3. Sternenschwur

Dämmerung. Eindeutig meine Lieblingszeit. Auf dem Hof beruhigte sich alles wieder und leuchtende Farben tanzten am Himmel. Jetzt wo allerdings der Herbst kam, wurde es schnell kühl und ich war froh über das frische Stroh, dass sich nahe an meinem Zaun häufte. Mit dem Kopf auf dem splitterigen Holz meines Gatters aufgestützt, starrte ich Richtung der leuchtenden Punkte in der Ferne. Fast wie Sterne, nur dass diese Lichter einen größeren Schein in den Himmel strahlten. Ich hatte die Lichter noch nie von Nahem gesehen, aber ganz offensichtlich waren es keine Glühwürmchen, wie ich am Anfang geglaubt hatte, da sie sich nie von der Stelle bewegten und auch ziemlich eckig ausssahen.

Ich horchte auf, als ich Schritte und Stimmen hörte. So spät trieben sich normalerweise keine Familien hier herum, aber sobald ich das Kribbeln im Nacken spürte, wusste ich, wer das war, noch bevor die drei Menschen mit den gelben Augen um die Ecke kam. Die weißen Haare des Mädchens und ihrer Mutter schienen im Dämmerlicht zu glühen wie der Mond selbst und wurden vom Wind unbarmherzig verweht.

Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich einmal so freuen würde, Menschen zu sehen, obwohl ich sie gar nicht kannte, aber in meiner Brust prickelte es aufgeregt, als die Drei zu mir an den Zaun traten. Ich hatte nicht das Bedürfnis, vor ihnen zurückzuweichen, obwohl der Mann mich um einiges überragte, und ihre stechenden, gelben Blicke auf mir lagen, als wollten sie mich durchbohren. Die Stimme die ich in meinen Gedanken gehört hatte, ging mir nicht aus dem Kopf, irgendetwas sagte mir, dass sie etwas mit diesen Leuten zu tun hatte.

In diesem Moment wünschte ich mir wirklich, eine Stimme zu haben, die sie verstehen konnten, ich hatte so viele Fragen, und keine konnte ich stellen. Ich begrüßte die Familie mit aufgestellten Ohren und reckte ihnen meine hellere Schnauze entgegen. Dieses Vertrauen, das mich durchströmte, war ein ganz neues Gefühl, und ich mochte es. Ich mochte diese Menschen.

"Bist du dir sicher?", fragte auf einmal der große Mann, bevor er mir vorsichtig die raue Hand auf die Nüstern legte.

"Ja, du spürst es doch auch oder?", antwortete das Mädchen, sie hatte eine hohl klingende, hohe Stimme, klar, wie ein Vogelgesang am Morgen.

"Schon, aber vielleicht gibt es ja noch einen", der Mann zuckte mit den Schultern und strich mir überraschend sanft über die Stirn hinunter zur Nase.

"Ich werde mal mit ihm reden. Vielleicht weiß er ja etwas."

Das weißhaarige Mädchen stellte sich vor mich hin, ihre Augen so starr auf mich gerichtet, als wollte sie mir in die Seele blicken. Sie machte mich nun doch etwas nervös, aber da plötzlich! Da war sie wieder. Die Stimme.

Hallo, Elvis.

Die Worten schossen durch meinen Kopf wie ein Blitz und ich hielt inne. Sie sprach mit mir! Ein Menschenmädchen sprach mit mir. Als wäre die Zeit eingefroren starrten wir uns gegenseitig in die Augen, bis mir klar wurde, worauf sie wartete. Sie wollte eine Antwort von mir. Aber da ich vorher noch keinen Plausch in meinen Gedanken geführt hatte, hatte ich keine Ahnung wie.

Du bist doch Elvis, oder?

Ich schnaubte. Wie ich diesen Namen hasste. Ich wich ihrem Blick kurz aus.

Gray. Mein Name ist Gray, dachte ich verbittert. Das war mein Name, nicht irgendein Menschenwort. Gray, weil mein Fell grau war, ich wusste ja nicht einmal was ein Elvis sein sollte.

Gray, also. Ich bin Pearl.

Erneut fror ich in meiner Bewegung ein. Sie hatte mich verstanden!

Inszwischen war es dunkel geworden, aber die Finsternis, die sich über den Hof legte, wie eine dunkle Satteldecke, schien die Menschen nicht zu stören.

Wir sind gekommen, weil wir ein paar Fragen an dich haben.

Was für Fragen?

Sie kommen dir wahrscheinlich etwas komisch vor, aber weißt du, was du bist? , hallte es durch meinen Kopf.

Ich war verwirrt. Natürlich wusste ich was ich war, man sah doch, dass ich ein Esel war, zumindest hatte man das gesehen, als ich mich letztes Mal in einer Pfütze betrachtet hatte.

Ein Esel natürlich. Was soll ich sonst sein? , schickte ich zurück, so gut es ging, aber die kurze Stille danach, verunsicherte mich immer, ob es auch angekommen war.

"Er weiß es nicht", Pearl wandte sich kurz zu ihren Eltern, als sie das sagte, bickte dann aber wieder zu mir.

Und...bist du glücklich hier, auf dem Hof?

