the question who I am.
Hey, ich bin es wieder und damit ist auch wieder ein neues Kapitel oben!
Ich hoffe, ihr habt alle ein schönes Wochenende und erholt euch gut. Ich habe wirklich eine anstrengende Woche hinter mir und bin froh, erstmal zwei Tage nichts tun zu müssen :D
Ein Dankeschön an leila-ni für ihren netten Worte <3
Und nun – viel Spaß mit dem neuem Kapitel!
(Eventuell kommt sogar am Montag nochmal eins c:)
Sternige Grüße,
Sternendurst. ☆
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the question who I am.
Seit dem Vorfall mit dem Nachbarsjunge Harrison, habe ich mich gefragt, ob alles mit mir stimmt. Ob ich die einzige meiner Familie bin, die mit diesen aggressiven Anfällen zu kämpfen hat. Ich habe meine Geschwister immer älter werden gesehen, viel älter als ich, und nie hat einer von ihnen derartiges erleben müssen wie ich. Keiner von ihnen hat einen anderen beinahe umgebracht, weil sein eigener Hass die Oberhand übernommen hat. Sie sind erwachsen geworden, haben die ersten Beziehungen nach Hause gebracht, Jobs bekommen, und ich bin bloß wöchentlich zu Dr. Habicht gegangen und habe nur weitere Beweise dabeigehabt, die fest unterstrichen haben, dass etwas nicht mit mir stimmt.
Ich habe aus dem lieblichen Mund meiner Mutter gehört, dass ich jemand ganz besonderes in der Hiddleston-Familie bin, und von Dr. Habichts scharfen Lippen habe ich zuhören bekommen, dass ich unter physischen Störungen leide. Mein Bruder hat mich als sein Abendstern bezeichnet, als sein Licht in der Dunkelheit, und Dr. Habicht hat zu mir gesagt, ich müsse die Finsternis in meinem Inneren besiegen. Mein Leben ist schon immer im Zwiespalt gewesen, und es hat damit angefangen, dass ich nie auf die gleiche Schule wie meine Geschwister gehen habe dürfen.
Im Internat hat jeder gewusst, warum ich dort bin. Ein plausibler Grund, mich besser zu meiden, während sie mit ihren Drogen und Alkohol ihren kranken Verstand noch ärmer gemacht haben. Ich bin keine schlechte Schülerin gewesen, habe stets meine Aufgaben gehorsam erledigt und bin den Lehrern gegenüber respektvoll gewesen. Aber ich habe jede Nacht zurück an Harrison denken müssen, an die verängstigte Weiße in seinen Augen, sein Wimmern nach seinen Eltern und sein winselndes Fehlen nach einem Ende. Schweißgebadet bin ich ständig jede Nacht im Bett aufgewacht, habe mich auf die große Fensterbank gesetzt und mit Madame Cookie in meinen Armen den Sternenhimmel betrachtet.
Ich habe mich gefragt, was denn nicht mit mir stimmt und warum ich all die anderen Schüler umbringen will. Sie haben mir doch nichts getan. Sie haben nur mein Essen mit komischen Konsistenzen ungenießbar gemacht, haben mich zum Stolpern oder Heulen gebracht, habe mein Schulzeug in der Badewanne ertränkt oder sind im Kreis um mich gehüpft, um mich als „Mörderin" anzusingen. Sie sind doch genauso wie ich. Aber irgendwann habe ich bemerkt, dass sie das eben nicht sind.
Eines Abends hat mich die Bekenntnis getroffen, dass niemand sowie ich ist. Ich bin die einzige mit diesem Verlangen, und somit habe ich meine ganze Kindheit damit verbracht, mich zu fragen, wer ich wirklich bin.
Eine schwere Belastung, wenn ich heute daran zurückdenke, dass meine Kindheit viel besser hätte sein können, hätte ich von Anfang an die Wahrheit gewusst. Doch heutzutage ist eine gute Kindheit genauso selten wie die wahre Liebe.
Nach Kendalls Tod habe ich mich mit Natalie enger angefreundet. Sie hat schon lange im Schatten von Kendall ihr Unwesen getrieben, und ich bin wirklich froh, dass ich sie endlich ins Licht gebracht habe. Als sie nämlich im Historischen Archiv Englands angefangen hat, zu arbeiten, habe ich sie gefragt, ob sie ein Archiv kennt, das sich mit Ahnenforschung beschäftigt. Natürlich hat sie mir mein eigenes Stadtarchiv vorgeschlagen, und ich habe nicht nur zuhause jede so kleinste Information über die Hiddleston-Geschichte gefunden, auch im Archiv.
Ich bin nicht enttäuscht gewesen, als ich festgestellt habe, dass ich die erste unserer Familie bin, die dazu neigt, andere umzubringen. Niemand ist sowie ich, und vor allem keiner der Hiddleston-Familie. Also habe ich Natalie gefragt, was ich noch tun kann, um mehr über mich herauszufinden, und so hat sie schließlich von dem Wahnsinn in mir erfahren. Überraschenderweise hat sie sofort dasselbe vermutet wie ich.
Was ist, wenn ich adoptiert worden bin?
Gemeinsam sind wir in die Vergangenheit zurückgereist und haben jede Informationen über adoptierte Kinder und die Hiddleston-Familie in uns aufgesogen, als wären sie unsere neue Luft zum Atmen gewesen. Aber die Luft ist immer stickiger geworden, umso weniger wir haben herausfinden können. Es hat nicht mal Schnipsel über eine Adoption in der Hiddleston-Familie gegeben, und damit ist uns bewusst geworden, dass die Wahrheit nicht in den gezielten Unterlagen zu finden sind. Manchmal liegt die Wahrheit direkt vor einem, aber sie ist so verschleiert, dass sie nicht mit dem offensichtlichen Auge zu erkennen ist. Manchmal kommt die Wahrheit nicht einfach auf einen zu geflogen, manchmal will die Wahrheit mit allen Bemühungen gefunden werden, um zu zeigen, dass sie es auch um jeden Preis wert sein wird.
Wir haben daraufhin ausgerechnet, wann mich die Familie ungefähr adoptiert hat, und wenige Wochen später nach der erneuten Suche sind wir tatsächlich auf einen wichtigen Hinweis gestoßen.
Kurz vor meiner Geburt hat ein brutaler Serienmörder in Deutschland über 30 Menschen ermordet und ist da noch nicht gefasst gewesen. Er hat niemals dieselbe Methode verwendet, sie immer auf unterschiedlichen Weisen umgebracht, aber ein Indiz ist dennoch dasselbe geblieben.
Er hat auf ihre Haut geschrieben.
Mal sind es Gedichte gewesen, sogar Kurzgeschichten, oder Worte, die nicht mal im Zusammenhang zueinandergestanden haben.
Er ist kurz nach meiner Geburt gefasst worden, und mit seiner Gefangennahme ist auch bekannt geworden, dass er seine eigene Frau getötet hat. Sie soll – laut Freunden – schwanger gewesen sein, aber niemand hat sie mit einem eigenem Kind gesehen. Sie ist von einem Tag auf dem anderem verschwunden gewesen. Ihre Leiche ist wenige Tage später gefunden worden, und damit ist auch der letzte Mord des Totenschreibers(so ist er von den Medien genannt worden) gelöst worden. Er ist natürlich lebenslänglich eingesperrt worden.
