025. Die Heulende Hütte
ʸᵒᵘⁿᵍ ᵃᵗ ᵃᵍᵉ˒ ᵒˡᵈ ᵃᵗ ˢᵒᵘˡ
»Sehr schön, Miss Evans. Ein nahezu perfekter kleiner Dreizack.«
Professor McGonagall nickte anerkennend in Lilys Richtung und hielt die kleine Kiste empor, die sie ihnen am Anfang der Stunde präsentiert hatte. »Die anderen von Ihnen dürften nun bitte die verwandelten Gabeln hier vorne abgeben.«
James räusperte sich lautstark.
»Ja, auch Sie, Mr. Potter«, sagte die Professorin streng, ohne James auch nur eines Blickes zu würdigen.
Statt sich der Aufgabe zu widmen, eine Gabel in einen Mini-Dreizack zu verwandeln, hatten James und Sirius ihren Spaß dabei gehabt, die Gabeln zu verformen, ihnen noch mehr Zinken anzuhexen und obszöne Bilder und Worte einzugravieren.
Um das Ganze noch zu toppen, hatte James sich an einem Zauber versucht, der auf den letzten Seiten seines Buches 'Verwandlung für Anfänger' von Emeric Wendel zu finden war.
Nun stand neben ihm eine absolut fetzige Riesengabel.
Stolz grinste er Sirius zu, der sich das Lachen kaum verkneifen konnte.
Auch ihren anderen Klassenkameraden fiel es zunehmend schwer, ein ernstes Gesicht aufrecht zu erhalten.
»Aber Professor, ich kann dieses Kunstwerk doch nicht einfach zurückverwandeln. Das wäre Verschwendung.«
»Verschwendung ist, dass sie meine Zeit mit Ihren albernen Kindereien unnötig beanspruchen.«
»Uff«, ertönte es von Sirius.
»Professor«, quängelte James, »ich habe wesentlich mehr getan, als bloß verlangt wurde, dafür hätte ich doch mindestens ein 'O' verdient.«
»Verwandeln Sie Ihre Gabel zurück oder kassieren Sie ein 'T'.«
»Ein 'Troll'?!«
Sirius ließ ein bellendes Lachen los.
James war fassungslos. Bei einem 'T' war es nicht unüblich, dass die Eltern über das (Fehl-)Verhalten ihrer Kinder informiert wurden und James konnte sich den Gesichtsausdruck seiner Mutter bildlich vorstellen, wenn sie einen solchen Brief von McGonagall mit der Eulenpost erhalten würde.
Er erschauderte, umgriff den Zauberstab fester.
»Finite Incantatem.« Die Riesengabel schrumpfte auf ihre Ursprungsgröße zurück und jegliche Gravierungen und zusätzliche Zinken lösten sich wieder auf. »Tredecim Tridenti«
Ein perfekter kleiner Dreizack lag an des Gabels Stelle. Im Licht der Kerzen schien es fast schon so, als wäre aus dem Silberbesteck tatsächlich Gold geworden, die Verwandlungsprofessorin war jedoch keineswegs beeindruckt. Stattdessen hielt sie dem jungen Potter die Besteckkiste vor die Nase, in die er seinen Dreizack widerwillig hineinlegte.
Peter neben ihm seufzte, als auch er sein Endprodukt abgeben sollte. Statt der üblichen drei Zacken waren bloß noch zwei übrig.
»Es sieht aus wie eine Fonduegabel«, lächelte Olive.
Sirius runzelte die Stirn. »Eine was?«
Doch er sollte keine Antwort erhalten, denn McGonagall hatte mit seiner Gabel all ihre Werke eingesammelt und sich wieder vor ihrem Pult aufgestellt und das Lehrbuch zu Rate gezogen.
