Kapitel 9
Archie erwachte wieder einmal und fand zwei Frauen ausgestreckt in seinem Bett liegend vor. Es fing an ein Stück weit zu einer Gewohnheit zu werden, mit mehr als einer Frau nach Hause zu kommen. Eine Gewohnheit, mit der er für gewöhnlich mehr als glücklich gewesen wäre, doch nachdem er mit ihr gesprochen hatte, wollte er plötzlich nicht mehr, dass sein Leben so war.
Stöhnend rieb er sich über die Schläfen, nicht nur um zu versuchen ein wenig die Schmerzen zu lindern, die sich dort bildeten, sondern ebenfalls um zu versuchen sich daran zu erinnern, was letzte Nacht passiert war. Doch bedeuteten die beiden Frauen in seinem Bett und all ihren Klamotten, die in seinem Schlafzimmer hübsch verstreut auf den Boden lagen, dass keine weitere Erklärung für den Ausgang der Nacht erforderlich war.
Er krabbelte so leise wie er konnte, um die Frauen nicht zu wecken, aus dem Bett. Archie kämpfte sich praktisch seinen Weg in die Küche und hoffte, dass sein uraltes Heilmittel (Orangensaft) für einen Kater, funktionieren würde. Er benutzte die Kühlschranktür als Stütze und schüttete sich ein Glas ein. Anschließend stöhnte er abwechselnd, wegen der Schmerzen in seinen Kopf und nahm einen Schluck von seinem Saft.
Archie schloss die Kühlschranktür, legte für ein paar Sekunden seine Stirn dagegen und versuchte die Kraft aufzubringen, Mickey anzurufen, was mit Sicherheit ein sehr unangenehmes Gespräch werden würde.
Als er den Kopf von seiner Position am Kühlschrank hob, sah er ihre Nummer vor sich, die von einem Magneten an der Tür gehalten wurde. Sobald diese Erkenntnis bei ihm angekommen war, kamen die Geschehnisse der letzten Nacht lebhafter zu ihm zurück, als Archie es sich gewünscht hätte. Und mit ihnen, die sehr unhöfliche Art, wie er mit ihr gesprochen hatte.
„Fuck.", fluchte er, riss die Nummer vom Kühlschrank und machte sich auf dem Weg zu seinem Telefon. Dabei versuchte er die ganze Zeit sich eine anständige Entschuldigung einfallen zu lassen, warum er letzte Nacht so ein Arsch zu ihr gewesen war.
Er tippte die Nummer ein und es klingelte zweimal, bevor ein klick Geräusch erklang. Archie dachte, sie hätte abgenommen und wollte mit einer Entschuldigung ansetzen, bevor sie sprechen konnte, merkte dann allerdings, dass es nur ihr Anrufbeantworter war.
„Hi, das ist der Anschluss von Isobell Farber. Tut mir leid, ich bin gerade nicht da, aber hinterlasst mir einfach eine Nachricht, und ich melde mich bei euch."
Archie stand entsetzt da.
Er hatte gerade unabsichtlich ihren Namen herausgefunden. Ihn einfach nur zu hören, brach den Zauber der Anonymität, den er so sehr genoss. Er legte den Hörer wieder auf und starrte ihn einfach nur ein paar Sekunden lang an.
Es war seltsam, wie sehr sich, nur durch das Wissen des Namens von jemanden, die Wahrnehmung von einem veränderte. Er hatte einfach nur an sie ... Isobell ... als jemanden gedacht, den er seit Jahren kannte, jemanden, bei dem er sich wohlfühlte. Ihren Namen nun zum ersten Mal zu hören, bestürzte Archie, und erinnerte ihn daran, dass er sie eigentlich gar nicht wirklich kannte.
Archie geriet einen Moment lang in Panik, als er erkannte, dass, wenn sie ihn anrief und der Anrufbeantworter dran gehen würde, sie seinen Namen genauso leicht herausfinden konnte. Vielleicht hatte sie das sogar schon. Vielleicht wusste sie es schon die ganze Zeit.
Nein, das war lächerlich, niemand konnte so gut Schauspielern, und sicherlich wären die schmutzigen Details über sein Leben, die er ihr erzählt hatte, inzwischen in allen Boulevardzeitschriften zu lesen. Er musste aufhören so paranoid zu sein. Tatsächlich fühlte er sich ein wenig schuldig zu denken, dass sie so kalt und berechnet sein könnte. Ein weiterer Grund warum er sich mit dieser gegenseitigen Anonymität so sicher gefühlt hatte.
Er saß da, atmete ein paar mal tief durch und merkte dann, dass er eigentlich keine persönliche Antwortnachricht drauf gesprochen hatte, aus eben diesen Sicherheitsgründen. Wenn jemand, den er nicht kannte, es irgendwie geschafft hatte seine Nummer in die Hände zu bekommen, konnte er sie aussortieren.
Archie rollte wegen seiner eigenen Dummheit mit den Augen, aber trotzdem konnte er nicht anders, als sich nervös zu fühlen, weil er ihren Namen kannte. Er hatte das Gefühl, dass es alles ändern würde.
