Kapitel 10

Ich dachte immer nachdem ich im Kino eine Kotzszene gesehen habe, in der ein dicker kleiner Junge von einem Karussell aus die umliegenden Großmütterchen wie aus einem Feuerwehrschlauch beinahe mit seinem Strahl umgenietet hat, hätte ich alles in diesem Bereich gesehen, doch Samu muss auch hier wie immer eins Obendrauf setzen. Wenn auch vielleicht in diesem Fall nicht ganz gewollt. Er erwischt das schimmernde Kleid einer Studentin, welche angewidert das Gesicht verdreht und den Tränen im selben Moment nah ist in der sie Samuel eine Schelle verpassen möchte. “Halt dich zurück Püppchen, er findet dich sicherlich nicht absichtlich zum kotzen”, greife ich gerade noch rechtzeitig nach der nach vorne schnellenden Hand und ich darf mich einmal zurecht wie der Superheld des Tages fühlen, als sie wutentbrannt aus dem engen Vorlesungssaal flüchtet in dem der Beamer zur Beleuchtung der Discokugel umfunktioniert wurde und ungerührt meinen brechenden Freund in dem schimmernden drehenden Licht badet, welches wohl der Auslöser dieses kleinen Problemchens ist.

“Till?”, hilfesuchend sehe ich zu meinem Freund, dessen neues Blondinchen an seiner Seite angewidert das Make up behaftete Gesicht verzerrt. Ich will nicht wissen wie sie Morgen Früh aussieht wenn sie aus Tills Zimmer getaumelt kommt, doch das Problem hat sich glaube ich sowieso gerade erübrigt als das Lachen auch aus den Zügen meines Kumpels verfliegt und er mir anweist mit Samuel nach draußen zu verschwinden. Dankbar dass er die Sauerei beseitigt, ziehe ich meinen Freund zurück in meine Arme, raus aus dem stickigen Raum und weg von der viel zu lauten Musik.

Frische Luft hüllt uns außerhalb der Mauern des Gebäudes ein, als der Camus Nachtschwarz vor uns liegt, während die Musik wie erbärmliches jaulen noch immer deutlich zu hören ist. “Es tut mir Leid… das ist so Peinlich”, weint mein Höllenritter herzerweichend, gerade als der Abend endlich vielversprechend werden wollte. “Hey… ist doch jedem schon mal passiert Großer…”, liebevoll ziehe ich ihn an meine Brust um ihm durch die Locken zu streicheln. Diesmal war es nicht meine Würde die tief in auf dem Grund des See lag, sonder Samuels und es fühlte sich alles andere als gut an ihn mal in dieser Position zu sehen. Ehrlich verletzt und bis aufs Letzte, in tiefer Scham versunken. “Ich hab dir den ganzen Abend versaut! Deine Kumpels haben recht! Nicht einmal auf so eine Studentenfeier kann man mich mitnehmen”

Einen Moment sprachlos bleibt mir der Mund offen stehen. Höre ich da gerade richtig? Mein Lustschwengel, mein Samuel, empfindet sich das erste mal selbst als etwas unerträgliches? “Ach Quatsch, da drin war es doch eh viel zu laut”, zärtlich ziehe ich ihn wieder an mich. “Und hier sind wir doch viel ungestörter als drin?”, aufmunternd beuge ich mich zu ihm um seinen Mundwinkel zu küssen doch er wendet den Blick ab. “Nicht… das ist Ekelhaft” Seine Hände zittern an meiner Brust und ich kann förmlich beobachten wie Grün, zu Rot, zu Weiß in dem Gesicht vor mir wechselt. “...und Till hat unsere Hilfe nicht wirklich benötigt?” “Das war dir doch hoffentlich schon vorher klar?”, ich beginne ihn abermals leicht zu schunkeln, obwohl aus dem Unigebäude alles andere als romantische Musik dringt. “Gehen wir nach hause?” Jetzt gerade wo der Abend beginnen wollte, will Samuel nach hause… wieder einmal typisch, doch dieses Mal kann ich es ihm nicht verübeln, denn hätte ich einer Kommilitonin das Kleid voll gereihert, wäre mir sicherlich auch die Lust auf Tanzen, Sex und Spaß haben vergangen. “Na klar ich bring dich heim”, liebevoll presse ich meine Lippen auf seine Stirn, als ich mein Handy hervor ziehe um Till und den anderen bescheid zu geben, dass sie nicht länger auf mich warten müssen.

Till der Künstler hat das Erbrochene meines Freundes liebevoll mit einer Cocktailkirsche garniert und dank Pixart mit einer geschwungenen verspielten Bildunterschrift verziert. ‘Ein Teil von euch wird immer bei uns sein!’ und ‘die Schlampe hat sich verpisst, heute Nacht muss dein Arsch herhalten!’ Ich schicke ihm drei Punkte und einen Mittelfinger, bevor ich mein Blick von dem Handydisplay los reiße und mich wieder Samuel widme. “Mission gescheitert… Seine Neue hat sich vom Acker gemacht als er-”, ich breche ab als Samuel mich seufzend unterbricht. “Als er mein Erbrochenes weg gewicht hat…”, das war vermutlich das erste Mal dass er meinen Satz korrekt vollendet hat. “Jep…”, verziehe ich die Lippen zu einem Lächeln, als erneut Musik meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Lautstark dröhnt der Bass des Punkrocks an mich heran, welcher beinahe noch die Musik der Fete übersteigt und es ist unschwer zu erkennen dass es einer dieser verrückten Künstler ist, die mitten in der Nacht nichts besseres zu tun haben als irgendwelche besonders aussagekräftigen Werke über die bevorstehenden Naturkatastrophen zu kritzeln, nein ich meine zu erschaffen die erst dann einen Wert erlangen, wenn der Künstler sich dabei ein Ohr abgefressen hat, oder mit Ende Zwanzig wegen einer unerfüllten Liebe Selbstmord begeht. Und wer darf es ausbaden wenn der Versuch scheitert und das Hirn halb zermatscht auf dem Asphalt klebt, wie ein Kaugummi der unangenehm an der Schuhsohle haftet? Natürlich wir - die Humanmediziner! Völlig von seinem Gemälde eingenommen steht der junge Kerl vor dem Bild, während die Spiegelung mir einen genauen neugierigen Blick auf das blaue Werk verbietet, denn es ist kaum Möglich vom Innenhof überhaupt ein Motiv auf dem Blau zu sehen. Als hätte der Kunststudent meinen intensiven Blick gespürt, dreht er sich ausgerechnet zu der Scheibe vor der ich wie ein bekloppter versuche zu erahnen was das gekritzel werden soll.