»Lesen Sie bis nächste Woche die Kapitel acht bis zwölf und schreiben Sie eine zwei Pergamentrollen lange Abhandlung über die magischen Phänomene der Metamorphose unbelebter Gegenstände.«
Allgemeines Stöhnen echote durch das Klassenzimmer. So kurz vor den Weihnachtsferien schienen die Lehrer ihnen allen keine Ruhe zu gönnen. Stattdessen überhäuften sie die Schüler mit Unmengen an Hausaufgaben, als würde ihr Leben davon abhängen, ja viel über das Verwandeln von Besteck oder irgendwelche Knollengewächse zu lernen. Es war einfach nur lästig.
James fegte in einer Handbewegung alles vom Tisch in seine Schultasche, ehe er sie schulterte, um mit Sirius, Peter und Remus so schnell zu verschwinden, dass McGonagall es sich nicht noch anders überlegen konnte und ihnen noch eine Rolle Pergament mehr aufgab, doch zu spät.
»Mr. Black, bleiben Sie bitte noch einen Moment. Ich muss mit Ihnen sprechen. Allein.« Der letzte Part war an James gerichtet, der seine Tasche gerade wieder zu Boden fallen lassen hatte. Prüfend warf er Sirius einen Blick zu, dieser nickte und mit Remus, Peter und den Mädchen verließ er das Verwandlungszimmer, ließ Sirius mit ihrer Hauslehrerin allein zurück.
»Professor, wenn es um meinen Dreizack geht...«, setzte Sirius an, doch seine Lehrerin ließ ihn den Gedanken nicht zu Ende fassen.
»Ihre Mutter besuchte am letzten Wochenende die Schule und den Schulleiter. Ich denke, das sollten Sie wissen.«
Sirius hatte mit vielem gerechnet. Damit nicht.
»Meine- meine Mutter?«
»Sie wollte die Einteilung der Häuser neu besprechen.«
»Sie will, dass ich nach Slytherin gehe.«
Professor McGonagall nickte kurz angebunden.
Sirius wusste, er hätte schockiert sein müssen, dass seine Mutter in der Schule aufkreuzte und allen die Hölle heiß machte, weil er sie enttäuscht hatte, weil er nicht der Sohn war, den sie sich wünschte. Doch er war es nicht. Ein Taubheitsgefühl legte sich über sein Gesicht, seine Schultern, wanderte bis in seine Fingerspitzen und Zehen.
»Professor, ich bin gerne ein Gryffindor. Ich habe Freunde, ich will nicht wechseln.«
Könnten sie ihn zwingen nach Slytherin zu gehen? Der sprechende Hut hatte gesprochen, das musste doch etwas bedeuten.
Die Professorin schenkte ihm ein schmallippiges Lächeln. »Sehr wohl. Es besteht auch kein Grund, Sie meinem Haus zu verweisen und Professor Slughorn einen weiteren Schüler an die Hand zu geben. Ich wollte Sie einzig über die Umstände des Besuches Ihrer Mutter informieren, dass sie über ihren Weihnachtsbesuch zu Hause nicht ahnungslos ihren Eltern gegenüberstehen.«
Sirius nickte schwach, griff sich seine Tasche und verließ mit einem letzten Abschied das Klassenzimmer, vor dessen Türen seine Freunde auf ihn warteten.
James sprang ihm entgegen und schlang einen Arm um seine Schultern, brachte ihn sogleich zum Lachen und vertrieb die düsteren Gedanken an Walburga Black.
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Professor Thorburn war wie immer bester Laune, als er die Türen zu seinem Klassenzimmer für die Erstklässler aufschloss und ihnen allen im Vorbeigehen ein breites Grinsekatzenlächeln schenkte. Seinen magentafarbenen Umhang hatte er abgelegt und über die Lehne seines Schreibtischstuhls gehängt, bevor er, nachdem sich alle auf ihre Plätze begeben hatten, in die Mitte des Raumes sprang und aufgeregt in die Hände klatschte.
»Heute sprechen wir über Geister.«
Überrascht begann das Tuscheln in den Sitzbänken. Lily Evans hob zuerst die Hand und wurde auch sogleich aufgerufen.