Wir haben das ganze nicht richtig ernstgenommen, schließlich bin ich von Geburt auf in England aufgewachsen und habe nichts von meinen deutschen Wurzeln mitbekommen. Aber nach und nach ist es mir doch aufgefallen, dass ich in bestimmten Zügen mit diesem Federmörder verwandt sein könnte. Mein Lieblingsgericht sind Käsespätzle – ein Nationalgericht aus Baden-Württemberg – und im Deutschunterricht im Internat bin ich immer die Beste gewesen, als hätte ich diese Sprache schon von Anbeginn meines Lebens beherrscht. Schon als kleines Kind habe ich mir Notizen auf die Haut gekritzelt, bis zu dem Moment, wo diese kleine Notizen zu Romanen geworden sind und es mich glücklich gemacht hat.
Und irgendwann habe ich mir auf die eigene Haut geschrieben, um das Verlangen stillzustellen. Und es hat einwandfrei funktioniert. Ich bin davon erlöst gewesen, wenn auch bloß für einige Stunden. Aber lieber ein bisschen Freiheit als eine andauernde Hölle.
Da habe ich es letztendlich realisiert.
Ich muss mit diesem Mann verwandt sein.
Ich bin so durch den Wind gewesen, dass ich keine Nächte habe mehr schlafen können. Ständig hat mich dieses Gesicht verfolgt, diese vielen Bilder der Leichen und die geschriebenen Wörter auf ihrer Haut. Ich bin fast verrückt geworden und habe keine andere Möglichkeit mehr gesehen, als einen insgeheimen Bluttest durchzuführen. Ich habe Sicherheit gewollt. So sehr nach all den Jahren der Ungewissheit. Ich bin so nahe dran gewesen, herauszufinden, wer ich wirklich bin, dass ich alles auf mich genommen habe, um die Antwort ausfindig zu machen.
Es ist wie ein Geschenk Gottes gewesen, als mein Bruder kürzerer Zeit darauf zu Besuch gekommen ist. Es ist kein Zufall gewesen, dass er sich an jenem Abend beim Gemüseschneiden in den Finger geschnitten hat. Es ist auch kein Zufall gewesen, dass in der Nähe ein Glas gestanden hat, in dem ein paar Tropfen Blut hineingeflogen sind. Und es ist kein Zufall gewesen, dass an diesem Abend mein Bruder zum ersten Mal gesehen hat, dass ich mir auf die eigene Haut geschrieben habe. Irgendwie habe ich gehofft, dass er schon die Wahrheit über mich kennt, dass unsere Mutter ihnen schon von Anfang an verkündigt hat, dass ich die Tochter eines Mörders bin. Aber ich bin auch nicht enttäuscht gewesen, als er sich bloß mehr Sorgen um mich gemacht hat und mich darum gebeten hat, nur das zu tun und nicht Schlimmeres. Wenigstens bin ich nicht die einzige gewesen, die sich schon immer gefragt hat, warum ich so anders bin als alle anderen.
Eine Woche später bin ich in meiner Wohnung mit Natalie am Esstisch gesessen und habe mich nicht getraut, das erhaltene Ergebnis zu öffnen. Ich habe mir wild durch die dunkelblonden Haare gerauft, ein Glas Wasser nach dem anderen verschlungen, und dann hat Natalie dieses angespannte Schweigen nicht weiter ausgehalten. Sie hat den Brief geöffnet und nach wenigen Sekunden stumm zerknüllt. Sie hat mich mit ihren Himmelsaugen angesehen, hier und dort haben ein paar Tränen geflunkert, und ich werde diesen Blick nie wieder vergessen können. Sie hat mich so angeschaut, als würde sie das Monster in mir sehen, aber es würde nichts daran ändern, wie sehr sie mich liebt. Es ist ein Blick gewesen, der die Wahrheit nicht ganz akzeptieren kann, doch der alles versuchen wird, mit ihr zu leben. Es ist ein Blick von Liebe, Zerrissenheit und Trauer gewesen, und noch nie habe ich so viele unruhestiftende Wolken in ihrem Himmel huschen gesehen. Der Himmel hat schrecklich viel gekämpft an diesem Nachmittag, und ich nehme es ihr nicht übel, dass sie ihre Angst nicht so gut hat verstecken können. Schließlich habe ich sie verstehen können. Ich habe mich nämlich auch vor mir gefürchtet.
Ihr Blick hat jedoch ausgereicht, um die wichtigste Frage meiner Kindheit beantworten zu können.
Ich habe endlich gewusst, wer ich wirklich bin.
Kaum einen Tag später ist mein Haar kürzer und platinblond gewesen, und das erste Manuskript hat sich auf den Weg zu einem Verlag gemacht. Einen Monat danach habe ich einen Autorenvertrag in der Tasche gehabt und bin in eine neue Wohnung gezogen, nachdem ich auch die Therapie bei Dr. Habicht gekündigt habe. Ich habe mich so frei gefühlt wie ein Vogel, der endlich aus dem viel zu kleinen Käfig befreit worden ist, und nun habe ich gespürt, wie wunderschön es sich anfühlt zu wissen, wer man tatsächlich ist.
In den ganzen, letzten Jahren meines Lebens habe ich mich nie richtig gefühlt, nur in jeden Spiegel geschaut und mich ständig gefragt, wer dieses Mädchen vor mir ist, denn ich bin es auf keinen Fall gewesen. Ich habe mich in meinem eigenen Körper fremd gefühlt, da ich niemals das Gefühl dafür bekommen habe, dass er zu mir gehört. Ich habe mich in mir selbst gefangen gefühlt, habe verzweifelt nach Freiheit und mir selbst gesucht. Ich habe meinen Namen gesehen und mich gefragt, ob er wirklich zu mir passt, ob er mir zeigt, wer ich wirklich bin. Aber er hat mir nicht geantwortet. Andere haben mich bloß so genannt, als wäre es selbstverständlich für sie, dass ich das bin. Aber für mich ist es nicht selbstverständlich gewesen. Sie haben nicht gewusst, dass der Name nur wie eine Nummer ist und dass eine Nummer alles bedeuten kann. Man benutzt Nummern, um zu beschrieben, wie groß etwas ist, wie viel etwas wiegt, wie viel man von etwas besitzt oder wie weit oder nah etwas ist. All das ist für mich wie verschleiert gewesen, denn, habe ich meine Hand nach mir ausgestreckt, habe ich einfach in ein Nichts gegriffen.
Ich habe bloß namenlose Leere gespürt und empfunden, und mit jedem verstrichenen Jahr, in dem meine Geschwister sich selbst und ihre Bestimmung in der Welt gefunden haben, habe ich es nicht mal schaffen können, wenigstens ein wenig mehr über mich selbst zu finden. Ich bin verloren gewesen, habe nicht den Ausgang meines eigenen Labyrinths gefunden, und mit jeder weiteren falscher Abbiegung mich immer erbärmlicher gefühlt. Wie es möglich, jemand zu sein, wenn man nicht weiß, wer man ist?
Ich habe in den Himmel geschaut und genauso viele namenlose Sterne gesehen wie es namenlose Menschen gibt. Und ich habe Menschen kennengelernt und ihre Namen gewusst, aber ich habe nicht gewusst, wer sie denn tatsächlich sind. Einen Namen zu kennen heißt nicht gleich zu wissen, wer er wirklich ist. Aber das alles hat sich für mich ändert, als ich erfahren habe, wer ich in Wirklichkeit bin.
Ich, Emilia Hiddleston, bin die Tochter des Totenschreibers.