“Kennst du denn?”, holt mich Samu wieder in die Wirklichkeit und der junge Mann mit der weißen Strähne und der blauen Farbe in den Haaren verschwindet aus meinem Sichtfeld, als ich meinem Freund ein Lächeln schenke um weiter zu gehen. “Nö, hab mich nur gefragt warum der hier seine eigene Fete feiert, als einfach zum Freibier zu stürmen” “Vielleicht verträgt er auch nichts?”, fantasiert mein Liebster mit mir gemeinsam weiter und hängt sich nun wieder besser gelaunt meinen Arm.

“Danke Joe… du bist wirklich was besonderes.”

“Womit habe ich den plötzlich dieses Lob verdient?”, selbstgefällig schmunzle ich Samu entgegen, als dieser kichernd voraus läuft.

“Tz… bei dem eingebildeten Grinsen gar nicht!”

“Na warte!” Ich schlinge von hinten die Arme um meinen Partner, als dieser Aufschreit als wäre ich irgendein Perverser der ihn jetzt in den nächsten Busch zerrt und dort durch nudelt. Obwohl… warum eigentlich nicht? Der Gedanke es einmal hier auf dem Unigelände zu treiben hat schon einen Reiz den ich nicht unbedingt leugnen kann, doch dann zerbricht meine erotische Fantasie wie Omas geliebte Kristallkeksschale die man als Kind vom Schrank gerissen hat, weil einem einfach noch ein paar Zentimeter gefehlt haben und der Stuhl,natürlich genau dann weg knicken musste, als man den Rand der teuren Schale erwischt hatte Ja… Großmütterchen, ich war das damals… Samuel würde es ersten niemals ohne sein bereits erwähntes Gel, schon gar nicht Spontan und überhaupt erst recht nicht in der Öffentlichkeit tun.

“Was ist los?”, dreht sich der Lockenkopf in meinem Griff, dem es allen anschein hier an der Luft wieder bestens geht. “Nichts… ich würde dich nur gerne sofort nehmen”, berichte ich ehrlich die etwas unausgeschmückte Variante von ‘Hier im Busch durchnehmen, bis die Erstis dich noch im Hauptgebäude durch die Musik stöhnen hören’.

“Also Joe… du hast es aber heute wirklich nötig”, tätschelt Samu mir die Wange, als wenn ich ein kleines Kind wäre, dem man das Kaufen eines Lollis verbietet. Ich hingegen frage mich warum das so ist, wenn man doch in einer intakten Beziehung steckt? “Ich Liebe dich Joeyboy” Ich Liebe dich heißt in diesem Fall jedoch nicht ‘Ich hab dich gern’ oder wie man glauben könnte ‘Du bist für mich wichtiger als alles andere’, sondern eher ‘Lass mich damit jetzt in frieden und kümmere dich um meine Sorgen’. Wundervoll dieses Gefühl von Liebe…

Ich frage mich wann ich mal wieder das Gefühl habe dass diese Drei in allen kitschigen romantischen Liebesfilmen gehypten Worte für mich auch mal wieder die eigentliche Bedeutung besitzen. Ich Liebe dich. Ein völlig überzogenes Druckmittel für alle Partner. Einmal gesagt hängt man drin in der Scheiße und das nur weil man vielleicht ausdrücken wollte dass der Sex besonders berauschend war, man einfach in dem Augenblick überglücklich mit der betreffenden Person war oder wie in meinem Fall, man einfach nicht wusste was man auf das ‘Ich Liebe dich’ der anderen Person erwidern sollte. “Ich dich auch”, bestätige ich auch dieses Mal wenig kraftvoll.  

Dass es mir immer schwerer von den Lippen geht, schiebe ich zur Zeit darauf dass Samus Projekt gerade sein neuer Freund ist und wir uns deswegen einfach kaum mehr zu Gesicht bekommen.

Nachdem ich Samuel endlich zuhause abgesetzt habe finden meine Füße tatsächlich nur noch den Weg zurück in unsere WG. Steffen schläft schon längst, als ich meine Schuhe ausziehe und der Tatsache geschuldet, dass Tills Zimmertür noch zu ist so wie ich sie heute Morgen verlassen habe, gehe ich davon aus, dass mein Freund sich wohl noch bestens amüsieren wird. Der lateinische Schinken kracht wie ein Bombenanschlag auf den Boden, als ich mich im Halbdunklen aus meiner Kleidung schäle und nur in Boxer in das wohlverdiente Bett gleite. Es vergehen nur ein paar gedankenlose Herzschläge und meine Hirnfunktionen stellen sich allesamt auf Standby und ich befinde mich im Reich der Träume.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top