Der Winterball- Teil 1

Kapitel 1

Sin
„Ich will nicht!", murmelte Sin mit verschränkten Armen und sah Hawke dabei trotzig an. Natürlich hatte sie nicht die geringste Chance gegen seine Dominanz wenn er sich ernsthaft etwas in den Kopf setzte. Aber sie war das Familienoberhaupt! Nicht er! Und wenn sie beschloss den Winterball, wie alle anderen davor, ausfallen zu lassen, würde sie das tun!
„Es ist ein wichtiger gesellschaftlicher Anlass, sogar der wichtigste, wenn man bedenkt, dass die zwölf großen Familien Nordamerikas sich treffen um darüber zu diskutieren, welche die großen gesellschaftlichen Probleme sind und wie man sie löst!" Ermahnte Hawke sie erneut und Sin schnaufte nur abfällig. Erst in diesem Sommer war sie die Partnerschaft mit jedem ihrer drei Brüder eingegangen und wusste ganz genau, dass sie sich von unbekannten Damen nur würde anhören müssen wie geizig sie sich verhielt. Zumindest einen ihrer Brüder hätte sie einer anderen Frau können müssen. Mindestens. Aber sie wollte davon nichts hören und dass sie das zu hören bekommen würde, stand fest. Gerade die etwas alt eingesessenen Familienoberhäupter waren starke und durchsetzungsfähige Charaktere, vor denen Sin zu Recht eine Heidenangst hatte.
„Ich dachte für sowas wählen wir alle vier Jahre einen Kongress und einen Abgesanten für den Weltrat!", setzte Sin dagegen und griff genervt nach der Fernbedienung auf dem Tisch um ihre Lieblingsserie etwas lauter zu schalten. Aber bevor sie sie erreichen konnte hatte Logan sie und schaltete wieder auf ein Wissenschaftskanal. Wie langweilig. Aber sie beließ es bei einem bösen Blick in Richtung ihres jüngsten Bruders.
„Oh. Bitte. Als würden Menschen, die nur Angst haben nicht wiedergewählt zu werden, irgendetwas wirklich in die Hand nehmen und damit riskieren ihre Umfragewerte zu gefährden. Das ist das erste Jahr, nach etlichen, dass wieder ein Familienoberhaupt der Nolas teilnimmt und wir haben es durchaus verdient uns auf die Schulter klopfen zu lassen", mahnte Hawke wieder und schien unbeirrbar in der Ansicht, dass sie da tatsächlich auftauchen würden. Sin schnaubte abfällig.
„Du warst auf allen dabei, vielleicht nicht persönlich aber definitiv als Hintermann und hast die Strippen gezogen. Mach das doch einfach weiterhin!"
„Nein, Sin. Das ist deine Aufgabe. Also wirst du dir ein hübsches weißes Kleid anziehen, eine Maske kaufen und an den Armen deiner Brüder da auftauchen und dich mit den anderen Ladys anfreunden!", entschied Hawke ohne das seine Stimme einen Widerspruch zulassen würde. Sin wollte gerade ausrasten weil er es immer noch wagte für sie Entscheidungen zu treffen, aber da mischte sich plötzlich Logan ein.
„Was? Moment. Brüder? Plural? Wieso müssen wir alle mit?", fragte er und stopfte sich weiter mit den Proteinsnacks voll die er so gerne vertilgte. Hawke riss ihm die Tüte aus der Hand und sah seinen jüngsten Brüdern böse an.
„Weil wir alle ihre Partner sind und du noch Geld für deinen blöden Antrieb brauchst, vergessen?", fragte er und nahm die Tüte wieder aus seiner Reichweite, als Logan danach greifen wollte.
„Es gibt gleich essen, Logan!", tadelte Hawke und steckte die Snacktüte zurück in ein altmodisches Barfach.
