the overprotective brother that's a pain.

Guten Morgen oder ein einfaches Hallo, je nachdem, wann ihr das nächste Kapitel liest!

Da ich am Wochenende nicht die Zeit haben werde, ein neues Kapitel zu schreiben, habe ich es schnell unter der Woche für euch geschrieben. Es ist etwas länger als die anderen, aber mit interessanten Inhalten gepackt Die Konfrontation mit Emis Bruder.

Ein Dankeschön an alle, die diese FF favorisiert haben oder empfehlen. Das ist immer ein schönes Gefühl, so was zu sehen!

Habt alle noch eine schöne Woche!

Viel Spaß beim Lesen!! ☆

Sternige Grüße,

Sternendurst. ☆

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the overprotective brother that's a pain

„Das hat er wirklich den anderen erzählt?" Natalie blickt mich fassungslos an und legt die Beine übereinander, während wir im Backstage-Bereich auf einer grauen Couch sitzen. Wartend natürlich auf meinen hochgelobten Bruder. Es gibt hier ein riesiges Buffet, an dem sich die Gäste bedienen können, einige Sitzmöglichkeiten und jede Menge von Stylisten und Manager, die auf ihre Sternchen ebenfalls warten. Entweder um sie neu herzurichten oder um sie zurück ins Hotel zu nehmen. Manche folgen ihnen auch auf Schritt und Tritt, dass ich schon nur bei dem Anblick dessen genervt bin.

Wir beide haben echt verdammtes Glück gehabt, dass sich einer der zig tausenden Securitymänner noch vom letzten Jahr an mich erinnert hat. Leider auch daran, dass ich mit meinem Bruder, Chris Hemsworth und einem anderen, dessen Name mir gerade nicht einfällt, Flip Cup gespielt haben. Ich und mein Bruder haben es geradeso geschafft zu gewinnen. Chris hat mich den restlichen Abend auf seinem Rücken getragen, weil ich zu viel und zu schnell getrunken habe. Davon hat mein Bruder auch irgendwo noch ein Foto. Er macht gerne Bilder von solchen Momenten. Momenten, in denen wir beisammen sind und Spaß haben, ohne uns daran zu erinnern, wer wir wirklich sind, außer zwei sich liebenden Geschwistern. Dann bedeutet uns die viele Zeit, die wir uns nicht sehen, nichts und es sind die gemeinsamen Tage, die tatsächlich wertvoll und erinnerungswürdig für uns sind. Dann bin ich seine Schwester und er mein Bruder und nichts anderes.

Es macht mich fertig, wie sehr es mich wiederum fertigmacht, dass er mir eine weitere Identität aufbindet, wenn ich schon so viele andere darstellen muss. Und ich schaffe es ja nicht mal, diese überzeugend zu spielen.

„Ja, das hat er", sage ich zu Natalie und reibe mir über den Nasenrücken, weil ich wieder solche Kopfschmerzen habe. Ich befürchte, dass ich bei all den Identitäten bald meine Selbst verliere und zu jemand werde, der ich gar nicht bin und sein möchte. Wieso kann ich nicht einfach ich sein? Ganz simpel: weil das nicht zur Auswahl steht. Ich bin entweder eine herkömmliche Bekannte oder die Schwester mit einem Touch für Mord und Blut. Oder eine Autorin, die nicht in die Öffentlichkeit treten darf, da sie ihre Familie und sich selbst vor dem hüten muss, was wirklich für diesen Gendefekt verantwortlich ist. Oder – seit Neustem – bin ich die „Pseudo-Freundin" meines eigenen Bruders wie in einem schlechten, amerikanischen Comedy-Film.

„Und du hast echt nichts davon gewusst?" Natalie wackelt nervös auf dem Platz her, und das liegt bestimmt nicht daran, weil ihr dasselbe zugestoßen ist wie mir. Henry Cavill hat ihr nicht widerstehen können und wie bei einem schrecklichen Klischee ihr seine Handynummer auf ihr Autogramm und so auch auf ihrem Photo Op geschrieben. Als ich den Kopf schüttle ohne die Hand von der Nase zunehmen, zieht sie lange die Luft ein. Wie immer, wenn sie ihre Nerven beruhigen muss. „Das ist einfach mies. Was hat er sich denn bitte dabei gedacht?"

„Aus demselben Grund, warum ich auch nur eine Bekannte bin", meine ich abgestumpft und lasse meine Hand auf meinen Schoß fallen, „um mich zu schützen. Vor seinem Ruhm und den Medien."

„Aber das hätte ebenso schiefgehen können. Was ist, wenn irgendeine unerwünschte Person davon Wind bekommen hätte und es an einer der Medien ausgeplaudert hätte?"

„Nun, dann hätte er genau das Gegenteil damit erzielt." Ich zucke mit den Schultern, während ich vor Ungeduld mit den Fingern trommle. Mein Bruder müsste – wenn ich das Programm richtig gelesen habe – gleich mit seinem letzten Panel fertigsein. Zuerst wollte ich mit ihm nur über meinen fürchterlichen Albtraum reden, nun aber habe ich das starke Verlangen danach, nach einer weiteren aufgezwungenen Identität etwas klarzustellen. Ich bin kein Freund von Lügen und Täuschungen, und ich habe es endgültig satt, mich als etwas hinstellen zulassen, das ich nicht bin. Vor allem nicht die Freundin meines eigenen Bruders. Ich bin in keiner schlechten Teenie-Romanze. Mein Leben ist so nicht und wird es auch nie werden. Nicht, solange ich dieses Verlangen zu bekämpfen habe.

„Glaubst du..." Sie stoppt und mustert vorsichtig mein Gesicht, als müsse sie erst meine Erlaubnis erhalten, um über unser Geheimnis zu reden. Aber ich kann mir den Rest ihrer Frage ausmalen und antworte ihr zugleich.

„Wenn er das tut, ändert es nichts an dem Fakt, dass es eine Lüge ist. Und mit dieser ist er eindeutig zu weit über den Rand gegangen."

Sie nickt verständnisvoll und ihre Himmelsaugen lächeln mich einige Sekunden später an. „Dein Bruder wird schon einen guten Grund haben, warum er das erzählt hat. Vielleicht..." Ihr Lächeln verschwindet augenblicklich.

Sofort werde ich hellhörig, weshalb ich sie ausgiebiger anschaue und hoffe, nicht allzu aufdringlich zu wirken. Ein übler Knoten breitet sich in meiner Magengegend aus, als könne er ahnen, worauf sie hinaus spielt, und mein Ungewissheit verhilft ihn dabei, sich rapid zu vergrößern. „Vielleicht was?", hake ich mit den Zähnen in die Unterlippe gebohrt nach.

