6. Wolfsaugen und Waldschatten
Ich wollte immer noch nicht glauben was da eben vo meinen Augen geschehen war. Ich weiß selbst nicht, was mich davon abhielt, einfach wegzulaufen. Vielleicht war es diese Verbundenheit mit Pearl die ich auch zu ihnen fühlte?
In mir regte sich wieder das Kribbeln, stärker, als zuvor, als wäre ich direkt in einen riesigen Ameisenhaufen getreten.
Vorsicht, Echo-Effekt! rief der Schmetterling und flatterte auf einmal aufgeregt mit den zarten Flügeln.
Ich hatte keine Ahnung was ein Echo-Effekt sein sollte, aber es schien Arthur dazu zu bringen, sich wieder zurückzuverwandeln. Der felllose Menschenkörper schrumpfte langsam wieder zusammen, graue, weiße und schwarze Haare sprossen wie frisches Gras im Frühling aus der blanken, rosa Haut und am Ende des Rückgrats des Jungen wuchs der elegante, geringelte Schweif hervor. Wieder mit der schwarzen Maske im Gesicht sah der Waschbär mich von unten herauf an und das Kribbeln legte sich wieder. Den Sternen sei Dank, das war unangenehm gewesen.
Um ehrlich zu sein, war ich von der Situation komplett überfordert, die drei in Gedanken sprechende Tiere blickten mich an, als erwarteten sie etwas von mir, doch ich wusste nicht, was ich tun sollte. Meine langen Ohren zuckten unruhig unter diesen Blicken hin und her, besonders die Anwesenheit des Wolfes machte mich nervös. Noch nie war ich einen derart gefärhlichen Raubtier so nahe gekommen. Das einzige was in meiner Vergangenheit annähernd an einen Räuber wie ihn herankam, war die faule Katze auf dem Hof, die letzten Frühling von einer Krachmaschine erwischt worden war, und die hatte den ganzen Tag nur in der Sonne gelegen und sich den Pelz abgeleckt.
Arthur schien meine Unruhe zu bemerken und wieselte zwischen meine Vorderhufe, wo er sich Phelan zuwandte.
Phelan...würdest du vielleicht...?
Schon verstanden. Ich halte Wache oder sowas.
Besonders begeistert klang das Wolfsmännchen nicht, sein Gesicht, wenn auch das eines Tieres, wirkte gelangweilt, beinahe schon genervt. Der kräftige, schwarze Rüde schüttelte sich den Schmetterling von der Nase und verschwand auf leisen Pfoten im Unterholz des dichten Waldes. Ich merkte, wie ich ihm hinterherhorchte, aber eigentlich interessierte es mich gar nicht, was er machte. Sollte er doch den Mond anheulen, oder so, Hauptsache er war nicht in meiner Nähe und starrte mich nicht an.
Nachdem Phelan verschwunden war entspannte ich mich ein wenig und kam dazu, die Umgebung zu mustern. Die kleine Lichtung, auf der wir uns befanden, war umgeben von großen, schmalen Bäumen, dessen Äste mal mit Blättern und mal mit Nadeln bedeckt waren. Kühler, sanfter Nebel waberte über den staubigen Boden und benetzte die etwas verdorrt aussehenden Grashalme mit einem feinen Schleier aus winzigen Tautropfen. Der Mond schien hinunter und brachte die feuchten Halme zum glänzen und ich fühlte mich bei dem kaltweißen Licht sofort wieder an Pearls weiße Haare erinnert. Es fühlte sich hier kälter an, als auf der Farm, aber die Luft roch um so vieles besser, so, als hätte es gerade erst geregnet. Mir gefiel es hier, obwohl ich normalerweise lieber den Himmel über mir hatte, als Bäume, aber da zwischen den Nadeln und Blättern immer wieder nachtblaue Fetzen mit Sternen hindurchblitzten, störte es mich nicht so.
Ich kam nun auch dazu, den Schmetterling genauer zu betrachten und stellte fest, dass es gar nicht so sehr wie ein Schmetterling, sondern eher wie eine Motte aussah, die Fühler, die aussahen wie kleine Farnwedel, verrieten ihn.
