Hoffnung
"Sag es mir", sagte ich ruhig, "sag mir, wieso du es gemacht hast!".
Er sah mich verlegen an, überlegte kurz und sah mir dann wieder in die Augen.
Und plötzlich wusste ich gar nicht mehr, ob ich das wirklich wissen wollte.
"Mel", sagte er sanft.
Doch ich wollte seine Stimme nicht mehr hören. Das war doch alles bloß gespielt!
"Hör auf!", sagte ich trocken.
"Nein, hör zu, ich kann es dir erklären", versuchte er es wieder.
"Nein!", rief ich laut und entschlossen.
Er schien getroffen von meinen Worten. Doch das interessierte mich nicht. Ich rannte hinaus. Ich wollte weg von hier.
Draußen traf mich die eiskalte Luft wie ein Schlag ins Gesicht. Doch das tat gut. Ich würde mir am liebsten selbst eine Ohrfeige geben. Wie dumm konnte ich bloß sein? All den Weg war ich hierher gekommen. Nicht nur das, nahezu Jahre hatte ich damit verbacht, um die Wahrheit zu erfahren. Ich war wie besessen davon. Und jetzt, kurz davor, wusste ich plötzlich gar nicht mehr, ob ich es tatsächlich wissen wollte.
Unsinn, natürlich wollte ich mehr alles andere auf dieser Welt die Wahrheit erfahren. Das war gar nicht das Problem.
Es war nur... ich hatte so schreckliche Angst. So eine unfassbar große Angst vor der Wahrheit. Auch wenn ich wusste, dass ich unbedingt die Wahrheit erfahren wollte, wusste ich nicht, ob ich mit dieser Wahrheit umgehen konnte. Was ist, wenn sie grausam war?
Und was ist, wenn sie faszinierend war?, fragte mich meine innere Stimme, Was ist, wenn deine Hoffnung nicht umsont war? Was ist, wenn die schönste Wahrheit auf dich wartet?
Und in dem Moment wurde mir etwas klar: Die Wahrheit ist weder grausam noch milde. Sie ist weder schön noch hässlich. Sie ist weder mächtig noch machtlos.
Sie ist wie die Leere. Ein Zustand, den man sich erwünscht, aber gleichzeitig auch verabscheut. Ein Zustand, den man als Erlösung sieht und gleichzeitig als seine persönliche Gefangenschaft.
Und genau so ist die Wahrheit. Sie ist weder das eine noch das andere.
Sie ist beides.
Und nach dieser Erkenntnis war mir eins klar geworden:
Ich wollte, diese Wahrheit gar nicht erfahren. Ich meine, ja, sie hätte vielleicht wirklich schön sein können. Sie hätte all meine Fragen beantworten können. Sie hätte mich erlösen können.
Doch sie könnte mich auch enttäuschen, mich verletzten, mich zerstören, vernichten, auslöschen...
Und neben all diesen Gedanken wurde mir noch eins klar:
Ich wollte von Anfang an die Wahrheit gar nicht erfahren. In Wirklichkeit war ich schon immer vor ihr weggerannt. Ich hatte es nur immer wieder vorgegeben, sie erfahren zu wollen.
Denn ich hatte Hoffnung. Und in Wirklichkeit wusste ich die Antwort schon längst. Nämlich, dass ich verloren hatte. Ich wusste es schon die ganze Zeit. Doch ich hatte es immer wieder verdrängt. Ich wollte nicht daran glauben. Also hab ich mich auf den Weg gemacht. Verzweifelt habe ich nach der Wahrheit gesucht. Und eigentlich wusste ich sie schon längst. Und eigentlich wollte ich sie gar nicht wissen. Doch ich hatte Hoffnung. Und das hat mich zerstört.
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