home is calling me
Hier ist es. Das letzte Kapitel. Ich kann es nicht fassen, dass es beinahe vorbei ist(es folgt noch ein Epilog), aber so ist es. Die Geschichte nimmt ihr Ende. Und damit wohl auch meine letzte FF, da ich mich danach endlich auf ein eigenes Buch konzentrieren möchte.
Bevor ich noch irgendein Gefühlsduselei anfange, halte ich euch nicht auf und verschiebe das auf den Epilog. Und deshalb: viel Spaß! (Und vielleicht würden eure Wünsche ja erhört 😉 )
Liebe Grüße,
Sternendurst
~*~
Home is calling me
„Tom?" Wieso steht er vor dem St. Mary's hospital? Wo ist Natalie? Sie hat mir versprochen, mich hier zu treffen, weil ich es nicht allein schaffen würde. Ich brauche das wohl jetzt. Die Nähe wichtiger Herzensmenschen. "Solltest du nicht untersucht werden?"
Er hat sich offensichtlich umgezogen und ist nun ganz in Schwarz. Er trägt einen engen Rollkragenpullover unter der Lederjacke, enganliegende Jeans mit einem Nietengürtel und Ankleboots. Ich habe ihn selten komplett schwarz tragen sehen, oder überhaupt in solch einer Kleidungsschicht. Seine braunen Locken sind etwas zurückgegelt, nur einzelne Strähnen fallen über sein erfreutes Gesicht. Irgendwas wirkt daran verändert, aber ich kann nicht genau deuten, was es ist. Er scheint wie ein anderer Tom zu sein, den ich noch nicht kenne, und das löst ein mulmiges Gefühl in mir aus. Und seltsamerweise auch Neugierde. Wer ist dieser Tom, der nun vor mir steht?
„Sie sind bereits fertig", sagt er zufrieden und kommt auf mich zu, „es ist alles in Ordnung mit mir. Harrison hat mir neue Sachen vorbeigebracht, während sie mich untersucht haben. Meine Familie wollte schon vorbeikommen, aber..." Er verzieht seine Lippen zu einem verschmitzten Lächeln, vergräbt mit verlegenem Blick die Hände in seinen Jackentaschen und hebt die Schultern an. Seine Lippen kneift er leicht zusammen, als er meinen ahnungslosen Blick bemerkt.
„Aber?", hacke ich deswegen unruhig nach.
„Als ich ihnen erzählt habe, dass du gleich vorbeikommst, haben sie verstehen können, dass ich erstmal mit dir allein sein möchte." Seine Stimme wird höher und heiser, weil er eindeutig nervös ist. Dann verändert sich sein Blick plötzlich. Er wird verletzlicher, einsamer und doch ist da Hoffnung in seinen braunen Tiefen von Trauer. „Natalie hat mir geschrieben. Sie findet es besser, wenn ich jetzt bei dir bin und wir über alles reden können. Ich habe ihr nur zustimmen können, weil..." Er holt seine rechte Hand heraus und greift nach meinem Handgelenk. Ich fühle es an der Art, wie er mich festhält, dass er voller Verzweiflung ist und sich in seinem Labyrinth verwirrt hat, aber genau deshalb braucht er mich jetzt. Er ist sich sicher, dass nur ich ihm auf den richtigen Weg führen kann. „Wir müssen unbedingt reden, Emi. Bitte", fleht er und blickt mir tief in die Augen.
Wenn das ein weiterer Versuch meiner besten Freundin ist, mich und Tom wieder zueinander zu führen, ist das wirklich ein dreister Schachzug von ihr. Sie nimmt keine Rücksicht auf meine Gefühle oder darauf, wie ich mich momentan fühle, und das tut wirklich weh. Es ist das letzte Puzzleteil, das gefehlt hat, um mich an diesem Tag zum Brechen zu bringen. Ich kann es gar nicht aufhalten. Es kommt einfach über mich.
„Ich..." Ich will weg. Mich am liebsten auf der Stelle auflösen und dem allem entkommen, was wie eine gigantische Welle über mich einschlägt. Ich glaube zu ertrinken, einfach so, aber da ist Tom und er drückt meine Hand ganz fest, als könnte er sehen, wie alles in mir zusammenbricht.
„Du musst dir keine Sorgen um Bill machen." Er rückt näher heran. „Ich habe mit den Ärzten gesprochen. Er wird es schaffen. Er hat den Schuss überlebt." Tom schenkt mir ein warmes Lächeln und streichelt mit seinem Daumen sanft über den Rücken meiner zittrigen Hand. „Alles wird wieder gut, Emi. Auch das mit uns... Du und ich, das außergewöhnliche Feathergirl und der wunderbewirkende Sonnenjunge. Wir können uns endlich ein Happy End schreiben."
„Nein!" Er weicht erschrocken zurück, weil ich so unkontrolliert laut spreche. Ich schüttle den Kopf und mache so einen Schritt zurück, dass zwischen uns eine gewisse Distanz ist. Eine Distanz, die mich davor schützt, nicht vor ihm zu zerfallen. „Nichts wird wieder gut, Tom! Du hast mir das Herz gebrochen. Du... du hast mich einen Schmerz fühlen lassen, den ich keinen auf dieser Welt wünsche! Nicht mal dir, obwohl du mir das angetan hast. Du hast gewusst, dass ich dich brauche, dass ich ohne dich nicht kann... aber du hast mich aufgeben. Du hast uns aufgegeben, weil du gefürchtet hast, mich an den Totenschreiber zu verlieren. Aber ich hätte alles dafür getan, dass es niemals so weit gekommen wäre."
Tränen treten nicht nur in meine Augen. Ich versuche sie zwanghaft wegzublinzeln – weil ich Bill versprochen habe, heute nicht noch ein weiteres Mal traurig zu sein. Aber wie soll das möglich sein, wenn ich so schrecklich einsam bin? Wie, wenn alle möglichen Happy Ends für mich unaufhaltsam in meinen Händen zerfallen? Wenn da nichts ist, woran ich mich festhalten kann? Dass mich stützt und auffängt, weil ich bin bloß noch am Stürzen. Tiefer und tiefer in die Gruft, die einst mein geborgener und sicherer Zufluchtsort gewesen ist. Jetzt ist da nichts übrig von Liebe, Wärme oder Sicherheit. Bloß diese unerträgliche Leere und diese verdammte Verzweiflung, die mich so in ihrer Kontrolle hat, dass ich nichts gegen sie ausrichten kann. Ich zerfalle lediglich.
Es braucht einen Moment, bis ich tief Luft geholt habe und weiter sprechen kann.
„Außerdem hast du zu mir gesagt, dass ich keine Ahnung von der Liebe habe... dass... dass es besser ist, wenn ich aufhöre, an sie zu glauben. Und weißt du was, Tom? Ich glaube, du hast Recht. Ich fange langsam damit an. Dieser Tag – heute – hat mir offenbart, dass ich nicht dafür geboren worden bin, um geliebt zu werden. Ich sollte gefürchtet sein – als eine Mörderin."
„Emilia..." Tom verzieht vor lauter Herzschmerz das Gesicht. Sein Handgriff wird stärker, doch seine vertraute Nähe und Wärme prallt an mir ab wie bei einer Mauer. Das ist eine bittere Erkenntnis. Wer hätte gedacht, dass mein Zuhause mich jemals so weit bringen wird? Zum Ende meiner Selbst.
