6. Kapitel
Adeline
Ich zwang mich ruhig und beständig zu atmen, während Ann neben mir schwärmte, wie toll und gut aussehend dieser Prinz doch sei. Mein Puls raste, obwohl er schon seit Minuten gegangen war. Meine Haut, meine Hand, kribbelte, als hätte ich mich verbrannt, und ich hatte es schwer, zu schlucken. Ich hatte das Gefühl, als würde ich mich jeden Moment auf den Boden schmeißen und dort wie ein Kind weinen. Und tatsächlich hatte ich darüber nachgedacht dieses Drama vorzuspielen, nur um nach oben in mein Gemach zu kommen, die Stimmen und Leute auszublenden, und mich schließlich selbst zu bemitleiden.
»Ann«, sagte ich seufzend und sie hörte auf zu reden. »Es genügt.« Ich nahm mir das zweite Glas Wein, das mir diesmal ein Bediensteter serviert hatte, und trank einen kräftigen Schluck. Zu hören, wie toll dieser Prinz, dieses eigentliche Tier, doch sei, war das allerletzte, was ich an diesem so oder so schon ruinierten Abend wollte.
Sie verschränkte die Arme und meinte: »Tja, vielleicht hätte ich vorhin nicht so viel reden sollen, dann wäre wirklich ein Prinz Oberhässlich hier hereinspaziert und nicht jemand, den die ganze Bevölkerung anhimmeln würde.«
»Warte, jetzt übertreibst du«, meinte ich und machte ein gespielt fassungsloses Gesicht.
»Ich und übertreiben? Pah, das ist überhaupt nicht möglich.« Sie lachte auf und rutschte ein Stück zu mir.
»Nein, natürlich nicht«, meinte ich ironisch und nippte ein weiteres Mal am Glas. »Sag, du begleitest mich doch an den Hof meines Ehemannes, wenn ich geheiratet habe, oder nicht?«, fragte ich Ann nach einer Weile, die dem bunten Treiben auf der Tanzfläche zuschaute.
Sie lachte und schupste mich ein Stück an. »Aber natürlich werde ich mitkommen. Immer. Als würde ich dich allein irgendwo hinziehen lassen. Und wenn du zu Prinz Ethan an den Hof kommst, oh, glaub mir, dann werde ich dich sogar zwingen mich mitzunehmen.«
Ich musste auch lachen. »Danke, Ann.«
»Für was?« Fragend betrachtete sie mein Gesicht.
»Einfach für alles.«
Ihr Lächeln wurde breiter und herzlicher, als sie mich in den Arm nahm und drückte. Sie roch vertraut nach Vanille und ich schlang die Arme um ihren Körper und zog sie an mich. Ann war das, was ich in solchen Situationen brauchte, in denen ich verzweifelt war und nicht mehr weiter wusste. Sie war mein halbes Herz und unterstützte mich auf jede erdenkliche Weise. Und dafür war ich ihr sehr verbunden.
»Adeline?« Ich entließ Ann und blickte zu der Person empor, die vor mir stand. Vater.
Ann stand auf, machte einen Knicks und verschwand hinter Vater. Sie zwinkerte mir zu und lächelte einmal, um mir zu sagen, dass ich das schon mache. Dass ich es schaffe, egal, was es sei.
»Ja, Vater?« Ich wollte aufstehen, aber er sagte mir mit einer einfachen Handbewegung, dass dies nicht nötig sei.
Der König richtete seinen vornehmen, königlichen Anzug und setzte sich dann zu mir auf die Chaiselongue. Er stützte die Hände auf die Knie und sah mich eindringlich an. »Wie ist Prinz Ethan. Gefällt er dir?«
Mein Herz zog sich zusammen und ich biss mir auf die Unterlippe. Nur nichts Falsches sagen, sagte ich mir und schluckte stark. »Ich weiß nicht, Vater, auf was du hinausmöchtest«, wich ich seiner Frage aus.
Er nickte bedacht und meinte: »Ich möchte von dir wissen, Adeline, ob der Prinz von Anglaiys eine Wahl für dich wäre. Immerhin haben wir gute Verbindungen zu der Familie Andine und der Prinz scheint mir auch ein Gentleman zu sein.« Vater lachte kurz auf.