„Vielleicht..." Ihre Stimme wird piepsig und immer, wenn ihr bestimmte Worte unangenehm werden, weicht sie den Augen ihres Gegenübers aus. Eine schlechte Angewohnheit, denn, wenn man sie kennt – sowie ich –, durchschaut man sie damit ohne jegliche Mühe. „Vielleicht mag er dich mehr als er tun sollte", presst sie aus sich heraus und so leise und zittrig habe ich sie selten sprechen gehört.

Aber das kann ich erst nachvollziehen, nachdem ich vor Schock die Augen aufreiße und aus meinen Mund bloß heiße Luft kommt. Der Knoten zieht sich so krampfhaft zusammen, dass ich mir mit den Fingern in den Bauch krallen muss, und es ist schwer zu atmen, wenn du das furchtbare Gefühl hast, gleich zu ersticken.

„Ich meine nur!" Sie hebt die Hände vor sich wie zu einer Bestärkung ihrer Verteidigung, und nun kann sie mich wieder mit ihren panischen Himmelsaugen anschauen. Ich kann in diesen etwas wie Reue erkennen, und ich vermute anhand dieses Merkmals, dass sie es bereut, daran überhaupt gedacht zu haben. „Falls er es wirklich weiß, dann wäre es bloß plausible. Schließlich weiß so jeder anderer, dass er die Hände von dir lassen soll."

Ich will erst gar nicht darüber reden und versuche mit allen Mitteln, diese nervenraubende Vermutung in den tiefsten Keller meines Verstandes zu drängen. Es ist schon schlimm genug, dass mein Bruder mich als seine Freundin bei anderen vorstellt, da will ich das Ganze nicht noch vertiefen und mir einen Grund wie diesen dafür ausmalen.

„Du wolltest mir noch etwas wegen ihm erzählen. Etwas Neues", lenke ich deshalb ab. Selbst wenn das nicht unbedingt den Knoten in meinem Magen weniger unerträglich macht, ist es doch besser als darüber zu reden, dass mein Bruder eventuell auf mich steht. Irgendwie wahnsinnig, wenn ich daran denke, dass jeder so kleiner Faser von mir danach zehrt, ihm eine Gabel in die Kehle zu stechen.

Es ist eine große Erleichterung für mich, dass Natalie mich auf Anhieb verstanden hat. Ihr ist das alles ebenfalls zu bunt wie mir. Mein Herz wird automatisch leichter und der Knoten kleiner.

„Ist das hier wirklich der perfekte Ort, um darüber zu reden?" Sie blickt mich verunsichert an und hält in ihren Händen ihr Foto mit Henry Cavill ganz fest.

Ich sehe mich um, erkenne hier und dort ein bekanntes Gesicht, aber keines, das mich zum Aufstehen bringt. Einige werfen verwirrte Blicke zu uns, da sie wohl nicht den Zusammenhang verstehen, warum ausgerechnet wir beide hier sitzen. Wir zwei, die ohne Manager und nervenden Stylisten anwesend sind. Es gibt welche, die nehmen auch den Pass um meinen Hals wahr und scheinen sich eine eigene Erklärung zu erfinden, andere nicken mir mit einem Lächeln zu und ich erwidere es schief, weil ich die meisten Namen vergessen habe. Sich Namen zu bemerken ist einer meiner größten Schwächen, wenn ich sie nicht gerade töten möchte.

Aber ich nehme an, zu wissen, warum sie so unsicher ist. Wir werden ständig von anderen beobachtet und falls – was auch immer sie mir zu sagen hat – mich von der Klippe schubst, dann wird das zu viel Aufmerksamkeit auf uns lenken. Ich neige dazu laut zu werden, wenn ich aufgelöst bin, oder einfach mehr über ihn erfahre. Vielleicht kommt die Security dann doch hinter den veraltenden Pass und schmeißen uns hochkant heraus.

„Wann willst du es mir dann sagen?", frage ich sie schließlich und will unseren sicheren Sitzplatz nicht wirklich riskieren. Jedoch, eine Alternative dazu fällt mir ebenso wenig ein wie die Namen aller Anwesenden.

Natalie denkt einen Augenblick nach. Einige Minuten zu lange, da habe ich eine Antwort bereits in den weißen Wolken ihrer Himmelsaugen erblickt. Sie weiß es auch nicht ganz so sicher. „Vielleicht später im Hotel?", schlägt sie vor und lächelt mich zuckersüß an, weil sie sowie ich weiß, dass das noch einige Stunden dauern wird. Doch ich scheine keine andere Option offen zu haben, außer ich will mich nochmal in das Gedächtnis von einem oder anderem Securitymann brennen.

„Nur, wenn ich bis dahin noch nicht ins Gefängnis gekommen bin, weil ich meinem Bruder den Hals umgedreht habe." Kaum sind diese Worte ausgesprochen, betritt endlich die allersehnte Person den Backstage-Bereich. „Oder soll ich besser sagen: meinem Freund?"

Natalie muss sich zurückhalten, um nicht loszulachen, als sie den verdatterten Blick meines Bruders sieht. Sie winkt ihm dezent zu, doch dann zieht sie sie hastig zurück. Ein weiterer Mann folgt ihm. Schwarzes, kurzes Haar, stattlich gebaut und einen schönen, braungebrannten Teint. Seine hellblauen Augen fangen sofort die ihre auf, als er sie erkennt, und ich weiß ziemlich schnell, dass ich überflüssig bin.

„Wünsch mir Glück", flüstere ich ihr mit einem Grinsen zu, dann schwinge ich mich von der Couch und laufe meinen überraschten Bruder direkt in die Arme. Fast. Er hat sie nicht geöffnet, um mich in diese zu schließen. Er legt sehr fluchtartig einen Arm um meine Schulter, murmelt ein zusammengekautes „Was machst du hier, Sweetheart?" und drängt mich so zu den weiteren Türen im Raum. Eine führt in einen breiteren, grauen Gang. Wahrscheinlich der Fluchtweg. Dort lässt er mich los und stellt sich mir gegenüber, so, als wüsste er exakt, warum ich hierhergekommen bin.

Ich verschränke die Arme vor der Brust und lege eine stramme Mimik auf, um ihn eindringlich anzuschauen. Er hat heute ein einfaches, blaues Oberteil und eine lockere Jeans an. Nichts, das besonders auffällig ist. Aber er hat seinen Bart immer noch nicht abrasiert, und ich finde es furchtbar, wie alt er damit aussieht. Sogar die kleinen Falten an den Winkeln seiner Regenaugen werden dadurch deutlicher, und zum ersten Mal wird mir bewusst, wie jung ich entgegen zu ihm aussehe. Seine Freunde müssen uns für eins dieser typischen Hollywood-Pärchen halten, wo ein riesiger Altersunterschied herrscht und irgendwann der Grund sein wird, warum einer von uns sich einen gleichaltrigen Partner suchen wird.

