» the boy with brown eyes of dancing stars.
„Oh." Ich starre ihn einfach an, weil ich nicht erwartet habe, dass mir jemand nach draußen folgt. Erst recht nicht wegen den albernden Grund, mir mein verlorenes Plüschtier zurückzubringen, als wäre es ein lebenserhaltender Gegenstand. Aber umso mehr bin ich erstaunt darüber, mit welcher Entschlossenheit er mir das Stofftier hinhält.
Als ich das sanfte Spiegeln der Sterne in seinen tiefbraunen Welpenaugen erkenne, muss ich allerdings lächeln. Er kann kaum älter als ich sein. Nicht bloß, weil er als einer der wenigen keinen Bart trägt, es ist sein ganzes Auftreten. Sein weiches Gesicht mit den großen Augen, den breiteren Wangen und den feinen Augenbrauen, wobei einer von dieser etwas wilder ist als die andere, da einzelne Strähnen aus der Form heraus stehen, und irgendwie erwische mich dabei, wie ich es als „entzückend" beschreibe. Er wirkt ein bisschen unbeholfen und nervös in dieser Situation, und sein Lächeln ist zappelig, da er nicht dazu imstande ist, meine Reaktion einzuschätzen. Sein aschbraunes Haar steht hier und dort etwas ab, hat sich bereits aus der nach zu streng gegeelten Frisur befreien können, die nicht wirklich zu ihm passt. Er scheint in der Tat nicht der normale Gast einer derartigen Veranstaltung zu sein. Wenn ich ihm mit meinem Bruder vergleiche, dann ist Tom hingegen zu ihm schlechthin der neue Prinz von England. Und dieser junge Mann... ist gewöhnlich, aber irgendwie auch nicht. Und es ist irritierend, nicht zu wissen, was ihn so ungewöhnlich macht.
„Danke", presse ich schließlich zwischen den Zähnen hervor und nehme ihm achtsam den Raptor ab.
Er nickt und will etwas erwidern, da liegen seine Schokoaugen eines unschuldigen Welpen auf meinen Unterarm. Dieser ist durch verschmierte Worte aus Tinte kaum erkenntlich, wirkt wie eine alte Schriftrolle aus dem Japanischen Mittelalter, da die Wörter ineinander verlaufen und graziöse Schwingungen aufweisen. Er verzieht das Gesicht, die eine Augenbraue wirkt noch unordentlicher als zuvor, als er sie fragend hochzieht, und dann sieht er den blauen Füller in meiner anderen Hand, an der auch schon einige Tintenflecke hängen.
„Ist das... gesund?", will er wissen, und sein Blick in meinen ertappten Gesichtsausdruck verrät mir bereits alles. Er hält mich für eine Wahnsinnige, wenn nicht sogar für einen Junkie. „Ich meine, ich habe gehört, dass Tinte krebserregend sein kann."
Ich blinzle, da seine Fürsorglichkeit mich völlig überrumpelt. „Komisch, dass sich dann andere tatsächlich Tattoos stechen lassen", sage ich mit dem Anflug eines leichten Lächelns.
Er muss zu meiner Überraschung grinsen und hebt die Hand, um noch mehr Strähnen aus dem Gel zu befreien. „Ja, richtig seltsam. Aber... du hast vorher wirklich unglaublich mit Tom getanzt. Das hat uns alle schnell die Situation mit dem Raptoren vergessen lassen."
Mir fällt es leichter mit ihm zu sprechen, wenn ich auf die geschriebenen Wörter auf meine Haut schaue. Ich setze das Plüschtier noch neben mich, da ich es schon lange genug gehalten habe, und ich will nicht ein weiteres Mal daran zurückerinnert werden, was es in mir ausgelöst hat.
„Irgendwas habe ich ja tun müssen, um diese Blamage zu retten."
„Blamage? Ich finde nicht, dass es das gewesen ist." Daraufhin muss ich ihn überrascht anschauen, und diese Wärme in seinen Welpenaugen ist so unbeschadet und ehrlich wie ich kaum die Seele eines einzelnen Menschen erblickt habe. „Darf ich mich zu dir setzen?", fragt er dann und deutet auf den Platz neben dem Raptoren. „Mir tut es auch gut, nach dem ganzen Trubel ein bisschen frische Luft zu schnappen, ehrlich zu gegeben."
