Kapitel 35

“Komm schon… bitte. Ich darf im Praktikum nicht fehlen und hier lassen kann ich Elsi auch nicht” Da sind sie wieder die gigantischen großen Hundeaugen, denen man einfach nichts abschlagen kann. “Lukas hilft dir auch und vielleicht lockt ein Baby ja selbst deinen Scheibenfreund aus seinem Versteck? Hm?” Ich verdrehe die Augen und strecke die Hand nach dem großen Weidenkörbchen aus in dem Till die Ziege samt sämtlicher Verpflegung bereits gepackt hat. “Ich Übernehme keinerlei Verantwortung! Du weißt das ich mit Tieren nicht sonderlich gut kann!”, motze ich unwillig und dennoch weiß Till ganz genau dass ich mein bestes geben werde. “Lukas kommt um 13 Uhr zu euch gestoßen, dann kannst du gerne auch etwas allein sein mit deinem Malermeister” Viel zu frech wippt Till mit den Brauen und nimmt seinen Schlüssel aus der Schale am Eingang. “Ich muss jetzt, sonst verpasse ich meinen Bus” “Ist auch besser so! Ich hasse dich!” rufe ich ihm mit übler Laune hinterher, doch da geht die Tür schon wieder ins Schloss. “Klasse… Uni-Goat statt Unicorn…” Ob Superman das auch so macht? Er rettet, während Robin dann die vollgeschissenen Windeln der geretteten Rentner sauber machen darf? Seufzend stelle ich das Körbchen auf meinem Bett ab um mich selbst anzuziehen und viel Früher als sonst in die Uni aufzubrechen, denn Fahrrad fällt ja heute wohl auch Flach… Früh aufstehen war noch nie meine Stärke und dementsprechend schlecht ist meine Laune nun, doch da zuckt die Decke auf dem Weidenkörbchen und Elsis kleine Nase lugt angestrengt hervor, um mich mit einem Blöken zu begrüßen. Das T-Shirt schnell über meinen Kopf ziehend rutsche ich neben das wackelnde Tier und bemerke erst im zweiten Moment das ich wie ein Depp Lächeln muss, als die kleine Ziege den winzigen Kopf schüttelt um sich von der Last der Decke zu befreien. “Guten Morgen Elsbeth… wir Zwei machen heute einen Ausflug zu Uni”

Dank dem Elsbeth Spezialtransport komme ich heute ohne Frühstück und erst kurz nach 9 an unserem gemeinsamen Ort an, doch auch Aarons Platz ist an diesem Morgen noch nicht besetzt. Im Inneren des Ateliers ist mehr als deutlich zu erkennen das mein Schönling wohl noch einige Stunden an seinen Werken gearbeitet hat, denn die riesige Leinwand steht nun mitten im Raum umringt von etlichen Farbschalen. Aaron achtet jedoch immer darauf, dass mir der Blick auf die Gemälde verwehrt bleibt und ich sie auch erst an seinem großen Tag sehe. Es ist unverkennbar dass die Ausstellung nicht nur viel Arbeit macht, sondern den Künstlern wohl auch einen kleinen Traum erfüllt. So empfinde ich es zumindest bei Aaron, denn er strahlt bereits wie ein Honigkuchen Seepferdchen, wenn er mir nur von dem geplanten Empfang und der Raumaufteilung berichtet.