„Ich bin hier, weil ich mit dir reden muss." Es ist eine wahre Kunst, nicht gleich in Flammen aufzugehen, wenn ich diese Ahnungslosigkeit in seinem Blick auffange. Hat er wirklich angenommen, ich würde nicht hinter seine Lügen kommen? Diejenige, die selbst zu hundert Prozent aus Lügen besteht? Das kann er nicht erwarten. Das wäre nicht mein Bruder sowie ich ihn kenne.

„Und deshalb nimmst du den weiten Weg nach Seattle auf dich?" Er lehnt sich gegen die Wand hinter sich und fährt sich seufzend durch die rötliche Lockenpracht auf dem Kopf. Er muss sich anstrengen, ihn aufrecht zu erhalten, und seine ganze Körperspannung spricht davon, dass alles schnell hinter sich zu bringen, um ruhen zu können.

Er ist erschöpft, das ist nicht zu übersehen, doch ich bin auch erschöpft. Auf eine andere und Art und Weise, und schon viel zu lange, dass ich jetzt so egoistisch sein muss, um mein eigenes Wohl über das anderer zu stellen. Auch wenn es das Wohl meines geliebten Bruders ist, meines Lancelots, meines Monsterbändigers. Das Wohl desjenigen, der bis zu jenem Abend nicht in das Visier meines Verlangens geraten ist, und nun ist er das meist verlangte Opfer, dass ich vergessen habe, wann mein Puls jemals derartig gerast hat, als ich jemand so unbedingt umbringen wollte.

Er ist wie kochendes Lava unter der Haut.

„Ich habe es nicht weiter ausgehalten", antworte ich ihm und mein Ton sinkt, da ich erneut das Krankenhausbild vor meinen Augen sehe. Die traurigen Gesichter unserer Mutter, unserer Schwestern und dieser Schmerz. Dieser elendige Schmerz im Herzen. Und in diesem Augenblick realisiere, dass ich das nicht mal über meine eigene Leiche tun würde. Meinen eigenen Bruder umzubringen wäre mein eigener, qualvoller Tod. Es wäre Verdammnis. Der tödliche Schuss in das eigene Herz. „Dieser Traum..."

Plötzlich leuchten die Augen meines Bruders auf, ehe er sich mit den Händen von der Wand abstützt, als könne er ohne Hilfe keine eigene Kraft finden. „Welchen Traum, Sweetheart?", fragt er achtsam und sanft. Er will mir über die Wange streicheln, wie immer, wenn er sich um mich sorgt und so erhofft, mich besänftigen zu können. Manchmal glaube ich berührt er mich nur, weil er die traurige Hoffnung hat, so das Monster in mir vertreiben zu können. Und es funktioniert, aber nicht immer.

Ich weiche weg, da ich meine Stimmung aus brodelnder Wut und eingeknickter Angst angemessen finde. Er reagiert überrascht darauf, streicht sich aufgeregt über die langen Oberschenkel, ohne seine beunruhigten Regenaugen von mir zu nehmen. Sie werden grauer, dunkle Wolken eines Gewitters ziehen darin auf. Bald wird es eintreffen und der Donner wird einen von uns beiden aufwecken.

„Emilia?", sagt er bekümmert meinen Namen, als ich noch nichts gesagt habe, und das Gewitter will in mich eindringen. Aber ich gewähre ihm nicht den Zutritt in meine emotionale Welt. Wie Natalie mache ich denselben Fehler und schaue zu Boden, denn ich kann ihm das nicht direkt ins Gesicht sagen. Mir ist bewusst, dass ich den letzten Halt unter meinen Füßen verlieren würde, würde ich sehen, wie meine nächsten Worte das Gewitter in einer einzigen Sekunde heranzieht und wie die regenhafte, doch so bittersüße und weiche Welt meines Bruders dabei zerbricht. Mein Herz ist gegen vieles abgehärtet, aber, dass wird es nicht gegen das Leid meines Bruders sein. Niemals. Er bedeutet mir zu viel, um sein Leid unbeachtet zulassen.

„Ich träume davon, dich umzubringen, Thomas", gestehe ich mit heiserer Stimme und meine Arme sacken auseinander wie zwei Gleise, „immer und immer wieder. Nur wenn ich einmal die Augen zu mache, sehe ich dich vor mir und zwar... tot. Getötet durch mich. Ich..." Es bin nicht ich, die auf einmal ihren Kopf anhebt. Es ist etwas anderes. Etwas, das durch Schwäche an Kraft gewinnt und sich daran hinaufzieht. Und ich kann es nicht zurückhalten, lasse es das tun, und es ist lächerlich, wie ich einer grausamen Macht in mir etwas erlaube, aber nicht meinen Bruder mich beruhigen lasse.

Ich blicke in die stürmischen Regenaugen meines Bruders und meine nächsten Worte bringen alles augenblicklich zu Fall. Alles Gutgeglaubte wird vom heftigen Regen davon gespült, und zurück bleibt nichts, bis auf Leere und Schmerz. Ein Schmerz, der nicht mit eigenen Augen beschrieben werden kann, wenn man ihn nicht selber fühlt. Man sieht nur eines: er ist unermesslich und zerreißend. Der perfekte Schnitt mitten ins Herz, um alles Gute zu verbannen.

„Thomas, ich will dich umbringen. Und ich kann nicht aufhören daran zu denken."

Er fällt zurück und glücklicherweise sind seine Beine so lang, dass er es gegen die Wand schafft, um nicht umzufallen. Er fasst sich vor Verzweiflung an die Stirn, krallt sich in den Haaransatz fest und murmelt ein ständiges „Nein", das nicht hätte weniger schmerzvoll klingen können.

„Es ist doch alles so gut verlaufen!", flucht er zwischen Neins und heftigen Kopfschütteln. Ich habe meinen Bruder das letzte Mal in diesem Zustand erlebt, als ich ihm vor 3 Jahren erzählt habe, dass ich als Autorin durchstarten möchte. Er ist schon da ziemlich aufgelöst gewesen, weil er es für zu riskant gehalten hat und Angst gehabt hat, ich würde mich der Öffentlichkeit ausliefern wollen – aber nur bis zu dem Punkt, wo ich ihn darüber informiert habe, was das Schreiben bei mir bewirkt. Dann hat er es gutgeheißen und mir die Idee mit einem Pseudonym vorgeschlagen.