„Es hat eine Zeit gegeben, da habe ich das anders gesehen. Da habe ich mich geliebt gefühlt und es hat sich so verdammt richtig angefühlt, dass ich mich mit allem daran geklammert habe. An dieses schöne und unvergessliche Gefühl, aufrichtig geliebt zu werden und dasselbe zurückgeben zu können. Da sind wir zusammen gewesen, Tom. Du hast mich gehalten wie kein anderer zuvor und ich habe so vieles in dir gefunden, wonach ich verzweifelt in dieser unfairen Welt gesucht habe. Jetzt ist es weg." Er weitet die Augen, als ich es schaffe, mich aus der Gefangenschaft seines Elends zu befreien, und vorsichtshalber zurückweiche. „Ich habe dir das Leben gerettet, dafür, dass du mir die schönen als auch die furchtbaren Seiten der Liebe und der Welt gezeigt hast. Du hattest mir ein Zuhause gegeben. Du hast mir geholfen, zu mir selbst zu finden. Aber ich glaube, ein Happy End gibt es nicht für uns. Nicht in dieser Welt."
„Aber wir haben nur diese Welt..." Tom spricht diese Worte ganz leise aus, aber ich kann sie deutlich vernehmen. Jedoch halten sie mich nicht davor auf, an ihm weiter vorbeizulaufen.
Ich vermute, dass, umso länger ich bei ihm bleibe, ich noch mehr an Einsamkeit und Schmerz spüren werde, bis ich vollkommen den Verstand und Halt verliere. Aber es macht das nicht einfacher. Auf keinen Fall. Es ist so, als würde ich durch einen Dornenstrauch laufen. Alles reißt an mir, schürt neue und alte Wunden auf und mit jedem weiteren Schritt bebt mein Körper mehr und mehr, als würde ich gleich umfallen wie ein angeschossenes Tier. Ich fühle mich trotz der vorherigen Kaltdusche wie gerädert und kann kaum atmen. Das hilft mir überhaupt nicht dabei, mich von den Wundern Toms zu verabschieden.
Doch seine Wunder und Magie wirken nicht länger bei mir. Ich bin gegen sie immun geworden. Traurigerweise. Er hätte derjenige sein können, der mich an diesem Tag vor dem Zusammenfall geschützt hätte, aber er hat schon davor den Entschluss gefasst, mich lieber am Ende zu sehen.
„Das ist eine Lüge!" Auf einmal packt er mich am Oberarm und zerrt mich zurück zu ihm. „Du hast mich auch aus einem anderen Grund gerettet, das weißt du. Und zwar, weil du mich liebst. Immer noch. Du glaubst an die Liebe. Irgendwo in dir drin tust du das, sonst hättest du das niemals getan." Sein Blick ist hart. Da ist nichts von Verzweiflung oder Schwäche. Er ist wieder dieser Tom, der mir völlig unbekannt ist. „Du musst es mir nicht sagen, Emi", seine Stimme ist tief und kratzig, und die Überzeugung darin bringt meinen Puls zum Rasen, „aber ich werde alles dafür tun, um dich wieder für mich zu gewinnen. Ich werde dich nicht aufgeben. Du bist die Liebe meines Lebens, Emilia Hiddleston. Das sagt mir mein Herz. Und wenn ich um dich kämpfen muss, dann werde ich das tun. Du kannst dich auf den wunderbewirkenden Sonnenjungen verlassen."
Dann lässt er mich los, bloß, um seine Arme um mich zu schlingen, damit er mich komplett an sich ziehen kann.
„Tom, hör auf", ermahne ich ihn mit zittriger Stimme und verkrampfe mich in seiner Umarmung. Diese Umarmung ist hart und ich fühle mich wie ein gebrechliches Skelett in seinen Armen, das gleich zerbrechen wird. „Du bist doch derjenige von uns beiden, der gerade Lügen erzählt. Also, bitte, hör auf mir noch mehr das Herz zu brechen." Ich kann ihm nicht glauben. Er hat zu viel von meinem Herzen zerstört, und nun tut selbst diese eigentlich beschützende, herzerwärmende Zuneigung mir den Atem nehmen. Mein Hals fühlt sich klumpig an, während ich die Zähne fest zusammenbeißen muss, um nicht den ganzen Schmerz aus mir herauszulassen.
Er starrt mich kurz an, dann neigt er den Kopf leicht nach oben und drückt mich an den Schultern. „Nein", wispert er rau, „wenn ich dir das Herz gebrochen habe, dann werde ich auch derjenige sein, der dich davon befreien wird. Das musst du mir glauben."
Ich kann es nicht verhindern, dass mir einzelne Tränen über das Gesicht laufen. Er ist wieder da. Dieser entsetzliche, doch auch betäubende Schmerz und mit ihm eine stumpfe Leere, die mich daran zurückerinnert, dass es in dieser Welt ohne Magie und Wunder trotzdem noch Licht gibt. Nur nicht das Schimmern von braunen Tiefen.
„Das ist nicht möglich..." Ich muss es ihm sagen. Er muss es wissen.
Aber er lässt mich nicht weitersprechen.
„Ich werde einen Weg für uns finden, Emi. Es wird immer einen von uns geben, da bin ich mir sicher. Schließlich..." Er fährt mit seinem Daumen ganz vorsichtig über meine Wange, so, als hätte er Angst, mich erneut zu brechen, und wischt die Zeichen meines gebrochenen Herzes weg. Seine zärtlichen Berührungen lassen mein Herz ganz eigenartig fühlen, weil es noch so betäubt vom Schmerz ist und ich verunsichert bin, ob das hier wirklich richtig ist. „Schließlich kenne ich dich genauso wie du bist, und ich kann das Verlangen akzeptieren. Das bist nicht du, du bist keine Mörderin. Du bist und bleibst für mich das außergewöhnliche Feathergirl. Und ich weiß, dass das außergewöhnliche Feathergirl nicht ohne ihren wunderbewirkenden Sonnenjungen sein kann." Er lächelt mich etwas an; unsicher, weil er nicht einschätzen kann, wie ich darauf reagieren werde. Aber es scheint das einzig richtige für ihn zu sein, mir das zu sagen, mich so zu berühren wie er es gerade tut, als hätte er niemals vergessen, wie zerbrechlich ich tatsächlich bin.
Seine Worte sind schön. Und ich realisiere, dass sie es wirklich sind. Die vollkommene Wahrheit.
„Tom, ich..."
„Sag es nicht", unterbricht er mich sofort, da er offensichtlich spürt, wie ich mich für einen Augenblick entspannt habe, ehe mein Körper wieder schlottert. „Wir werden ein Happy End haben, egal, wer und was zwischen uns steht. Das verspreche ich dir."
Ich hebe den Kopf an, um ihn in die braunen Tiefen zu sehen. Sie funkeln hell und klar wie das vertraute, warme Sonnenlicht, das mich nicht vor allzu langer Zeit in Geborgenheit gewogen hat. Auf einmal habe ich das seltsame Gefühl, als würde ich aus einem Tiefschlaf erwachen. Ich staune und mein Herz macht einen wilden Purzelschlag, weil ich es plötzlich nicht nur sehen, sondern auch fühlen kann. Es ist noch fest in mir verankert, als hätte ich es niemals verloren. Aber es ist direkt vor mir, hier bei Tom und seinen Wundern.
Hier ist es – mein Zuhause. Mein wunderschönes und sicheres Zuhause.
Es ist ein wunderschönes, unbeschreibliches Gefühl, es in dieser entsetzlichen Einsamkeit wiederzufinden. Sein Anblick erfüllt mich mit Wärme und Sicherheit, Gänsehaut sprießt über meine Haut, und da ist Toms Hand, die achtsam mein Kinn anhebt, damit ich noch tiefer in seine Augen sehen kann. Kann das wahr sein? Trägt Tom wirklich noch mein Zuhause bei sich? Mein Herz scheint mir bereits zu signalisieren, dass dem so ist.
Denn die Gruft in meiner Brust scheint für einige aufgeregte Herzschläge lang nicht mehr zu existieren, als würden die Funken seines Sonnenlichts mich einnehmen und den großen Schmerz einfach verschwinden lassen. Aber wenn das so ist, ist das ein Wunder. Genau eins dieser Wunder, zu die nur der Sonnenjunge fähig ist. Die Mauer scheint wie durchbrochen zu sein, weil ich alles plötzlich genauso fühlen kann wie es mal gewesen ist. Wie ein eindeutiges Zeichen dafür, dass es sich so gehört. Und vielleicht ist das sogar richtig.
