8. Igel am Stiel
Ich schluckte. Das war die einzige Reaktion, die mir einfiel. Meine erste Verwandlung? Jetzt schon? Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich dazu schon bereit war, schon gar nicht, wenn ich nicht wusste wie das ging.
Muss das sein?, fragte ich zögerlich und scharrte mit einem Vorderhuf nervös im Gras.
Leider schon, antwortete Arthur und trottete zu mir herüber. Du bist bestimmt schon als gestohlen gemeldet worden und wenn sie dich als Esel sehen, dann werden sie dich wieder einfangen und zur Farm zurückbringen.
Das wollte ich noch viel weniger, als mich zu verwandeln. Jetzt wo ich wusste, dass ich frei sein konnte, würde ich nie wieder dorthin zurückgehen. Nie wieder würde ich ein ungeduldiges Kind auf meinen Rücken lassen, nie wieder würde ich trockenes Heu fressen. Und wenn das bedeutete, dass ich mich jetzt verwandeln musste, dann schaffte ich das auch.
In Ordnung...was muss ich tun?
Arthur schien, als würde er mir in Waschbärgestalt zulächeln. Er hatte selbst als Tier wirklich viel von einem Menschen. Der Waschbärjunge tappte kurz davon und holte etwas aus dem Gebüsch, das aussah, wie zusammengeklebte Flügel einer Fledermaus.
Die Tasche haben wir vorher hier deponiert, damit wir nicht nackt durch die Stadt müssen, erklärte mir Yara, die es sich als Motte federleicht auf einem langen Grashalm bequem gemacht hatte.
Kaum hatte Arthur die Tasche vor mir auf den Boden gelassen, begann Phelan darin zu wühlen und zog zwei Stoffstücke heraus, mit denen er sich hinter einen Baum verzog.
Verwundert blickte ich ihm nach, doch dann tätschete Arthur meinen Fuß.
Also, du musst dich jetzt konzentrieren. Am besten schließt du die Augen. Stell dir einen Menschen vor. Stell dir vor, wie du als Mensch aussehen würdest. Spürst du ein Kribbeln?
Ich gehorchte meinem Waschbärfreund und tatsächlich regte sich in meinem Nacken wieder dieses Ameisengefühl. Ich nickte, mit immer noch geschlossenen Augen.
Konzentriere dich darauf. Du musst es durch deinen ganzen Körper strömen lassen.
Es war nicht so leicht, wie er das klingen ließ, aber langsam fühlte ich, wie sich das Prickeln über meine Schultern und meinen Rücken ausbreitete. Plötzlich fror ich ein wenig, als hätte der Wind an Kraft gewonnen.
Du machst das gut. Weiter so.
Obwohl es unangenehm war, ließ ich das Kribbeln meine Beine erreichen. Es fühlte sich an, als würden hunderte kleine Insekten meine Glieder hinaufkrabbeln und mich zwicken, aber gleichzeitig war das Gefühl unbeschreiblich. Angenehm und unangenehm zugleich. Ich fror noch mehr und plötzlich fühlte ich das Verlangen, meine Vorderbeine wärmend um meinen Körper zu schlingen.
Schließlich erreichte das Kribbeln mein Gesicht, es war, als würde mir jemand sanft, aber bestimmt, die Schnauze wegdrücken. Ich hatte immer noch die Augen geschlossen, aber ich merkte, wie sich meine Gewichtsverteilung komplett verlagerte. Als ich mit den Beinen herumfuchtelte, um meine Balance zu finden, bogen sich meine Gelenke in andere Richtungen als sonst. Etwas Angst stieg in mir hoch. War ich jetzt verwandelt?
Kurz bevor ich tatsächlich umfiel wie ein toter Baum, schlug ich die Augen auf. Das erste was ich sah war...Farben. Als Esel konnte ich bei Dunkelheit schon recht gut sehen, aber nun waren die ganzen Farben viel kräftiger und meiner Meinung nach waren es auch viel mehr als sonst. Kurz darauf plumpste ich mit dem Hintern auf den Waldboden. Ich warf einen Blick auf meine Beine und erschrak. Wo war mein Fell?!
Innerlich war ich ganz panisch, als ich meinen Körper nach meinem hellgrauen Fell abtastete. Überall nur nackte Haut, kein Wunder, dass ich so fror.
"Arthur?", winselte ich und schlug mir gleich darauf die nun menschliche Hand vor den Mund. Meine Stimme...ich hatte meine eigene Stimme gehört. Nur zögerlich löste ich die Finger von meinem Gesicht und tastete mit der Zunge meine Lippen und Menschenzähne ab. Jedes Mal wenn ich die Luft ausstieß, hörte ich einen leisen Ton in meiner Kehle.
"Du hast es geschafft!", rief da auf einmal Arthurs bekannte Stimme. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er sich auch verwandelt hatte. Er stand wieder als dunkelhaariger Junge vor mir und hatte sich Menschenkleider übergezogen. Nur seine Haare sahen noch aus, als wäre er gerade aus einem Dornbusch gekrochen.
"Hab ich das?" Ich war noch etwas im Schock. Bekam ich mein Fell denn wieder? Wo war es hin?
"Sieh dich doch einmal an", meinte Arthur und reichte mir etwas, das eine glatte Oberfläche hatte, wie Wasser. Ich griff danach, es fühlte sich kalt an und ich hatte zunächst Probleme, es mit meinen neuen Fingern festzuhalten, aber schließlich konnte ich das Ding untersuchen. Ich erschrak, als mir aus der glänzenden Oberfläche ein Gesicht entgegenstarrte.