„Nun, jetzt musst du mir auch erklären, warum du es nicht peinlich findest", entgegne ich ihm schmunzelnd und stecke dabei den Füller zurück in die Tasche meiner Latzshorts. Das Geschriebene auf meinem Unterarm müsste für den heutigen Abend reichen. Und wenn nicht, gibt es bestimmt noch Frauentoiletten, bei denen ich mein Ritual ungestört fortführen kann. Auch wenn sie kein so schönes Ambiente bieten wie der Ausblick des Balkons über den Sternenhimmel und die weit entfernte beleuchtete Großstadt. Doch mich interessiert in diesem Augenblick viel zu sehr, wie dieser jungen Mann mein Problem sieht und, vor allem, warum er nicht so gewöhnlich ist wie er aussehen mag.
Er streckt mir seine Hand hin, nachdem er sich mit einem freudigen Grinsen hingesetzt hat, und ich muss daran denken, wie sehr mich sein Verhalten an ein aufgeregtes Kind erinnert. Genauso muss es Tom ergehen, wenn ich bei ihm bin. Oder andere Prominente an seiner Seite kennenlerne.
„Ich bin außerdem Tom Holland. Oder auch besser gesagt: der neue Spiderman", stellt er sich mir vor und sein Grinsen ist so breit, dass das Licht der Sterne in seinen Augen nichts dagegen ist. Er grinst so, als hätte er noch nie die schlechten Seiten dieser Welt gesehen; oder er kennt sie und weiß, dass sie ihn nicht daran hindern werden, glücklich zu sein. Ich glaube, wenn eine tote Blume dieses warmherzige und sonnige Lächeln sieht, dann wird sie es sich zweimal überlegen müssen, nicht doch wieder aufzuerstehen.
„Oh man!", stöhne ich jedoch und fasse mir vor Frust an die eigene Stirn, „das ist ausgerechnet der neue Marvel-Film, den ich noch nicht gesehen habe. Es tut mir so leid, dass ich dich nicht erkannt habe, Spiderboy."
Er muss lachen, und jetzt bin ich mir sicher, dass da jede Blume wieder zurück ins Leben kehren will. Es ist so frei und schön; sowie das Leuchten in seinen jungen Augen. „Das geht zwar in Ordnung, aber du musst mir versprechen, ihn so schnell wie möglich zu schauen! Sonst bin ich schwer enttäuscht. Immerhin habe ich dir deinen Raptor zurückgebracht."
„Natürlich!", grinse ich und der Blick in seinen gespielten Hundeblick gleicht einem Stechen in meinem Herzen, weil es wirklich schwer ist, diesem zu widerstehen. Er ist wirklich Zucker. „Ich werde es sofort morgen nachholen, wenn ich zu Hause bin."
„Gut." Seine Augen blicken mich auf einmal neugierig an, und die Schüchternheit, die noch vorher seine Stimme zum Zittern gebracht hat, ist gänzlich verschwunden, als hätte es bloß ein bisschen an Grinsen und Wärme gebraucht, damit sie sich auflöst. „Du heißt Emilia, oder?"
Ich nicke zustimmend. „Aber du kannst mich gerne Emi nennen. Emilia kommt immer so höflich herüber."
„So ergeht es mir mit Thomas. Kaum einer nennt mich so, außer ich habe mal wieder einige Spoiler herausplatzen lassen."
Es ist interessant, dass er genau den gleichen Vornamen wie mein Bruder hat. Jetzt kenne ich also zwei Thomas. Aber das ist auch nicht der Grund, warum er anders ist.
„Du bist also der junge Schauspieler, der immer alle Geheimnisse ausplaudert!" Seine puffigen Wangen glühen sofort auf, als ich ihn darauf hinweise und schelmisch lächle. „Ich glaube, Spiderboy passt nicht ganz zu dir. Ich finde „Spoilerboy" viel besser, wenn man genauer ins Schwarze treffen will."
„Wow!", er blickt amüsiert zum Himmel hinauf und lässt so den leuchtenden Sternenhimmel im Braun seiner Augen schimmern, „da will man einem Mädchen helfen, bringt ihr ihr geliebtes Raptorenplüschtier von Chris Pratt und dann wird man gleich beleidigt. So dankt man einem Helden also heutzutage."
„Das Leben ist nun mal kein Marvel-Film, lieber Tom Holland", entgegne ich ihm mit einem ehrlichen Grinsen, während ich seinem Blick mit derselben Faszination gegenüber des Abendhimmels hoch hinaus folge. „Auch wenn wir uns gerne zwischen Realität und Träume verlieren."