Es ist ein phantastischer Rausch gewesen. Ein direkter Weg zum Ausgang meines Labyrinths, und ich bin so glücklich gewesen, dass ich blind für die Schattenseiten dieser Wahrheit geworden bin. Erst, als sie sich mir eigenhändig in den Weg gestellt haben, habe ich daran zurückgedacht, dass auch jede so schöne Wahrheit einen Schatten mit sich zieht. Wie ein schönes Gesicht mit einem grässlichen Inneren.
Aber ich habe nicht in ein zu schönes Gesicht gesehen, ich habe in die vertrauten Gesichter meiner Familie gesehen, und da ist die Wahrheit nicht länger schön gewesen. Sie ist in Binnen von Sekunden kalt und hart geworden. Fürchterlich kalt, dass ich geglaubt habe, mein Herz würde gleich zersprengen. Ich habe in die Gesichter meiner Familie gesehen und das verräterische Wissen in meinem Kopf ist aufgeplatzt, dass sie gar nicht meine echte Familie sind. Ich habe ihr rötliches Haar betrachtet, die hohen Wangenknochen und die blauen Augen eines Regentages, und mir ist bewusst geworden, dass die Unterschiede so offensichtlich sind, dass es ein Stechen in meinen Herzen versetzt hat. Die Umarmung von Tom hätte an diesem Tag nicht erstickender und unerträglicher sein können, die weichen Augen meiner Adoptivmutter hätten mir nicht weniger verraten können, dass ich nicht ihr leibliches Kind bin, und das Lächeln meiner Schwestern hätte nicht anders sein können als ich es tatsächlich bin.
Es ist plötzlich alles weg gewesen.
Die sonst so wohlige und zugehörige Wärme einer Familie ist verschwunden gewesen, und zurück ist eine befremdliche Kälte zwischen unseren Körper gewesen, in denen unterschiedliches Blut fließt. Wir haben die erste Veröffentlichung meines Romans gefeiert, als wäre ich ein Teil ihrer Familie und sie alle wären mega stolz auf mich. Sie haben jubelnd auf mich angestoßen, als wären sie alle glücklich darüber, dass auch endlich das jüngste Mitglied der Familie in die künstlerischen Stapfen der Hiddleston getreten ist. Sie haben mir gratuliert und viel Erfolg gewünscht, als wären sie irgendjemand, der mir nahesteht. Sie haben mich angeschaut und angelächelt, und da ist mir klargeworden, dass sie nicht irgendjemand sind, der mir nahesteht.
Ich bin in dieser Familie aufgewachsen, habe in ihr Geschwister und eine liebevolle Mutter gefunden, und doch hat es sich so angefühlt, als würde ich nicht dazu gehören. Ich habe Schatten einer Familie vor mir gesehen, die mich so innig liebt wie man eine eigene Schwester und Tochter liebt, und ich habe in ihre schimmernde Augen geblickt und eine Liebe in der Art entdeckt, die es nur bei sich liebenden Familien gibt. Und doch hat sich das nicht richtig gefühlt, weil wir nicht dasselbe Blut teilen. Wir sind nicht aus demselben Fleisch und Blut gemacht wie wir es annehmen, und das ist schrecklich.
Mir ist zum ersten Mal an diesem Abend bewusst geworden, wie schrecklich es sein kann, die Wahrheit zu wissen.
Es ist nicht so schrecklich, weil ich es nun weiß.
Es ist so schrecklich, weil ich mir wünsche, es nicht zu wissen, nur um ihre Liebe zu erwidern, die in all den Jahren ein fester Bestandteil ihrer Herzen geworden ist. Ich habe Angst zu erfahren, wie es sein wird, wenn sich mich nicht mehr mit derselben Liebe ansehen wie an diesem Abend. Ich will das nicht wissen, und deshalb habe ich beschlossen, ihnen nicht die Wahrheit zu verraten. Jedenfalls nicht meine Geschwister, weil die einzige Person meiner Familie, die dasselbe weiß wie ich, meine Adoptivmutter ist. Ich will in ihnen nicht etwas anderes sehen als meine Familie – das wäre noch schlimmer als ihre Liebe zu mir.
Tom soll weiterhin mein überfürsorglicher Bruder bleiben.
Emma soll mich weiterhin hänseln, weil ich Madame Cookie noch immer in meinem Bett liegen habe.
Sarah soll weiterhin davon begeistert sein, dass ich als einzige ihrer Geschwister nicht Schauspieler geworden bin, sondern Autorin.
Meine liebevolle Adoptivmutter soll weiterhin meine „Mom" bleiben und nicht Diana.
Und die unerbittliche Liebe, die wir füreinander empfinden, soll immer dieselbe bleiben. Und nicht anders.
Sie soll genauso bleiben wie an jenem Abend.
Und ich weiß, dass ich es da nichts geben würde, dass ich nicht auf mich nehmen würde, um ihnen zu beweisen, dass ich sie genauso liebe wie sie mich lieben. Nämlich ohne jegliche Erwartung daran, dass wir dasselbe Blut teilen.
Denn auch das Empfinden des eigenen Herzen kann mehr von Bedeutung sein als die Dicke des gemeinsamen Bluts.
Nur eines hat sich geändert und das ist einigermaßen erträglich für mich. Das Haus, in dem ich aufgewachsen bin, ist nicht mehr mein Zuhause. In dem Sinne habe ich kein richtiges Zuhause mehr, und ich bin noch auf der Suche nach dem Zuhause, wo ich mich nicht wie gefangen in einem Käfig fühle, wo geliebte Menschen auf mich warten und wo ich einfach ich selbst sein kann, ohne dass man sich vor mir fürchtet. Ein Zuhause, wo ich von diesem warmen Gefühl der Zugehörigkeit und des Glücks berauscht werde, dass ich mich jedes Mal darauf freue, zurück nach Hause zu kehren. Ein Zuhause, wo mein Happy End auf Unbefangenheit trifft, wo das Verlangen in vollkommen Stille gekehrt ist und wo es kein einziges Labyrinth gibt, das man erst durchqueren muss, um sich selbst zu finden. In diesem Zuhause hat man nämlich all die Antworten auf seine Fragen gefunden, und dann ist man einfach eines: glücklich.
Und ich weiß, dass irgendwo dort draußen mein wahres Zuhause auf mich wartet.
Ich muss es nur noch finden.
~*~*~
„Er weiß wahrscheinlich nicht mal, dass du lebst", redet Natalie auf mich ein, und das tut sie schon die ganze Zeit, nachdem ich das Badezimmer verlassen habe. Lediglich in meinem Bademantel eingehüllt, weil ich die Kälte im Raum deutlich angenehmer finde als die Hitze unter meiner pochenden Haut. Sie folgt mir besorgt mit ihren Himmelsaugen, wie ich hin- und herlaufe und kein bestimmtes Ziel anpeile. Ich will bloß in Bewegung bleiben, nicht innehalten und diese Flut von Adrenalin über mich einstürzen lassen. Ich kann nicht behaupten, dass ich mich tatsächlich beruhigt habe, aber ich habe nicht weiter das Gefühl, mich ein Leben lang übergeben zu müssen. „Bestimmt haben sie ihm erzählt, dass du schon früh umgekommen bist. Oder deine Mutter hat ihn gar nicht gebeichtet, dass sie schwanger gewesen ist."