»Ich dachte, die Geister hier in Hogwarts wären alle... gut? Und nicht gefährlich.«
Unsicher blätterte sie durch das Schulbuch, das aufgeschlagen vor ihr lag. Die meisten in der Klasse hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihres aus der Schultasche hervorzuholen, da Professor Thorburn in den seltensten Fällen das Buch zu Rate zog. Meistens erforderte sein Unterricht eine praktische Auseinandersetzung mit dem Thema, während er den lustigen Moderator der Show abgab.
Remus liebte seinen Unterricht.
Wie auch die restlichen Schüler. Innerhalb weniger Monate war Oswin Thorburn zum Lieblingslehrer aller geworden, dabei schien ihm das selbst gar nicht wirklich bewusst zu sein. Er hielt seinen Unterricht und erfreute bloß daran, wenn seine Schüler begeistert mitarbeiteten.
»Ganz recht, Miss Evans - obwohl ich an Ihrer Stelle eine nächtliche Begegnung mit dem blutigen Baron nicht auf meine to-do-Liste setzen würde.« Er gluckste vergnügt. »Die Geister in diesem Schloss sind Ihnen wohlgesonnen. Selbst der gute alte Peeves. Wieso glauben Sie also, möchte ich über Geister sprechen?«
Remus hob die Hand. »Zuzüglich zu den Hogwarts- und Poltergeistern... und Professor Binns gibt es auch die bösen Geister.«
»Sehr gut, Mr. Lupin. Fünf Punkte für Gryffindor. Kennt jemand von ihnen einen bösen Geist? Ja, Mr. Lupin?«
»Den Schrat. Das blutsaugende Schreckgespenst.«
»Ich dachte, das wäre bloß eine Gruselgeschichte«, quiekte Alice erschrocken.
»Ist es auch«, blaffte Ophelia Nutter, ein Slytherinmädchen, das neben Snape saß und überaus große Ohren hatte (wie Sirius gerne so oft betonte). »Den einzigen bösen Geist, den es gibt, nennt man Todesfee oder Banshee.«
»Gut, Miss Nutter. Wenn Sie beim nächsten Mal nicht reinreden, bekommen Sie auch Punkte für Ihre Antwort. 5 Punkte aber für Mr. Lupin, denn auch er hat Recht. Den Schrat gibt es tatsächlich und ja, er ist als Blutsauger bekannt und berüchtigt. Sie brauchen jetzt aber keine Sorge tragen, Miss Fortescue. Man sagt ihm nach, nur die ungezogenen Kinder zu verfolgen, die von zu Hause fortgelaufen sind. Zudem sind Schrate in England sehr selten. Den Letzten sah man vor über dreißig Jahren zum letzten Mal.«
Alice wirkte nicht wirklich beruhigt, weswegen Olive ihr einen der Kugelschreiber gab, die sie immer bei sich trug. Alice liebte es, die Miene raus- und reinschnappen zu lassen.
»Todesfeen sind ebenfalls recht mythenumwogene Geschöpfe«, fuhr Thorburn fort.
Remus war schon eifrig dabei sich Notizen zu machen, während die anderen versuchten weiter etwas zum Unterricht beizutragen. Remus wusste es besser. Thorburn hatte die Angewohnheit, in den ersten zehn Minuten Punkte zu verteilen und danach erst einmal selbst zu reden, bevor er am Ende der Stunde einen Ausblick auf die kommenden Unterrichtssequenzen gab, in denen man sich wieder anstrengend sollte, Teil des Gesprächs zu sein.
Thorburn erzählte mehr und mehr zu den Banshees und ihren Klageliedern, ihrem Ursprung und warum die Bashee oder Todesfee hauptsächlich noch in Irland bekannt war. Remus kritzelte Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort und versuchte jedes noch so kleine Detail mitaufzufassen, doch mit jeder Minute erhöhte sich der Druck hinter seinen Augen, als würden diese ihm im nächsten Moment aus den Höhlen platzen.
Er schrieb weiter, massierte sich mit der freien Hand die Schläfen.
Nicht schon wieder, dachte er verbissen. Er musste doch bloß bis zum Mittagessen aushalten, danach würde Madam Pomfrey ihn fortbringen und mit Tränken gegen die Schmerzen versorgen... nur noch wenige Stunden.
