Der Winterball - Teil 4
Kapitel 4
Kieran
Kieran sah sich noch einmal nach Saddest um, um ganz sicherzugehen, dass seine Abwesenheit auf ihre Zustimmung stieß. Doch sie hatte bereits ihre Hand in Lucans gelegt, der sie Zielsicher auf die Tanzfläche führte, wo die Leute sie mit fragenden Blicken ansahen und sich überlegten, wie genau dieses Aschenputtel es geschafft hatte in der High Society aufgenommen zu werden. Als er sicher war, dass Saddest ihn für den Moment nicht brauchte und sein Bruder sie nicht all zu sehr nervte, stand Hawke Nolan vor ihm. Der Mann hatte den Körperbau eines Boxers und war fast einen halben Kopf größer als Kieran. Doch das war nicht das vorrangige Mittel, mit dem Hawke Nolan die Leute um sich herum einzuschüchtern versuchte. Es war der Blick. Hawke hatte die durchdringenden dunklen Augen, die auch seine Schwester besaß. Aber in Gegensatz zu der energischen aber doch symphatischen Sin Nolan, starrte Hawke die Leute regelrecht nieder. Das war auch der Grund warum Kieran sich mit ihm auseinandersetzte und nicht Lucan. Kieran war immun gegen solche Spielchen, der er Probleme damit hatte Gefühle so zu empfinden wie andere es taten, inklusive Angst. Das einzige Gefühl, dass sich nachhaltig in ihm festgesetzt hatte, war die Liebe zu seinem Bruder, Saddest und dem Rest seiner Familie. Inklusive seiner Großmutter auch wenn sie das nicht verdient hatte.
„Kieran Lovwell, mein Glückwunsch zur Partnerschaft. Auch wenn ich hörte, dass dieser Name eigentlich nicht korrekt ist. Sollten Männer nicht den Namen der Frau annehmen?", fragte Hawke und versuchte damit Kieran aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das schien Hawkes persönliche Vendetta zu sein. Er versuchte es, obwohl er jahrelang mit Kieran in einer Klasse gewesen und sehr wohl wusste, dass dies bei ihm nicht funktionierte.
„Sie hat keinen und das Gesetz ist in solchen Fällen eindeutig", erwiderte Kieran rein fachlich, was Hawke allerdings nicht den Wind aus den Segeln zu nehmen schien.
„Das Gesetz auf die sich diese Entscheidung bezieht, ist mehr als fünfhundert Jahre alt. Niemand hat je mit so einem Fall gerechnet."
„Laut Gesetz darf einer Frau bei dem Eingehen einer Partnerschaft kein Nachteil entstehen. Wir waren selbst überrascht, dass es so weit kommen würde", kam wieder eine lockere und emotionslose Erklärung von Kieran, doch Hawke Nolan war ein verdammter Bluthund, wenn es darum ging das etwas nicht so lief, wie es sich vorstellte. Warum er diese Kabbelei nicht einfach sein ließ, hatte Kieran nie verstanden. Konnte er Kieran einfach nur nicht ausstehen oder war dies der normale Umgang mit einem Verbündeten?
„Und eure Großmutter erst. Aber genug der Höflichkeiten: Bist du hier um deine Ergebnisse zu erfahren?", fragte Hawke und erweckte nur äußerlich den Anschein das Machtspielchen fallen zu lassen, aber Kieran wusste es besser. Er kannte Hawke einfach schon viel zu lange dafür.
„Nein. Mir ist das Ergebnis egal, meine Partnerin liegt in meinem Bett, das ist alles, was zählt." Der Kommentar ließ Hawke breit Lächeln. Ein ungewohnter Anblick, aber noch viel ungewohnter war es, dass der Mann Kieran die schwere Pranke auf die Schulter legte. Die Geste war fast freundschaftlich, also wäre es normal sich gegenseitig erst aufzuziehen bevor man zum wesentlichen überging. War das jetzt nun der Umgang mit einem Verbündeten? Kieran würde Lucan deswegen fragen müssen.
„Gut, aber ich versüße euch dennoch den Tag mit dem Ergebnis: Ihr liegt beide über siebzig Prozent und habt damit ein annehmbares Ergebnis." Das war tatsächlich sehr annehmbar. Aber die Werte, die Kieran und Lucan bei Saddest erreicht hatten, während sie das Armband getragen hatte, waren eine reine Formalität gewesen. Es diente einzig und alleine dem Zweck die künstliche Intelligenz mit Daten zu füttern, damit diese lernen konnte.
„Uninteressant, wie geht es voran?", kam Kieran auf den Punkt und Hawkes Lächeln verschwand fast sofort.