Vielleicht ist das richtig, was gerade geschieht.
Schließlich sind Wunder immer da, wo sie gebraucht werden.
Und Tom ist und bleibt das größte Wunder dieser Welt für mich.
Ich fühle, wie diese Feststellung in mein Herz sickert und die letzten Steine einer gebrochenen Mauer hinfort spült. Doch da sind noch viel schönere Gefühle, wie das Festhalten von Toms Arme, die mich davor abhalten, endgültig zu zerfallen, oder wie das wilde Schlagen meines Herzens, das wieder dort angekommen ist, wo es hingehört: nämlich in Toms Labyrinth. Er hat es wirklich geschafft. Er kann wieder zu mir durchdringen, und das nur, weil seine Liebe echt ist und gerade in diesem Augenblick von Wiederfinden und Zusammengehörigkeit nicht blockiert ist. Sie ist frei und erreicht direkt mein nicht mehr so angeknackstes Herz.
In all den letzten Stunden habe ich mich nicht so sicher und vollständig gefühlt wie jetzt in seinen Armen. Und weil ich dorthin nicht zurückwill, nicht in diese einsame Gruft, schmiege ich mich wohl behütet an ihn und kann behaglich die Augen schließen, ohne dabei das Gesicht meiner Mutter zu sehen.
Dann kommt es endlich über mich.
Es ist vorüber. Der Totenschreiber existiert nicht mehr. Es muss ein weiteres Wunder sein, dass ich sie endlich spüren kann. Zwar schlottere ich in Toms Armen wie ein verängstigtes Rehkitz, doch es ist nur deshalb, weil mich eine riesige Erleichterung überkommt. Ich muss nie mehr um meine Liebenden fürchten, muss keinen mehr anlügen oder verletzen, und vor allem kann ich endlich ich selbst sein, ohne mich verraten zu müssen. Die Welt kennt mich seit heute und alle wissen ab sofort, dass ich nicht der Totenschreiber bin. Ich bin wie jede andere junge Frau in meinem Alter, die verzweifelt nach ihrem Weg und sich Selbst in dieser verrückten Welt sucht – aber es gibt einen einzigen Unterschied, der mich doch von ihnen abhebt: Ich weiß bereits, wohin ich gehöre.
„Ich weiß nun, wie du dich fühlst, außergewöhnliches Feathergirl", sagt Tom so warm wie flüssiger Honig, während er mich an sich presst. Er legt für einen Augenblick seine Lippen auf meine Stirn wie ein Kuss, der mich beruhigen soll. Ein Balsamkuss der Rettung und des Zusammenhaltes. Er passiert so schnell, dass ich gar nicht darauf reagieren kann. „Sei dir sicher, ich werde dein Herz von Neuem erobern, denn du gehörst ganz sicher zu mir." Unerwartet löst er sich danach von mir und geht einen Schritt zurück. „Ich hoffe, wir werden uns bald wiedersehen. Sowie es in dem Vokabular des außergewöhnlichen Feathergirl steht."
„Tom!" Nun bin ich derjenige, der hoffnungsvoll nach seiner Hand und ihn zurückhält. Ich blicke ihn wehleidig an, weil ich nicht möchte, dass er aus meinem Labyrinth tretet, nachdem ich ihn erst wieder hineingelassen habe. „Wohin gehst du?", frage ich ihn und drücke mit letzter Hoffnung seine Hand.
Er erwidert das Drücken meiner Finger und setzt ein Lächeln auf, das unwiderstehlich ist, weil es so voller Freude und vertrauter Wärme ist. Seine braunen Tiefen leuchten deutlich auf, als ich das Lächeln schüchtern erwidere und die Distanz zwischen uns mit einem Schritt auflöse.
„Ich habe dir alles gesagt, was mein Herz loswerden musste. Aber jetzt sollte ich zu meiner Familie und du auch, Emi", antwortet er mir und er ist ungewöhnlich ruhig für so einen bitteren Abschied. Auf einmal habe ich ihm so viel zu sagen und zu erzählen, was auf meinem Herzen liegt, dass ich selbst ins Stocken gerate. Es sind zu viele Wörter von Bedeutung. „Eines gibt es allerdings noch..." Mein Herzschlag beschleunigt sich rasend, als er mein Gesicht in seine rauen Hände nimmt und mir so tief in die Augen blickt, dass ich spüren kann, wie da längst nichts mehr ist, das sich vor ihm verbirgt. „Ich habe dich vermisst, außergewöhnliches Feathergirl."
„Ich... Ich dich auch, wunderbewirkender Sonnenjunge", stottere ich zwar, aber das macht keinen Unterschied, dass es sich gut anfühlt, ihn so zu nennen. Als wäre er tatsächlich wieder an meiner Seite.
Er schaut mich an wie die Quelle für sein strahlendes Licht, das ihm erst dazu verhelft, Magie und Wunder zu vollbringen. Oder noch genauer: wie jemand, den er von ganzem Herzen liebt. Das ist dieser Blick, von dem mein Bruder mal gesprochen hat. Der Blick eines liebenden Mannes, der die Liebe seines Lebens gefunden hat. Er geht direkt ins Herz und scheint dort für immer befestigt zu sein, als wäre genau dieses... sein Zuhause. Wir haben nach allem doch ein gemeinsames Zuhause. Genau das scheint er damit ausdrücken zu wollen. So simple, aber auch so voller Tiefe und Schönheit.
Ich mache ihn glücklich und er...
... mich auch, auf eine magische und unverwechselbare Weise.
Er lässt mich los, und ich bemerke dabei, wie schwer es ihm fällt, da er auf diesen Augenblick so lange gewartet hat. Aber ich bin mir sicher, dass er es nicht vergessen hat, was ich ihm als Letztes vor unserer Trennung gesagt habe.
Er wird immer einen Platz in meinem Herzen haben.
Mein Herz ist schwer, als ich durch die großen Gänge des Krankenhauses gehe. Die grellen Lichter sind bereits angeschaltet. Draußen wird es dunkel. Es riecht nach strengem Desinfektionsmittel, Seife und irgendwie auch nach Hoffnung. Ich sehe mich aufmerksam um und entdecke einen Raum voll mit wartenden Besuchern. Die meisten davon müssen Väter sein, denn laut der Frau an der Rezeption müsste ich mich nun auf der Station der Neugeborenen befinden. Sie sitzen in schwarzen Stühlen aneinandergereiht vor einem großen Fernseher. Einige von ihnen haben dunkle Schatten unter den Augen, andere trinken gemütlich einen Kaffee und schauen auf ihr Smartphone. Und dann gibt es die Väter, die nervös an ihren Nägeln kauen oder mit den Knien auf- und abwippen. Sie können es kaum erwarten, haben zeitgleich die Angst, dass etwas schieflaufen könnte und sie entweder ihre Frau oder ihr Kind verlieren werden.
Mein Bruder gehört zu dieser Sorte von „bald-werdender"-Vater. Aber ich kann nicht genau sagen, was ihn mehr beunruhigt. Die Geburt seines Kindes – oder von dem heutigen, schicksalswendenden Ereignis, von dem gerade eine Nachrichtensprecherin im Fernseher spricht.
„Und ich wiederhole es nochmal gerne: der Totenschreiber ist beim Einsatz der Polizei ums Leben gekommen. Sein Mordspiel ist offiziell vorbei. Die Welt ist wieder in Sicherheit. Wir alle werden heute Nacht friedlich schlafen können. Bedanken wir uns alle bei der Londoner Polizei und der großartigen E.H. Soulshot, die mit ihrer Zusammenarbeit den Polizisten erst ermöglicht hat, den Serienmörder aufzuspüren."