Die Kopfschmerzen hatten gestern Abend eingesetzt, ihn den ganzen Morgen jedoch in Frieden gelassen. Der unverschämte Gedanke, diesen Monat vielleicht einen etwas ruhigeren Vollmond genießen zu können, schien ihm nun in den Hintern zu beißen.
Zu hochmütig für sein eigenes Glück...
»Was hat er eben über die Todesfälle in Marrakesch gesagt?«, fragte Peter verzweifelt, der es Remus gleich tun wollte und alles versuchte zu notieren. Er lugte auf Remus' Pergament und stellte verdutzt fest, dass dieser vor zwei Minuten scheinbar ausgestiegen war. Seine Feder ruhte wenige Millimeter über dem Pergament. Tinte tropfte auf das Papier und fraß sich durch das dünne Material hindurch, weichte es auf.
Ohne groß darüber nachzudenken, nahm Peter sich wieder zusammen und beugte sich über seine eigenen Notizen.
»Im Buch auf Seite 127 finden Sie die passende Zauberstabbewegung auch noch einmal abgebildet. Dennoch stellen Sie sich bitte einmal alle in einer Reihe auf. Wir üben das einmal.«
Professor Thorburn war fertig mit seinem ellenlangen Monolog über die verschiedenen Geisterarten. Die Zauberstäbe gezückt, sollten Sie nun alle den Zauber lernen, eben jene Geister auch zu vertreiben.
Während sich die anderen von ihren Plätzen erhoben, um sich in einer Reihe aufzustellen, wie Thorburn es angeordnet hatte, saß Remus da und massierte sich die Schläfen eindringlich weiter. Er war wie in Trance, versuchte bloß aufrecht zu bleiben und nicht zusammenzusacken wie eine leblose Puppe.
»Mr. Lupin. ...Mr. Lupin?«
»Oy, Remus!« James schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. Remus öffnete zitternd die Augen.
»Was?« Verwirrt blinzelte er ein paar Mal, ehe sich seine Pupillen wieder an das Licht gewöhnt hatten.
Ein Kichern ging raunend durch das Klassenzimmer. Professor Thorburn räusperte sich lautstark und das Gemurmel erstarb.
»Ich scheine zu lange gesprochen zu haben, wenn meine Stimme schon die Schüler einschläfert. Alles gut bei Ihnen, Lupin?«
Remus nickte, aber er griff dankbar nach James' Arm, den dieser ihm unauffällig hinhielt, um sich von der Bank zu hieven und zu den anderen in die Reihe zu treten.
»Alles okay?«, flüsterte Sirius
Ein erneutes Nicken von Remus beendete die Konversation.
Sie alle deuteten mit ihrer dominanten Hand, der Zauberstabhand, vor sich, führten eine kreisende Bewegung mit einer Schleife aus und stießen dann einmal vor. Das wiederholten sie wieder und wieder, solange bis Thorburn wirklich zufrieden war und ihnen gestatte, nun auch die Worte mitzusprechen.
»Larva Exumai«
Bei den wenigsten geschah überhaupt irgendetwas, doch Lily Evans schafft es am Ende der Stunde tatsächlich sogar einen lauten Knall zu erzeugen, auch wenn die gewünschte Wirkung eines wirbelwindartigen Saugstroms ausblieb.
Professor Thorburn sah zu ihrer Freude jedoch zufrieden drein, belohnte Lily und auch Severus Snape mit je fünf Punkten für ihre Häuser für ihre im weitesten Sinne gelungenen Zauber, ehe er sein Zeug mit einem Schlenker seines Zauberstabs zusammenpackte und sie alle hinaus zum Mittagessen schickte.
»Bis zur nächsten Stunde sucht sich jeder von Ihnen einen spannenden Beitrag zum Thema Geister aus. Durchforsten Sie den Tagespropheten oder die Bibliothek, graben Sie in Ihren Erinnerungen oder fragen Sie die älteren Schüler. Mindestens eine Rolle Pergament bis nächste Woche - ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!«
Und er eilte die Treppen, die hinter seinem Schreibtisch zu seinem Büro und seinen Schlafgemächern führten, hinauf.