Mit einem heftigen Zucken halte ich doch inne und blicke sie nervös an. Wie herzlos muss dieser Mann eigentlich sein, dass er seine eigene Frau ermordet hat? Auf jeden Fall so herzlos, dass er auf ihre Stirn sogar „Schlampe" geschrieben hat. Jetzt muss ich mich sicherheitshalber auf die Couch neben Natalie setzen, denn der Boden hat angefangen sich zu drehen, als ich wieder an das Leichenbild meiner echten Mutter denke. Sie hat genauso wie ich ausgesehen, nur älter und... toter. Dieselben runden Wangen, dieselben grünen Augen eines dichten Waldes, die feine Stupsnase und die Augenbrauen so dunkel wie eine Kriegsbemalung. Ich habe die Frau auf dem Bild nicht gekannt trotz unserer extremen Ähnlichkeit, und ich empfinde ihr gegenüber nicht viel, außer Mitleid und Schmerz. Ich kenne sie nicht und deshalb kann ich zu ihr nicht dieselbe Bindung aufbauen wie zu meiner Mom, die mich so hingebungsvoll aufgezogen hat. Und das ist ein weiterer Beweis dafür, dass ich diese Frau auf dem Leichenbild nie so lieben kann wie meine Mom.
„Weißt du", sage ich und das Sprechen ist schwerer als das gleichmäßige Atem, weil ich nicht genau einschätzen kann, wann die tickende Zeitbombe in mir explodieren wird, „mir ist es völlig gleichgültig, ob er von mir weiß oder nicht. Ich kann nur nicht verstehen, wie sie einen Serienmörder wieder entlassen können! Was ist denn in ihren Köpfen vorgefallen, dass man so dumm sein kann?" Ich schlinge den Bademantel fester um mich wie ein Schutzmechanismus, mich vor meiner eigenen erhobenen Stimme zu retten.
Natalie nickt knapp und klappt den Laptop auf ihrem Schoß auf. Sie kann mir gerade nicht in die Augen sehen, weil sie dasselbe befürchtet wie ich. Das Platzen der Zeitbombe. Ich versuche gerade mit allem, meine Scheiße zusammenzuhalten, und das weiß ich. Sie kennt mich mittlerweile so gut, um zu wissen, dass ich in Hinsicht meines Vaters schnell explodieren kann. Hätte ich vorher kein Bad genommen, hätte ich schon längst etwas vom Hotelzimmer durch die Gegend geschleudert, und keiner von uns beiden will irgendwelche Sachbeschädigungskosten übernehmen.
„Dasselbe habe ich mir auch gedacht. Aber egal, wo ich im Netz nach weiteren Informationen suche, es gibt nichts zu finden. Es ist fast so, als versucht der Staat dies zu verbergen", erklärt sie mir und kaut nun auf ihre Unterlippe herum. Ein Zeichen dafür, dass sie nachdenkt und zugleich versucht, ruhig zu bleiben. „Aber ich verstehe nicht, warum. Das alles ergibt keinen Sinn. Ich würde es ja verstehen, hätten sie festgestellt, dass er es doch nicht getan hat. Aber die Hinweise sind damals klar und deutlich gewesen."
„Derselbe Füller, dieselbe Handschrift... Und der Mord an seine eigene Frau", füge ich hinzu und stehe wieder auf. Einfach stillsitzen ist gerade das schwierige für mich. „Und er hat ein Reiseverbot bekommen. Also, warum ist er dann entlassen worden?" Ich hole meinen Koffer aus dem Schlafzimmer und fange an, wie wild darin zu wühlen. Ich spüre dabei Natalies Blick im Rücken, und ich kann mir vorstellen, dass sie mich ziemlich besorgt anschaut. Aber ich kann gerade nicht anders, ich muss etwas tun – und wenn es die Suche nach dem perfekten Outfit für morgen ist. Ein knallrotes Hemdkleid oder etwas Unauffälligeres?
„Die Deutschen sind einfach wahnsinnig und das schon immer." Ich höre, wie sie den Laptop wieder zusammenklappt und neben sich auf die Couch legt. „Das rote Hemdkleid und die schwarzen Vans. Du kannst ruhig mal etwas Bequemes anziehen." Sie redet so ungern wie ich über Unannehmlichkeiten, aber es ist auch nie einfach gewesen, über dieses Thema zu reden. Wir können es auch nicht einfach aus der Welt schaffen. Leider haben wir uns schon sehr darin vertieft, um es so leicht zu vergessen. Außerdem ist es nicht weiter zu vermeiden, dass dieser Serienmörder nicht irgendwie ein Teil von mir ist. Ich habe ein paar seiner mörderischen Blutkörperchen fröhlich in mir herum sausen. Mit seiner besten Freundin redet man über alles. Selbst wenn der eigene Vater ein entlassener Serienmörder ist. Und ich hasse es, dass es so ist. Es ist bloß ein weiterer Beweis dafür, dass ich auf eine bestimmte Art und Weise krank bin. Und nur geschriebene Worte können dagegen helfen. Komplett bescheuert.
„Nur weil ich dann besser so zu Toms Auftreten passe?", frage ich nach und wühle weiter herum, auch wenn ich mich bereits entschieden habe.
„Ja, genau. Wetten wir, er wird morgen etwas anderes anhaben, bloß um dir zu gefallen?" Ihr fettes Grinsen ist nicht zu überhören. „Das wäre so süß von ihm!"
Ich verdrehe die Augen und lasse den Bademantel los, damit ich mir einen schwarzen Oversize-Strickpullover überziehen kann. Dann stehe ich auf, lasse mich auf die Couch zurückfallen und schlinge meine Arme fest um meine beste Freundin, während ich meine glühende Wange gegen ihren kühlen Oberarm drücke. „Ich werde ihm das nie über mich erzählen können, Nat", seufze ich und presse mich etwas an sie.
Sie zögert nicht, legt zur Aufmunterung einen Arm um mich und zieht mich leicht an sich. Sie riecht vertraut nach Kokosöl und Orange sowie nur der wohlige Sommer duften kann. „Aber gehört das nicht zu der Emilia, die ich kenne?", fragt sie vorsichtig und streichelt mir behutsam über das helle Haar, als würde sie endlich das Chaos richten wollen.
Ich versinke völlig in ihrem schönen Duft, und ich komme mir sofort sicherer vor. Die Zeitbombe hält auf einmal an. Es tut gut, bei einer Person zu sein, der man alles anvertrauen kann und weiß, dass sie dich niemals dafür verurteilen wird, was du bist oder tun wirst. Und wenn doch, dann verurteilt sie dich nicht. Sie will nur, dass du das richtige tust und nicht in die Fallen anderer tappst. „Ich will ihm alles über mich erzählen. Aber wie kann ich das machen, ohne ihn gleich zu vertreiben?"
„Wer sagt, dass du ihn deshalb vertreiben wirst? Wenn er dich wirklich mag, wird er dich so nehmen wie du bist. Außerdem... ihr kennt euch doch noch gar nicht so lange. Lass es einfach passieren, Emi. Du weißt, die Zeit entscheidet selbst, wann etwas richtig ist und wann nicht."
Sie hat Recht.
Und der eigene Himmel meiner Gedanken wird so klar wie ihre Augen, wenn ich zurück an Tom denke und daran, dass ich ihn morgen wiedersehen werde. Der atemberaubende Sonnenjunge; das Wunder, wonach ich so lange gesucht habe.
„Sollen wir ein wenig „Der Prinz von Bel-Air" anschauen? Die haben hier im Hotel Netflix."