Sie stellen mich so hin, als wäre ich eine Heldin. Aber ich weiß etwas, das sie nicht wissen: ich bin fernab von einer Heldin. Und eigentlich will ich gerade bloß zu meinem Bruder und ihn fest in die Arme schließen. Also mache ich das auch, weil es gibt kein Verlangen mehr, das mich zurückhält, und kein Totenschreiber mehr, der ihn mir wegnehmen könnte.
„Tom", flüstere ich den Tränen nahe und presse mich instinktiv an den überraschten Briten. Aber es dauert bloß ein paar Sekunden, bevor er mich ebenfalls in die Arme zieht, mich auf seinen Schoß setzt und seinen Kopf gegen meinen drückt.
„Rundbäckchen", sagt er ganz aufgelöst und seine Stimme ist rauer als sonst. „Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht. Ich habe die Nachrichten verfolgt und..."
„Es ist alles gut", unterbreche ich ihn und schmiege meinen Kopf gegen seinen Pullover, „es ist vorüber. Wir haben es überstanden, mein Bruder. Wir haben den Totenschreiber besiegt." Ich realisiere es immer mehr, umso länger ich in seinen Armen bin und mich das Gefühl überkommt, als würden mich all meine Sorgen verlassen. Das geht wirklich – und nur in den Armen meines geliebten Bruder Toms. „Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Ich wusste nicht, dass... dass das alles so schnell passieren wird."
Er drückt mich etwas von sich, aber lediglich deshalb, um mich mit seinem honigwarmen Grinsen direkt in die Augen zu sehen. Ich habe es vermisst von ihm so angesehen zu werden. So geliebt wie eine richtige Schwester. Da ist keine Angst mehr um mein Leben, keine Sorgen, ob ich etwas richtig oder falsch tue, und kein Schleier, der mein Ich vor ihm verbirgt. Sein Blick hat nur vollkommene Liebe für mich übrig.
„Du kannst nichts dafür, Rundbäckchen. Du hast mit dem Herzen entschieden, und darauf bin ich stolz auf. Ich bin auf dich stolz, weil du das alles so einfach gemeistert hast", gesteht er mir und streicht mir dabei achtsam ein paar Strähnen hinter das Ohr, „und jetzt wirst du damit belohnt werden."
„Indem ich Patentante werde?", bohre ich keck nach.
Er wird sofort rot und scheint gleich vor einem Schweißausbruch zu sein. Das Vaterwerden ist ihm wohl noch nicht ganz bewusst.
„Nein", brummt er und schüttelt den Kopf, als müsse er die Vorstellung von sich als Vater schnell wegwerfen. Er schluckt und die Erleichterung in seinem Gesicht zeigt mir, wie viele Nerven ihn die letzten Stunden gekostet haben. Ich kann mir vorstellen, was für ein Horror es gewesen sein muss, nicht zu wissen, wie es der eigenen Schwester geht. Dasselbe habe ich durchlebt, als der Totenschreiber ihn überfallen hat. „Dir steht nichts mehr im Weg, dein Leben genauso zu leben wie du es dir vorstellst. Ich werde dich vor keinem mehr verstecken, Sweetheart", sagt er anschließend und drückt mich dabei an sich. „Auch Lyn nicht. Von heute an wird das Versteckspiel vorbei sein. Für uns alle."
Es fühlt sich seltsam an, nach den letzten Ereignissen so breit zu grinsen, aber es ist ebenso schön und befreiend. „Also wird sich für uns beide heute das Leben verändern", stelle ich zufrieden fest.
„So sieht es aus", erwidert er mit einem wohl genauso großen Grinsen und dieses klare Leuchten in seinen Regenaugen ist wie der Sonnenaufgang in Neuseeland. Er durchbricht die Schwärze über sein Herz und lässt es endlich frei, sowie die Sonne den Himmel von der Nacht befreit. In Neuseeland hat sich jeder Morgen wie ein Neuanfang angefühlt; und jetzt bin ich mir sicher, dass dieser Neuanfang ein ganz besonderer ist. Für uns beide.
„Ich denke, Lyn wird es gefallen, wenn sie später von deiner Begegnung mit dem Totenscheiber hören wird. Ich natürlich auch. Wirst du nochmal deshalb verhört werden müssen?"
„Sie meinten, dass es möglich ist", antworte ich ihm, auch wenn ich von dieser Idee nicht wirklich begeistert bin. Es ist keine schöne Geschichte. Überhaupt nicht. Es ist eine Tragödie und der Untergang meiner Vorstellung einer Mutter, die mich tatsächlich liebt.
Ich wundere mich, ob die Nachrichten bekanntgegeben haben, dass es sich bei dem Totenschreiber um meine Mutter gehalten hat – oder ob sie dieses Detail beabsichtigt oder nicht ausgelassen haben. Vielleicht ist es besser so. Ich selbst habe es nämlich noch nicht ganz verarbeitet, und ich kann auch nicht genau sagen, ob ich das jemals tun werde. Sobald ich das realisiert und akzeptiert habe, wird sich etwas in mir öffnen, das ich lieber noch geschlossen halten will, weil ich nicht weiß, was es ist. Es ist auf keinen Fall ein Akt von Befreiung. Danach fühlt es sich nicht an, aber wonach dann ist nicht eindeutig.
Mein Bruder mustert mich von oben nach unten, bevor er die Stirn in die Falten legt. Was hat er wohl gefunden, dass ihn so beunruhigt? Er scheint plötzlich wie auf der Hut vor etwas zu sein, und das verwirrt mich soweit, dass ich mich lieber neben ihn setze. Ich schließe die Augen, lehne den Kopf in den Nacken und atme einmal tief aus.
„Was ist los?", bohre ich dann nach und schaue ihn gespannt an, während ich meine Finger auf den Schoß zusammenfalte. Es ist merkwürdig, wie ich mich bei etwas ertappt fühle, wobei ich gar nichts getan habe. Jedenfalls nichts, das ich mitbekommen habe.
„Möchtest du überhaupt hier sein?"
Sofort weite ich die Augen und setzte mich wieder aufrechthin, um ihn entsetzt anzusehen. Mein Herz klopft wie verrückt, dabei erhitzt sich der Saal unangenehm und wird stickig. „Wie kommst du darauf?", stelle ich eine Gegenfrage und kneife vor Anspannung die Lippen zusammen. Etwas poltert in mir, dass ganz bestimmt nicht mein Herz ist. Es ist das Etwas, das ich fest dahinter verschlossen habe. Der schlummernde Albtraum in der Gruft meines Herzens.
Seine Regenaugen strahlen Besänftigung aus, als er seine Hand auf meine Schulter legt und sich seine Lippen zu einem weichen Lächeln formen. „Du wirkst so, als würdest du gerade am liebsten woandershin. Ein Raum, oder jemand, zieht dich momentan an. Wenn er dir Sicherheit gibt, dann geh zu ihm, Sweetheart. Ich werde dir Bescheid geben, sobald das Kind da ist."
Ich verziehe das Gesicht und mein Herzschlag wird holpriger. „Wen meinst du genau?"
Aber er hat Recht. Irgendwie werde ich mit jeder weiteren Sekunde zappelig, als würde alles um uns herum mich elektrisieren. Als würde ich mich gegen unser Universum sträuben und es würde dies bemerken, mich praktisch von sich abstoßen. Doch in diesem Moment brauche kein Universum, das mich von sich abstößt. Ich brauche eindeutig mein Zuhause.