»Wenigstens nur eine Rolle«, seufzte Olive beim Hinausgehen. Sirius, James, Peter und Remus blieben als Letzte zurück.
»Lupin?«
»Alles super. Ich glaube, ich lasse das Mittagessen ausfallen und frage Madam Pomfrey nach einem Trank gegen Kopfschmerzen...«
Besorgt musterten ihn seine Freunde, sagten aber nichts. Peter kramte in seiner Tasche nach den Notizen der Stunde und drückte sie Remus in die Hände.
»Sonst lässt du mich ja immer abschreiben.« Er lächelte schüchtern, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
»Danke, Peter«, sagte Remus und meinte es auch so, auch wenn er in seinem jetzigen Deliriumszustand schon mehr als fünf Fehler im ersten Absatz ausmachen konnte.
»Ich weiß nicht, wie gut es ist... vielleicht fragst du auch nochmal Lily Evans.«
»Was ist mit unseren Notizen?«, fragte Sirius eingeschnappt. James lachte.
»Wir haben keine.«
»Oh. Stimmt.«
»Es sei denn du zählst unsere Zeichnungen von Schniefelus dazu.«
Sirius hob das Kinn. »Seine Nase ist mir wirklich gut gelungen - vielleicht werde ich mal Künstler.« Dabei konnte nicht einmal er selbst ein ernstes Gesicht aufrecht erhalten und prustete los.
»Sollen wir dich nach oben zu Madam Pomfrey bringen?«, fragte James zwischen den Lachern, die er nicht unterdrücken konnte. Remus schüttelte den Kopf.
»Ich wollte euch sowieso noch sagen, dass ich nochmal nach Hause muss. Meine Mutter, sie ist krank.«
»Schon wieder?« Sirius runzelte die Stirn.
»Ja. Ich meine, nein... ich meine, immer noch.«
James fragte: »Ist das denn so klug, wenn du dich selbst krank fühlst? Vielleicht erholst du dich lieber erst einmal selbst.«
Remus winkte ab. Scheu rieb er sich mit der Hand über den Nacken und atmete ein paar Mal tief durch. Die Kopfschmerzen würden ihnen noch umbringen.
»Wir sehen uns.« Remus verschwand hinaus auf den Korridor und Richtung Krankenflügel.
»Das stinkt«, bemerkte Sirius.
James sah ihn verwundert an. »Was stinkt?«
»Ich rieche nichts«, murmelte Peter.
»Das ist doch Drachenmist. Remus ist schon wieder krank? Und er muss schon wieder zu seiner Mutter? Was hat sie denn, dass er schon wieder die Schule dafür sausen lässt? Kann meine Mutter das auch bekommen?«
Peter machte große Augen. »Das war...«
»...echt fies«, beendete James den Satz. Er knuffte seinen besten Freund in die Schulter. »Du bist vielleicht immer noch etwas beleidigt, weil er deinen Geburtstag verpasst hat, aber dafür kann er ja nun wirklich nichts.«
»Aber er lügt.«
»Sicher«, kommentierte James die Aussage mit einem Augenrollen. »Weswegen sollte Remus Geschichten erfinden, dass seine Mutter krank ist? Das wäre krank.«
»Irgendetwas verschweigt er uns.«
»Nicht jeder hat ein dunkles Geheimnis. Auch wenn es cool wäre.«
»Vielleicht ist er ein Vampir«, scherzte Peter.
»Dafür hat er in den letzten Wochen einmal zu oft die Knoblauchnudeln gegessen«, grinste James.
Sirius wollte ihren Spaß unterbinden und sie auf den Ernst der Lage hinweisen, da schlug die Bürotür von Professor Thorburn mit einem Knall auf und er eilte die Stufen wieder hinunter, ehe er den Blick hob und sie ins Visier nahm. Erschrocken blieb er abrupt stehen.
