23.03.2018 21:20

„Ich muss mich entschuldigen. Lange ist es her, dass ich Dir zuletzt geschrieben habe. Ich weiß schon gar nicht mehr, worüber. Aber seitdem hat sich etwas verändert. Ich meine, es verändert sich immer etwas, jeden Tag, jede Minute, und ich kann gar nicht so schnell gucken. Die Welt dreht sich viel zu schnell, und sie wird immer schneller und wir müssen aufpassen, dass wir uns mitdrehen, denn wer zuletzt noch mitkommt, der erhält Macht, wer alle Veränderungen kennt und einordnet, der kann mit ihnen handeln und sein Spiel treiben mit allen, die sich nicht so schnell drehen konnten. Kommst Du noch mit, Jes? Hast Du die Veränderungen gemerkt, in der Welt da draußen? Ich schreibe über eine langsame Veränderung, einen schleichenden Prozess, bestehend aus zu vielen zu schnellen Entscheidungen. Die Welt ist nicht mehr dieselbe wie vor einigen Monaten. In den Nachrichten wird nicht mehr berichtet von den Bürgerkriegen. Sie verschlucken es, man weiß doch, was dort passiert, warum sollten sie jeden Tag davon berichten, alltäglich, Normalität. Menschen sterben, zu Hunderten, Tausenden, wie eine große träge Masse, die sich Schritt für Schritt auf einen Abgrund zuschiebt und dann hineinstürzt. Weiter und weiter, wenig kann sie aufhalten, doch die Menschen können sich wehren und doch nicht entfliehen. Normalität? Innerhalb einer Woche wird ein freier Handelsmarkt bevölkert von Strafzöllen, Einreisebeschränkungen und ermordeten Journalisten. Politiker drohen sich gegenseitig mit Sanktionen, Ausweisungen, Ultimaten. Nationalismus kehrt zurück in eine globalisierte Welt. Wie lange hat er geschlafen? Jes, ich sitze vor den Nachrichten und weine. Ich schicke Dir einen einzigen Gruß wie einen tiefen Seufzer, um ich werde mir die Nachricht nicht nochmals durchlesen, bevor ich sie abschicke, denn das würde mich zerreißen.

Schreib mir, wie es Dir seit Deiner letzten Nachricht ergangen ist. Ich vermisse Dich."

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