Plötzlich trifft mich der erweckende Donner seiner Regenaugen.

Er ist für all meine Identitäten verantwortlich. Von meinem Pseudonym angefangen bis hin zu seiner Pseudo-Freundin.

Ich schnappe rapid nach Luft und mein Bruder hebt den Kopf an, um mich mit flackernden Donner anzusehen.

„Wie lange schon?", will er wissen und er hat die komplette Kontrolle über seine bebende Stimme verloren, „wie lange willst du mich schon umbringen?"

„Seit... seit der Marvel-Party."

Seine letzten Kraftreserven geben nach. Er gleitet schlaff die Wand hinunter und wirkt wie ein verlorener, zurückgelassener Soldat, dem jegliche Hoffnungen genommen worden ist. Ein Soldat, der das schwere Gewissen auf dem Herzen zu tragen hat, dass er die alleinige Schuld für den Tod seiner treuen Kameraden trägt. Er legt die Arme über seine Knie und starrt in dieselbe jauchzende Leere, die auch in meinem Herzen haust.

„Ich hätte dich nicht mitnehmen sollen", sagt er etwas, das ich schon häufig gehört habe, und jedes Mal versetzt es mir ein Stechen in der Brust. „Dann wäre es nicht so weit gekommen. Es ist völliger Blödsinn von mir gewesen, dich überhaupt irgendwohin mitzunehmen, was meine Schauspielerei betrifft. Bestimmt ist das der Auslöser dafür. Ich und mein zu gutes Herz."

Diese Worte. Sie klingen genauso traurig und gebrochen, wenn er den Bruch einer Beziehung auf sich schiebt und nicht bei den Frauen sucht, die ihm eigentlich das Herz gebrochen haben. Aber es sind immer sie gewesen, die seine Zerbrechlichkeit zum Splittern gebracht haben und diesem Mann stetig mehr den Traum von der Liebe genommen haben wie sie Shakespeare immer dargestellt hat.

Aber es ist falsch, was er da behauptet.

Keiner von uns beiden weiß es. Auch ich nicht, und es ist nicht, weil er mich zur Lüge gemacht hat, denn er irgendwie hat es und irgendwie auch nicht. Was mich allerdings garantiert zur Lüge gemacht hat und schon seit meinem ersten Atemzug mich an meine Identität beraubt, ist dieses blutrünstige Verlangen in meinem Kopf.

„Nein", melde ich mich dazwischen und komme einen schwankenden Schritt auf ihn zu. Er sieht zu mir hinauf, doch ganz ohne Erwartungen. Er sieht mich einfach an, und es schmerzt, mich anzusehen – weil ihm klargeworden ist, dass wir uns irgendwo verloren haben. Irgendwo zwischen Lügen und warmen Neuseelandnächten. Hätten wir dies nicht, würde ihn das Verlangen ihn nicht umbringen wollen. Und da sind wir uns beide ohne Worte einig. „Es muss ein anderer Grund sein, weil ich immer glücklich gewissen bin, an diesem wichtigen Teil deines Lebens teilhaben zu dürfen, Thomas."

„Nenn mich bitte nicht so, Emi", fleht er winselnd, „das klingt so, als würdest du dich nur noch weiter von mir entfernen. Und das ist das, was ich am wenigstens will." Er starrt zu seiner Hand, ballt sie zu einer Faust und atmet tief ein und aus. Doch die Lasten gehen nicht hinfort, sie bleiben da und nehmen ihn alles, wofür er so bitterlich gekämpft hat.

„Warum?" Ich stehe nun soweit vor ihm, dass ich meine Hand ausstrecken kann und unsere Finger berühren sich leicht. „Weil du dann keinem anderem mehr erzählen kannst, dass wir zusammen sind? Also ein Paar?" Es kommt einfach über mich, da ich es nicht länger in mir behalten kann. Es hat herausmüssen, ganz egal, wie niedergeschlagen mein Bruder bereits aussieht. Wenn ich schon mit ihm rede, dann muss es raus. Alles, das meinen Damm durchbricht und sich nicht weiter aufhalten lässt. Eine stürmische Welle aus Zweifel, Bitternis und Enttäuschung.

Als hätten meine Worte Elektrizität durch meinen Körper gejagt, zuckt er zusammen und zieht seine Hand an sich. Er sieht ertappt weg und spannt seine Muskeln so an, dass die Sehnen an seinem Hals deutlich hervortreten. Es ist also wahr. Er hat mir noch eine weitere Identität aufgezwungen.

Ich lächle meine Enttäuschung weg und lege meine Hand an meine Brust, um sicherzugehen, dass mein Herz auch noch wirklich da ist und noch nicht bei dem Schmerz ausgerissen ist. Es ist da und schlägt rasend wild gegen das weiche Gewebe.

„Warum hast du das getan?", will ich wissen und wäre ich nicht so traurig, würde ich in die Hocke gehen, damit wir gleich auf sind. Aber ich bin selten die größere von uns beiden, deshalb muss ich diese offene Gelegenheit nutzen und stark bleiben. Auch wenn ich die Tränen kaum zurückhalten kann, wenn ich ihn anschreien will und darauf hoffe, das könnte den Schmerz erleichtern. Doch ich bin nicht gern die laute. Ich bin schon zu sehr in den Genuss gekommen, andere zuhören, wie sie mich schreiend zum Aufhören flehen, um meine Stimme jetzt zu erheben. „Ist es nicht länger gut gewesen, mich als eine gute Freundin zu bezeichnen? Hat es wirklich die Grenzen überschreiten müssen? Habe ich wirklich noch... jemand weiteres sein müssen, dem ich nicht entsprechen?"

Mein Bruder schweigt, und das ist das schlimmste, was er in solchen Situationen tun kann. Er kann nicht von der Stille verlangen, dass sie das für ihn erklären wird. Das wird sie nicht. Er muss das übernehmen, aber ihm fehlt offenbar die Kraft dazu. Und ich wundere mich, warum. Für ihn muss es schwerer sein, sich diesen Fehler einzugestehen als ich erwartet habe. Oder er ist nicht ganz da, kann sich auf nichts anderes mehr konzentrieren als auf das Unmögliche:

Ich will ihn nach 21 Jahren verdammt nochmal töten!