Und ich dachte mir nur: Natürlich. Gentleman in Bezug auf die Verwandlung in einen riesigen Wolf. Aber sicher doch. Ich seufzte und schaute auf meine Hände, die wieder von den feinen Handschuhen umgeben waren. »Ich denke, Vater, er hat dieselben Chancen wie die Prinzen aus dem Süden.« Ich schluckte einmal stark und sah meinen Vater an, dessen Miene fröhlicher und glücklicher als sonst schien.
Er sah zu mir und meinte dann: »Verstehe, Adeline. Vielleicht willst du dich mit dem Prinzen nachher noch ein wenig unterhalten. Ich glaube, er ist sehr gewillt darum. Und«, er beugte sich zu mir, »egal wie du dich entscheidest, ich stehe zu dir, aber du musst eine Entscheidung treffen, Adeline. Eine, die dich zufriedenstellt. Wenn auch nur in gewissen Maßen.« Er lehnte sich wieder zurück und sah mich fragend an.
Wenn auch nur in gewissen Maßen, ging es mir durch den Kopf. Ich nickte meinem Vater zu, der darauf aufstand, mich auf den Scheitel küsste und dann wieder in der Masse der Gestalten verschwand, die fröhlich und beschwingt ihr Leben lebten. Ich fragte mich, wie mein Vater, der König, dieses Amt nur tragen konnte. Wie er jeden Morgen aufstehen und all das auf sich nehmen konnte. Denn mir tat schon die Entscheidung zwischen den ganzen Prinzen unglaublich schwer.
Ethan
Ich weiß nicht, Vater, auf was du hinausmöchtest, hatte sie gesagt, obwohl sie genau gewusst hatte, was der König, ihr Vater, von ihr wissen wollte. Sie war der Frage absichtlich ausgewichen und hatte ihm so nicht die Frage beantwortet, ob ihr etwas an mir lag. Nun, wir hatten auch nur einmal getanzt, aber von den Nachfahren der Königlichen wurde solch ein schnelles Urteilsvermögen nur einmal verlangt. Schade nur, dass meine Adeline dies nicht hat, meinte eine Stimme in mir belustigt und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
Als ich Adeline und ihren Vater beobachtet hatte, musste ich mich immer zwingen das Grinsen zu unterdrücken. Ich hatte Adelines Gesicht zu den Fragen oder Antworten ihres Vaters gesehen und es war bemerkenswert gewesen mit anzusehen, wie sie versuchten hatte, ihre Gefühle im Zaum zu halten. Durch meine Sinne hatte ich mich genau auf die beiden und ihr Gespräch konzentrieren können, obwohl die Leute im Saal geredet hatten und laute Musik gespielt worden war. Ich hatte jedes Wort und jeden noch so winzigen Atemzug verstanden.
»Hast du das gehört?«, fragte Jacon belustigt und trat zu mir, nachdem ich mit einigen jungen Damen gesprochen hatte.
»Ja, leider.«
Er lachte und sah mich mit einem Grinsen an. Dann hob er die Augenbrauen und sagte: »Sie hat gemeint, du habest die gleichen Chancen wie die verkorksten Prinzen aus dem Süden. Das war wirklich direkt.«
»Ich weiß«, stöhnte ich und beobachtete meine Eltern wieder, die jetzt mit dem König sprachen. Ich hoffte dringend, dass mein Wunsch, der mir so sehnlichst auf dem Herzen lag, wahr werden würde. Aber dafür hatte ich noch ein Ass im Ärmel.
»Deine Adeline ist ganz schön taff.« Er lachte.
Ich richtete meinen Blick auf ihn und hob das Kinn. »Ach, das weiß ich. Danke für diese Erkenntnis.«
Jacon verzog das Gesicht und blickte wie schon hundertmal in die Menge dieser vielen Leute, die tanzten − oder es zumindest versuchten.
»Was ist eigentlich mit tanzen?«, fragte ich und nahm ihm das Weinglas aus der Hand.
Er sah mich erst fassungslos an und zog dann mit beleidigter Miene den Rückzug an. »Was soll damit sein?«, fragte er verärgert und verschränkte die Arme, sah mich dabei nicht an, sondern spähte in die Masse.