Ich spüre es, wie seine Augen zurück zu mir gehen, aber ich will noch eine Weile die schönen Sterne betrachten, ehe sie wieder verschwinden. „Als Kind habe ich immer geträumt, Spiderman zu sein, und jetzt – na ja – bin ich es!", strahlt er, und ich muss nicht in sein hübsches Gesicht sehen, um zu wissen, dass ich gerade sterben und gleichzeitig wieder belebt werden will – von seinem atemberaubenden Grinsen. Seine warmen Worte von erfüllten Träume und Freude haben bereits in mein Herz getroffen.
„Anfängerglück!", sage ich frech und erwidere seine empörte Mimik mit einem schamlosen Grinsen. Ich betrachte ihn nun genauer, auf der Suche nach dem, was ihn so besonders macht. Doch letztlich ist es die braune Tiefe seiner Welpenaugen, die mich aufhält weiter danach zu suchen. Manche Dinge wollen gar nicht gefunden werden, sondern zeigen sich erst, sobald man bereit dafür ist.
„Warum schreibst du dir auf die Haut, Emi? Ich weiß, dass es viele Bedeutungen hat, wenn man sich etwas antut." Die Frage habe ich seit seinem ersten Blick darauf erwartet, aber ich habe nicht gedacht, dass sie nicht seine erste Frage sein wird, sondern eine von vielen. Das heißt nämlich, dass sie gar nicht so wichtig ist. Oder sie ihn schon interessiert, aber es andere Fragen und Antworten gibt, die ihn vielmehr in seinem Interesse liegen. Und, nein, das macht ihn auch nicht anders. Allerdings frage ich mich, was die anderen, wichtigeren Fragen sein können.
Ich sehe wie dazu aufgefordert zurück zu den Worten auf meiner Haut, und es sind Sätze ohne irgendeinen Zusammenhang. Einige davon werde ich für meinen neuen Roman verwenden, andere werden verschwinden und vergessen sein, sobald das Wasser mit Seife getränkt sie wegwischt. Traurig, dass ausgesprochene Worte nicht so einfach vergessen werden können. Oder aus den eigenen Gedanken verschwinden.
„Es beruhigt mich", antworte ich ihm, und ich habe kein Problem damit, so frei darüber zu reden. Meiner Meinung nach ist es nichts, wofür ich mich schämen muss oder dass von anderen skeptisch betrachten werden könnte. Ich tue mir schließlich nicht damit weh, lediglich nutze ich die Feder meines Füllers, um Frieden in meiner Seele zu schaffen. Etwas, das vollkommen menschlich ist. „Wenn mir alles zu viel wird, dann muss ich einfach etwas schreiben und alles aus mir herauslassen. Andere machen dafür Sport, um einen Ausgleich für ihre Seele zu finden, ich hingegen habe mir das Schreiben zu Herzen genommen. Und es kostet mich weniger als ein Besuch im Fitness-Studio. Ich kann überall und bei jedem Anlass darauf zurückgreifen, weil ich den Füller" – ich hole den besagten Füller wieder aus der Hosentasche und zeige ihn Tom – „immer bei mir habe. Er ist wie mein Leuchtturm in einer stürmischen Meernacht."
„Das klingt plausible", lächelt er und nimmt mir den Füller ab, um ihn genauer zu betrachten, „hat er eine besondere Bedeutung? Hast du ihn vom anderen Tom bekommen?" Er dreht ihn hin und her, als suche er nach den Initialen von mir oder meinen Bruder. Oder einen anderen Hinweis darauf, dass er zu mir gehört oder das Geschenk eines anderen gewesen ist. „Oh", kommt es dann überrascht von ihm, als er auf das trifft, was ich gerade ansprechen will. Der goldene Schriftzug eines ganz bekannten Namens. „Er gehört der Autorin E.H. Soulshot. Hast du ihn etwa gestohlen?"
„Was? Nein!", verteidige ich mich und verschränke demonstrativ die Arme vor der Brust, dann hole ich lange Luft, um für die nächste Lüge Platz zu schaffen. Es ist komisch, wie unglaublich schwer es ist, ihn anzulügen – und dabei kenne ich ihn erst seit einigen Minuten. Aber es kommt mir mehr als falsch vor, ihn anzulügen, und vielleicht liegt es daran, weil er mich so ehrlich und offen anblickt, so vertrauensvoll, als gäbe es keine einzige Fremdheit mehr zwischen uns. Und da hat er Recht. Ich fühle mich sehr vertraut mit ihm, und ich glaube, er ist einer dieser Menschen, die zwar nicht jedes Geheimnis für sich behalten können, aber die wichtigsten tatsächlich für sich bewahren.