„Ich kann immer essen! Und nein! Ich hole mir meine Investoren schon wo anders, ich will da nicht hin!" sträubte er sich weiter und Hawke ignorierte ihn und blickte wieder zu Sin. Denn ihr Widerspruch war das eigentliche Problem. Sin würde es sich niemals wagen seine Autorität in Bezug auf geschäftliche Dinge zu untergraben, er hatte während all der Jahre in denen sie noch zu jung war, die Familie geführt und nach so vielen tragischen Ereignissen zusammen gehalten und gestützt. Seit einem halben Jahr war er aber lediglich ihr Partner und nicht mehr ihr älterer Bruder. Sie war das Oberhaupt und das sie in der Lage war zu führen hatte sie der ganzen Welt offen gezeigt nachdem der Nolan Tower durch zwei Explosionen fast dem Erdboden gleich gemacht wurde. Die Ermittlungen liefen immer noch und die Familien-Behörde, einst die mächtigste Behörde der Regierung, hatte mit einem schweren Imageschaden zu kämpfen. Aber es war noch nicht geschafft. Die Verantwortlichen wurden noch nicht zur Rechenschaft gezogen und das neue von einer KI-gestützten Optimierungsprgramm war immer noch nicht frei für alle zugänglich. Obwohl die finalen Tests ja bereits liefen und bis jetzt gute Ergebnisse anzeigten. Logan hatte es sogar geschafft einige sehr gute Hacker zu beauftragen die mit Absicht versuchten das geschlossene System, das ohne menschliches zutun funktionierte und lediglich von einer künstlichen Intelligenz beschützt und am Laufen gehaltene Programm, zu übergehen. Damit wollten sie die KI auf all das Vorbereiten, was noch kam. Es war lediglich möglich Daten in das Netzwerk einzubringen, danach übernahm die KI komplett selbstständig und die kannte nur ein Ziel: Die Daten beschützen, auswerten und die besten Matches finden. Aber dazu musste sie lernen, und zwar viel.„Das wirst du, aber: Du wirst dir einen Anzug anziehen, dir die Haare kämmen und dich rasieren und dann wirst du elegant und tadellos neben Sin stehen und sie unterstützen!", fauchte Hawke und war deutlich frustriert vom Verhalten seiner beiden jüngsten Geschwister.
„Sin mag ihren ungekämmten und unrasierten Mann, stimmts Süße?", versuchte Logan abzulenken und sah Sin mit einem breiten Grinsen an, die jedoch nur eine Augenbraue nach oben zog und ihn abschätzend ansah.
„Du könntest dir wirklich mal wieder die Haare richtig kämmen!", meinte sie etwas zustimmend und erntete dafür eine von Logans berühmten beleidigten Gesichtsausdrücken.„Das gehört zu meinem Image! Ich bin der coole Draufgänger, schon vergessen?" Sin verdrehte genervt die Augen und blickte wieder zu Hawke.
„Schön. Ich werde mich einen Abend mit Furien wie Alexandra Merch und Johanna Lovwell herumschlagen, die in den Jahren zuvor die unangefochtenen Königinnen des Balls waren und es sicher sehr gerne sehen wie ich da als Konkurrenz auftauche."
„Ich denke, Johanna Lovwell hat erstmal mit ihrem eigenen kleinen Skandal zu kämpfen. Haben sich ihre beiden ältesten Enkel sich nicht dieses No-Name-Mädchen angelacht?", warf Logan ein und erhob sich mühsam von der Couch um am Esszimmertisch Platz zu nehmen, der vor dem Tresen der Kücheninsel stand, an dem Callahan den Salat für das Abendessen mache.
„Ja. Ich glaube, es gelesen zu haben. Ich schwöre euch, irgendetwas ist an der Sache komisch. Aber die Lovwells halten den Deckel darauf als hätte der Mount Everest sich auf die Büchse der Pandora gesetzt", sagte Sin und erinnerte sich daran, wie viel die Familie Nolan bereits geheim hielt. Vielleicht war es falsch die Augen vor dem Geheimnis zu verschließen das Hawke so streng hütete und von dessen Inhalt nur Callahan mehr zu wissen schien, aber sie tat es weiterhin. Sie musste nicht alles wissen und wusste auch, dass Hawke es ihr sagen würde, wenn er glaubte, sie könne es ertragen. Vertrauen war wichtig in einer Partnerschaft und das hatte sie, also vertraute sie seinem Urteil.„Keine Familie ist doch tatsächlich so, wie es nach außen hin wirkt und jede der zwölf Familien nutzt diesen Winterball um den jeweils anderen weiter Sand in die Augen zu streuen", gab Callahan zum Besten und Sin konnte tatsächlich nicht sagen, ob er nun für oder gegen diese Sache mit dem Winterball war.