„Ich habe gehört, Bill ist dabei gewesen. Vielleicht möchtest du ihn besuchen?" Er sieht mich mit einem schelmischen Grinsen an, das noch von seiner Rolle als Loki übriggeblieben ist. Es ist listig und düster, aber in keiner Weise boshaft. Es dient mehr dazu, mich zu sticheln. Sowie ich meinen Bruder kenne, ist das sein Versuch, sich von seiner eigenen Nervosität abzulenken. Er versucht immer ins Schwarze zu treffen, wenn er fürchterlich aufgeregt ist und selbst nicht klar denken kann. Aber in all den letzten Jahren habe ich gelernt, wie ich zurückschlagen kann.
„Solltest du nicht lieber bei Lyn sein, wenn sie dein Kind bekommt? Schließlich wirst du Vater und ich habe gehört, es soll einer der schönsten Augenblicke im Leben sein, wenn das erste, eigene Kind geboren wird", entgegne ich mit einem tückischen Unterton und schenke ihm ein fuchsähnliches Lächeln.
Panik bricht schlagartig über sein müdes Gemüt aus. Er wischt sich eilig über die Stirn und holt einen langen Atemzug. „Ich habe gehört, Frauen sind unausstehlich, wenn sie ein Kind bekommen."
„Hast du etwa Angst?", hake ich genauer nach und lehne mich zu ihn hinüber.
„Na ja..." Er zieht den Kopf ein, als würde er seine sonst große Gestalt verstecken können, und blickt mich mit großen Regenaugen an. Über den Regen zieht ein stürmisches Gewitter vorbei, es schlägt Donner und Blitze, aber der Regen ist ruhig. Der Regen scheint einem ganz anderen Takt zu folgen als das Gewitter. Es ist wie ein Tanz aus Angst und Freude. „Lyn ist ganz schön aufbrausend."
Jetzt muss ich lachen und für einen Augenblick spüre ich das Etwas nicht an meinem Herzen kratzen. Es ist wie eine lästige Katze, die unbedingt hinauswill, aber man lässt sie einfach nicht. Sie wird wilder, wütender. Irgendwann wird sie damit anfangen, Dinge kaputt zu machen.
„Du solltest trotzdem bei ihr sein, Bruderherz", versuche ich ihn zu überzeugen und fasse mir an das eigene Herz, während ich mit der anderen Hand seine nehme, „denk dran, diese Chance wird es nicht noch einmal geben. Außerdem weißt du nun, dass es mir gutgeht. Du musst nicht länger auf mich warten. Geh zu Lyn, fang dein Leben als Vater an..." Bei den letzten Worten ringe ich mit mir selbst, weil mir die Tränen in die Augen steigen. Das ist das wirklich mal zu meinem Bruder sagen würde. Ich hätte nicht daran gedacht, ihn eines Tages als einen Vater zu sehen, und nun bin ich hautnah dabei. In einer der vielen Sälen passiert es gerade; sein Kind wird geboren und aus dem verlorenen, jungen Mann mit dem gutmütigen Herz wird ein richtiger Vater.
Ich bin so stolz auf ihn, dass er endlich die richtige Frau gefunden hat und der Schmerz der anderen von ihn losgelassen hat. Es ist schön, ihn auf eine andere Weise in Anspannung zu sehen. Nicht deswegen, weil ihn eine andere Frau erneut das Herz gebrochen hat und er Angst hat, sie könnte sein ganzes Leben mit einem einzigen Satz in der Presse ruinieren. Jetzt muss er sich keine Sorgen mehr darum machen – weil er sie gefunden hat. Die Frau seines Lebens, seine Seelenverwandte, die Frau, mit die er garantiert alt werden wird.
„Ich weiß nicht...", murmelt er mit Unsicherheit in der leisen Stimme und sieht mich aus einer Mischung von Verzweiflung und Sänfte an. Ich habe das schrecklich-schöne Gefühl, als würde es das letzte Mal sein, dass ich ihm als kleine Schwester zur Seite stehen werde, weil er danach einen Weg gehen wird, den ich noch nicht kenne. Ich wünsche mir, ich könnte ihn dorthin begleiten, doch mir ist gleichzeitig bewusst, dass er diesen Schritt allein machen muss.
„Es ist in Ordnung, Thomas. Ich werde-„
„Sie müssen Miss Emilia sein, oder?" Eine Krankenschwester unterbricht mich, als sie in den Raum kommt. Ich nicke ihr zu. Sie lächelt voller Zufriedenheit und kommt zu uns hinüber. Dann hält sie mir ihre Hand hin. „Bill hat mich darum gebeten, Ihnen das zu geben. Er hat die Operation gut überstanden, aber er ist gleich danach eingeschlafen. Ich würde Ihnen raten, morgen früh vorbeizukommen, außer..."
„Ich werde die ganze Nacht hier sein", rede ich ihr dazwischen und nehme ihr Bills Halskette aus der Hand.
„Es könnte länger dauern, bis er wirklich aufwachen wird."
„Ich habe alle Zeit der Welt." Da verstummt sie einfach, nickt bloß und geht hastig wieder, als wäre ihr diese Situation unangenehm gewesen. Verwirrt blicke ich ihr nach, aber mein Bruder lenkt mich schnell wieder auf ihn zurück, ehe ich noch weiter über die komische Krankenschwester gegrübelt hätte.
„Dann werde ich dich bei Bill abholen?" Er steht auf, plötzlich von Entschlossenheit gepackt und doch flackert Unruhe in seinen Regenaugen wie ein Donner. Es muss ein komisches Gefühlsbündel sein, wenn man weiß, dass man gleich einen neuen Lebensabschnitt beginnen wird. Irgendwie aufregend und beunruhigend zugleich, da man nicht voraussehen kann, wohin dieser Weg führen wird. Allerdings bin mir ziemlich sicher, dass für meinen Bruder die Zeit dafür gekommen ist. Für sein Happy End mit einer Frau, die ihn genauso liebt wie er sie. Ich weiß, dass das sein größter Wunsch ist, und selbst, wenn der wunderbewirkende Sonnenjunge nicht hier ist, ist ein Wunder am Geschehen. Ich fühle seine Präsenz, als wäre er in mein Herz zurückgekehrt, und auf einmal hört das Universum auf mich abzustoßen.
Ich will meinem Bruder antworten, ihm sagen, dass ich stolz auf ihn bin und mich nicht größer für ihn freuen könnte, als mir der Anhänger von Bills Kette ins Blickfeld gerät. Die Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt. Das Symbol der Endlosigkeit. Und dasselbe Symbol wie auf dem Ring des Totenschreibers.
„Ich..."
„Alles gut?" Mein Bruder blickt mich besorgt an, aber ich will ihn nicht diesen einen Augenblick rauben. Also erhebe ich mich von meinem Stuhl, schlinge meine Arme um seine Mitte und drücke mich so fest an ihn wie ein Versuch, bei ihm das Gefühl zu hinterlassen, ich würde immer da sein. Bei ihm.
„Alles gut, Bruderherz. Ich werde nur nochmal kurz nach Hause gehen und mein Laptop holen. Ich glaube, ich bin so inspiriert wie noch nie nach heute."
„Bist du dir sicher?" Er gibt nicht nach und presst mich so an sich, dass ich seinen schweren Ballast fühlen kann. Plötzlich fühlt sich das nach Abschied an und ich weiß nicht, ob es daran liegt, weil das Monster aus meiner Herzgruft entkommen ist.
„Ja, das bin ich. Ganz sicher", versuche ich es weiter und strenge mich an, nicht in Tränen auszubrechen. Mein Herz ist wieder schwer und die Luft hier in diesem Krankenhaus ist unglaublich stickig. Ich muss hier raus. So schnell wie möglich.