»Sie sind noch da? Sollten die Jungen nicht beim Mittagessen sein?«
Thorburn klang überhaupt nicht wie er selbst. Jegliche Freundlichkeit war aus seinem Gesicht gewischt worden und seine Stimme war kalt und gehetzt.
»Wir- äh«, James kam ins Stocken.
»Wir waren gerade auf dem Weg«, sagte Sirius schnell.
»Gut, gut. Ab mit Ihnen. Ich habe ein dringendes Gespräch mit dem Schulleiter. Wenn Sie mich entschuldigen würden...« Thorburn scheuchte sie aus dem Klassenzimmer, schloss die Türen hinter sich mit einem Zauber und brauste in die gleiche Richtung, in die auch schon Remus verschwunden war.
»Das stinkt.«
»Sirius!«
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Die große Halle war wie üblich nur spärlich besetzt, wenn das Mittagessen aufgetischt wurde. Viele ältere Schüler hatten erst später ihre Pause, während andere das Essen grundlos ausfallen ließen oder lieber ihre Hausaufgaben erledigten.
Der Gryffindortisch war demnach wesentlich leerer als üblich, so fiel es den Mädchen natürlich auf, dass die Jungen ohne Remus dasaßen und in ihrem Kartoffelgratin herumstocherten.
Als sie jedoch das Fehlen ihres Klassenkameraden ansprechen wollten, blockten die Jungen jegliche Konversation ab.
Sirius, der nach wie vor an eine Verschwörung glaubte, zog eine beleidigte Grimasse, während sich James und Peter tiefer über ihre Teller beugten.
So verging die Zeit recht schleichend und die Mädchen waren verschwunden, ehe Peter seine erste Portion fertig gegessen hatte. Irgendwie war er heute aber auch einfach nicht so wirklich hungrig. Die bedrückende Stimmung schlug ihm auf den Magen und er wollte unbedingt das Thema auf etwas lenken, das keinen Zündstoff für weitere Diskussionen bot. »Habt ihr schon eine Idee, welches Thema ihr für Thorburns Aufsatz nehmen werdet? Es ist schon eine schwierige Aufgabe... wir müssen alles selbst machen.«
James zuckte mit den Schultern, grinste aber endlich wieder. »Es ist bloß eine Rolle Pergament, da wird man sich einfach ein paar schöne Gruselgeschichten aus der Nase ziehen können.«
Sirius' Miene hellte sich sofort auf. Er war Feuer und Flamme.
»Fetzig! Das machen wir!«
»Eine Gruselvilla, die von einem Geist aus dem Mittelalter heimgesucht wird.«
»Und die Muggel, die dort leben, sind Nachfahren von einem berüchtigten Hexenverbrenner.«
»Genial!«
»Fetzig!«
Peter sah seine Freunde mit offenem Mund an. »Ihr wollt lügen?«
»Das nennt sich kreativ sein, Pete«, grinste James süffisant. »Der Geist, ist eine von den Hexen, die verbrannt wurden und lebt nun zwischen den Welten, weil ihre Aufgabe, diese Familie auszurotten, noch nicht erledigt ist.«
»Das wird immer besser.«
Peter sah dabei zu, wie James und Sirius ihre Geschichte weiter und weiter sponnen, doch er selbst trug nichts zu ihrer Aufgabe bei. Er war sich unsicher, ob Thorburn das Schauspiel nicht sofort durchschauen würde. Seinen nun endlich leeren Teller von sich schiebend, griff er nach dem Tagespropheten, den die Mädchen hatten liegen lassen und blätterte durch die vielen Seiten, überflog einzelne Artikel, die von den Umstellungen im Ministerium berichteten und landete schlussendlich bei einem Artikel über Hogsmead.
Die Heulende Hütte - Hokuspokus oder Heimgesucht? geschrieben von Veronia Hooterscotch.
Das Wort »heimgesucht« alarmierte Peters Aufmerksamkeit und er begann zu lesen...