Die Frage traf mich irgendwie mitten ins Herz. War ich das? War ich glücklich? Ich blickte hinüber zum Stall, wo das Wiehern der Pferde zwischen den rotbraun gestrichenen Brettern hervordrang. Ein wenig weiß-blaues Licht quoll noch oben aus der Box meines Menschen. Ich hatte hier fast mein ganzes Leben verbracht, ich kannte jede Ecke, jeden Bewohner, von den kleinsten Ponys, bis zu dem großen, eingebildeten Schimmel, der dachte, hier das sagen zu haben. Ich wusste, dass sie hier glücklich waren, aber was war mit mir? Ich hatte nie darüber nachgedacht, nie geglaubt, dass es für mich auch ein Leben außerhalb dieses Hofes geben könnte. Vielleicht ja da, wo die Lichter in den Himmel schienen, oder im Wald, den ich so bewunderte?

Ich blickte zurück zu Pearl, die mich erwatungsvoll ansah. Ihre Gesichtszüge waren allesamt rund und sanft, doch sichtlich angespannt, wartete sie auf meine Antwort. Unsicher mahlte ich mit den Backenzähnen.

Nein. Neib bin ich nicht.

Ich schaute zu Boden, es fühlte sich an wie Verrat, das zu sagen, die Wahrheit zu sagen. Mein Zuhause fühlte sich nicht mehr an wie ein solches. Ich verband nichts mehr mit diesem Ort.

Wir können dich hier rausbringen, wenn du das willst. Wir kennen einen guten Ort für dich, wo du bleiben kannst.

Was für ein Ort denn?

Es ist eine Schule. Eine Schule für Leute wie uns. Es ist ein sehr toller Ort.

Verunsichert tänzelte ich auf den Hufen herum. Leute wie uns. Was sollte das heißen? Und war eine Schule nicht das, wo die Menschenkinder hingingen? Was sollte ich als Esel dort?

Plötzlich hörte ich erneut Schritte, und kaum einen Moment später kam der Leithengst um die Ecke gestiefelt. Er war nicht mehr in dem dunkelgrünen Stück Stoff gekleidet und hatte weißen Schaum auf den Wangen.

"Verzeihung? Die Tiere brauchen ihre Ruhe, würden Sie bitte gehen? Sie können gerne morgen wiederkommen, wenn Sie wollen", sagte er und machte Anstalten, Pearl und ihre Eltern von meinem Zaun wegzuscheuchen.

Doch dann mischte sich der gelbäugige Mann ein.

"Haben sie einen Momen für mich?", damit zog er den Mann mit dem Gesichtspelz etwas weiter weg um auf ihn einzureden.

Wir müssen jetzt leider gehen. Wenn mein Dad es schafft, dich zu kaufen, dann kommen wir dich morgen abholen.

Und wenn nicht?

Ich wusste nicht, was kaufen bedeutete, aber ich wusste, das der Leithengst des Hofes unheimlich stur war und dass die Chancen, seinen Willen zu brechen, so gut standen, wie bei einem Versuch, einen erschrockenen Esel von der Stelle zu bewegen.

Das wirst du dann sehen. Ich verspreche dir, dass wir dich hier rausholen, okay?

Ich murmelte meine Zustimmung, doch ein Versprechen war mir nicht genug. Meine Mutter hatte mir, als ich ein Fohlen gewesen war, beigebracht, dass man einen Schwur bei den Sternen nie brechen durfte, denn die Sterne waren das Reinste und Ehrlichste, was es in der Natur zu finden gab. Wer bei ihnen schwor, der war an sein Versprechen für immer gebunden, bis er es erfüllte.

Schwörst du es bei den Sternen?, schickte ich Pearl hinterher, die sich umdrehte, und mich leicht verwirrt ansah.

Natürlich. Ich schwöre es bei den Sternen, dass wir dich hier rausholen, in Ordnung?

Ich zuckte zufrieden mit den Ohren und blickte Pearl und ihrer weißhaarigen Mutter nach, wie sie zu der letzten, am grauen Pfad stehenden Krachmaschinen gingen, die kleinen Türe an der Seite öffneten, und sich hineinschwangen.

Der Mann mit den rauen Händen jedoch blieb und diskutierte mit dem Hofbesitzer, ihre Stimmen wurden langsam lauter. Ich hatte gelernt, dass Menschen nur lauter wurden, wenn sie Spaß hatten, oder wenn sie wütend waren. Ich konnte nur nicht erkennen, was denn nun bei ihnen der Fall war, da sie zu weit weg standen und ich ihre Gesichter nicht gut erkennen konnte. Schließlich stapfte der Hüne davon zur Krachmaschine und starrtete sie. Mit lautem Getöse düsten sie vom Hof weg, doch ich hörte noch einmal, ganz leise, eine Stimme in meinem Kopf.

Hat nicht geklappt. Keine Angst. Wir schicken Freunde zu dir.

Die Worte wurden gegen Ende immer leiser, wahrscheinlich weil sich Pearl von mir entfernte. Es war nun unerträglich still, sowohl außen, als auch in meinem Kopf. Freunde. Sie schickte Freunde zu mir, hatte sie gesagt. Aber nicht wann. Wie lange sollte ich noch hier verbringen?

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