auch bloß einen Bissen zu nehmen.
Peters Magen grummelte und erinnerte ihn daran, dass es etwas Wichtigeres gab, als die anderen zu beobachten. Essen.
Endlich griff er zu, dachte auch gar nicht daran, sich zurückzunehmen und häufte sich von allem gleich zweimal so viel auf, wie die anderen zusammen. Der Geruch von knusprigem Brathähnchen stieg ihm in die Nase, benebelte seine Sinne, trug ihn fort in ein Schlaraffenland. Ein Wunderland, in dem man Essen konnte, was man wollte, in dem es keinerlei Verpflichtungen gab, nichts außer absoluter Zufriedenheit.
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Sirius, James und Peter genossen die feinen Speisen und als diese sich schließlich in allerlei Spritzkuchen, Torten und Muffins, Waffeln, Fudge und Plätzchen verwandelten waren ihre Mägen schon zum Bersten gefüllt, doch nicht im Traum hätten sie es sich nehmen lassen auch hier einmal ordentlich zuzulangen.
Die magische Decke der großen Halle war übersäht mit funkelnden Sternen, die im Kerzenschein zu tanzen schienen, während der baldige Vollmond, die einzige Konstante, den Dirigenten spielte und felsenfest an seinem Platz verweilte.
Das Mondlicht im Nacken spürend, fühlte Remus sich hundeelend. Am liebsten wäre er auf der Stelle in sein Bett gefallen, sein Bett zu Hause in London... dort wo er sicher war, wo die anderen sicher waren... vor ihm.
Dumbledores Plan war ein guter Plan gewesen und er erinnerte sich noch gut an den Abend, als der großgewachsene Mann vor ihrer Haustür erschienen war, mit der Bitte, Lyall Lupin würde seinem Sohn die Ausbildung gewähren, die er verdiente. Remus hatte seinen Vater angefleht, er hatte sich nichts sehnlicher gewünscht, doch nun, da der Moment gekommen war, fürchtete er sich vor den Konsequenzen...
Pass auf, was du dir wünschst!
Die Lieblingsworte seiner Mutter, wann immer er oder sein Vater unachtsam gewesen waren, nicht daran gedacht hatten, was geschehen könnte, wenn sie unbedacht Wünsche äußerten.
Es könnte in Erfüllung gehen.
Wünsche in den Händen von Zauberern konnten gefährlich werden... das hatte er schon früh genug gelernt.
Mit vor Anspannung zitternden Fingern, brachte er die beladene Gabel mit Schokotorte gerade einmal auf halben Weg zu seinem Mund, ehe sich das Kuchenstück verabschiedete und erneut auf dem Teller aufschlug. Frustriert verschränkte Remus die Arme vor dem Körper, ehe er sie sofort wieder fallen ließ, als er realisierte, dass er nicht zu Hause eingepfercht in seinem Kinderzimmer saß, sondern in der großen Halle, umringt von Hexen und Zauberern, die nicht wussten, wer - nein - was er war... und das sollte auch so bleiben. Schwäche konnte er sich nicht leisten, egal wie sehr seine Knochen und Glieder nach Ruhe und Frieden schrien, egal wie sehr er sich nach den schützenden Armen seiner Mutter sehnte.
Dumbledore erhob sich ein zweites Mal an diesem Abend, den Kelch in der ausgestreckten Faust prostete er einmal in die Runde, nahm einen großen Schluck und richtete sich zu ganzer Größe auf. Die Teller und die Reste des Nachtischs verschwanden im Nichts. Remus trauerte dem kleinen Stück Schokotorte nach, dass er nach dem Schwächeanfall zuvor nicht wieder angerührt hatte, aus Angst, jemand könnte eins und eins zusammenzählen, während der falsche Mond von der Decke auf sie alle herab schien.
»Nun, da wir alle wohl genährt, den Bauch zum Bersten gefüllt, gefüttert und gewässert sind, ist es doch an der Zeit, euch mit den weisen Worten eines alten Mannes zu belästigen.«
Ein paar wenige lachten, doch Dumbledore fuhr unbeirrt fort.
Absolut nichts, dachte Remus, könnte diesen Mann aus der Ruhe bringen, diesen großen Zauberer.
»Die Erstklässler seien gewarnt - und einige ältere Schüler daran erinnert -«, er warf erneut einen Blick zu Bilius Weasley, wie Remus überhört hatte, und seinen Freunden, »dass unser Wald, der an die Ländereien grenzt, für all diejenigen tabu ist, die nicht eines qualvollen Todes sterben möchten.«
Ein raues Murmeln zog sich durch die Halle, als viele der Erstklässler hin und hergerissen waren zwischen dem Drang vor Angst wegzulaufen und dem, ein Lachen zu unterdrücken, weil sie glaubten, Dumbledore würde scherzen.
»Humbug!«, lachte Bilius und musterte die verängstigt dreinblickenden Gryffindorerstklässler, ehe seine Augen James Potter und Sirius Black streiften, die sich über den Tisch hin angrinsten. »Es gibt bloß ein paar Tiere im Wald, mit denen man nicht unbedingt Bekanntschaft machen möchte, oder Max?« Bilius wandte sich an seinen Freund.
»Oh ja«, erwiderte dieser verschwörerisch, senkte die Stimme und funkelte ihnen schmunzelnd zu. »Die Zentauren verfehlen mit ihren Pfeilen nie ein Ziel, aber von einem der Thestrale würde ich auch nicht gerne niedergetrampelt werden, zumal man diese nicht einmal sehen kann.«
»Und sie bringen Unglück«, warf Sirius ein.