Schließlich wanderte mein Blick wieder zu Arthur, der offensichtlich wartete, bis ich mit der Inspektion des Waldes fertig war.
Bestimmt hast du viele Fragen, hörte ich die Mädchenstimme in meinem Kopf, die Motte hatte sich als neuen Sitzplatz mein rechtes Ohr ausgesucht und ihre kleinen, zarten Beinchen kitzelten ganz schön.
Fragen hatte ich viele, und wie. Ich konnte mich gar nicht für eine entscheiden, sondern wollte sie am liebsten alle gleichzeitig stellen, doch da viel mir wieder ein, dass Pearl einen Ort erwähnt hatte, an den sie mich bringen wollte. Eine Schule.
Was ist das für ein Ort, wo wir hinwollen?
Das Wort "wir" hörte sich in meinen Gedanken wunderschön an. Zuletzt hatte ich das Wort benutzt, als ich noch bei meiner Eselherde gewesen war und bei meiner Mutter. Ob es ihnen gut ging? Wenn ich doch bloß wüsste, wo sie waren.
Es ist eine Schule namens Clearwater High. Dort gibt es nur Wandler, so wie wir welche sind und wir lernen Dinge, die wichtig für uns sind, egal für welche Gestalt wir uns am Ende entscheiden. Es ist wirklich sehr schön da wir haben ein Stückchen Wald und einen Bach und viele nette Menschen dort.
Bei "Menschen" zuckte ich kaum merklich zusammen. Ich fand sie immer noch faszinierend, aber ob ich mich inmitten einer Menschenmenge so wohl fühlen würde wie in einer Herde wusste ich nicht.
Und wie kommen wir da hin? fragte ich vorsichtig, ich konnte immer noch nicht beurteilen, ob dieser Ort etwas für mich war.
Diesmal antwortete Arthur.
Wir müssen diesen Wald durchqueren, dann kommen wir zu einer kleinen Stadt, wo meine Grandma wohnt. Sie wird sich um uns kümmern, bis der Hausmeister der Schule uns abholt und uns zur Clearwater High bringt.
Was zum Heuballen war denn bitte eine Grandma? Und was war ein Hausmeister?
Trotz meiner Verwirrung stimmte ich zu.
Und wo ist Pearl?
Die ist mit ihren Eltern in einem Restaurant essen, damit sie ein Alibi haben. Naja...technisch gesehen haben wir dich gestohlen und da Mr. Martinez heute versucht hat dich zu kaufen, wird er vermutlich verdächtigt, dich geklaut zu haben, antwortete die Motte, während sie mit den Vorderbeinen ihre Fühler putzte. Sie überging einfach, dass ich mindestens die Hälfte ihrer Worte nicht verstand.
Verwirr ihn nicht, Yara. Wir sollten einen Platz zum Übernachten suchen, wir müssen morgen früh weit weg sein, wenn sie merken, dass Gray fehlt.
Die Motte, offenbar mit dem Namen Yara, murmelte irgendetwas, dass ich in meinen Gedanken nicht verstehen konnte und flog von meinem Ohr auf. In dem Moment merkte ich, wie müde ich eigentlich war. Müde von dem anstrengenden Tag auf dem Hof und müde von diesen ständigen neuen Eindrücken die auf mich einströmten, wie ein Wasserfall.
Ich blickte mich nach einem geeigneten Plätzchen um, doch irgendwie schien es mir nirgends sicher genug. Was wenn ein wildes Tier vorbeikam? Oder ein Jäger?
Reiß dich zusammen, Gray! Der Wald ist nun mal kein Stall.
Stur suchte ich weiter und entschied mich schließlich, zwischen zwei nah beieinander stehenden Bäumen zu rasten und obwohl sie Schutz vor dem Wind boten und sowohl Arthur, als auch Yara sich in meiner Nähe zur Ruhe legten, schlief ich in dieser Nacht im Stehen.
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