„Wir sollten dasselbe tun und Nolan Manor für die Location nutzen", fügte er dann noch hinzu und Sin vielen fast die Gläser aus der Hand, mit der sie den Tisch decken wollte. Moment. WAS?
„Nolan Manor? Location?", hauchte sie mehr zu sich selbst, bevor ihr Blick zu Hawke schwankte. Dieser hinterhältige, geheimnistuerische Mistkerl!
„HAWKE!", schrie sie ihn an, aber er ließ sich lediglich elegant auf den Stuhl sinken und lächelte ihr zu, als wüsste er überhaupt nicht, was er getan haben könnte. Wirklich unschuldig auszusehen schaffte er allerdings nie, er wirkte immer wie ein Teufel, der ein diabolisches Grinsen aufsetzte, wenn eines seiner Opfer verstanden hatte, dass es hereingelegt wurde. Mistkerl!
„Du hast nicht gesagt, dass wir den Ball veranstalten!", fauchte sie und Callahan nahm ihr demonstrativ die Gläser aus der Hand.
„Ich habe nicht gesagt, dass es nicht so ist. Jedes Jahr ist eine andere Familie dran und der Kelch ist an uns leider nicht vorbeigegangen. Noch gehören wir zu den zwölf großen Familien, aber unser Ruf hat gelitten. Nicht nur wegen dem Tod unserer Eltern und dem ständigen Intrigen unserer Tante. Der Nolan-Tower ist angegriffen worden und ich weiß nicht wie lange wir uns noch mit purer Finanzkraft an der Spitze halten können. Der Vorfall mit dem Tower hat ein ziemliches Loch in unser Budget gerissen. Wir müssen unsere Position stärken und dazu brauchen wir nun mal dich, Liebling", sagte er träge und mit so viel Kalkül das es einem eiskalt den Rücken herunterlaufen konnte.
„Mich?"
„Ja. Um genau zu sein brauchen wir die zierliche, eins fünfundsechzig große, süße Blondine, die in der Öffentlichkeit der Familienbehörde den Kampf angesagt hat und dabei ist zu gewinnen. Allerdings müssen wir auf diese Saddest aufpassen."
„Wieso?", fragte Logan verwundert und Callahan dirigierte Sin zu ihrem Platz, da sie immer noch wie ein hirnloser Zombie in der Gegend herumstand.
„Diese ganze Aschenputtelnummer könnte Sin auf der Feier die Show stehlen", murrte Hawke, aber Sin lächelte ihn breit an.„Ich finde die Geschichte süß!", verkündete sie und erntete von ihren Brüdern lediglich einen finsteren Blick. Ja, sie wusste, dass ihre Brüder nur wenig Sinn für Romantik hatten, wenn man gemein war, könnte man ihnen vorwerfen, dass sie es nie nötig gehabt hatten romantisch zu sein oder sich um eine Frau zu bemühen. Sin konnte ihnen zwar nicht vorwerfen das sie sich nie ins Zeug gelegt hätten, um sie für sich zu gewinnen, aber sie war keine Fremde gewesen. Sin war ihre Schwester, immer erreichbar und immer in ihre Nähe. Sie hatten einen Vorteil bei ihr gehabt den andere Männer nicht hatten und sie hatten ihn schamlos ausgenutzt.
„Gut, denn wir können sie nicht ausladen. Obwohl sie von Johanna verstoßen wurden, sind sie die Lieblinge der Medien und auch wir tun gut daran, uns mit Tante Beatrix zumindest zeitweise versöhnlich zeigen. Es ist schließlich Weihnachten", murrte Hawke so lapidar als hätte er über ein beliebiges Finanzportfolio geredet.
„Ich habe ihr den Familiennamen entzogen und das hat sie sich auch verdient!", beschied Sin. Aber sie wusste sofort, dass Hake recht hatte. Sie konnten jetzt kein weiteres Familiendrama gebrauchen.
„Niemand sagt, dass du ihn ihr zurückgeben sollst, Sin. Aber nur damit das klar ist: Für das Essen bestellen wir ein Catering, das werde ich nicht machen!", meinte Callahan und setzte sich als letzter an den Tisch. Damit schien das Thema erstmal beendet. Sin versuchte nicht allzu frustriert zu sein. Sie hatte auf ein ruhiges Weihnachten gehofft, aber das würde sie wohl nicht bekommen.

Beta: geany

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