»Das ist bloß ein Aberglaube«, entgegnete Remus, dieses Mal den vernichtenden Blick des Blacks ignorierend.
»Ach und natürlich die Werwölfe«, ergänzte Bilius zu guter letzt, doch allein dieser Satz reichte, um Remus all seine Kraft abzuverlangen, sich nicht sofort wieder zu übergeben. Sein Gesicht musste kreidebleich geworden sein, denn Max schüttelte bloß den Kopf. »Ach keine Angst, sofern ihr euch nicht bei Vollmond in den Wald schleicht, habt ihr nichts zu befürchten.«
»Ich habe sicher keine Angst vor einem Werwolf!«, ließ James verlauten und hob die Brust, er blickte zu Lily und grinste. »Der Werwolf hätte Angst vor mir!« Egal wie oft er es schon versucht hatte, Lily war kein einziges Mal auf seine beinahe schon erbärmlichen Versuche, ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, angesprungen. Mit einem weiteren Augenrollen, wandte sie sich wieder Dumbledore zu.
»Der Wolf würde bei deinen verwuschelten Haaren glauben, du wärst selbst einer«, lachte Sirius und James stimmte mit ein.
An der Front war der Schulleiter noch immer dabei, seine Rede zu halten, ließ sich nicht von dem Getuschel am Gryffindortisch beirren.
»Ebenso rate ich Ihnen, sich von der peitschenden Weide fernzuhalten, einer um sich schlagenden Trauerweide, die letztes Frühjahr am Rande des Waldes gepflanzt wurde und nun, Dank unseres Kräuterkundespezialisten, Professor Beery, schon zu einer stattlichen Größe herangewachsen ist. Das macht sie jedoch auch für diejenigen, die ihr zu Nahe kommen, umso gefährlicher.
Unser Hausmeister Mr. Filch bat mich, euch daran zu erinnern, dass auf den Gängen nicht gezaubert werden darf und dass die Liste verbotener Gegenstände von 27 auf 34 erhöht wurde. Die vollständige Liste ist in seinem Büro einzusehen.«
»Das war unser Verdienst«, flüsterte Bilius ihnen zwinkernd zu. "Zonko hat sein Sortiment dieses Jahr sicher wieder erweitert."
»Zonko?«, fragte Remus.
»Ach, das weißt du nicht?«, entgegnete Sirius überheblich, doch das Fragezeichen, das ihm ins Gesicht geschrieben stand, entkräftete seine Aussage wieder.
»Ein Scherzartikelladen in Hogsmead, ein Muss für jeden Streichemeister. Max hier, ist ein wahres Genie, was das angeht.« Er klopfte seinem Kumpel brüderlich auf die Schulter, dessen Ohren sich bei Bilius' Worten rot verfärbten.
»Die Quidditch-Auswahlspiele finden in der zweiten Schulwoche statt. Jeder der Interesse daran hat, in seiner Hausmannschaft zu spielen, meldet sich bei Madam Hooch.«
James Augen leuchteten auf. Selbst ein Blinder konnte ahnen, dass James sich nichts sehnlicher wünschte, als in das Team von Gryffindor zu kommen, doch Remus wusste, dass Erstklässler meist nie eine Chance bekamen, ungeachtet ihres Könnens.
»Nun zu guter Letzt, möchte ich einen neuen Lehrer in unseren Reihen ebenfalls Willkommen heißen; Professor Oswin Thorburn, der natürlich die Stelle in Verteidigung gegen die Dunklen Künste antreten wird. Ich wünsche dem Professor viel Erfolg!«
Professor Thorburn erhob sich einen Augenblick, winkte mit einem breiten Lächeln auf den Lippen durch die Halle, ehe er sich wieder auf seinen Stuhl fallen ließ und das tuschelnde Gespräch mit dem kleinsten Lehrer, den Remus je gesehen hatte, weiterführte, woraufhin die beiden von Professor McGonagall mit Blicken erdolcht wurden, so dass sie sich wieder gebannt nach vorne wandten, die Schuld ins Gesicht geschrieben.
»Nun, bevor ich Sie in den Abend entlasse und Sie zu Bett schicke, kommen wir zu unserem letzten Programmpunkt! Ich bitte Sie alle, sich zu erheben, wir singen die Schulhymne!«
Mehr oder weniger glückliche Mienen zierten sowohl die Gesichter der Schüler als auch die der Lehrer, während sich alle von ihren Sitzen hievten und erwartungsvoll zu Dumbledore emporblickten, der seinen Zauberstab kreisen ließ, woraufhin sich aus der Spitze ein goldener Faden löste, der durch die Luft tanzte, sich verformte und schließlich die Gestalt von Worten annahm.
»Jeder nach seiner Lieblingsmelodie!«
Und ihre ungleichen Stimmen vermischten sich zu einem Wirrwarr aus Worten, die keinen Anfang und kein Ende kannten. Doch statt schrill und unleidlich zu klingen, verursachte die Verblendung ein stetiges Brummen, dass ihre Melodien im Einklang widerspiegelte. Eine Einheit.
Wer konnte schon ahnen, dass ihnen allen das Ende des Friedens kurz bevorstand...
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⁰¹¹· ᴱⁱⁿᵉ ᶠʳªᶢᵋ ᶞᵉˢ ᴮᶩᶸᵗᵋˢ
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