Leise mit der Ziege sprechend, mache ich es mir und meiner haarigen Begleitung mit den steifen Beinchen bequem und durchforste erst einmal was mein lieber Tierarzt mir überhaupt alles in den Korb gepackt hat. Abgefüllte Flaschen, eine Liste mit Aufgaben und Anweisungen, sogar etwas Heu, Decken und eine Packung Chips. Woher Till gestern noch das ganze Zeug besorgt hat, weiß ich nicht wirklich, aber seine Augenringe waren durch den bettelnden Ausdruck zumindest gut kaschiert. Kaum steht der Korb still und wird nicht mehr wie die Black Pearl herum geschleudert, wackelt der Inhalt, welcher wohl nur darauf wartet seine Welt zu erkunden. Völlig anders als die kleinen menschlichen Fleischklumpen einen Tag nach ihrer Geburt die nicht einmal alleine ihren Kopf großartig anheben können, geschweige denn überhaupt richtig erkennen was sich vor ihnen abspielt. Ja verglichen mit Ziegenbabys sind Menschen Säuglinge echt arme hilflose Schweine. Schon Lustig das der Mensch dennoch als die überragende Rasse angesehen wird... So in meinen Tagträumen versunken und mit Elsbeth beschäftigt, welche stolpernd mit ihren streifen Beinen über die Wiese fällt, vergeht die Zeit beinahe wie im Flug und ich sehe erst als mein Magen lautstark knurrt auf mein Handydisplay. Kurz nach 10 und von meinem Malermeister noch immer keinerlei Spur. Seufzend greife ich nach der ersten Flasche, denn die kleine Ziege hat mein graues T-Shirt am Saum bereits feucht genuckelt und dort einen dunklen Sabberfleck hinterlassen. Stellt sich nur ein einziges Problem… wie warm machen? Ich kann ja schlecht in der Mensa fragen ob sie mal kurz meine Ziegenmilch in ihrer Mikrowelle erwärmen können, während Elsi ihnen den Salat aus der Theke frisst. Gelangweilt streiche ich mit dem Daumen immer wieder über mein dunkles Display und schmiere so abstrakte Kunstwerke auf mein Handy, welche selbst Picasso vor neid erblassen lassen würde. Den Arm auf meine angewinkelten Knie gestützt im Gras sitzend, bereue ich es wieder Mal das Aaron mir noch immer nicht seine Handynummer geben hat. Es kann einem immer mal etwas dazwischen kommen, aber in dieser hinsicht bin ich von meinen Eltern leider vorgeprägt. ‘Ich hol dich nach der Schule ab’- Bus weg und von meiner Mutter vergessen… Nach dem Judo? Vergessen! Fußball? Vergessen! Nachdem ich manchmal Stundenlang mutterseelen allein im Staub meines Grundschulhofes mit der Tischtennisplatte gesessen habe, habe ich mir tatsächlich oft einen Imaginären Freund gewünscht, oder zumindest eine Schizophrene Seite mit der ich mich Unterhalten konnte, wenn auch die letzten Kinder nach hause mussten.