Natalie muss so kichern, dass ihr Körper vibriert, aber ich schmiege mich nur enger an sie. Ich will gerade einfach nur noch spüren, dass ich nicht alleine bin, dass da jemand bei mir ist, der bereit dazu ist, die schlimmsten Höllen der Welt mit mir zu durchstehen, und Natalie ist immer solch eine Person gewesen. Die beste Freundin, die ich mir wünschen kann. Ein warmer Hauch von Licht und klarem Sonnenhimmel in der sonst so bitteren Kälte meiner grausamen Welt.
„Now, this is a story all about how my life got flipped-turned upside down and I'd like to take a minute. Just sit right there~", fängt sie zu singen an, und bald ist es die Stimme von Will Smith, die das Lied fortsetzt.
Ich fühle mich kein bisschen alleine an ihrer Seite, als ich langsam davon drifte und in die Dunkelheit meiner Traumwelt kehre.
Das schöne Gewissen, dass morgen wahrlich ein Sonnentag sein wird, besänftigt meinen aufgewühlten Geist ungemein.
„Du bist in Sicherheit, Emilia", höre ich Natalie noch flüstern und spüre ihre Hand ein weiteres Mal durch meine Haare gleiten wie ein wiederholtes Prüfung dafür, dass ich tatsächlich da bin, dann ist alles still und dunkel.
Aber in Frieden.
~*~*~
Eigentlich ist es ausgemacht worden, dass wir gemeinsam nach San Diego fliegen. Da aber die Flüge nicht vertrauensvoll zu uns gehalten haben (wie immer), werde ich Tom erst in SeaWorld treffen. Henry hat es allerdings komischerweise geschafft, im selben Flug zu enden wie wir. So habe ich den ganzen Flug damit verbracht, Paramore zu hören, während die beiden Turteltäubchen neben mir sich fast ein Grinseduell geliefert haben. Irgendwann habe ich mich gefragt, wie es möglich ist, dass ihre Lippen vor lauter Grinsen noch nicht abgefallen sind, da sind wir auch schon in San Diego angekommen. Da ich die beiden nicht in ihrer Zweisamkeit stören will, bin ich schon zu unseren Koffern vorausgeeilt und habe eifrig auf dem Laufband nach ihnen Ausschau gehalten.
Leider sind diese erst angekommen, als mich die Turteltäubchen schon eingeholt haben. Also bin ich hinter ihnen her getrottet und habe mich neugierig am Flughafen umgesehen. Ich bin froh, dass Henry sich so gut hinter seiner Schicht aus Kleidung, Cap und Sonnenbrille versteckt hat, dass ihn keiner der Anwesenden erkennt. Einige murmeln sich zwar überlegend etwas zu, andere scheinen uns für einfache Touristen oder gar Staatsbürger zuhalten. Es ist immer ein verrücktes Gefühl, zu erkennen, für wie normal dich andere halten können, wenn sie nicht dein Inneres kennen. Ich frage mich, wie es sein würde, würde man vom ersten Blick an sehen können, wie das Innere eines anderen aussieht, und dann stelle ich fest, dass das vielleicht eine schlechte Sache wäre. Nicht jeder möchte seine Geister mit allen vertraut machen. Manchmal ist es einfach so gut sowie es eben ist. Nicht alles muss perfektioniert werden wie ein Selfie auf Instagram.
Und ich erwische mich dabei, wie ich mich frage, ob Tom irgendwelche Geister in seinem Sonnenlicht versteckt, oder ob er so rein ist wie das warme Leuchten seiner Augen. Und, falls Geister in ihm hausen, ob er sie mir eines Tages anvertrauen wird. Ich will alles über ihn wissen, jedes so winzigste Detail, und ich will, dass er seine gute sowohl auch schlechten Momente mit mir teilt, und dann bemerke ich, dass ich genau dasselbe von ihm will. Hat er dieselben Gedanken wie ich – oder bin ich noch verrückter als er?
Als ich mich nach langer Zeit wieder in meinen Instagramaccount einlogge, während wir nach unserem knappen Besuch im Hotel auf dem Weg zu SeaWorld sind, öffne ich Toms Seite. Es ist heutzutage kein großer Schritt, jemand auf Instagram zu abonnieren, aber wenn ich daran denke, dass es der Sonnenjunge ist, und bemerke, wie schnell mein Herz flattert, weiß ich, dass es doch ein großer Schritt ist. Immerhin ist es E.H.Soulshot, die ihm jetzt folgt, und ich folge mit diesem Account nur zwei weiteren: Stephen King und Chris Pratt. Und nun auch Tom.
Meine Hände zittern so sehr, dass mir fast das Handy aus der Hand fällt, als ich noch das Bild von mir und ihm liken möchte. Ich mustere sein warmes Grinsen, sehe das Strahlen in seinen Tiefen, und mir wird es warm im ganzen Körper. Beruhigend und doch kribbelnd. Es juckt furchtbar in meinen Fingern, nicht unter das Bild zu schreiben, wie wunderschön sein Lächeln ist und dass das Leuchten in seinen Augen das einzige Licht in dieser Welt ist, das ich nicht verschwinden sehen will; aber das geht nicht. Ich würde mich verraten, und es ist noch zu früh dafür, um ihn zu sagen, dass ich E.H. Soulshot bin. Wozu ist es eigentlich nicht zu früh?
Als ich vor Frust seufze, sieht mich Natalie skeptisch von der Seite aus an.
„Liebeskummer?", fragt sie mit einem provokativen Funkeln im klaren Himmelsblau, als sie das Bild auf meinem Screen erkannt hat.
„Halt's Maul!", murmle ich und drehe mich von ihr weg. Sofort weiten sich meine Augen bei dem riesigen Schild, das die Worte „SeaWorld" widergibt.
„Wir sind da!", jubelt meine beste Freundin, nimmt zugleich Henry an der Hand und steigt ungeduldig aus dem Taxi aus, nachdem es gerade eben erst angehalten hat. Typisch, dass sie ihr inneres Kind nicht zurückhalten kann, wenn sie nur ein Stückchen vom Eingang erblickt.
Mit rollenden Augen bezahle ich und steige dann schließlich selbst aus. Aber kaum habe ich festen Grund unter den Füßen, heben mich zwei muskulöse Arme hoch und drehen mich fröhlich im Kreis herum.
„Feathergirl!!" Als Toms warme Stimme und sein glückliches Lächeln zu mir durchdringt, ist es, als hätte die Welt nur noch einen einzigen Mittelpunkt zu bieten. Und zwar er. Er zieht mich augenblicklich an, und ich weiß, dass ich schon wieder zu tief in seine leuchtenden Augen gesehen habe, um mich davon jemals wieder zu befreien. Und ich muss gestehen, dass ich das gar nicht will.
Zurück auf dem Boden gelassen schlingt er seine Arme um mich und drückt mich so fest an sich, dass ich befürchte, er könnte noch meinen eigenen, wilden Herzschlag gegen seine Brust klopfen spüren. „Du bist endlich hier", sagt er atemlos ohne jegliche Anstalten zu machen, mich jemals wieder loszulassen. Er duftet heute besonders stark nach Aftershave, frischer Morgenluft und Sonnenlicht. Es kitzelt ein bisschen, als er sein Gesicht an meinem Hals vergräbt und dann tief einatmet, als wäre mein Eigengeruch viel besser als Oxygen. Er spürt, dass ich mich bei dieser Nähe verspanne, denn er muss automatisch breiter grinsen, und dann blickt er mir direkt in die Augen. Er grinst mich so breit an, dass ich mir sicher sein kann, dass es unmöglich ist, dieses Grinsen an Breite zu dominieren. Und mir wird zeitgleich bewusst, wie sehr ich ihn in der kürzeren Zeit vermisst habe.