„Die Bevölkerung drängt nach einer baldigen Einsatzbereitschaft der verbesserten Optimierung, aber es hängt im Genehmigungsverfahren." Bevor die neue Optimierung der breiten Bevölkerung zur Verfügung gestellt wurde, auf Kosten des Staates, musste dieser erst alles genehmigen und leider war Bürokratie ein ziemlich zäher Prozess.
„Beabsichtigte Steine?", fragte Kieran um herauszufinden, ob die entlassenden ehemaligen Beamten der Familienbehörde ihr letztes bisschen Einfluss dafür verwendeten, um ihnen Steine in den Weg zu legen. Ihre Entlassung ging schnell nachdem herausgekommen war, dass die Behörde an der Sicherheitstechnik des Nolan Towers herumgefuscht hatte. Doch der zivile Prozess stand noch aus und es würde wohl noch Jahre dauern, bis alle Beteiligten zur Rechenschaft gezogen wurden und auch noch der letzte korrupte Beamte, der sich für manipulierte Matches hatte bezahlen lassen, enttarnt war. Aber letzteres war vor allem Sin Nolans Kampf und die der anderen betroffenen Frauen.
„Nein. Wir verstoßen gegen das Gesetz zur Kontrolle von künstlichen Intelligenzen", erklärte Hawke und das Verstand Kieran nur zu gut.
„Nur eine künstliche Intelligenz kann sich so anpassen, dass sie ihre Aufgaben immer weiter optimiert und dabei so kreativ vorgeht, sich gegen Manipulationsversuche von außen zu schützen. Es gibt keine andere Lösung: Wenn wir nicht wollen, dass Menschen eingreifen können, dürfen wir es keinem Menschen in die Hand geben." Das war eine logische Schlussfolgerung, doch bereits vor einigen Jahrhunderten hatte die Regierung strenge Regelungen erlassen zum Umgang mit künstlichen Intelligenzen, damit diese nicht außer Kontrolle gelangen und nicht wirklich den Status eines eigenen Bewusstseins entwickelten.
„Ja, so hat Sin vor dem Ausschuss auch argumentiert und dazu noch angebracht, das die Intelligenz in einen abgeschotteten Prozessor ist, der Naturgemäß, weil es zu seiner Aufgabe gehört, kein bestreben hat sich in die Außenwelt zu wagen. Die Daten zu schützen hat oberste Priorität für das Programm."
„Und das reicht nicht? Ist die Tatsache, dass die KI selbst kein Interesse nach einer Erweiterung seiner Aufgaben hat und sich in Isolation befindet nicht genug?", fragte Kieran weiter, der wenig Verständnis für Politik hatte. Er war Wissenschaftler, um den Rest kümmerten sich die Nolans.
„Es ist einer der zentralsten Lebensbereiche den wir in die Hand einer Maschine geben, die wir weder durchschauen noch kontrollieren können, das braucht eben Zeit." Aber sie konnten verdammt nochmal den Stecker ziehen. Welche Sicherheit brauchten die Menschen in den Ausschüssen denn noch?
„Gerade die Durchschaubarkeit und die mögliche Kontrolle hat das alte Optimierungsprogramm. Zum scheitern gebracht", gab Kieran weiter zu bedenken und erntete lediglich ein Schulterzucken.
„Ich weiß und wir haben Glück: Der Druck von Außen auf die Regierung ist groß. Das Vertrauen in die Familienbehörde ist zerstört und die Hoffnung auf etwas Besseres trifft auf fruchtbaren Boden. Wir haben gute Chancen, dass schon im nächsten Quartal eine Gesetzesanpassung durch die Parlamente gewunken wird." Das war zumindest einmal ein Fortschritt, womit Kieran auch endlich zu dem Thema kommen konnte, weswegen er eigentlich hier war.
„Gut. Denn wir haben weitere Anmeldungen zu Testphasen", verkündete Kieran und Hawke runzelte die Stirn.
„Irgendwen den ich kennen muss?", fragte er und Kieran dachte nach. Kannten die Nolans die McLoos? Sie gehörten nicht zu den großen Familien, standen aber seit einigen Jahren auf der Schwelle und das würde den Nolans sicherlich nicht entgehen – zumindest wenn Kieran sich die Gästeliste des heutigen Abends so ansah, die nicht mehr so exklusiv war wie die vergangenen.
„Ihr habt außer den großen Familien auch aufsteigende Sippen eingeladen, wen genau behaltet ihr denn im Auge?", tat Kieran geheimnistuerisch, während er darüber nachdachte, ob er auf Seraphin McLoo eingehen sollte.
„Seit wann interessiert ihr euch für Politik?", kam es von Hawke zurück und Kieran erkannte Misstrauen in dem Blick seines ehemaligen Schulkameraden. Die Nolans haben sich jahrelang aus dem politischen System herausgehalten und sich auf ihre Investitionsgeschäfte konzentriert. Doch seit Sin Nolan den Schritt in die Öffentlichkeit gewagt hatte, war das wieder anders. Sie wollten zurück auf die große Bühne und das nicht ohne guten Grund: Ihr Ziel war nichts Geringeres als diese heimlichen Versteigerungen von Matches endlich zu beenden. Ein Mammutprojekt, aber wenn jemand das stemmen konnte, dann die Familie Nolan.