„Den hat sie mir geschenkt, als ich sie einmal getroffen habe." Trotzdem muss ich lügen. Aus Schutz. Selbst wenn alles in meinem Bewusstsein danach schreit, endlich jemand zu erzählen, wer ich wirklich bin, einfach ein einziges Mal diesen erstickenden Vorhang von mir ziehen und freiatmen, weil ich keine Lügen mehr erfinden muss. Es ist gar nicht das Verstecken, was es so erschwert, es sind die vielen Lügen, die ich gezwungenermaßen erzählen muss, und dann ist es so, als hätte ich überhaupt zu keinem vertrauen. Außer zu meinem Bruder und den Rest unserer Familie. Das ist nicht richtig. Ist es auch nie gewesen, und doch habe ich zwischen den Verschnürungen aus Lügen und Wahrheit ein Leben erbaut. Ich wünsche mir so sehr, diesen jungen Mann alles erzählen zu können. Einfach alles. Und das muss es sein.
Das, was ihn so anders macht.
Von Anfang habe ich dieses bizarre Verlangen, ihm alles erzählen zu wollen. Es hat ein einziger Blick in die Tiefen seiner Augen gereicht, sein atemberaubendes Grinsen, und ich habe es gesehen. Blindes Vertrauen. So zerbrechlich, aber ehrlich und herzlich.
Und doch sitzen ich hier mit ihm und reime mir eine Lüge zusammen. Ich bin einfach unausstehlich.
Tom hebt verwundert die Augenbrauen hoch, als er meine Worte besser aufgenommen hat. „Du hast einer der größten Mysterien dieser Welt getroffen? DIE Autorin, von der man nichts, außer Landschafts- und Dackelbilder auf ihrem Instagram sieht?!" Seine Stimme bebt vor Fassungslosigkeit, und er hebt den Füller so fest, als würde er ihn nicht mehr hergeben wollen. Jetzt, wo er nun erfahren hat, wer der tatsächliche Besitzer ist.
Es ist immer beachtlich, mit anzusehen, wie andere auf mein Pseudonym reagieren und nicht hinter die leichtesten Lügen kommen. Öfters stelle ich mir daraufhin dann die Frage, ob es bei der denselben Reaktion bleiben würde, wäre es bekannt, wer E.H. Soulshot in Wirklichkeit ist. Tom Hiddlestons kleine Schwester mit gestörten Mordgedanken.
„Offenbar habe ich das, ja", antworte ich mit schiefen Lächeln und kräuselnder Nase und hebe ihm als Aufforderung meine Hand hin, damit er mir meine Kostbarkeit zurückgibt. „Den Füller, bitte, Spoilerboy." Als sich noch nichts tut, wird mein Blick aufdringlicher und er lächelt es einfach mit seinem belebenden Grinsen hinfort, so, dass ich kurz sogar einen Gedanken daran verschwendet habe, ihm diesen zu schenken. Ich habe noch genügend andere Exemplare zuhause herumliegen, doch dieser hier ist der erste von allen gewesen. Den kann ich nicht einfach her geben, so gerne ich seinem Hundeblick diesen Wunsch erfüllen täte.
Er zögert dennoch einen Augenblick, aber dann übergibt er ihn mir. Es sind seine Finger, die im nächsten aufgeregten Herzschlag zum anderen meine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Sie sind etwas kleinlich, kindlich, und ich merke, wie sie leicht zittern, als sie über meine Haut streifen. Ich beobachte seine Berührung genauestens, zu sehr fasziniert davon, mit welcher Vorsicht er mich berührt, als befürchtet er, mich verletzen zu können. Aber ich gewähre es ihm, dass er mit den Fingern über meine innere Handfläche streicht und die Worte nachzieht, die bereits so verschwommen sind, dass sie unerkenntlich für das Augenmerk sind.
„Ist sie eine alte Frau, die 101 Dackel besitzt?", fragt er heiser, und wir blicken uns bei dieser Frage gleichzeitig zurück ins Gesicht. Das Leuchten der Sterne ist klarer in der Tiefe seiner Augen geworden, unwiderruflich fesselnd, und ich kann mich nicht gegen diesen Ausbruch von Hitze in meinen Wangen wehren. Unsere Blicke haben sich zu fest ineinander verloren, als dass ich hätte noch klardenken können. „Oder jünger als sie geschätzt wird?" Er schafft es jedoch, noch zu reden, auch wenn seine Stimme stärker zittert und seine Wangen noch süßer aussehen, weil sie nun einen leichten Pinkschimmer tragen.