Es verstreichen Sekunden, laute Herzschläge und letztlich Minuten. Er kann mich indessen nicht anschauen, als wäre er feige geworden, und das ist er bis heute niemals gewesen. Ich weiß nicht, was in ihm vorgeht, aber ich sehe es an seinen tiefen Denkfalten zwischen den Augenbrauen und der Tatsache, dass er noch älter scheint als vorher, dass er mit sich kämpft. Traurigkeit hat schon immer Schönes bis aufs kleinste Detail zerstört. Er beißt die Zähne zusammen, doch kein einziges Wort entweicht seine Lippen. Er schließt die Augen, nimmt sich die goldene Brille aus dem Gesicht und reibt sich die Augenlider. Er reibt und reibt, kämpft und kämpft, schweigt und schweigt...

Aber es gibt keinen Ausweg.

Nicht ohne seinen Willen.

„Thomas", beende ich schließlich dieses Trauerspiel und gehe zum ersten Mal in die Hocke, um ihm die Brille aus der Hand zu nehmen. Sein Reiben hält inne. Ein Zeichen, dass er zuhört und abwartet. Er hat sich noch nicht ganz in seinen Zweifeln und Ängsten verloren. „Ich werde jetzt gehen. Natalie macht sich bestimmt schon Sorgen um mich..."

Jetzt öffnet er seine Augen, und so ein trauriger und verlassener Regentag wie der seiner Augen habe ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr erblickt. Es ist nichts aufzufinden, das auf Sonnenschein und Regenbogen hoffen lässt, oder auf Fröhlichkeit und Zuneigung. Es sind bloß Traurigkeit und Schuldgefühle. Nur die beide und keine weiteren, dunklen Wolken.

„Empfindest du Hass, S... Sweetheart?" Seine Stimme klingt so zerrissen wie mein Herz. „Ist es nicht sogar besser, wenn ich nicht bei dir bin? Um deiner Psyche ihretwillen."

Ich ziehe ihm behutsam die Brille an, streiche einige verirrende Locken hinter sein Ohr, und dann lächle ich matt. „Ich bin enttäuscht, Bruderherz. Kein Hass. Ich gebe dir genügend Zeit, mir eine Antwort auf meine Frage zu geben." Er schließt wieder die Augen, sichtlich genießend die Zärtlichkeit meiner Finger auf seiner rauen Haut, auf seiner Wange, als würde diese Berührung das ganze Üble aus seinem Kopf verbannen. „Es muss nicht heute oder nächste Woche sein. Irgendwann. Ich gehe wieder nach London zurück. Falls du eine Antwort darauf gefunden hast, dann komm vorbei. Wir trinken ein bisschen Tee, schauen uns grottenschlechte Shakespeare-Verfilmungen an und reden über Gott und die Welt, okay? Du bist nicht der Grund, warum es so ist. Es ist ein anderer. Und deshalb will ich nicht, dass du dich schuldig fühlst. Nicht deshalb. Wir beide kennen das Monster."

Er sieht mich instinktiv an und für ein paar Sekunden glaube ich, warme, freudvolle Sonnenstrahlen im traurigen Regenmeer entdeckt zu haben. Sie sind voller guten Dinge. „Okay, Rundbäckchen."

„Überanstreng dich nicht, Thomas." Dann stehe ich auf und gehe durch die Tür, während ich in meiner Umhängetasche nach meinem dringend benötigenden Balsam krame. „Verdammt!", fluche ich, „so ein verdammter Mist! So eine Kacke! So-" Sofort stoppe ich, als ich in das verdatterte Gesicht Nathalies schaue. Sie sitzt mit Mister Superman auf der Couch, womit sie einer der wenigen sind, die man noch im Raum antrifft. Viele sind bereits gegangen. Vermutlich ist die Comic Con vorbei.

„Alles okay?", fragt sie mich und begutachtet mich zur eigenen Vorsicht von oben nach unten. Aber kein Auge dieser Welt kann die Schmerzen auf der Seele sehen. Niemand kann sehen, wie er in die Seelen anderer schießt, denn das ist nicht möglich. Und so sieht man auch nie die Wunden, die man dort mit bloßen Worten und Taten hinterlässt.

„Ich habe meinen Füller vergessen", seufze ich aus Frustration, während ich mir kapitulierend die Hand gegen die Stirn lege. Mein Körper tut weh, und ganz besonders mein Herz.

„So schlimm?" Zuerst bin ich der Annahme, kurz vor dem Verrücktsein zu stehen, weil ich seine Stimme in der Richtung aus Natalie und ihrem Lover vernommen habe. Doch dann verlieren sich meine Augen keine Sekunden später in die vertraute Sänfte seiner braunen Tiefe. Er muss schon länger im Raum sein, denn er hält einen weißen Becher in der einen Hand, in der anderen einen schwarzweißen Oreo. Er lächelt mich charmant an, und ich muss mir eingestehen, dass ich gerade noch mehr in seinen Augen versinke als ich es schon tue. Allerdings geht das nicht so einfach wie gewünscht. Das Gespräch mit meinem Bruder nagt an mir wie verrückt, und ich kehre zurück und lande wieder in seinen Tiefen. Fühle den dreckigen Schmerz und gleichzeitig Freude.

Ich kann mich bloß zu einem Nicken bringen und lasse die Schultern hängen. „Wir müssen zurück ins Hotel, Natalie. So schnell wie möglich."

„Oh..." Sie blickt zum gutaussehenden Mann neben sich und setzt eins der schönsten Lächeln auf, die sie besitzt. Und das ist das schönste, was ich bis jetzt von ihr gesehen habe. So strahlend, so voller Hingabe. „Tut mir leid, Henry. Ich muss los. Wir schreiben uns, oder?"

„Natürlich", grinst der Mann ihr gegenüber. Mir wird beinahe übler als mir schon ist, wenn ich diese Flirterei in ihren Augen beobachte.

„In welchem Hotel seid ihr denn?" Tom steht auf einmal neben mir und lässt denselben scannenden Blick über mich gleiten wie meine beste Freundin. Nur bleibt er bei meinen Augen hängen, ohne dass er dieses Leuchten eines Sonnenaufgangs in seinen verliert. Es ist so schön, er ist so schön.

„Welches ist es nochmal?" Ich schweife zu Natalie, aber sie und ihr Lover können nicht die Augen voneinander neben. Also grüble ich nach, so gut es wie mit pochendem Kopf geht, und antworte. „Es ist 30 Minuten von der Veranstaltung entfernt."

Jetzt geht die Sonne erst richtig in seinem Antlitz auf. „Dann können wir zusammen dorthin. Es müsste dasselbe sein – und wenn nicht, ist das auch kein Problem. Unser Fahrer hat bestimmt nichts dagegen."

