Die schwarze Kreatur (4/5)
In der Nacht konnte Christopher lange Zeit nicht einschlafen. Der Anblick von Doktor Michael's Leiche wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen. Und auch dieser angebliche Werwolf. Zwar glaubte Christopher im Gegensatz zu all den anderen aus seinem Dorf nicht an solche unnatürlichen Erscheinungen, doch was hatte den Doktor dann so zerfetzt? Ein normaler Mensch konnte das unmöglich gewesen sein, und gefährliche Tiere gab es keine im Wald. Also konnte der Werwolf die einzige mögliche Erklärung für den Tod des Doktors sein. Doch irgendetwas störte ihn an der Leiche. Aber was, wusste er nicht.
Dem restlichen Dorf hatte man die Leiche vorenthalten. Man wollte es nicht in Panik versetzen, indem man ihnen von dem Werwolf erzählte. Aber trotzdem lag eine angespannte Stimmung in der Luft und die Leute, welche am Nachmittag mitgekommen waren, hatten ihre Häuser verschanzt und sich mit Waffen ausgerüstet. Die Leute hatten gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Am morgigen Tage würde man den Wald durchsuchen, um das Monster zu finden. Heute wurde getrauert.
Immer wieder dachte er darüber nach, doch schließlich schaffte er es, endlich einzuschlafen. Zwar hatte er einen sehr komischen Traum über einen Werwolf, der am Ende gar keiner war, aber trotzdem war die Nacht im großen und ganzen ruhig gewesen.
Am morgen wachte er recht früh auf, die Morgendämmerung verwandelte den Himmel in ein wunderschönes Farbenspiel. Aus seinem Fenster konnte er eine kleine Menge entdecken, welche sich auf dem Dorfplatz versammelt hatte. Die wollen in den Wald um nach dem Werwolf zu suchen, dachte Christopher. Ich muss mich beeilen, wenn ich mit will!
Schnell stand er von seiner Strohmatratze auf und kletterte durch sein Fenster nach draußen, damit er seine Familie nicht weckte. Die noch etwas frische Morgenluft umringte ihn. Das Dorf schwieg noch größtenteils. Das einzige, was an diesem Morgen zu hören war, waren die Vögel, welche auf den Häusern oder im Wald hockten und ihr schönstes Lied zwitscherten.
Schnell rannte er zu den Leuten auf dem Dorfplatz. Größtenteils waren es die Leute, die Christopher am gestrigen Tage zu Doktor Michael's Leiche geführt hatte, aber auch einige andere. Jeder von ihnen hatte eine Mistgabel oder ähnliches als Waffe dabei. Bürgermeister Johann hatte sogar eine Knarre. Nun fühlte Christopher sich gleich viel sicherer, als er wusste, dass sie nicht unbewaffnet losziehen würden. Nur er hatte keine.
,,Ähm... krieg ich vielleicht auch noch eine Waffe?", sagte er zu Bürgermeister Johann, welcher neben ihm stand. Doch dieser reagierte nicht. ,,Habt Ihr vielleicht auch noch eine Waffe für mich? Zuhause haben wir keine."
Endlich regte sich Bürgermeister Johann. ,,Huh? Christopher, was machst du denn hier?" Verdutzt starrte Johann ihn an. Dann begann er zu lachen. ,,Du willst mitkommen, hab ich recht? Tut mir Leid, aber das ist nichts für kleine Burschen wie dich."
,,Heißt das etwa, dass ich nicht mit darf?", protestierte Christopher empört. Er kreuzte die Arme vor seiner Brust.
,,Ja, das heißt es."
,,A - aber ich kann euch helfen! Ich hab auch schon eine Idee - ", weiter kam er aber nicht, da Bürgermeister Johann nun kräftig mit seiner Hand ausholte und Christopher sich bücken musste, um nicht erwischt zu werden. Mit einem bösen Blick starrte er Johann an. Der schüttelte nur den Kopf.
,,Nein heißt nein! Du bist zu klein! Und jetzt geh zurück in dein Haus, oder was auch immer."
Schmollend sah Christopher dabei zu, wie die Menge im Wald verschwand und ihn hier alleine zurückließ. Verdammt! Klein sein hin oder her, er wollte mit! Immerhin hatte er die Leiche von Doktor Michael gefunden, da wollte er gefälligst auch bei der Jagd nach seinem Mörder mitmachen. Wütend trat er gegen den Brunnen. Er musste ihnen hinterher schleichen. Das war eine ausgesprochen gute Idee! Da er dicht bei den Jägern bleiben würde, war er auch ohne Waffen geschützt und würde selbst suchen können.
Langsam und mit etwas klopfendem Herzen ging er auf den Nadelwald zu, welcher sich majestätisch hinter dem Dorf erhob. Die Bäume warfen schwarze Schatten im Schein des Sonnenlichts.
Schon bald hatte er die Jäger gefunden. Der wütende Mob war nicht zu übersehen, und vor allem nicht zu überhören. Sie schimpften, schrien und meckerten über den ,,Werwolf", als gäbe es kein morgen. So finden die den Werwolf doch nie!, dachte Christopher und schüttelte den Kopf, während er über eine Wurzel kletterte.
Nun kamen sie an der Stelle an, an welcher Christopher des vorigen Tages Doktor Michael's Leiche fand. Selbst heute fühlte Christopher sich unwohl. Der Mob war stehen geblieben. Johann erzählte etwas, doch Christopher wollte nicht zuhören, denn ein unglaublicher Gedanke kam in ihm auf. Denn als er den Platz noch einmal musterte, sah er wieder diese Blutspuren am Baum. Und dann machte es klick. Es war, als ob sich etwas in seinem Kopf wie ein Puzzle zusammenfügte. Nun wusste er endlich, was ihn an der Leiche gestört hatte. Die Blutspuren. Warum waren sie an einem Baum? Sie führten den Stamm entlang auf einen Ast. Das hieß, dass der Mörder Doktor Michael auf diesen Baum geschleppt hatte. Ein Wolf würde seine Beute unmöglich auf Bäume ziehen – und ein Werwolf erst recht nicht. Und da war noch etwas, was Christopher störte. Denn als er sich den Anblick der Leiche vor sein geistiges Auge rief, bemerkte er die vielen Kratzspuren an seinem Körper. Von woher stammten sie? Von einem Wolf ganz sicher nicht. Wölfe waren mit Hunden verwandt, und Hunde hatten sie viele im Dorf, und beide wiesen keine Krallen vor, welche solche Kratzer hätten verursachen können. Außerdem war gestern kein Vollmond gewesen. Das hieß, der Werwolf hätte es gar nicht gewesen sein können, da er zu diesem Zeitpunkt ein Mensch war.
Er musste es Johann und den anderen erzählen!
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