Er schiebt mich mit den Händen an den Schultern weg und sieht mir direkt in die Augen. „Ich glaube dir, Sweetheart", lächelt er ehrlich und dieses Lächeln setzt ein Stechen in mein Herz frei. Dann beugt er sich auf einmal zu mir und drückt mir einen festen Kuss auf die Stirn. „Ich liebe dich, Schwesterherz", flüstert er und seine funkelnde Regenaugen blicken in meinen Wald. Kann er durch das Dickicht sehen, oder ist es tiefer als zuvor? Kann er die Wahrheit sehen? Und wenn ja, warum hält er mich nicht auf? Ich weiß nicht, was schlimmer ist. Dass ich wirklich so gut im Lügen geworden bin, dass mein Bruder mich nicht mal mehr durchschauen kann, oder dass ich das überhaupt tun muss. „Du bist wirklich zu einer starken Frau herangewachsen und ich hoffe, Bill sieht das genauso." Er lässt mich los, um einen Schritt weg zu weichen. „Lass uns endlich die Vergangenheit vergessen, Emi."
Wenn es bloß so einfach wäre...
Trotzdem nicke ich und versuche, ein nicht allzu übertriebenes Grinsen aufzusetzen. Die Schlange in meiner Hand glüht richtig wie Eisen im Feuer, weil ich sie so fest zusammenpresse. Als hoffe ich, sie und ihre Bedeutung dadurch vernichten zu können.
„Lass uns das tun, Bruderherz."
Er dreht sich um und will gehen, hält aber überraschenderweise für einen kurzen, holprigen Herzschlag nochmal inne. Mein Herz schlägt hat, meine Hoffnung verstärkt sich, dass er mich doch noch aufhalten wird... „Es ist schön, wieder meine Lieblingsschwester bei mir zu haben." Aber dem ist nicht so.
Das schmerzt, obwohl er hundertprozentig das Gegenteil damit bezwecken will. Ich will ihm nachgehen, ihm die ganze Geschichte vom Totenschreiber erzählen, doch da erkenne ich, dass ich sie selbst nicht mal kenne. Ich weiß nicht wirklich, wer der Totenschreiber ist. Ich weiß nur, dass er meiner Mutter die Liebe genommen hat und jeder Person dasselbe antun wird, die mich liebt.
„Ich liebe dich auch, Bruderherz. Über alles." Die Worte sind ein leises Flüstern. Vielleicht die letzten Worte, die ich an meinen Bruder gerichtet habe, und das bittere Gefühl von Abschied verstärkt sich. Es ist schrecklich. Ich werde nicht dabei sein können, wenn mein Bruder die ersten Stunden in seinem Happy End erleben wird. Ich werde ihn nie so glücklich, gerührt und stolz sehen, wenn er sein eigenes Kind in den Händen hält und realisiert, dass er nun Vater ist. Ich werde ihn vielleicht nie als Vater sehen. Oder überhaupt wieder.
Doch manchmal muss man eben Opfer bringen, um endlich die ganze Geschichte zu erfahren.
Auch wenn es die glücklichsten Momente meines Bruders sein werden...
Es ist auf gar keinen Fall leicht, das Krankenhaus mit diesem Gewissen zu verlassen. Oder meinen letzten Instagrampost zu schreiben. Es ist nicht leicht, diesen Schritt zu wagen. Aber niemand hat jemals gesagt, es ist einfach, all das aufzugeben, was einem dazu verholfen hat, zu dem zu werden, der er heute ist. Oder sich einzugestehen, dass er es wirklich doch noch geschafft hat. Jetzt verstehe ich auch, wieso ich zuerst keine Euphorie empfunden habe.
Weil es da nichts gab, worüber ich mich hätte freuen können.
Der Totenschreiber ist nicht besiegt.
Ich sitze seit einer Weile vor meinem Laptop, habe mich von zu vielem verabschiedet, und dieser Ring in meiner Hand offenbart mir ebenso zu vieles. Zu viel Schreckliches vor allem. Er ist pechschwarz und stellt eine Schlange da, die sich in den eigenen Schwanz beißt. Sie ist endlos. Der Totenschreiber ist endlos. Er wird immer leben – und zwar in jenen, die von dem mörderischen Verlangen heimgesucht werden.
Ich bin eine davon.
Bill auch.
Aber ich bin die Tochter des Totenschreibers und ich habe noch lange nicht meine richtige Aufgabe in dieser wahnsinnigen Welt erfüllt. Jetzt weiß ich nur, was ich wirklich zu tun habe, um den Totenschreiber für alle Male auszuschalten. Meine Mutter hat mir dabei geholfen. Tatsächlich – diese irre, einsame Frau, deren man die Fähigkeit zu lieben geraubt hat, hat mir meinen richtigen Weg offenbart. Ich will lieber gar nicht darüber nachdenken, von wie vielen Kinder und Familienangehörigen er wichtige Personen genommen hat. Nicht nur durch den Tod, sondern auch durch sein eigenes Vorhaben. Jemand muss ihn aufhalten. Jemand muss ihn und sein Schlangennest finden, um weitere Familie zu beschützen.
Das ist erst der Anfang gewesen. Sowie es meine Mutter schon angedeutet hat.
„Diese Welt wird bluten, verstehst du? Und du wirst ein Teil davon sein. Wir sind überall... aber ohne einen richtigen Anführer können wir unsere Aufgabe nicht beginnen. Deshalb brauche ich dich. Wir brauchen dich, mein Kind."
Ich habe es verstanden. Endlich tue ich das. Mein Entschluss steht fest.
Meine Hand umklammert fest die Schlange an meinem eigenen Hals, die andere Hand ist bereit, auf die Enter-Taste meines Laptops zu klicken.
„Sind Sie sich sicher, dass Sie Ihren Instagramaccount löschen möchten?"
Ja. Ich bin es. Ich bin mir so sicher wie noch nie bei etwas, dieses Übel für immer zu beenden.
Es macht Klick!, und ich lasse mich mit dem Rücken ins Bett fallen. Langsam schließe ich die Augen, atme tief ein und aus, und meine Wohnung wird um mich herum zu einem Skelett. Es hält mich in sich gefangen, doch es ist schon lange nicht mehr mein Zuhause oder derartiges in dieser Richtung. Nichts zwischen den vielen Lücken hat noch Bedeutung für mich. Das hier ist nicht mein Neufang, oder ein Teil davon. Hiervon muss ich mich verabschieden. Von E.H. Soulshot, von Rundbäckchen, von Tokfia und... von Feathergirl. Das letztere fällt mir am schwersten. Es wundert mich nicht länger, warum es kein Happy End für mich gibt. Dafür ist es noch zu früh, und ich muss mir erschlagen eingestehen, dass es weder Bill noch Tom ist. Und doch ist da dieser bittere und schmerzhafte Teil in mir, der sich sehnlichst Tom an meine Seite wünscht.
Ich fühle mich von Bill nicht verraten. Ich habe keine Ahnung, wie es ist, im Schlangennest des Totenschreibers zu sein, aber ich kann mir vorstellen, dass sie diesem bezaubernden und aufopferungsvollen Mann etwas genommen haben, das er nie wieder zurückbekommen wird. Ich möchte auch nicht an seine Liebe zweifeln, da sein See nie gelogen hat. Für ihn bin ich seine Seelenverwandte. Jedoch, Bill hat von einer neuen und schönen Welt gesprochen. Für uns beide. Hat er damit das Schlangennest gemeint? Oder hatte er vorgehabt, sich aus ihren Fängen zu befreien? Ich könnte ihn so viele Fragen stellen, wenn er aufwachen würde. Allerdings wird er schon mit etwas anderem zu kämpfen haben.
Er wird blind auf einem Auge sein. Er wird nicht neben seiner Seelenverwandten aufwachen. Stattdessen neben einen Brief, der ihm verraten wird, dass ich fortgegangen bin, um mein eigenes Happy End zu vollenden. Ohne ihn.
Es tut mir furchtbar leid, dass es soweit kommen muss. Dass ich ihm nicht so eine Stütze sein kann wie er mir gewesen ist. Doch wenn ich nicht gehe, wird der Totenschreiber immer wieder auferstehen. Das darf ich nicht zulassen. Wenn ich wirklich seine Tochter bin, macht mich es auch dafür verantwortlich, sein Grauen zu beenden.