Später habe ich entschlossen einfach mit zu Till zu gehen. Bei den ganzen Kindern ist das eine schreiende Maul was seine Mutter stopfen musste, wie es mein Vater immer genannt hat, ohnehin nicht aufgefallen. Als Entschuldigung habe ich immer die selben Geschichten gehört. Dringender Notfall, plötzlicher Termin Bla Bla Bla… Ist mir auch eigentlich Scheiß egal, wenn sie mich jetzt wenigstens auch einfach vergessen würden und nicht plötzlich die Zeit dafür hätten mit ihren alles an sich reißenden Griffeln in meinem Leben herum zu mengen. Während ich mich so vor mich hin ärgere, landet ein fester Schlag auf meiner Schulter und der breitschultrige Mo lässt sich schwerfällig neben mir ins Grün fallen, auch Paddy lässt nicht lange auf sich warten und der klopfende Schmerz sickert spätestens beim zweiten Liebevollen, aber harten Schlag in mich hinein. “Meine Lieblingsarschzangengeburt! Lang nichts von dir gehört? Seit wann sieht man dich denn in den Semesterferien in der Uni?” Ehe ich etwas erwidern kann entdeckt Paddy jedoch schon Elsbeth und führt meine Antwort voran. “Er scheint hier entspannt zu grasen! Wie niedlich ist die denn?” Ohne lange zu warten und mir die Last von etlichen Erklärungen aufzuhalsen das ich durch das Physikum gerasselt bin und statt zu lernen nun meine Tage damit verbringe einen Jungen zu stalken, der sich jedoch nicht aus seinem Schutzraum heraus traut und ich deshalb hier mein Lager aufgeschlagen habe, weswegen ich nur noch dezent in den Sinnlosen und völlig Hirnbefreiten Gruppenchats aktiv bin und lenke das Thema auf die kleine rettende Ziege. Zumal ich meine Literatur schon lange nicht einmal mehr mit hier her schleppe. “Ich sag nur Till… aber wenn ihr Fleischköppe schon hier seid, kann einer von euch mal in die Mensa stapfen und die Milch warm machen” Blökend motzt Elsbeth als Paddy sie gerade von dem saftigen Grün los reißt um das Fliegengewicht wiegend im Arm zu halten. “Die kleinen dürfen noch nicht so viel frisches… das bläht sie zu sehr” Mit vorwurfsvollen Ton sieht der Schlankere der Beiden mich an, als Mo sich die Kappe schützend vor der Sonne ins Gesicht zieht und genüsslich in das kühle Gras sinkt. Der breite Mann erinnert nicht nur wegen seiner Statur eher an einen Schlächter als Tierarzt, doch die Zwei sind im selben Semester wie die ganzen anderen übermotivierten Nerds aus Tills Lerngruppe, auch wenn sie dort genauso häufig anwesend sind wie ich.  “Humanmedizin… nix Tierarzt!”, eine schwache Erklärung, aber Till hat es wohl versäumt mir diese Anweisung mit zu geben. Na immerhin macht sich Paddy auf um wirklich die Flasche aufwärmen zu gehen. “Ich dachte schon du versucht jetzt mal nen anderen Fetisch und Schwul ist Out” Es dauert bis ich Mos Bemerkung überhaupt verstehe und löse den Finger aus Elsis Maul, auf welchem sie gerade wie auf einem Schnuller herum gekaut hat. “Schwul sein ist kein Fetisch, du Spast. Das nennt man Neigung!” Mir gehen solche Sprüche eigentlich an meinem schwulen Arsch vorbei und im Regelfall klebe ich Leute die so Denken in mein Panini Sammelheft für dumme Arschgesichter, aber ich kenne inzwischen Mos grobschlächtige Denkweise und nach der gefühlt 7. Millionsten Beleidigung habe ich verstanden das es beinahe einer Liebkosung gleichkommt, wenn er einem mal wieder auf die Füße tritt. Ähnlich wie Till, nur das der liebreizende Charm meines Straßenköters seine unpassenden Bemerkungen mit einem warmen Lächeln speist und damit den aufkommenden Groll vertreibt.

Der Wind säuselt die Spitzen der Wiese, als sich eine unangenehme Stille zwischen mir und dem Mann von Schrank ausbreitet. Wenn ich Spiderman bin, dann müsste Mo wohl Hulk sein und Paddy…hmm? Ehe ich den Gedankenzug, ausgelöst durch das angespannte Schweigen zu Ende bringen kann, fällt Elsbeth über das breite Hindernis der ankommenden Flasche entgegen, denn Paddy hat sich neben seinen Freund niedergelassen und das weiße Gold in seinen Händen. Ob ich genauso gierig aussehe wenn Aaron an mir vorbei schlendert?