Schon bei der ersten Frage habe ich allerdings losprusten müssen. So denken die meistens also von mir? Dass ich alt bin und 101 Dackel besitze? Wie fern das von der Realität liegt ist einfach unübertrefflich.
Tom blickt mich ganz perplex an, als ich mir vor Lachen den Bauch halten muss und Tränen aus den Winkeln meiner Augen treten. Es ist urkomisch, auf was für Ideen andere kommen, wenn sie bloß Bilder und Gerüchte als einzige Vorlage besitzen. Und ich habe immer geglaubt, dass meine Bücher mehr Privates freigeben als ich es besser tun sollte, aber am Ende bleibt es für viele einfach fiktiv. Sie geben sich nicht mal die Mühe, die Wahrheit dahinter zu erkennen.
Sowie bei meinen Lügen.
„Sie ist also keine alte Frau mit einer Armee von Dackeln", stellt Tom nun für sich selbst fest, nachdem ich mich noch nicht beruhigt habe.
„Nein", bestätigte ich zwischen Lachen und Luftschnapperei und versuche, allmählich ruhig zu werden. „Sie ist nicht älter als 24." Hastig wische ich mir die Tränen weg, verstaue den Füller zurück an seinen Platz und lächle den hübschen Tom an, ehe ich wieder loslachen muss. „Tut mir leid", ziehe ich angestrengt den Sauerstoff ein, den ich gerade dringlichst brauche, „aber ich habe schon viele Spekulationen gehört. Nur diese übertrifft alles! Wie kommt man bloß darauf?"
„Hey!" Er zieht eine beleidigte Schnute und blickt mich eindringlich an. „Das habe ich selbsterfunden."
Sofort bleibt mir das Lachen im Hals stecken und mein Herz hämmert mir wild gegen die Brust, so dass ich scharf Luft einziehen muss. „W-warum?"
„Ich finde sie und ihre Werke bewundernswert", erklärt er mir bedacht, dabei kann ich aus dem Augenwinkel heraus beobachten, wie der Raptor zwischen uns immer mehr eingequetscht wird, weil er so nahe heranrückt. „Außerdem ist es echt verrückt, wie sie schon seit 3 Jahren unentdeckt geblieben ist. Sie kann ihr Privatleben weiterleben, ohne dass sich irgendwelche Medien einmischen und Lügen erfinden." Dafür muss sie aber Lügen erfinden, um ihr Privatleben geheimzuhalten, hätte ich am liebsten gesagt, doch ich nicke lediglich. „Und sie kann sich zu so viel äußern, ohne dass man direkt ihre Persönlichkeit angreift. Schließlich kennt sie keiner. Keiner weiß, wer sie wirklich ist, wie sie aussieht, wie sie lacht, ob sie dieselben Weisheiten mit den Menschen um sich herum teilt wie in ihren Büchern oder ob sie dies nur mit ihren Lesern und der Welt tut. Wenn ich an sie denke, dann denke ich daran, dass sie irgendwo das Richtige getan hat." Er wendet nur widerwillig den Blick von meinen erstaunten Augen ab und sieht zur leuchtenden Stadt in der weiten Ferne. „Natürlich wünschen sich viele Fans, zu wissen, wer sie wirklich ist, wie sie tickt und was sie gerne isst – aber sie hat auch diese Linie gezogen, die viele Schauspieler wie ich zum Beispiel nicht länger ziehen können. Sie hat den Schutz behalten, der sie davor bewahrt, von den Medien zerrissen zu werden."
„Glaubst du nicht, dass ihr das selber auch einiges kostet?" Ich beiße mir angespannt auf die Unterlippe, als er mir zurück in die Augen sieht und die Trauer darin achtsam auffängt. Aber er frägt nicht nach, er nimmt sie wahr und akzeptiert sie, und das ist irgendwie beruhigend. Er scheint zu verstehen, dass es noch nicht die Zeit dafür, diese Trauer zu hinterfragen. Sie ist noch zu weit entfernt von dem, was wir hier gerade aufbauen – und doch wünsche ich es mir sehnlichst, dass es nicht allzu lange dauern wird, bis der Zeitpunkt richtig ist. „Alles auf dieser Welt verlangt seine Kosten. Sei es das Verstecken vor den Medien – oder das Leben mitten in den Medien."
„Wie alt bist du, Emi?" Diese Frage wirft mich aus dem Konzept.
Ich kann es nicht vermeiden, dass mein Ton vor Nervosität schwankt. „W... wieso willst du das wissen?"
Niemand von uns beachtet den Raptoren, als er von der Bank zu Boden fliegt.