„Super! Dann kann ich noch ein wenig Zeit mit Henry verbringen!", grinst Natalie zufrieden und ihr Himmel ist ganz klar, schimmernd und erfüllt vor Zuversicht. „Tom ist bestimmt genauso eine gute Begleitung wie ich." Ihr vielsagendes Grinsen hätte nicht sein müssen, denn kaum sehe ich in Toms Gesicht zurück, wird mir ganz warm ums Herz. Und meine Wangen fühlen sich mit dem Rest der gewaltigen Hitze.

„Ist das okay für dich, Emi?" Wer kann diesen Welpenaugen schon widerstehen?

„Aber du wolltest mir doch noch was sagen!", spreche ich sie trotzdem nochmal zum gefühlten tausenden Mal darauf an. Nur beachtet sie mich gar nicht wirklich, winkt nur mit der Hand und murmelt ein „Das kann ich auch noch morgen tue." Resignierend werden meine Muskeln locker, und meine Augen verfangen sich in dem strahlenden Sonnenlicht der braunen Tiefe. „Sowie es aussieht wirst du mich die restliche Zeit an der Backe habe."

„Es ist mir eine Ehre, Mrs. Hiddleston." Ich sehe, wie mir Natalie mit offenen Mund entsetzt hinterherstarrt, als ich Tom aus dem Raum folge. Es wäre vielleicht keine schlechte Idee gewesen, hätte ich vorher nicht das Detail ausgelassen, dass Tom einer der wenigen ist, die wissen, wer ich wirklich bin.

Und irgendwie verlässt mich nicht das Gefühl, als wäre er bald der einzige, der mich wirklich kennt.

„Du hast mit deinem Bruder geredet, nicht wahr?" Tom sieht mich gespannt von der Seite aus an, und doch ist sein schüchternes Lächeln wie die Kirsche auf der Sahne. Unwiderstehlich und verlockend.

Ich seufze tief aus. „Ja, und es ist nicht gerade erfreulich gewesen."

Er nickt und sagt nichts mehr dazu, als wüsste er, dass ich ihm Fragen bezüglich dieses Gesprächs so oder so nicht beantworten werde. Ich bin immer wieder überrascht, wie einfühlsam er sein kann. Fast so, als würde er den Sinn dafür besitzen, wann er Grenzen überschreiten darf und wann nicht.

„Ich kenne das", sagt er dennoch, „von mir und meinen Bruder. Der erfolgreichste von uns zu sein hat nicht immer schöne Seiten. Es gibt Augenblicke, da wünsche ich mir, sie hätten das gleiche Glück wie ich. Oder ich könnte ihnen etwas von meinem Erfolg abgeben, sodass es gleich zu gleich ist. Leider unmöglich... aber das ist okay. Es gehört dazu, denke ich. Aber solange es nichts an unserer Bindung zueinander ändert, nehme ich das auf mich. Sie freuen sich für mich und unterstützen mich trotzdem, und das schätze ich sehr. So muss Familie sein. Immer. Und ich denke, bei dir und dein Bruder ist es so ähnlich. Ich kann verstehen, warum er dich beschützen will."

Ich blicke ihn erstaunt an und habe nicht damit gerechnet, dass seine Worte meinen Kopf tatsächlich klarer machen. Der Schlag des Donners in meinem Geist verliert an Wirkung und meine Knochen lassen sich leichter bewegen, sodass ich ihm nicht weiter hinterher stolpern muss, weil ich keine Energie aufbringen kann.

Er muss einen Augenblick unterbrechen, um seinen Manager das fremde Mädchen an seiner Seite zu erklären. Aber es dauert nur ein paar verwirrte Blicke und bisschen Nicken, dann lässt er uns in den schwarzen Van hinter der großen Halle einsteigen.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich so eng neben Tom sitze. Nur bin ich in diesem Fall ohne meinen Bruder und Toms Tiefen weichen nicht von meinen Augen. Es sind keine flüchtige Blicke wie an jenem Abend. Es sind mutige Blicke, die nicht davor zurückscheuen, sich zu verirren. Er ist bereit dazu, dieses verrückte Labyrinth mit all seinen Fallen und Gefahren auf sich zu nehmen, nur um mich zu kennen. Er will alles wissen, das sehe ich in den schimmernden Weiten seiner Sehnsucht, und doch hat er Verständnis dafür, dass ich kein offenes Buch bin, das mit jeder neuen aufgeschlagenen Seite neue Wörter und Informationen bietet. Manchmal bin ich einfach die Seite wie davor, und manchmal eine ganz andere, aber die immer noch zu diesem einem Buch gehört. Und irgendwann wird er zum Epilog des Buches kommen, und dann wird er mich kennen. Wie keiner zuvor.

„Ich hätte auch die Angst, dass das öffentliche Leben meiner Schwester an Privatsphäre und Eigenheit nimmt, denn sie würde immer mit mir in Verbindung stehen", setzt er seine vorherigen Worte dann fort und so leicht, als mache ihm den Fall in meine verkorkste Seele nichts aus. Er scheint zu wissen, warum es sich lohnen wird. Als einziger von uns beiden. „Jeder würde sie als Tom Hollands Schwester sehen, aber nicht die, die sie wirklich ist. Keiner würde sich für das Mädchen hinter Tom Hollands Schwester interessieren. Und das hat keine Schwester dieser Welt verdient. Auch nicht meine Brüder. Niemand sollte auf ein berühmtes Familienmitglied reduziert werden."

„Aber ist es besser, wenn man ihr andere Identitäten dafür aufwürgt?", werfe ich ein und meine Finger fummeln vor Nervosität an den Schleifen meines Kleides herum, da ich es kaum noch ohne meinen Füller aushalten kann. Auch Toms Anwesenheit kann das nicht vermindern.

„Ich weiß nicht... im Nachhinein ist es doch dir selber überlassen, wer du in den Augen anderer sein möchtest, oder nicht? Du ganz allein entscheidest darüber." Er hält mir einen Gegenstand hin, und ich weite überrascht die Augen auf, als ich den blauen Füller erkenne, den ich ihm heute geschenkt habe. „Für mich bist du Feathergirl", lächelt er wunderschön und ehrlich, „und niemand anderes."

Ich bin gerührt und zögere dennoch. Nicht, weil ich es nicht tun möchte oder es ist nicht direkt mein Füller ist, es ist wegen seinen Augen. Wegen diesem hellleuchtenden Licht darin. Ich spüre es nicht nur anhand des warmen Mantels von Vertrautheit und Zuneigung, der sich so zärtlich um mich spinnt, dass ich mich tatsächlich kurz zerbrechlich fühle, sondern sehe es auch. Er hat ein Licht gefunden, das ihn leitet. Er ist auf den richtigen Weg, um den Ausgang meines Labyrinths zu finden, und keiner der endlosen Fallen scheint ihn aufhalten zu können. Es ist faszinierend, wie ein einziger Blick dir die Sprache verschlägt, während du eigentlich so viel zu sagen hast. Ich will ihm danken, sagen, wie sehr mich das alles berührt, und dann will ich ihm alles über mich erzählen. Einfach alles. Aber ich habe die schlimme Befürchtung, dass könnte eine Falle für ihn sein. Diese Falle, die ihn an Zuversicht und Sonnenlicht nehmen könnte, und das will ich am wenigstens.