Gegen 13 Uhr ist von Aaron immer noch keine Spur zu sehen als eine angenehme Stimme meinen Blick von dem leeren Atelier auf sich zieht. “Bei der Unterstützung bin ich wohl überflüssig?” Lukas schiebt sich neben mich auf das schmutzige Fensterbrett und sieht zu wie Paddy in seiner Mutterrolle mit der frechen Ziege aufgeht, welche blökend bereits eine kleine Traube Studenten an meinen Geliebten Platz bindet. “Oh ja… wenn Paddy noch etwas mehr auf den Hintern der Braunhaarigen starrt, bekommt Elsi bald noch ein Geschwisterchen” Ich reiche Lukas begrüßend die Hand und ziehe ihn für einen Herzschlag an meine Brust, ehe wir uns freigeben und unsere Aufmerksamkeit wieder der Szenerie vor uns folgt. Neben der Ziege Elsi befindet sich nun ein halber Bauernhof an meinem geliebten Fensterplatz, an dem sonst kaum jemand vorbei watschelt. Ich sehe neben dem faulen Hofkater, welcher sich in der Sonne räkelt, eine Gruppe schnatternder Enten und dazwischen natürlich Paddy der Hahn, welcher seine Hennen mit seinem Fund beeindrucken möchte.Fehlt nur noch das er das kleine Zicklein mit dem Schnabel in die Luft wirft. “Eine der rolligen Kätzinen hat aber eher ein Auge auf unseren Mo geworfen” Sich in meine Richtung lehnend deutet Lukas auf unseren breiten Freund, welcher herzlich wenig auf die Brautschau seines besten Freundes gibt, neben welchen sich jedoch ein wirklich süßes Mädel niederlässt. Ihr ist anzusehen das sie dieser Schritt bereits viel Mut gekostet hat, denn sie schiebt sich immer wieder Schüchtern eine Haarsträhne hinter das Ohr. “Tja und der Depp verpennt es sie anzusprechen”, bestätige ich den einzigen Anwesenden, der mich gerade nicht mit seiner bloßen Existenz nervt und das Bild vor uns wohl aus dem selben Blickwinkel sieht wie ich, aber ich will ja nicht so sein. Ich fummle meine Wasserflasche aus der Tasche und werfe sie auf die völlig entspannte Bauchmuskulatur von Mo, welcher vor Schreck sofort hoch jagt und sich zornig für einen gegenangriff mit der PET Flasche bewaffnet. Ein wohlgesonnenes Lächeln meinerseits erklärt ihm ohne große Worte dass er sich doch mal umdrehen und der Dame neben ihm seine Aufmerksamkeit schenken soll.

“Bester Freund, Ziegen Mutter und jetzt auch noch Heiratsvermittler? Du bist wohl ein sehr vielseitiger Mann, Joe-Noah?” Neckend schenkt mir Lukas eines seiner schönen Lächeln und ich denke im selben Moment dass seine Verlobte wirklich Glück mit diesem Traum von Mann hat, denn ihm kann ich jetzt gerade nicht ohne weiteres einen Hofbewohner zu schreiben. “Sowieso! Bald hoffentlich auch Kunstversteher”, deute ich mit dem Daumen nach hinten in das leere Atelier. “Der Malermeister?” Ich nicke bestätigend und Lukas klopft mir aufmunternd auf die Schulter. “Ich hab ihn gestern Abend mit einem etwas älteren Mann am Parkplatz gesehen, sah nicht aus wie ein Student. So vertraut wie die beiden umgegangen sind könnte es sein Bruder gewesen sein? Hat er Geschwister?” Die beiläufige Bemerkung quetscht mir fast das Herz zwischen den Rippen in Scheibchen und mir wird wieder einmal schmerzlich bewusst, dass ich nicht nur nicht seine Nummer habe, um zu Fragen wo er steckt, nein ich weiß eigentlich noch überhaupt nichts über Aaron. Vielleicht war es sein Bruder, vielleicht aber auch sein Freund und die beiden Vergnügen sich gerade während ich hier wie ein Depp am Fenster hocke… Vielleicht ist es aber auch nur irgendein Kumpel und die beiden checken gerade Mädels ab weil er überhaupt kein Interesse an Männern hat? Fragen die ich durch die Scheibe irgendwie unpassend fand. Man fragt nun mal nicht einfach ‘Bist du Schwul?’ oder ‘Stehst du auf mich?’ dann kann man auch gleich sagen ‘Ficken?Ja, Nein Vielleicht?’ und selbst wenn er nicht Schwul ist… Ich vermisse jetzt schon einfach sein Gesicht mit den wunderschönen Augen in denen ich Stundenlang versinken kann.

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