Als er die Toilettenspülung im Hintergrund hörte, merkte er, dass er dort zu lange gesessen hatte. Er nahm den Hörer wieder hoch und wählte eine vertraute Nummer.
„Hallo?"
„Mickey, es ist wieder passiert."
*****
Isobell saß geistesabwesend vor sich hinkrizelnd da, während sie auf ihren Computerbildschirm starrte, um wenigstens den Schein zu wahren, dass sie arbeiten würde. Aber Isobell konnte nicht aufhören darüber nachzudenken, wie der Typ gestern Abend mit ihr am Telefon gesprochen hatte.
Sie lachte bitter über sich selbst und konnte nicht glauben, wie armselig sie sich verhielt, wegen, nicht nur jemanden den sie kaum kannte, sondern jemanden, der ihre Hilfe offensichtlich auch nicht wollte. Aber sie konnte nicht anders, als ein Gefühl von Verlust über die Verbindung, von der sie dachte, dass sie sie hatten, zu spüren. Sie lachte erneut, offenbar war sie darüber genauso ahnungslos.
„Ist irgendwas lustig?", die Stimme riss Isobell aus ihrer Tagträumerei.
„Was?", schaffte sie hervor zu stammeln, schaute auf und fand Benjamin Dailey, der ansässige Herzensbrecher ihres Büros vor, der zu ihr hinunterschaute.
„Du hast gerade gelacht, also dachte ich, du könntest etwas lustig finden und ich wollte fragen, ob du es teilen würdest."
Isbobell errötete, nicht nur wegen der Tatsache, dass sie laut genug gelacht hatte, dass andere sie hören konnten, sondern ebenfalls, weil Benjamnin Dailey ihr Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Wenigstens hatte sie nicht laut mit sich selbst gesprochen, oder?
„Oh, ich habe nur über mich selbst gelacht.", erklärte Isobell und fühlte sich ein wenig verlegen.
Benjamin zog fragend eine Augenbraue in die Höhe, eine kleine Geste, die Isobell mehr als sexy fand.
„Ah, einer dieser Momente. Nun, mir wurde gesagt, dass es hin und wieder gut ist, über sich selbst zu lachen.", beruhigte er sie mit einem grinsen.
Isobell konnte, so sehr sie es auch versuchte, dass erneute erröten nicht verhindern, und fühlte sich dementsprechend sehr unwohl, da sie sich sicher war, dass sie der Zeichentrick Version eines wütenden Stiers ähnelte. Sie riskierte einen Blick zu Benjamin, um ihn nur noch breiter grinsend vorzufinden, mit Grübchen auf beiden Wangen.
Oh wie sehr sie sich wünschte, einer jener anmutigen Frauen zu sein, die mit all dem spielend fertig wurden. Aber in Wahrheit war Isobell immer noch dabei sich daran zu gewöhnen, jemand zu sein, der die Bewunderung des anderen Geschlechts anzog, da es erst in den letzten paar Jahren begonnen hatte. Nachdem sie das bemerkt hatte, hatte sie ein bisschen mehr Selbstvertrauen gewonnen.
„Hör zu,", Benjamin begann sich ein wenig zu bücken, um sie auf Augenhöhe zu treffen, und spürte, dass er sie leicht einschüchterte. „Ich habe gehört, was mit Marcus und dir passiert ist."
Isobell lachte leicht und antwortete: „Du und leider jeder andere auf dieser Etage."
Sie deutete auf ihre Arbeitskollegen, woraufhin alle versuchten so auszusehen, als würden sie Arbeiten und nicht aufmerksam dem Gespräch zwischen Benjamin und ihr folgen. Marcus war ein Nachwuchs Werbetexter in dieser Firma gewesen, bevor er zu einer anderen gewechselt hatte, so hatte sie ihn kennengelernt.
Benjamin sah sich ebenfalls um, als Isobell um sich gestikuliert hatte und die Bewegungen sah. Erneut hob er seine Augenbraue auf die Art, die Isobell sexy fand.
„Hmm ja, nun, ein wenig Klatsch geht einen langen Weg an einem Ort wie diesem. Wie auch immer, was ich sagen wollte war, es tut mir leid was zwischen dir und Marcus passiert ist, aber auch nicht so leid.", gab er zu.
Isobell sah ihn scharf fragend an und fürchtete fast, was als Nächstes kommen würde.
„Ich wollte dich nur wissen lassen, dass ich interessiert bin, also, sehr interessiert an dir. Und ich weiß, dass es unangemessen von mir wäre, dich jetzt um eine Verabredung zu bitten, aber ich möchte, dass du weißt, dass ich dich auf jeden Fall fragen werde. Lass mich einfach nur ein Gerücht erreichen, dass du wieder bereit bist auszugehen."
Benjamin schenkte Isobell ein weiteres Grinsen, bevor er auf den Absatz kehrt machte und sich in Richtung der Aufzüge davon machte.