"Das ist ein Spiegel. Du kannst dich darin sehen, wie in einer Pfütze", erklärte mir Arthur geduldig und ich nahm Abstand von dem Gedanken, diesen Spiegel von mir zu werfen.
Das war also ich, da in der Oberfläche. Mir sah ein Junge mit heller Haut und braunen Augen entgegen. Seine Haare waren dunkel und sahen ziemlich ungepflegt aus, sie hingen ihm bis zu den Schultern, waren strähnig und mittig am Kopf in einen Scheitel geteilt. Einige Strähnen hingen ihm vor die Augen und verdeckten seine hohe Stirn.
Das sollte ich sein? Und wie hielten es die Menschen nur ohne Fell aus, es war furchtbar kalt.
Die Fragen konnte ich nicht stellen, zumindest noch nicht, denn Arthur zog mich auf die Füße. Ich stand noch unsicher und schwankte sicher wie ein junger Baum im Sturm, aber mithilfe meiner praktischen Hände schaffte ich es, einen Ast zu greifen und mich aufrecht zu halten. Es war seltsam, auf nur zwei Beinen zu stehen, wie schafften die Menschen es bloß, nicht umzufallen, wenn sie sich nicht, so wie ich, irgendwo anklammerten?
Arthur half mir schließlich, auch Menschenkleider überzuziehen, die, wie ich erleichtert feststellte, auch wärmten. Die Schuhe, wie Arthur sie nannte, waren seltsame, biegsame Platten mit einem Riemen, der sich, als ich meine Füße hineinschob, zwischen meinen ersten und zweiten Zeh quetschte.
Während ich stumm übte, mein Gleichgewicht zu halten, trat hinter dem Baum, hinter dem Phelan verschwunden war, ein großer Junge hervor. Ich erkannte den Wolfswandler sofort an seinen ungewöhnlichen, orangefarbenen Augen, die er auch als Mensch hatte, aber ansonsten wies nichts mehr auf den kräftigen Wolfsrüden hin, dem ich nicht getraut hatte. Um seinen Oberkörper trug er ein schwarzes Stück Menschenkleidung und um seine Beine flatterte etwas Blaues, während er an den Füßen genau die gleichen Schuhe hatte, wie ich. Sein Charakter schien sich mit der Verwandlung jedoch nicht geändert zu haben, er blieb stumm und sah mir mit stechendem Blick dabei zu, wie ich ein paar Schritte watschelte, mehr wie eine Ente, als ein Mensch.
Schließlich verwandelte sich auch Yara hinter einem Strauch und zog sich etwas an. Von der Motte war in ihrer Menschengestalt recht wenig zu erkennen, wenn nicht sogar gar nichts. Das Mädchen, das da vor mir stand, war ziemlich klein und zierlich, mit dünnen Armen und Beinen und braunen Haaren, die ihr etwas verfilzt über die Schultern bis fast zur Hüfte hingen.
Arthur schien, als wollte er aufbrechen, aber Yara unterbrach ihn, bevor er etwas derartiges sagen konnte.
"Wir können ihn doch so nicht in die Stadt lassen. Seine Haare sehen aus, als hätte ein Eichhörchen darin genistet und dann ins Gras gebissen", meinte sie mit einem ernsten Gesichtsausdruck, während Phelan sich tatsächlich ein Lachen verkniff.
Was war denn an Gras so schlecht? Auf der Farm hatte ich für frisches Gras alles gegeben. Aber Eichhörchen fraßen kein Gras, vielleicht lag es ja daran.
Arthur warf einen Blick auf meinen Kopf und nickte. "Tob dich aus", war das einzige was er sagte, und ich bemerkte, wie Yaras Augen zu leuchten begannen.
Sie kramte etwas aus der Tasche, das aussah, wie ein Igel am Stiel und einen dehnbaren, rosafarbenen Ring mit kleinen Blümchen darauf. Ich war nicht sicher, was sie damit vorhatte. Das Ding mit den Stacheln sah von Nahem nicht so gefährlich aus, denn die Spitzen waren abgerundet, aber trotzdem kam sie mir mit dem Stieligel für meinen Geschmack etwas zu nah, als sie mir damit durch die Haare fuhr. Es ziepte ganz schön.
"Was tust du da? Das tut weh!"
"Halt still, ich richte deine Frisur. Weißt du, die meisten Menschen finden es seltsam, wenn jemand herumrennt, als hätte man ihn durch den halben Wald geschleift. Das...", sie drückte mit den Stieligel in die Hand. "...ist eine Bürste. Damit macht man Knoten aus den Haaren. Manchmal tut das weh, aber dafür siehst du jetzt gut aus."
Nach einem leisen "Schnapp" trat Yara zurück, offenbar zufrieden mit dem, was sie mit meinen Haaren angestellt hatte. Jedenfalls hingen mir nun keine Strähnen mehr ins Gesicht, was tatsächlich sehr angenehm war. Ich tastete trotzdem nach meiner sogenannten "Frisur" und stellte fest, dass meine Haare an meinem Hinterkopf von dem Ring festehalten wurden.
"Können wir dann jetzt los?", fragte Arthur, sichtlich nervös. Sein Fuß tippte die ganze Zeit auf den Boden, was ich schon bei einigen Eltern gesehen hatte, die ihre Kinder nicht von den Pferden losgeeist bekamen.
Alle, inklusive mir, nickten.
"Na dann! Auf in die Stadt!"
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