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Madam Pomfrey stützte ihn, als Remus sich durch das Erdloch hievte, ehe sie hinter ihm durchkletterte, um sich einen Überblick über die Hütte zu verschaffen, in der der Junge die Nacht über verbringen würde.
Sie erschauderte, als der Wind durch die lädierten Holzjalousien brauste. All die Möbel, die vor wenigen Monaten noch vollkommen intakt gewesen waren, lagen in ihre Einzelteile zerlegt im Raum verteilt. Den dicken Kloß, der sich ihr im Hals bildete, runterschluckend, zückte sie den Zauberstab und ließ den alten Küchentisch mit den ungleichen Stühlen wieder auferstehen und sich zusammensetzen.
Sie trat an den Kamin, aus dessen Verkleidung einzelne Backsteine herausgebrochen waren und entzündete die Holzscheite, die sie heraufbeschworen hatte.
»Setzen wir uns einen Augenblick, Mr. Lupin.« Remus tat wie ihm geheißen. Schon den ganzen Weg hinunter zur Hütte, hatte er kaum ein Wort gesprochen, lauschte bloß der schreienden Stille und den Schmerzen, die gegen seinen Kopf hämmerten.
Doch all das war immer noch besser, als sich einzugestehen, wieso er wirklich litt.
»Mr. Lupin, was bedrückt Sie?«
Remus antwortete nicht sofort. Hier war sie, die Gelegenheit über all das zu sprechen, was ihm auf dem Herzen lag, doch er nutzte sie nicht. »'s geht mir gut, Ma'am. Bin nur etwas müde.«
Er würde ihr nicht sagen, wie sehr es ihn quälte, seinen Freunden eine Lüge nach der anderen aufzutischen, weil die Wahrheit zu gefährlich war. Wie vollkommen verloren er sich in diesem riesigen Schloss fühlte, wie fehl am Platz, als wäre ein Missgeschick geschehen und jeden Augenblick könnte ihnen auffallen, dass sie sich vertan hatten und er müsste wieder zurück nach Hause, zurück zu seinen Eltern, die ihm heute Morgen noch beim Frühstück einen Brief geschickt hatten, in dem eindeutig zu lesen war, dass sie es für besser hielten, wenn er über Weihnachten nicht nach Hause käme...
Er würde es ihr nicht sagen, doch Madam Pomfrey hatte ihre eigene Art, genau herauszufinden, was ihre Patienten brauchten und so stellte sie keine weiteren Frage, sie strich ihm behutsam über die Wange und schüttelte den Kopf.
»Mr. Lupin, Sie gehören hier her.« Sie schloss ihn in die Arme und verabschiedete sich kurz darauf. Der Mond würde bald aufgehen.
»Viel Glück.«
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Am Abend lagen James und Sirius bäuchlings auf ihren Betten und spielten Zauberschach. Keiner von ihnen war wirklich gut und so war es seit ewigen Minuten bloß ein hin und her, in deren Zeit, die Figuren sich bloß darüber beschwerten, dass die Jungen Züge machen wollten, die in Anbetracht der Regeln nicht möglich waren.
»Turm nach e3.«
»Mit einem Turm kann man nicht diagonal ziehen! Das darf ich überhaupt nicht!«
»Oh«, sagte Sirius überrascht. »Dann f3?« Der Turm fluchte, bewegte sich aber ein Feld nach vorne.
»Hey, danke!«, rief James. »Läufer nach f3.«
»Was hast du nur getan!«, schrie der Turm, ehe er vom Läufer mit dessen Bibel verhauen wurde und in Stücke zerbrach.
»Ich hab keine Lust mehr«, stöhnte Sirius.
»Nur weil du verlierst.«
»Wann kommt Peter endlich aus der Bibliothek zurück. Er wollte in der großen Halle noch etwas zu Essen mitgehen lassen.«
Peter hatte sich nach ihrem Nachmittagsunterricht verabschiedet. Er wollte mehr über irgendeine heimgesuchte Hütte in Hogsmead Nachforschungen betreiben und seitdem war er nicht wieder aufgetaucht.