Isobell saß benommen da und wiederholte immer wieder in ihrem Kopf, was Benjamin gesagt hatte. Hatte Benjamin Dailey gerade wirklich gesagt, dass er sich sehr für sie interessierte?
„Isobell."
Erneut erschrak eine Stimme Isobell. Sie drehte sich auf ihrem Stuhl, um hinter sich zu schauen und sah ihren Chef an der Tür seines Büros stehen.
„Ja, Mr. McAdams?"
„Kann ich sie bitte kurz sprechen?"
Ohne auf eine Antwort zu warten, verschwand er in sein Büro.
Isobells Kehle schnürte sich zusammen. Sie schluckte den Kloß herunter, der sich gebildet hatte und machte sich auf den Weg in sein Büro. Sie straffte ihre Schultern in Vorbereitung darauf, was er ihr zu sagen hatte.
„Miss Fraber, ich habe sie heute Morgen beobachtetet, nur um festzustellen, dass sie absolut gar keine Arbeit erledigt haben. In der ersten Hälfte haben sie einfach nur da gesessen und auf den Bildschirm gestarrt, und in der zweiten finde ich sie tratschend mit Mr. Dailey vor."
Isobell kämpfte den Drang hinunter, darüber zu spotten. Sie hatte kaum fünf Minuten lang mit Benjamin gesprochen, geschweige denn den ganzen morgen. Und außerdem würde sie ihre gemurmelten, verlegenen Antworten nicht 'Reden' nennen. Allerdings konnte sie den Mangel an Arbeit nicht abstreiten.
„Wenn sie ihre Ideen nicht auf Vordermann bringen, dann bezweifele ich ihre Zukunft hier.", er machte eine dramatische Pause, um die Informationen wirken zu lassen. „Ich weiß, dass sie seit kurzem einige persönliche Probleme in ihrem Privatleben haben,", Isobell wollte sich über den Schreibtisch auf ihn stürzen und ihm den Hals, wegen seines aufgeblasenen Verhaltens, umdrehen. „Allerdings sollten sie diesen nicht erlauben, sich auf ihr Berufsleben auzuswirken."
Sie presste die Zähne zusammen und schaffte es ein bestätigendes 'Sir' hervorzubringen.
„Gut. Jetzt habe ich ein paar Papiere für sie hier.", sagte er und deutete auf einen großen Haufen Papiere auf seinem Sideboard.
Isobell klappte der Mund auf.
„Mr. McAdams, bitte. Ich glaube, ich bin schon lang genug hier, um vielleicht anzufangen, im kreativen Bereich der Firma zu helfen. Ich weiß, dass sie im Moment einen großen Kunden mit Abercrombie and Fitch haben. Ich hab einen Blick auf den Brief geworfen, den sie ihnen geschickt haben, und ich glaube ich habe einige Ideen, von denen ich das Gefühl habe, dass sie etwas Wert sein könnten."
„Miss Fraber, danke, aber ich entscheide, wer was in dieser Firma macht, und ich habe sie darum gebeten diese Unterlagen zu bearbeiten. Also wenn ich sie bitten dürfte.", er entließ Isobell abermals, aber entschlossen versuchte sie es erneut.
„Bitte, Mr. McAdams. Ich bin schon seit einem Jahr hier, ich habe wirklich das Gefühl, dass meine Fähigkeiten von Nutzen für sie sein könnten. Wenn nicht sofort bei solch einem großen Kunden, dann bei irgendeinem kleineren." versuchte sie es.
Er schaute zu ihr auf und verengte seine Augen, und in diesen Moment wurde Isobell klar, dass sie bei ihm nie etwas erreichen würde.
„Ich habe meine Entscheidung getroffen Miss Fraber, und jetzt raus hier und machen sie ihre Arbeit.", schnauzte er unprofessionell.
Isobell presste die Zähne aufeinander, stand ruckartig auf, drückte den Haufen Papier gegen ihre Brust und ging zurück zu ihrem Schreibtisch. Ihr Gesicht brannte jetzt vor Wut, wegen der Art, wie er sie aus seinem Büro entlassen hatte, ohne auch nur einen Hauch von Vernunft.
*****
Als Isobell am Nachmittag die Treppen zu ihrer Wohnung hinauf stapfte, stellte sie sich auf jeder Stufe Mr. McAdams Gesicht vor. Jedes Mal knallte sie ihren Fuß mit unnötiger Kraft darauf, als ob sie sein Gesicht zerquetschen würde. Er hatte Isobell in so eine schlechte Laune versetzt, dass nicht mal ihr Spaziergang durch den Central Park nach Hause, sie hatte beruhigen können.
Sie trat in ihre Wohnung und ließ ihre Sachen gleich an der Haustür fallen. Während sie das tat, begann das Telefon zu klingeln.
Seufzend stapfte sie hinüber, nahm ab und ließ sich gleichzeitig auf ihre Couch fallen.
„Hallo?", fragte sie müde.
„Es tut mir so, so, so, so, so, so unglaublich Leid."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top