Es wird ganz gleichgültig, wie unser letzter Abend geendet hat, als wir uns gegenseitig mit vollkommener Freude angrinsen und es in unseren Augen funkeln sehen. Das einzigartige Kaleidoskope, das uns miteinander verbindet. Es schimmert klar und deutlich; sowie das Sonnenlicht in seinen braunen Tiefen.
„Hast du lange auf uns gewartet?", frage ich ihn und nehme jeden Schmerz in meinen Mundwinkel auf mich, nur um nicht damit aufzuhören, so überglücklich zu lächeln. Ich sehe ihm fasziniert in die Augen, weil ich kann es nicht fassen, wie schwerelos er mich gerade fühlen lässt. Es reicht nur seine Anwesenheit und ich fühle mich komplett lebendig und geborgen, so, als würde ich nicht von der Erdanziehungskraft angezogen werden, sondern alleinig von ihm und seinem atemberaubenden Grinsen.
Er bemerkt die tiefe Faszination in meinen Blick, da er ein wenig rot um die Nase wird, und dann beugt er sich zu mir hinab, um mir einen zarten Kuss auf die Wange zu drücken. Diese Berührung schaltet mich vollkommen aus und lässt mein Herz wilde Saltos schlagen. „Wen meinst du mit „uns"? Deine Freundin und ihr Superman haben uns gerade einfach ohne ein einziges Wort allein gelassen", lächelt er dann unbekümmert fort und das Zittern in seiner Stimme verrät, wie aufgeregt er wirklich ist. Ich bin verunsichert, warum ich noch zittere. Ob es daran liegt, weil es in SeaWorld etwas kälter ist als erwartet, oder ob es daran liegt, weil ich einfach so glücklich bin, wieder bei ihm sein zu können.
Nur mit viel Mühe schaffe ich es, mich für einen Moment nach meiner besten Freundin und Henry umzusehen, und es ist vorhersehbar gewesen, dass sie mich mit Tom alleine lässt. Ich bin ihr nicht böse. Immerhin kann ich es nicht verleugnen, dass meine ganze Aufmerksamkeit nur noch einer einzigen Person auf dieser Welt gilt und das ist der junge Mann vor mir. Sie und ihr Freund wären da tatsächlich überflüssig gewesen, und ich bin jedes Mal aufs Neue darüber erstaunt, welch Wunder der Sonnenjunge bei mir bewirkt. Er macht es möglich, dass ich mich auf nichts anderes konzentrieren kann als auf ihm, und ich spüre noch jetzt seine weichen Lippen auf meiner Wange andauern. Die keusche Berührung seiner Zuneigung. Die Art, wie er mich berührt hat, lässt mich verstehen, dass ich in seinen Augen wirklich zerbrechlich bin, und ich weiß nicht, ob ich das bin. Aber solange er mich nicht alleine lässt, ist es in Ordnung.
„Dann müssen wir wohl SeaWorld alleine erkunden", sage ich schließlich und erwidere sein aufgeregtes Lächeln bestimmt auf dieselbe Weise. Mein Herz wird wohl nie mehr aufhören so verrückt in seiner Gegenwart zu hämmern, besonders nicht, wenn ich ständig an seine weichen Lippen zurückdenke.
„Ist das schlimm?", kommt es über diese und ich schüttle den Kopf.
Dann löse ich die letzte Distanz zwischen uns mit einem Schritt auf ihn zu auf. „Keineswegs, Tom", lächle ich zufrieden und streiche mir ein paar blonde Strähnen hinter das Ohr, ehe ich ihm tiefer in die braune Augen blicke, „ich finde es so sogar besser."
Jetzt glühen seine Wangen deutlicher und das Sonnenfunkeln wird heller, schöner. „Ich auch, Emi."
Für einen Augenblicken sehen wir uns einfach in die Augen, und wir beide scheinen dasselbe zu verspüren. Die Welt mag sich um uns herumzudrehen, schnell oder langsam, aber wir sehen in unsere Augen und die ganze Welt hält für uns an. Wir sehen die tausenden Sterne unseres Kaleidoskop, die vielen, bunten Farben und hören das leichte Rauschen eines weit entfernten Meeres. Es scheint nach uns zu rufen, nennt uns beim Namen. Da muss es liegen, der Ausgang unserer Labyrinthe, und wir sind nicht mehr so weit davon entfernt wie am Anfang.
Und ich weiß auf einmal, dass, egal, welche Geister unter seinem Sonnenlicht schlummern, ich werde sie behandeln wie meine eigenen und Acht darauf geben, dass sie nicht zu stark werden.
Inmitten eines Herzschlags hält er mir seine Hand hin. „Sollen wir gehen, Feathergirl?"
„Ja!", hauche ich erregt. Ich lasse keine Sekunden vergehen, um nicht seine Hand zu halten, und, als ich die geborgene Wärme seines Körpers spüre, weiß ich, dass der Sonnentag erst gerade angefangen hat. Mit Tom wird jeden Tag die Sonne scheinen, da bin ich mir ziemlich sicher.
Ich verstehe, warum er nun eine Sonnenbrille aufsetzt und dass es ein Teil seines alltäglichen Lebens ist, aber ich mag es nicht, wie diese dunkle Plastikschicht mir den Blick in die braunen Tiefen seines Labyrinths verwehrt. Es reicht auch nicht sein schönes Lächeln aus, um diesen Faktor zu verbessern – oder das feste Drücken seiner Hand um einer wie ein Sichergehen, dass ich ihm folge. Ich bin schon zu sehr daran gewöhnt, in seiner Seele voller offenen Fragen und Sonnenlicht zu versinken, dass mir das ganz klar befremdlich ist.
Er läuft zielstrebig zum Eingang, wo wir unsere bereits ausgedruckten Tickets vorzeigen müssen, und ich nutze diese Gelegenheit, um sein heutiges Outfit unter die Lupe zu nehmen. Ein schwarzes Shirt mit einem V-Ausschnitt, dazu eine ebenso schwarze, enge Hose und dunkelbraune Boots. Über das Shirt trägt er noch eine lässige Jeansjacke, die ihm etwas zu groß ist, aber ihm doch auf eine britische Art und Weise steht. Er hat heute nicht dieses typische, gelassene Outfit gewählt ich es mir ausgemalt habe, und ich glaube, dass dahinter tatsächlich etwas von der Bemühung steckt, die gestern noch Natalie erwähnt hat. Oder ich wünsche mir bloß, es wäre so.
Dennoch muss ich einfach schmunzeln und folge ihm weiter in die riesige Welt von SeaWorld.
„Wo sollen wir als Erstes hingehen?", fragt er und drückt nochmals meine Hand, als müsse er ständig sichergehen, dass ich noch da bin. Diese kleine Geste von Achtsamkeit und Hingabe zeigt mir, dass ich ihm etwas bedeute und dass ihn meine Gegenwart so wichtig ist wie mir seine. Und das ist ein wunderschönes Gefühl.