Das Klingeln meines Telefons reißt mich aus den Gedanken. Ich richte mich rasch auf und gehe hinüber, um den Anrufbeantworter anzuschalten. Eigentlich ist das schwachsinnig, weil ich die darauf hinterlassenen Nachrichten wahrscheinlich nie hören werde. Schließlich werde ich nicht gleich nach zwei Tagen wieder zurückkehren. Mir ist bewusst – wenn auch mit schmerzenden Herzen – dass ich vielleicht nie wieder hierher zurückkommen werde. Ich sehe zu den Bildern in meinen dunkelbraunen Regalen und spüre, wie es sich die Gruft in meinem Herzen gemütlich macht, als ich all die familiären und lächelnden Gesichter mit Wehmut betrachte. Ist das der Zeitpunkt, wo mich die warme und schöne Liebe verlässt? Ich will gar nichts loslassen. Von niemanden. Abschied ist immer so schwer; so eine riesige Hürde, die man überwinden muss, wenn man nicht weiß, ob man noch einmal wiedersehen wird.
Auf einmal tönt das Signal meines Anrufbeantworters, als jemand eine Nachricht hinterlässt:
„Hey, Emilia! Hier ist Tom." Tom, wie der wunderbewirkende Sonnenjunge. Aber er hört sich nicht so sonnig an, mehr hysterisch und durcheinander. „Ich weiß nicht, ob du schon wieder in deiner Wohnung bist oder nicht... aber es ist etwas Komisches passiert! Wirklich! Ich... Ich komme am besten zu dir. Zu deiner Wohnung und warte auf dich, okay? Falls du da bist... bitte, mach auf. Bitte." Er hört sich so verkrampft an, als würde er gerade mit sich selbst kämpfen. „Emilia, außergewöhnliches Feathergirl, ich glaube..." Er braucht nochmal einen zweiten Anlauf. Offensichtlich fallen ihm die nächsten Wörter unglaublich schwer, aber warum? „Ich glaube, das Verlangen ist in mir erwacht." Dann verstummt er.
Vor Schock fällt mir ein Foto aus der Hand und zerfällt in mehreren Scherben auf dem Boden. Seine letzten Worte stehen wie ein verbotenes Echo im Raum. Mein Herz klopft furchtbar wild gegen meine Brust und in meinem Hals entsteht ein fetter, trockener Klumpen. Ich sehe zu meinen Händen, und sie zittern so stark, als hätte ich vergessen die Heizung anzustellen. Wie ist das möglich? Was ist passiert, dass Toms Wunder zu Albträumen werden? Ich will das nicht glauben. Nicht der wunderbewirkende Sonnenjunge. Das ist nicht wahr. Bestimmt hat er nur schlechtgeschlafen, oder er hat irgendein Trauma durch die Entführung erlitten. Aber nie, niemals, hat er dasselbe Verlangen in sich wie ich. Das ist unmöglich.
Bitte, lass das nicht wahr sein.
Hätte ich es verhindern können? Ist es vielleicht sogar meine Schuld? Habe ich Tom zu sehr in diese Gruft mitgerissen? Habe ich Tom in die Fängen der Schlange gelockt?
Mir ist schlecht und meine Schläfen pochen unangenehm. Ich will gerade ins Badezimmer und mein Kopf unter kaltes Wasser halten, da klingelt es an meiner Haustür. Mich hält nichts auf. Ich stürme sofort los und reiße die Tür fast aus den Angeln heraus, als ich sie öffne.
Da steht er vor mir.
Der wunderbewirkende Sonnenjunge, den ich versucht habe, vor allem Übel dieser Welt zu beschützen. Doch ich bin herzlich daran gescheitert, denn ich habe es nicht geschafft ihn vor dem Schlimmsten zu schützen: dem Totenschreiber und das furchtbare Verlangen.
„Ich weiß, was du vorhast", sagt er aufgeregt und sieht mich zu meiner Verwunderung mit einem entschlossenen Blick an, „und ich werde mit dir kommen, egal, wohin es gehen wird. Ich bin bereit dazu, außergewöhnliches Feathergirl. Ich bin bereit, mit dir diesen Schritt zu gehen. Lass uns gemeinsam dieses Verlangen vernichten!"
Ich bin verwirrt und kenne diesen Tom nicht, der da vor mir steht. Es ist dieser Tom in Schwarz gekleidet, den ich noch nicht kenne, aber der mich, ehrlich zugegeben, unheimlich anzieht.
„Wie?" Mehr bringe ich vor Gewirre nicht raus.
Statt mir zu antworten, tut er etwas, mit dem ich auf keinen Fall gerechnet habe. Er nimmt mein Gesicht in seine vertrauten Hände und küsst mich. Er küsst mich einfach so, als wäre zwischen uns nie ein Schnitt gewesen. Und es fühlt sich tatsächlich genauso an. Unbeschwert, vollkommen und richtig. Er küsst mich mit all seiner Leidenschaft, die er für mich übrighat und in den letzten Tagen nicht hatte freilassen können, und jetzt kann er das und der Kuss könnte nicht stürmischer sein. Er ist ganz voller Gefühle, Zweifel und Hoffnung. Aber er ist auch weich und liebevoll wie der warme Kuss der Sonne. Ich fühle, was er alles gefühlt hat und noch fühlen tut, und seine vertraute, schützende Nähe bringt meinen Körper dazu, sich wieder zu entspannen.
Ich lasse mich sinken – direkt in die Arme meines Zuhauses.
Tom lächelt mich danach an, als wäre ich alles, was er gerade braucht. Ich mag diesen Gedanken, mag es, wie er mich anschaut und wie er mein Herz wieder lebendig macht. Ich habe nicht gewusst, dass man jemand einem gleichzeitig so wehtun und guttun kann, dass man den eigenen Schmerz vergisst. Aber ich glaube, ich habe Tom verziehen. Das Loch in meiner Brust, was er dort hinterlassen hat, tut weniger weh, und füllt sich wie warme Watte mit alldem, was er mir momentan gibt.
Mit dieser Erkenntnis sehe ich ihn in die liebevollen, braunen Tiefen von Sonnenlicht und das klare Licht darin hilft mir zurück in mein Zuhause. Dieses Zuhause, wo nur wir beide existieren, wo unsere Herzen im Einklang schlagen und wo wir immer aufeinander warten würden. Plötzlich merke ich es und mein Herz macht einen freudigen Sprung. Er hat dort auf mich gewartet. Die ganze Zeit über schon. Mir wird es völlig warm in der Brust, so, als würde es dies nun für immer einschließen und daran festhalten. Vielleicht ist es nichts Schlechtes, ihn ein zweites Mal in mein Labyrinth zulassen.
Er wird völlig rot im Gesicht, als er die nächsten Worte über seine Lippen bringt. „Hätte ich dich vorwarnen sollen, Feathergirl?"
Ich schüttle den Kopf. „Ich habe nur etwas anderes erwartet wegen deinem Anruf."
„Achso. Ja." Er lächelt verlegen. Mein Herz schlägt wie ein wildgewordener Zirkus, als er mich so tief anschaut. Es ist faszinierend, wie hell das Sonnenlicht diese Nacht ist. Es scheint den ganzen Sternen den Glanz gestohlen zu haben und ich habe nichts dagegen, den Sternenhimmel in Toms Tiefen zu sehen. So ist er noch viel schöner. „Als ich dich gesehen habe, ist es plötzlich über mich kommen. Wie ein alter, bekannter Reflex. Es tut mir leid, falls dir das zu schnell gewesen ist. Gefühle kontrollieren fällt mir heute etwas schwer."
„Ich könnte mich an diesen Reflex gewöhnen."