„Du wirkst jünger als Tom, aber nicht weniger wortbegabt wie er."
„Oh." Ich schmunzle etwas. „Ich bin 21 Jahre alt."
Er reißt die Augen vor Schock auf und ruft die nächsten Worte fast zu laut, dass ihn noch einer aus dem Gebäude hören wird: „Du bist genauso alt wie ich!"
Vor Verwirrung runzle ich die Stirn und mustere seinen überwältigten Gesichtsausdruck verständnislos, weil ich von Anbeginn an davon ausgegangen bin, dass er mein Alter richtig eingeschätzt hat. „Sollte ich das nicht sein?", bohre ich deswegen vorsichtshalber nach.
„Nun..." Verlegen hebt er sich die Hand in den Nacken und reibt sich diesen ein wenig, während seine Wangen verräterisch aufglühen, „da du Toms Begleitung bist, habe ich dich durchaus über 30 geschätzt. Aber du hast einfach verdammt jünger ausgesehen, als dass ich hätte glauben können, dass du schon so alt bist."
Es hätte für mich klar sein müssen, dass mich andere an diesen Abend für deutlich älter halten als ich bin. Alleinig wegen dem Faktor, dass ich Tom Hiddlestons Begleitung bin und mein Bruder bereits über 35 Jahre alt ist. Nicht gerade der jüngste. „Ist das jetzt ein Kompliment oder eine Beleidigung, Spoilerboy?"
„Ein Kompliment", grinst er über beide pinken Wangen hinweg, als wäre es das einfachste, was er bis jetzt zu mir gesagt. „Ich erfinde schließlich nicht gleich beleidigende Spitznamen für neue Bekanntschaften."
„Hättest du denn einen für mich?" Erwartungsvoll warte ich auf seine Antwort. Erst in diesem Moment stelle ich fest, dass sich unsere Schultern berühren. Die ganze Distanz zwischen uns ist verschwunden, als wären wir mit jeder angeschlagenen Minute aneinander nähergekommen, und, als wir uns beide in die Augen sehen, wissen wir, dass es wahr ist. Diese Vertrautheit, dieser Witz und diese Offenheit in unseren Worten hat immer mehr von der Fremdheit genommen. Jeden so winzigen Schnipsel davon, und nun blicken wir uns mit blanken Vertrauen und einer bedeutungsvollen Wärme gegenseitig an. Ich beiße mir in die Wange, kämpfend gegen das bittere Bedürfnis, ihm die vollkommene Wahrheit zu erzählen, und es gehört mit Abstand zu einer der schwierigsten Momente, die ich noch zu überstehen habe.
Es funkeln so viele Sterne in seinen fesselnden Augen wie ich Geheimnisse auf dem Herzen trage und jedes davon will von ihm erhört werden wie er die Sterne sieht.
Aber ich kann das nicht. Das könnte ein massiver Fehler sein. Und ich will diesen wundersamen, jungen Mann nicht gleich wieder verlieren. Ich will gerne noch für ein Weilchen mich von den tanzenden Sternen in der Tiefe seiner Augen treiben lassen.
Er sieht mich direkt an, und ich kann es erkennen, wie er am Grübeln ist, aber gleichzeitig mit etwas anderen zu straucheln hat. Es hängt mit mir zusammen, und vielleicht ergeht es ihm genauso wie mir. Vielleicht muss er sich genauso davor zurückhalten wie ich, sich nicht in die Augen des jeweiligen anderen zu verirren wie in einem großen Labyrinth voller unentdeckten Abzweigungen und Geheimnissen. Aber es ist nicht leicht, denn du willst dich eigentlich darin verirren, willst wissen, was sich darin verbirgt und was dich am Ende davon erwarten wird.
„Feathergirl", antwortet er dann begeistert und seine Augen ruhen für ein paar Sekunden auf den Federanhänger an meinem Choker, „es muss ja nicht immer gleich beleidigend sein. Es reicht, wenn er zu einem passt – und Feathergirl passt zu dem Mädchen, das mit einem Füller ihre Haut in ein Kunstwerk verwandelt." Damit schafft er es, dass mein Gesicht stärker glüht als all die ganzen Sterne am Horizont zusammen. Solch etwas Schönes höre ich zum ersten Mal, und mein Herz hämmert mir verrückt gegen meine Brust, dass ich befürchte, er könnte diese Zweisamkeit zwischen uns mit seinem Klopfen stören. Aber ich glaube, es gibt nichts, das diesen Augenblick ruinieren kann.
Nichts, das je schöner gewesen ist als das jetzige Funkeln in Toms ehrlichen Augen.