Ich stelle mich neben ihn und nehme ihn vorsichtig den Plan aus der Hand, um diesen aufmerksam zu studieren. In SeaWorld gibt es eine Menge an Achterbahnen, Shows, und, selbstverständlich, Meerestieren. „Zu den Pinguinen! Ich liebe Pinguine!", strahle ich über das ganze Gesicht, als ich die schwarz-weiß-gelben Tierchen auf dem Plan entdeckt habe.
Tom grinst nur. „Sowie du es dir wünscht, Feathergirl."
„Wusstest du, dass Pinguine meine Seelenverwandte sind?", frage ich ihn, als wir losgehen, und strenge mich an, doch irgendwie durch die Sonnenbrille in seine Augen sehen zu können. Aber das ist schwer, wenn alles in völlige Schwärze getaucht ist wie das tiefste und größte Geheimnis einer Menschenseele.
„Warum das denn?", entgegnet er amüsiert, und es ist unfair, wie er mir direkt in die Augen sehen kann, während mir dasselbe unmöglich erscheint.
„Einfach so." Ich zucke grinsend mit den Schultern. „Ich mag sie und fühle mich mit ihnen verbunden. Ich habe mal eine Dokumentation über Pinguine angesehen. Als ich gesehen habe, wie ungeschickt sie sind, wenn sie versuchen, einen Berg voller Steine hochzulaufen und sogar nach hinten zurückfallen und davon rollen, habe ich es gewusst: Ich bin ein Pinguin!"
Er presst die Lippen aufeinander, um offensichtlich sein Lachen zu unterdrücken. „Versuchst du etwa auch immer Steine hochzuklettern, wenn du besser beim Watscheln bleiben solltest?"
„Was?" Ich blicke ihn verstört an, und dann muss er einfach loslachen. Ungern lasse ich seine Hand los, aber ich muss meine Arme verschränken und ihn entrüstet anschauen. „Warum findest du das jetzt so witzig?"
„Ach..." Ich muss mich anstrengen, nicht zusammenzuzucken, als er seinen Arm um mich legt und an sich zieht. Einige im Park beobachten uns, da Toms Lachen nicht unbedingt leise gewesen ist, und ich kann es nicht unterdrücken, bei ihren Blicken rot anzulaufen. „Ich habe mir nur vorgestellt, wie es aussieht, würdest du einen Berg hochlaufen und dann wie aus dem Nichts rückwärts hinunterrollen."
„Du glaubst also nicht, dass Pinguine meine Seelenverwandten sind", entgegne ich gespielt enttäuscht und starre stur zu dem Gehege vor uns, vor dem ein riesiger Papp-Pinguin steht. Da müssen die Pinguine sein!
Tom kichert noch immer. „Das glaube ich erst, wenn ich dich einen Berg rückwärts hinunterrollen sehe."
Bei diesen Worten mache ich einen Satz von ihm weg, sodass sein Arm sich von mir löst. „Seit wann bist du so gemein zu mir?", frage ich ihn geschockt und mache extra große Schritte von ihm weg, um schneller beim Gehege sein zu können. „Ich gehe jetzt zu meinen Freunden!", verkündige ich mit entrüstenden Unterton und hebe trotzig wie eine Diva das Kinn hoch, um weiter davon zu schreiten. „Du bist ja pinguin-feindlich!" Als Tom wieder lachen muss, fällt es mir diesmal schwer, nicht mitzulachen, weil ich weiß, dass ich gerade ziemlich dämlich aussehen muss.
Vor dem großen Pinguingehege bleibe ich schließlich wieder stehen und halte mich gespannt am Geländer fest, um über den gigantischen Eisschollen Ausschau nach den süßen Pinguinen zuhalten. Das Gehege ist groß, hier und dort liegen Steine herum und eine große Fläche von Wasser bietet den kleinen Wasserwesen genügend Platz zum Schwimmen. Ein paar angeknabberte Fische liegen verteilt über die grüne Grasfläche, und eine Brise von kaltem Wind weht mir direkt ins Gesicht, das ich nicht anders kann als zu bibbern. Ich hätte mir auch besser eine Jacke mitnehmen sollen.
Ich erschrecke nicht, als Tom auf einmal neben mir steht und seine Hand meine streift, während er sich ebenfalls über das Geländer lehnt. Seine kleinen Glucksgeräusche, weil er wohl nur schwer aufhören kann zu lachen, haben ihn letztlich verraten.
„Na, was haben deine Freunde zu dir gesagt?", fragt er provokativ und grinst mich schräg an.
Hartnäckig wie eh und je sehe ich zu einem Pinguin, der gerade auf die süßeste Weise wie sie watscheln können hinter einer Eisscholle hervorkommt. Er peilt auf einen herumliegenden Fisch zu und wird dabei von einen anderen überholt. Jetzt liefern sie sich ein Watscheln-Rennen.
„Sie sind der gleichen Meinung wie ich, dass du echt doof bist", sage ich noch, „und weniger pinguin-feindlich sein solltest, weil – schau nur – wie süß sie sind!" Ich zeige auf die watschelnden Wesen und muss einfach entzückt lächeln, weil dieser Anblick so goldig ist und gleichzeitig so glücklich macht.
Tom ergattert meine vollkommene Aufmerksamkeit sofort zurück, als er mit seinen Fingern über meinen Handrücken streicht und dabei meinen Namen flüstert. Ich sehe in sein schönes Gesicht und stelle fest, dass er zu meiner Freude wieder die Sonnenbrille abgenommen hat. Sein Blick ist tief und ein charmantes Lächeln umschmeichelt seine weichen Lippen, als er mir direkt in die Augen blickt. Seine braunen Tiefen halten das ganze Sonnenlicht in sich gefangen, weil sie so klar und sorgenlos strahlen. „Ich weiß, dass sie süß sind. Vor allem der Pinguin vor mir ist mein Lieblingspinguin von allen", gesteht er heiser und seine Finger streicheln weiter über meine Hand, als würde er es brauchen, mich zu berühren, wie eine Vergewisserung dafür, dass ich auch echt bin und er sich das alles nicht nur einbildet.
Komisch, wie ich dasselbe denke, wenn ich seine zärtlichen Berührungen spüre und mich fragen, ob das gerade echt passiert – oder ich mir das einfach nur sehr sehnlichst wünsche. Und umso schöner ist es, wenn ich feststelle, dass das alles echt ist. Dass seine Worte echt sind, dass seine Zeichen der Zuneigung echt sind, dass seine Blicke echt sind und dass das Kaleidoskop in unseren Augen ebenso echt ist.
Ich atme tief ein und gestehe ebenfalls: „Weißt du, dass du mein Lieblings-Tom bist?"
Sein Grinsen gewinnt an Breite und lässt seine Augen noch mehr Sonnenstrahlen stehlen. „Dann bin ich ja froh, dass du bei all den Tom's, die du kennst, ausgerechnet mich ausgewählt hast."
Jetzt muss ich mal lachen. „Eigentlich kenne ich nur zwei."
Er fasst sich an die Brust und trägt einen verletzten Gesichtsausdruck auf. „Ruinier' mir doch bitte nicht diesen Augenblick von Ehre und Glück! Ich habe mich schon daran gewöhnt, mich besonders zu fühlen, weil ich dein Lieblings-Tom bist."
„Du bist besonders, Tom", huscht es rasch über meine Lippen, bevor ich flüchtig seinem überraschten Blick ausweiche. Mein Herz schlägt fürchterlich schnell, und ich hoffe, dass er sich nicht zu sehr von dem Zittern meiner Hand auf verräterische Spuren führen lässt.