»Turm nach c5.«
»Ich KANN NICHT diagonal ziehen!«
Sirius fegte das Schachbrett in eben jenem Moment von seinem Bett, als die Tür zum Schlafsaal der Jungen aufgestoßen wurde und Peter völlig aufgeregt mit einem großen Stapel Bücher unter den Armen in ihr Zimmer gestolpert kam, wo er über eine der nun auf dem Boden verteilten Figuren trat und schmerzhaft aufschrie, sein Bein hoch an die Brust zog, die Bücher fallen ließ und auf einem Bein durch das Zimmer hüpfte.
»Aua!!«
»Sirius, du sollst den armen Peter doch nicht verstümmeln...«
Sirius setzte eine Unschuldsmiene auf.
»Das war einfach schlechtes Timing seinerseits.«
Die beiden lachten, Peter war eher zum Weinen zumute. Während er die Tränen zurückkämpfte, heulte der König, auf den er getreten war, hemmungslos los.
»Meine Krone! Eine Delle! Und meine Milz, sie ist sicherlich verrutscht. Ruft jemand die Heiler! Oder einen Krankenwagen!«
Frank Longbottom warf im Vorbeigehen einen kurzen Blick in ihr Zimmer und schüttelte irritiert den Kopf, als er die Schachfiguren am Boden bemerkte, die alle jammerten, wie unmenschlich sie hier doch behandelt wurden.
James machte sich daran, die Figuren wieder einzusammeln und bemerkte dann die Bücher, die Peter fallen gelassen hatte.
»Die Geschichte Hogsmeads, Geister, Geisterbeschwörung und ihr Untergang und Heimgesuchte Heime - eine Dokumentation über Muggel und Zauberer... Pete, was soll das? Ist das alles für deinen Aufsatz bei Thorburn? Ganz schön viel Aufwand für bloß eine Rolle...«
Peter, der sich auf sein Bett geworfen hatte und seinen Fuß an sich drückte, nickte.
»Ich habe alles rausgesucht, was es über die Heulende Hütte zu finden gab, was echt nicht viel ist, da sie erst vor wenigen Jahren erbaut wurde und anfangs hat es da auch überhaupt nicht gespukt. Das ist erst seit kurzer Zeit so.«
»Total spannend«, gähnte Sirius.
Peter blickte beleidigt drein. »Ist es wirklich. Viele glauben, dass sich vor kurzem ein Geist dort eingenistet hat, der zuvor in London sein Unwesen getrieben hat. Sie nennen sie Catherine Eddowes - sie soll das vierte Opfer von einem Jack the Ripper gewesen sein, er ist anscheinend irgendein Muggelmörder, der bekannt ist.«
Nun horchte Sirius auf. »Von dem habe ich schon mal gehört. Er ist nie gefunden worden.«
»Stellt euch nur einmal vor, wie genial es wäre, mit diesem Geist reden zu können«, sinnierte James.
Das hätte er besser nicht sagen sollen.
»Wieso auch nicht!« Sirius sprang auf und stieß dabei erneut das Schachbrett um, woraufhin alle Figuren, die James wieder eingesammelt hatte, hinunterpurzelten und fluchten, was das Zeug hielt.
Unsicher rutschte Peter an die Kante seines Bettes. »Wie meinst du das?«
»Wir schleichen uns raus und statten dem Geist einen Besuch ab.«
»Genial!«
Peter bereute es so langsam, das Thema angesprochen zu haben. Ängstlich räusperte er sich. »Haltet ihr das wirklich für eine gute Idee?«
Sirius hob die Augenbrauen und strich sich die mittlerweile etwas länger gewachsenen Haare nach hinten. »Du hast doch keine Angst?«
Abwehrend hob Peter die Hände. »Nein, natürlich n-nicht.«
Sirius grinste.
»Dann ist das beschlossene Sache.«
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⁰²⁵· ᵈⁱᵉ ᴴᵉᵘˡᵉⁿᵈᵉ ᴴᶷᵗᵗᵉ
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