Ich will diesem gutaussehenden, jungen Mann nicht das Sonnenlicht nehmen. Es, er, ist viel zu schön, um von meiner Selbst zerrissen zu werden. Oder von anderen Dingen. Solche hoffnungsvollen und seelen-schönen Menschen müssen geschützt werden vor der Grausamkeit der Welt und ihren Mitbürgern, und ich fühle mich dafür verantwortlich, das Leuchten in seinen schönen Augen zu bewahren.

„Du kannst dir auf die Haut schreiben. Ich verrate es auch keinem", flüstert er mir ins Ohr und für einen Augenblick nehme ich eine warme Berührung wahr. Er lacht etwas, als ich zusammenzucken muss und vergräbt seine Nase in meinem platinblonden Haar. „Bist du etwa am Ohr kitzelig?", fragt er in dieses und mein Herz schlägt unzählige Saltos. Er ist mir so nahe wie es bis jetzt nur mein Bruder gewesen ist, und so nervös bin ich schon lange nicht mehr gewesen. Seine Nähe ist nicht unangenehm, nein, ich finde sogar Gefallen daran und könnte mich daran gewöhnen, seinen aufgeregten Atem gegen meine bloße Haut zu spüren. Ich glaube, komische und berauschende Wahrnehmungen in meinem Bauch zu haben, aber ich kann sie nicht ganz deuten. Aber ich weiß, dass sie sie sich unglaublich schön anfühlen. „Sag mir, Feathergirl, würdest du noch eine Weile bei mir bleiben? Heute Abend?" Damit entfernt er sich etwas, um mir zurück ins Gesicht zu schauen.

Ich muss unauffällig viel Sauerstoff einatmen und nehme ihm nun auch den Füller ab. Er ist überraschend so stark warm, dass man sich fast am erhitzten Metall verbrennen kann. „Was willst du denn machen?", frage ich nach und öffne die Knöpfe an meinen linken Handgelenk.

„Auf meinem Zimmer gibt es eine Wii... und Mario Kart!", strahlt er begeistert, doch seine Augen verfolgen gespannt das Szenario, wie ich die Feder des Füllers an meine Haut lege. Ich habe noch nie vor den Augen eines anderes auf meiner Haut geschrieben, aber bei ihm fühle ich mich vollkommen wohl. Ich empfinde keine Unannehmlichkeiten, sodass ich sogar die verrücktesten Dinge tun könnte, vor ihm wäre mir nichts peinlich oder unangenehm. Bei ihm kann ich sein, wer ich wirklich bin, ohne in eine andere Rolle zu schlüpfen, und das ist das Beste und Schönste, was mir an jenem Abend passiert ist.

Jemand zu begegnen, bei dem ich ich sein kann und mich nicht hinter Maskeraden und Lügen verstecken muss.

Ich bin zweifellos frei – und das an seiner Seite.

„Mario Kart?" Die ersten Worte werden geschrieben. „Ich weiß nicht, ob du mich danach noch sehen willst."

„Warum?", fragt er entsetzt und legt sich die Hände auf dem Schoß.

Ich grinse ihn mit alldem an, was er mich fühlen lässt, und ich hoffe sehnlichst, dass er dasselbe in meinem Augen findet wie ich in seinen. Sonnenlicht. Reines Sonnenlicht. Und Sicherheit und Zuneigung und Vertrauen. Er soll nicht denken, dass er einfach von vielen ist. Er soll wissen, dass er einer der wenigen ist, wenn nicht sogar der einzige, der mich ehrlich kennt. Er soll wissen, dass er nicht Spoilerboy ist, sondern eine Sonne. Und die einzige Sonne, für die ich selbst mein Augenlicht riskieren würde, nur, um ihr Strahlen nicht zu missen.

Er lacht und schüttelt den Kopf. „Wer sagt, dass du gewinnen wirst?"

Die nächsten Worte, und ich hoffe, dass er sie nicht liest. Sie handeln nämlich von ihm und wie er zum Sonnenlicht meiner Lügen geworden ist. „Ich!", rufe ich frech und strecke ihn für einige Sekunden die Zunge heraus.

Er zieht eine gespielte, eingeschnappte Mimik auf. „Du kannst mir gleich wieder den Füller geben!"

„Nö!" Ich weiche seinem Griff aus, als er mir den Füller versucht, wegzunehmen. „Du hast meinen auch mal berühren dürfen."

„Aber ich habe nicht damit auf meiner Haut geschrieben."

„Willst du es denn?" Diesmal werden meine Gesichtszüge ernster, weil ich wirklich auf seine Antwort gespannt bin.

Ich gewähre es ihm, seine Hand über meine zu legen, in der ich den Füller halte – denn ich habe mich schon wieder von dem weichen Sonnenlicht seiner Augen blenden lassen. „Nein, das ist nicht so mein Ding, weißt du? Ich stehe eher auf härteres Zeugs", grinst er und seine Finger streichen so über die Lücken meiner, dass ich kribbelnde Gänsehaut verspüre. „Aber..." Er sieht mich an und ich ihn, und wir haben so viele Fragen und Geschichten zu erzählen, dass sie förmlich in unseren Blicken glänzen. Sie wollen erhört werden, und irgendwann werden sie von unseren Herzen losgelassen, um in das Herz des anderen zu ziehen. Wir beide können es kaum erwarten wie an Weihnachten auf die Geschenke. Aber das Warten wird es wert sein. Zweifellos. „Ich würde gerne wissen, wie es sich anfühlt, wenn du mir auf die Haut schreibst", gesteht er dann und zwischen dem Spiel aus Schatten und Laternenlichtern erkenne ich eine vertraute Röte auf seinen Wangen.

„Ich habe noch nie einem anderen auf die Haut geschrieben", stelle ich laut fest und Tom lächelt mich daraufhin nur aufmunternd an.

„Vielleicht solltest du das ändern", meint er, während er seine Hand von meiner nimmt und seinen linken Ärmel hochzieht. Ich mustere seinen braungebrannten Teint, die makellose und glatte Oberfläche, und für einen Augenblick fühle ich mich komplett davon angezogen. Doch ich schüttle ab und schreibe ein neues Wort auf meine Haut.