Er lacht über meine Worte, aber nicht, weil er sie verspottet, sondern weil sie ihn erfreuen und ihn mehr bedeuten als er wohl zu geben würde. Das Strahlen in seinen Augen fesselt mich augenblicklich und warme, wohlige Schauder jagen durch meine Seele und meinen Körper. Ich bin vielleicht noch in dem Skelett meiner Wohnung, aber Toms Nähe lässt ihm keine Macht über mich. Sie hat sich um mich geschlungen wie ein Schutz vor der Gruft und dem Monster darin.
„Heißt das, ich dürfte dich noch ein zweites Mal küssen?" Er scheint gar keine Antwort zu hören, oder er weiß sie bereits, weil er innerhalb weniger Herzschläge seine Lippen erneut auf meine liegen. Dieses Mal lasse ich mir die Chance nicht entgehen, den süßen Honig auf seine Lippen zu schmecken, und dieser Kuss hat etwas Besitzergreifendes, ist aber dennoch auf seine Art und Weise sanft.
Auf einmal ist alles nicht mehr so schwer. Einsamkeit hat keinen Platz mehr in meinem Herzen. Tom ist da jetzt. Und er wird hoffentlich nie wieder gehen.
Wir sehen uns an, beide mit funkelnden Sternen in den Augen, und wir beide sind glücklich. Ich stelle fest, dass ich die letzten Tage nie wirklich glücklich gewesen bin. Das hier ist das richtige Glücklichsein, so fühlt es sich tatsächlich an, und dass hier ist die schöne Welt, die auf mich wartet. All das andere Glücklichsein ist bloß ein Überlebensmechanismus meines Herzens gewesen. Ich bin entsetzt und glücklich zugleich, weil ich endlich die Bedeutung hinter allem erkenne.
„Nun", nur mit Mühe kann ich mich von ihm lösen, „du solltest mir erzählen, was passiert ist." Ich hasse mich dafür, den Tiefen mit diesen Worten das Sonnenlicht zunehmen. Aber wir können beide nicht einfach so tun, als wäre er nur aus dem Grund hier, um eines seiner schönsten Wunder zu bewirken. Auch wenn es so reizend ist.
„Eine Tasse Tee dazu wäre echt cool", sagt er dann und hebt seine Hand, um mir mit dem Daumen eine kleine Sonne auf die Wange zu malen. Für einige besänftigende Sekunden lang genieße ich seine Berührung, lasse meine Gedanken klarwerden und versinke in die Geborgenheit von unserem Zuhause.
Vielleicht hat das alles passieren müssen. Vielleicht ist von Anbeginn festgestanden, dass es nie für uns einfach sein wird, dass wir zuerst große Hürden zu besiegen haben, bevor wir endlich zusammen sein können. Aber unsere Liebe hat darüber hinaus gesiegt. Harrison hat Recht behalten.
Die Liebe siegt immer über das Böse.
Also mache ich uns beide eine Tasse Tee mit Apfel-Zimt, bevor wir uns gemeinsam auf mein Bett setzen. Schulter an Schulter. Mein Zimmer füllt sich mit etwas anderem als Abschied und Entschluss. Die Luft wird klarer durch das Beisammensein und das vertraute Heim in unserem starken Herzen. Nur wir sind in der Lage dazu diese Veränderung wahrzunehmen. Obwohl wir beide wissen, worüber wir gleich sprechen werden, nimmt es unserem Zuhause nicht an Sicherheit und Wärme.
Ich sehe in Toms Gesicht, und mir ist klar, dass, egal, was er erzählen wird, er immer mein Sonnenjunge bleiben wird. In meinem Gesicht muss derselbe Ausdruck sein wie bei Tom damals, als ich ihm alles von mir bis ins kleinste Detail anvertraut habe. Er lächelt mich so furchtlos an, als könnte er meine Augen lesen. Ich zweifle daran nicht. Er tut es, und er weiß, dass hier bei mir ihm nichts geschehen wird.
„Bevor ich anfange, will ich dich erst etwas fragen, Emi." Er spricht klar und deutlich und seine Gedanken scheinen ihm keine Angst mehr zu machen. Ich schaue ihn gespannt an und muss gleichzeitig aufpassen, mich nicht zu sehr von dem Funkeln seiner Tiefen mitreißen zulassen. „Ich habe deinen letzten Beitrag auf Instagram gelesen, bevor du deinen Account gelöscht hast. Irgendwie habe ich gewusst, dass du was posten wirst." Er atmet lange aus. „Und ich weiß auch, dass du diesen Schritt nicht ohne einen wichtigen Grund gemacht hast. Du wirst nach ihnen suchen, nicht wahr? Nach den anderen Anhängern vom Totenschreiber."
Er bleibt der einzige, den ich nicht anlügen kann. „Du hast mich erwischt", gestehe ich und fühle wieder das schwere Gewicht meiner Entscheidung, „du musst gut zugehört haben, als meine Mutter darüber gesprochen hat. Ich denke, wir können den Totenschreiber nur für immer aus der Welt schaffen, wenn wir seine Anhänger daran hindern, einen neuen Totenschreiber loszuschicken. Wenn es wirklich stimmt, was sie gesagt hat, werden sie möglicherweise auf mich hören."
Unerwartet greift er nach meiner Hand und schaut mir mit entschlossenem Blick in die Augen. „Ich komme mit dir, außergewöhnliches Feathergirl. Ich habe schon das eine Mal nicht bei dir sein können, jetzt will ich das ändern. Ich möchte bei dir sein. In jedem Moment deines Lebens. Und das von fortan."
Ich schnappe nach Luft. „Was ist mit Spider-Man? Mit deiner Schauspielkarriere? Deine Familie? Tessa? Deine Fans?"
Er schüttelt den Kopf, aber die Entschlossenheit verstärkt sich lediglich. Er führt meine Hand zu seiner Brust und lässt mich seinen Herzschlag spüren. Er ist genauso wild und unzähmbar wie sein Willen.
„Ich will bei dir sein, Emilia. Und egal, was es mich kostet, ich werde dich kein zweites Mal verlieren. Sie werden es verstehen. Sie müssen es. Aber was wäre auch so falsch daran, einfach seinem Herzen zu folgen?"
„Seinem Herzen zu folgen ist meistens der Weg zu seinem eigenem, kleinen Happy End." Ich kann nicht sagen, ob es sein aufgeregter Herzschlag ist oder ob meine Hand einfach zittert, weil mich seine Worte so tief berühren. „Ich kann es nicht von dir verlangen, all das aufzugeben, was dir etwas bedeutet, Tom...", flüstere ich schwermutig.
Er rückt zu mir heran und nimmt vorsichtig mein Gesicht in seine Hände. „Das musst du auch nicht. Ich tue das, weil ich es so will. Du bist die Liebe meines Lebens, Emilia, und mein Platz ist an deiner Seite."
„Willst du das wirklich?" Ich gebe nach. Mein Herz ist stärker als mein Verstand und stimmt ihm zu. Sein Platz ist an meiner Seite. Er gehört zu mir sowie ich zu ihm. Wir ergeben zusammen ein Zuhause füreinander. Nur wir beide können das Labyrinth des anderen überwinden, um dort auf die Liebe unseres Lebens zu treffen. Wenn unsere Herzen es so wollen, und wie sie es wollen, dann werden wir unser eigenes Happy End schreiben.
Er lächelt mich an, und in seinen Augen sehe ich alles, was ich in dieser verdammten Welt brauche, um glücklich und sicher zu sein. „Es gibt nichts, was ich mehr will, als für immer an deiner Seite zu sein, Emilia Hiddleston."
„Dann komm mit mir, Tom", entgegne ich ihm heiser und mit einem klopfenden Herzen, das ohne ihn nicht kann, „und lass uns in dieser Welt ein Happy End finden."
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