„Emilia!" Wir schrecken beide auf, als mein Bruder wie aus dem Nichts auf uns zu rennt. Natürlich. Mein Bruder. Es kann nur er sein, der doch ein Schatten über dieses neugefundene Licht wirft. „Endlich habe ich dich gefunden!" Ganz außer Atem bleibt er vor uns stehen, dann sieht er irritiert zwischen mir und den anderen Tom her. „Ich habe mir schon Sorgen gemacht...", flüstert er und seine beunruhigten Regenaugen haften an mir.
Ich muss schlucken, als ich den wilden Sturm darin wüten sehe. Es wäre besser gewesen, wenn ich ihm Bescheid gesagt hätte.
„Ich habe gut auf sie aufgepasst!", grinst Tom stolz und nicht nur mein Augenpaar weitet sich vor Entsetzen, als er tatsächlich seinen Arm um mich legt. Dann zieht er mich auch noch leicht zu sich hinüber, sodass mein Herz gleich in Ohnmacht fallen wird. „Und nun weiß ich auch, warum du nicht stillhalten kannst, wenn du uns über Emilia zählst. Sie ist wirklich toll."
Mein Bruder nickt nur knapp, und Tom an meiner Seite kann sich glücklich schätzen, dass er bereits seinen Arm aus dem Blickfeld genommen hat. Er starrt nämlich auf meinen Unterarm und ich kann sehen, wie all die Panik und Wut aus seinem Gesicht weicht. Seine Augen werden weicher, kleine Sonnenstrahlen bilden sich darin, und dann schaut er mir zurück ins Gesicht.
„Die Party geht jetzt richtig los, Emi", meint er monoton und anhand des Ausdrucks in seinem Gesicht weiß ich, dass ich nicht nochmal zu einer Veranstaltung dieser Art mitkommen darf. Seine Angst bezüglich diesem ist angestiegen. Der Grund dafür ist Schwarz auf Weiß auf meiner Haut geschrieben.
„Dann können wir auch mal zu zweit tanzen. Habe ich dir schon gesagt, dass ich ein unheimlich guter Tänzer bin?" Tom lächelt mich aufgeregt an und hilft mir beim Aufstehen, weil meine Beine sich schwer und wackelig anfühlen. Ich will ihn gerne ansehen, erneut in das braune Sternenmeer versinken, aber vor mir steht mein Bruder und ich will ihm nicht das zeigen, was ich in Tom gefunden habe. Ich habe die unangenehme Vermutung, dass er mir das – ihn – wegnehmen könnte.
„Wetten wir, ich kann besser tanzen?", erwidere ich nur, weil ich ihn nicht wortlos ignorieren kann, und dann habe ich mich voll ganz aus seinem Arm befreit.
„Das werden wir sehen." Er macht mein Herz ganz schwach, da er nicht aufhören kann, mich mit seinem atemberaubenden Grinsen anzusehen. Selbst dann nicht, wenn ich dicht an meinem Bruder zurück in die große Halle gehe. Er bleibt an meiner freien Seite und grinst wie ein Honigkuchenpferd. Er ist tatsächlich eine besondere Art von Person. Eine Person, die ich so schnell nicht aus den Augen verlieren will.
„Ich sollte noch..." Ich deute auf meinen Unterarm und mein Bruder nickt mir zu.
„Ich komme mit." Und es gibt keine Widerrede.
Spoilerboy scheint zu verspüren, dass ich noch etwas mit meinem Bruder zu klären habe, und lässt uns alleine. Aber nicht ohne mir gesagt zu haben, dass wir uns später auf jeden Fall wiedersehen werden und tanzen.
Weil ich mich nicht gleich in das Feuer meines Bruders liegen will, lasse ich mir auf der Toilette mehr Zeit, um die Tinte wegzubekommen. Ich verbringe einige Minuten damit über die Stelle in meinem Handinneren zufahren, die Tom berührt hat, und ich bin enttäuscht, dass sie nicht dasselbe auslöst. Hätte es mir aber denken können, schließlich bin ich nicht der Sonnenjunge mit dem atemberaubenden Grinsen. Das Missen nach ihm kommt viel zu schnell, und so trete ich mutig aus der Frauentoilette heraus.
„Geht es dir gut? Hat Tom dir irgendeine unangenehme Frage gestellt?", stochert der Tom los, dessen Labyrinth ich schon lange nicht mehr durchqueren muss, und ich ziehe mühevoll viel Luft ein.