„Was hast du gesagt?", fragt er verwirrt, und ich hasse ihn dafür, dass er mich dazu zwingt, es ein zweites Mal zu sagen.
„Ich habe gesagt, dass du besonders bist, Tom", atme ich mit Anstrengung aus und blicke stur zu den beiden Pinguinen. Der erste, den ich entdeckt habe, hat sich erfolgreich den einen Fisch schnappen können.
Tom schweigt für einen Augenblick. Einen Augenblick zu lange, da verfluche ich mich schon dafür, es überhaupt gesagt zu haben. Ich hätte besser mein Mund halten sollen, als einfach das hinausplaudern wie ich empfunden habe. Aber es ist im Nachhinein auch keine Lüge gewesen, oder einfach bloß eine bedeutungslose Nettigkeit, die man zu einem anderen sagt, weil er etwas Nettes zu einem gesagt hat.
Tom ist wirklich besonders. Zumindest für mich.
Ich würde ihn sonst nicht als Wunder bezeichnen.
Ein schweres Gewicht weicht von meiner Brust, als er sich wieder neben mich stellt und seine Schulter gegen meine lehnt. Seine Hand liegt nun über meine, drückt sie ein bisschen, als würde er mir so versichern wollen, dass alles gut ist. Und ich glaube ihm einfach, weil ich weiß, dass er mir nicht anlügen kann. So wenig wie ich anlügen kann.
„Ich habe mal gehört, dass Pinguine nur einmal in ihrem Leben lieben. Glaubst du, das stimmt?", fragt er mich sanft mit honigweicher Stimme, aber er schaut wie ich zu den beiden Pinguinen vor uns. Einer von ihnen pflegt gerade das Gefieder des anderen und scheint dies mit äußerst viel Leidenschaftlich zu erledigen, weil er es so sorgsam und konzentriert tut. Als befürchtet er, er könnte dem anderen noch wehtun, weil er in seiner Hinsicht nach sehr zerbrechlich ist.
Nun sehe ich doch zu Tom zurück. Er fängt sofort meinen Blick auf, und ich frage mich, ob unsere Blicke dieselbe Tiefe haben.
„Ist es nicht eine schöne Sache, wenn man sein Leben lang nur die eine Person lieben würde?", entgegne ich ihm mit einem schwachen Lächeln, und er erwidert es warm. „Du könntest ihr nicht entweichen, weil du liebst nur sie und keinen anderen. Du liebst sie genauso wie sie sein möchte. Mit ihren Makeln und Fehlern, mit ihren Streitigkeiten und Unzufriedenheiten, mit ihren Schwächen und Stärken, und mit ihren Verlusten und Siegen. Wenn ich daran denke, dass viele so davor zurückschrecken, eine Person mit allem zu lieben, was sie zu bieten hat, dann muss es doch irgendwo schön sein, das doch zu tun. Du kennst diese Person dann besser als sie sich eigentlich kennt, und du weißt, wann du das oder das in den oder den Momenten tun musst, damit es ihr wieder bessergeht. Und jedes erste Mal – sei es der erste Kuss oder die erste, gemeinsame Nacht – ist nur mit dieser einen Person. Das erste Mal Händchen halten, das erste Mal gemeinsam erfahren, wie es ist, wenn du dich für eine bestimmte Person aufgibst, nur um von ihr aufgefangen zu werden. Das erste Mal heiraten, das erste Mal vor einem Film zusammengekuschelt einschlafen, weil man den Film schon hundert Mal zusammengesehen hat und er so viele Erinnerungen beinhaltet... Wenn ich die Wahl hätte, zwischen nur einmal oder mehrmals lieben, würde ich mich für nur einmal entscheiden. Weil dann bin ich die Person, die bestimmte Augenblicke meines Partners sieht, die sonst kein anderer sehen wird. Und das... das muss es alles wert sein."
Tom sieht mich erstaunt an, und dann fragt er: „Bist du schon mal verliebt gewesen, Emilia?"
Es wäre eine Lüge, würde ich sagen, dass ich es nicht bin.
Ich bin es und das in diesem einen Augenblick.
„Nein", antworte ich, und es ist fast mehr wie ein Keuchen als ein einziges Wort, weil das ist sie. Die einzige Lüge, die ich ihm zu erzählen habe. Und es ist die schrecklichste Lüge, mit der ich einem anderem die Sicht verfinstere. Und es ist nicht einfach jemand, es ist Tom. Der Sonnenjunge Tom. Ich fühle mich schlecht und falsch. Noch schlechter, als ich den Anflug von Enttäuschung in seinem Blick stechen sehe und spüre, wie er aufhört, meinen Handrücken zu streicheln.
„Oh..." Er wendet den Blick von mir ab und zieht seine Hand an sich zurück. Ich will etwas sagen, ihm doch lieber die Wahrheit beichten, aber ich lasse nur heiße Luft über meine Lippen gehen. Ich senke kraftlos den Kopf und schließe für einen Moment die Augen. Dann schlage ich sie auf und drehe mich herum, als ich die bekannte Stimme von Natalie meinen Namen rufen höre.
„Emilia! Tom! Kommt! Wir haben gleich unsere Stunde mit den Delfinen!", verkündigt sie strahlend über das ganze Gesicht, doch es droht zu zerbrechen, als sie meinen bedrückten Blick auffängt und feststellt, dass es Tom nicht anders ergeht. Sie murmelt mir ein stummes; „Was ist passiert?", zu, bevor sie mich am Arm packt und Tom ebenfalls. „Keine Zeit dafür, traurige Gesichter zu schieben! Wir werden gleich hautnah mit Delfinen schwimmen!"
Ich ringe mich zu einem lächelnden „Wuhu!" und schiele zu Tom hinüber. Er sieht mich an und ich ihn. Mich überkommt das grausame Gefühl, als wäre ich einen ganz großen Schritt im Labyrinth zurückgegangen, und, nein, das will ich nicht. Ich will nicht zurückfallen. Nicht in Toms Labyrinth. Also reiße ich mich zusammen, löse mich aus Natalias Griff und gehe unter ihren verwirrten Himmelsaugen zu Tom hinüber. Er bleibt stehen, als ich vor ihm anhalte, und seine Augen wirken ungewöhnlich leer. Diese Leere ist unerträglich und versetzt mir ein Stechen im Herzen.
Entschlossen nehme ich seine Sonnenbrille, ziehe sie aus dem V-Ausschnitt und setze sie ihm auf, und dann mach ich es einfach.
Ich nehme seine Hand, und er gewährt es mir auf Anhieb, als hätte er nur darauf gewartet, dass meine Finger in die Lücken seiner gleiten. Er drückt sie reagierend, und nun ist mir bewusst, dass er das nur aus einem Grund tut: Er will sich tatsächlich versichern, dass das alles echt ist. Und ich erwidere sein Drücken, um ihn zu signalisieren, dass es das ist.
Es ist alles echt.
Und nichts ist für mich schöner als zusehen, wie sich seine Lippen zu einem Lächeln verformen.
Ich sehe es doch, das atemberaubende Funkeln seiner braunen Tiefen hinter den schwarzen Fenstern, und damit weiß ich es.
Jede Lüge, die ich ihm erzählen würde, wäre das schwerste Gewicht auf meinem Herzen, und genau deswegen ist es unmöglich.
Ich kann ihn nicht anlügen.
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