„Seit wir von euch mit hineingezogen wurden." Gab Kieran die offensichtliche Antwort, denn seine Firma stellte die Platinen her mit denen die künstliche Intelligenz funktionierte und arbeitete eng mit den Programmierern des Programmes zusammen. Sie hatten jahrelang in Ruhe arbeiten können, bis Sin Nolan sich auf den Vorplatz des brennenden Nolan Towers gestellt hatte und der Familienbehörde den Kampf ansagte.
„Aha, schlechte Ausrede. Also: Wer hat sich bei dir gemeldet?"
„Seraphin McLoo will mit deiner Partnerin sprechen", enthüllte Kieran und Hawke kramte anscheinend in seinen Erinnerungen.
„McLoo? Wie die Kanzlei McLoo?"
„Ja. Ihre Mutter Liz und ihr Vater Xavier führen die Kanzlei gemeinsam, sie selbst studiert Auslandspolitik." Kieran deutete auf die junge Frau an der Bar und Hawke folgte den Blick.
„Etwas launisch, extrem hübsch mit einem aufstrebenden Namen, warum sollte sie Hilfe bei der Partnerwahl brauchen?", fragte Hawke nach. Aber so einfach war das bei Seraphin nicht, denn Kieran kannte die junge Frau gut. Sie teilten nämlich einige Defizite und nachdem Saddest die Kanzlei ihrer Eltern zur Hilfe gezogen hatte, um vor Gericht alles mit ihrem Namen zu regeln, ohne das Saddest ihre wahre Identität preisgeben musste, wie sie es Johanna versprochen hatten, waren sie so etwas wie Freundinnen geworden.
„Nicht nur etwas launisch: explosiv. Es sind einige psychologische Profile durchgesickert die nahelegen, dass sie ein Problem mit ihrem Temperament hat. Dazu ist sie Einzelkind und sucht seit Jahren bereits einen Mann, mit eher wenig Erfolg. Die Männer rennen ihr regelrecht davon", erklärte Kieran und Hawke betrachtete das Mädchen eingehender. „Verstehe, ich rede mit Sin", sagte er, bevor gerade genannte plötzlich auf ihn zugelaufen kam und beide Arme um Hawkes Hals legte.
„Hawke! Keine Geschäfte vor dem Dinner!", mahnte sie strahlend und Kieran bemühte sich schnell wieder zu seinen Umgangsformen zurückzukehren.
„Miss Nolan", begrüßte er sie und wurde von einem breiten strahlenden Gesicht ebenfalls begrüßt, das ihre euchtenden, langen blonden Locken Konkurrenz machte. Sie war hübsch und für manche vielleicht die Schönste hier aber Kieran spürte ihren Zauber kaum, denn sein Herz war besetzt. Und selbst rational betrachtete wäre sie nicht die Schönste hier. Hawke hatte es aus der Ferne noch nicht bemerkt, aber Seraphin McLoo war nicht nur „hübsch", ihre äußerliche Erscheinung war reine Perfektion, wenn sie Sins Charisma hätte, könnte sie die Welt regieren. Aber das hatte sie nicht, sie war eine Furie, der mann die Krallen Stutzen musste, dass sah man ihr deutlich an.
„Kieran Lovwell?", fragte Sin, schmunzelte so zuckersüß, dass es ihn kurz an Saddest erinnerte und nickte dann. Er und sein Bruder waren Zweieiig, sahen sich aber tatsächlich ziemlich ähnlich, wenn Lucan nicht so darauf bedacht wäre sich Metall ins Gesicht stechen zu lassen und nicht so einen penetranten Muskelaufbau föhnen würde, er war Hawke zumindest in puncto Körperbau gar nicht mal so unähnlich.
„Ja, Ma'am.", meinte er ehrerbietig und verbeugte sich knapp.
„Ich denke Ihre Partnerin wartet ebenfalls auf Sie. Sie sollten zu ihr gehen", meinte Sin und winkte ihn davon. Kieran sah zu Hawke, der ihn noch einmal zunickte um zu verdeutlichen, dass er sich um dieses Gespräch mit Seraphin kümmern würde. Dann konnte Kieran beruhigt gehen.
„Sicher. Vielen Dank, für den schönen Abend, Miss Nolan", sagte er, doch Sin nahm das kaum zur Kenntnis, die hatte sich nämlich an ihren ältesten Bruder gedrückt und flüsterte ihm irgendetwas ins Ohr, das den großen bösen Hawke Nolan schmunzeln ließ.
Beta: Geany
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