„Nicht heute, Tom", sage ich und es kommt nur ein leises „Okay" von ihm.

„Trotzdem wirst du bei Mario Kart verlieren", fügt er dann noch wenige polternde Herzschläge später hinzu, „und zwar auf der Regenbogenbrücke!"

Ich lache und kann es nicht fassen, wie sehr er mich faszinieren kann. Er ist so ganz anders, und vielleicht deshalb, weil ich bis jetzt nur Menschen gekannt habe, die deutlich über meinen Alter liegen. Oder es ist einfach, weil er er ist und sich nicht verstellt, und das fasziniert mich so sehr an ihn.

All die Jahre habe ich damit verbracht, jemand anderes zu sein.

Und jetzt ist da er und er gibt mir die Chance, ich zu sein.

Er ist das Wunder, von dem immer Geschichten mit Happy Ends erzählen.

Aber ob das hier wirklich zu einem Happy End führen wird?

Ich hoffe es so sehr.

~*~*~

„Das ist doch unfair!" Tom wirft den Kontroller aus seiner Hand und starrt fassungslos auf den Fernseher vor sich. „Wie kannst du zum zehnten Mal hintereinander gewinnen?"

„Man muss nicht immer ein Superheld sein, um zu gewinnen", antworte ich keck, während ich nach meinen Handy greife. Natalie hat mir gerade eben eine Nachricht gesendet. Ich habe nicht antworten können, ehe ich Tom bei der Regenbogenbrücke kurz vor dem Ziel aus dem Spiel schubse.

Zufrieden lehne ich mich in die schwarze Couch zurück und gebe meinen PIN ein. Nun versperrt mir mein Handy den Ausblick auf Toms hübsches Gesicht, denn irgendwann hat er seinen Kopf einfach auf meinen Schoß gelegt und gemütlich weitergespielt, als wäre er mir nicht unglaublich nahegekommen. Das hat mir letztlich mehr Möglichkeiten geschafft, um ihn abzulenken. Und ein gewaltiges Herzrasen verursacht. Ich habe ihn erfolgreich ablenken können, indem ich ihm gegen die Haare puste, die Beine leicht anhebe oder mit einer Hand die Sicht versperre.

Mein Lächeln wird mir buchstäblich mit Worten aus dem Gesicht geschlagen, als ich die Nachricht meiner besten Freundin lese.

„Habe vorher deinen Bruder gesehen. Was hast du bitte mit ihm angestellt?! Er sah fürchterlich aus! Und wo verdammt bist du?! Ich hoffe nicht in einem Bett mit Tom, denn ich habe dich noch nicht genügend über die Bienchen und Blumen aufgeklärt. Aber ehrlich, Emi... dein Bruder. Was ist, wenn er jetzt einen Rücktritt aus dem Rampenlicht macht?"

„Autsch!" Tom richtet sich sofort auf, als mein Handy in sein Gesicht fliegt, und fasst sich mit schmerzverzerrten Augen an die Nase. „Mann, das hätte mir die Nase brechen können!"

„Oh, verdammt!", fluche ich und springe wie von der Tarantel gestochen von der Couch. „Es tut mir so leid... Ich... ich... Ich sollte bessergehen."

„Was?", nuschelt er zwischen Schmerz und Hand.

„Natalie hat mir geschrieben", antworte ich flüchtig und suche dabei nach meiner Tasche, „und es ist schon spät. Außerdem..."

Ich ziehe scharf die Luft ein, als ich das viele Blut in seiner Hand und in seinem Gesicht sehe. Mein Herzschlag beschleunigt sich wie automatisch, meine Brust hebt sich unnormal langsam ab, weil ich mich jetzt richtig zusammenreißen muss. Ich darf nicht daran zurückdenken. Nicht jetzt. Bitte nicht jetzt.

„Außerdem? Was ist los, Feathergirl?" Tom interessiert es wohl nicht, dass er ein halbes Massaker im Gesicht hat, und ich hasse diesen besorgten Unterton seiner Stimme, wenn ich für den verschleierten Schmerz in seinen Augen schuldig bin.

„A... alles gut." Rasch hebe ich mein Handy auf, um nicht weiter das gefährliche Massaker betrachten zu müssen. „Ich muss gehen. Das ist alles."

„Hey, es tut nicht so weh, ja? Warn mich bitte nächstes Mal einfach vor, wenn du Trump Tweets liest." Er kommt auf mich zu, aber ich rücke daraufhin bloß zurück. Es geht nicht mehr. Der Abend kann nicht weiter so friedlich verlaufen wie zuvor. Die Erinnerungen... Sie kommen zurück.

Das Blut.

Das viele Blut.

„Nein, Tom, ich..." Ich renne zur Tür an ihm vorbei.

Er folgt mir entschlossen. „Emilia...was ist plötzlich los mit dir? Kannst du kein Blut sehen?"

Nein, nicht wenn es durch meine Taten fließt.

Ich zögere einen Augenblick und spüre seinen durch-dolchenden Blick in meinem Rücken. „Vielleicht solltest du einen Arzt darüber schauen lassen", murmle ich leise, ehe ich meine Hand an den Griff lege und endlich hinauswill. Der Raum ist auf einmal so klein, so stickig.

Tom seufzt laut, und es tut mir leid, dass ich gehen muss. Aber ich kann nicht. Diese Erinnerung ist einer der größten Schrecken für mich. „Endet es...? Dass zwischen uns...?"

Ich blinzle überrascht.

„Ich will dich nicht aus den Augen verlieren, Emilia."

Angestrengt ziehe ich den ganzen, erstickenden Sauerstoff ein und lasse meinem Herz einfach freien Lauf. Auch dagegen kann ich nichts machen, ich bin zu schwach und Toms sonnenhafter Einfluss auf mich zu stark. „Ich dich auch nicht, Tom. Schreib mir bitte. Ich bin ab nächster Woche wieder in London... Vielleicht können wir uns treffen."

Er greift plötzlich nach meiner Hand und drückt sie ganz fest. „Unbedingt. Ich brauche nämlich Revanche."

Damit bringt er mich zum Schmunzeln, während ich einige Herzschläge lang in seiner warmen Berührung verweile. Dann öffne ich die Tür und schreite hinaus. Kaum einige Flure weiter, will ich mein und Natalie ihres Hotelzimmer öffnen. Doch, als ich zurück zu meiner Hand starre und sehe, wie sie vollgeschmiert mit Toms frischen und dunklen Blut ist, holt mich alles ein.

Dieses Mal kann kein Sonnenlicht diese Erinnerung retten, denn dort gibt es weder eine Sonne noch Licht.

Nur viel Blut.

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