„Alles in Ordnung, Bruderherz", versuche ihn zu beruhigen und komme auf ihn zu, um ihn meine Hand auf die Schulter zu legen. Ich muss mich dabei leicht auf die Zehenspitzen stellen, sonst würde ich mir durchaus den Arm ausrenken. „Wir haben ein nettes Gespräch geführt."
Er atmet erleichtert auf und streicht mir sachte ein paar blonde Strähne von der Wange. „Geht es dir besser? Oder sollen wir voreilig zurück in unser Hotel?"
Ich schüttle den Kopf. Bloß der Gedanke daran, den anderen Tom so schnell nicht wiederzusehen tut auf eine bestimmte Art und Weise weh. „Lass uns noch ein bisschen tanzen und den anderen zeigen, dass wir die besseren Tänzer sind."
Er lacht auf, während er mich an die Hand nimmt. „So kenne ich dich, Rundbäckchen."
Als wir in den großen Saal zurückkehren, sind alle Tische und Stühle zur Seite geschoben. Nun bietet sich eine gigantische Tanzfläche und niemand mehr wird einem bestimmten Film zu geordnet. Jetzt sind sie alle wieder eines: normale Menschen mit tanzenden Herzen.
Kaum haben wir die Tanzfläche betreten, kommt der andere Tom auf uns zu. Zuerst habe ich erwartet, dass mein Bruder uns nicht tanzen lässt, als er aber dann zu Chris geht und sich ein weiteres Bier bestellt, weiß ich, dass ich nun mit Adleraugen beobachtet werde. Nur kein Hindernis, um nicht mit Tom zu tanzen.
„Ich habe dich schon vermisst, Feathergirl", flüstert er mir ins Ohr und grinst mich so strahlend schön an, als hätte er gerade die Sonne aufgehen gesehen. Dann zieht er mich eilig mit sich auf die Tanzfläche. „Und ich habe dir noch gar nicht erzählt, warum dein vorheriges Drama gar kein Drama gewesen ist", setzt er fort und ich blicke ihm in das funkelnde Augenpaar, während ich ungeduldig auf die Antwort warte, auf die ich gefühlt eine Ewigkeit schon gewartet habe. Die bunten Lichter tanzen in seinen Augen, und sie sind wie ein anziehendes Kaleidoskop. Jetzt tue ich es einfach. Ich lasse mich darin fallen.
„Du hast schockiert so süß ausgesehen, dass du uns allen damit das Herz gestohlen hast", gesteht er mir und vor mir steht plötzlich der schüchterne, junge Mann, der mir vor wenigen Augenblicken noch mein Raptorienplüschtier zurückgebracht hat. Aber mit einem Unterschied: Ich kenne seinen Namen und weiß nun, was ihn so besonders macht.
Ich beuge mich mit glühenden Wangen zu seinem Ohr hin und grinse vor Aufregung. „Vielleicht werde ich dir dein Herz nie wieder zurückgeben, Spiderboy."
Er nimmt mich an beiden Händen und schüttelt belustigt den Kopf. „Dann werde ich wohl den Füller als Ersatz bekommen, richtig?"
Und dann drehen wir uns Kreis, während ich herzhaft lachen muss.
Und wir drehen uns, so dass vor meinen Augen ein eigenes Kaleidoskop entsteht. Es glitzert wunderschön in all den Farben, die das Universum uns zu bieten hat. Es ist einzigartig und belebend; sowie dieser Moment.
Wir drehen uns und Tom lacht mit mir.
Wir drehen uns und unsere Herzen tanzen für uns.
Wir drehen uns, und plötzlich wird es mir bewusst.
Ich will Tom nicht töten. Ich habe nicht mal ein einziges Mal in seiner Gegenwart daran gedacht. Es ist beinahe, als hätte ich es sogar in seiner Anwesenheit vergessen, dass solche Mordgedanken überhaupt existieren. Als wäre ich jemand völlig anderes, jemand, der endlich von dieser Plage befreit worden ist, und ich muss einfach innehalten. Aber ich sehe nicht zu den hübschen Jungen vor mir, ich sehe zu meinem Bruder und fange seinen kritischen Blick auf.
Und das erste Mal in meinem Leben sehe ich, wie er vor meinen eigenen Augen umkippt, Blut schäumt aus seinem Mund, als er zuckend am Boden kauert. Andere schreien verzweifelt nach Hilfe, Chris packt ihn am Kragen und rüttelt ihn wie wild. Aber alle Hilfe kommt zu spät. Ich schlucke, meine Hände zittern und mein Herzschlag ist teufelswild.
Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich meinen Bruder umbringen möchte.
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