»Weiß nicht. Du stehst hier so allein herum, da dachte ich mir, ich frage meinen Freund, was er davon halte, eine junge Dame zum Tanz aufzufordern.«
Jacon lachte auf. »Nein danke, Bruder. Die Probleme mit den Menschen überlasse ich lieber dir. Wirklich. Da halte mich raus. Ich bin wegen dir und deiner Familie mitgekommen und nicht um mir einen Mitternachtssnack zu angeln.«
»Haha«, meinte ich, »dein Sarkasmus ist echt auf der niedrigsten Stufe deines Daseins angekommen. Ich glaube wirklich, du solltest dich in Konversation üben.«
»Nein, aber danke.« Ein kurzes, verräterisches Grinsen prangte auf seinem markanten Gesicht, bevor er sich zu mir drehte und mir sein Glas aus der Hand riss.
Anstatt zu den vielen Leuten zu blicken, spähte ich aus den riesigen Fenstern und betrachtete den Wald, der zu meiner Rechten lag und nur ein wenig zu sehen war. Die späte Nachmittagssonne warf ihre goldenen Strahlen auf diesen Wald und tauchte ihn in einen gelblich-goldenen Glanz. Wenn ich meine Augen schloss und alles in diesem Raum ausblendete, konnte ich mir vorstellen, die Vögel zwitschern zu hören. Ich stellte mir vor, wie die Blätter mit dem Wind wiegen und rascheln würden. Wie sie ihre eigene Melodie spielen würden. Wie es sich anfühlen würde, den zarten Waldboden unter den Füßen zu spüren. Doch dann verschwamm dieses Bild vor meinem innerlichen Auge und einen Moment später stand vor mir, in das Licht des Vollmondes getaucht, eine Gestalt im weißen Gewand. Der kühle Wind strich ihr durch die goldenen Haare, die von weitem wie Seide wirkten, und hob den feinen Stoff ihrer Robe an, die im Schein des Mondes nach geheimnisvoller wirkte. Aber plötzlich war das Bild, das ich am liebsten festgehalten hätte, weg, wie verschwunden. Ich schlug die Augen wieder auf und musste schwer schlucken. Ich wusste, dass diese Person Adeline als Mondgeborene gewesen war, aber ich wusste nicht, was mir diese knappe Vision damit sagen wollte.
Blinzelnd nahm ich den Blick von dem Wald, der vertraut schien, mich rief, aber ich widerstand dem Drang und schaute zu Adeline.
Mein Wolf knurrte, wollte hinaus und ich biss die Zähne aufeinander. Ohne nachzudenken, lief ich los, aber wurde durch eine starke Hand zurückgehalten. Mein Kopf flog zu Jacon herum, der mich bedacht festhielt, und meine Züge wurden ein wenig weicher. Mein Wolf wollte immer noch aus mir heraus, diesem Menschen den Kopf abreisen.
»Es ist nur ihr Bruder, Ethan. Niemand anderes.« Jacon zog mich mit einem kleinen Ruck zurück und ich ließ es zu, ohne mich irgendwie zu wehren.
»Das wusste ich nicht«, meinte ich reumütig und sah auf den Boden. Ich biss mir von innen in die Wange und zählte bis zehn.
Jacon schnalzte mit der Zunge und meinte: »Du musst schauen, dass du dich mehr unter Kontrolle hast, Ethan. Zumindest bei ihr.«
Als ich den Blick hob, nickte er mit dem Kopf in Adelines Richtung. Ich sah, wie ein etwas älterer Mann, vielleicht um die dreißig, Adeline die Hand reichte, die sie mit einem zufriedenen Lächeln und einem Nicken annahm. Als er sich mit ihr zu mir drehte, erkannte ich die Ähnlichkeit zu seinem Vater und seiner jüngeren Schwester. Sein Haar war jedoch in einem sehr hellbraunen Ton und seine Augen zeigten einen leichten Schimmer von Blau.
Ich schluckte stark und bohrte die Fingernägel in meine Handflächen um mich zu beruhigen. Jacon hatte recht. Ich musste mich in ihrer Gegenwart besser kontrollieren können, sonst würde ein einfacher Ball irgendwann in einem Blutgemetzel ausarten. Und das konnte mir erspart bleiben.
»Wie heißt er?«, fragte ich, um mich abzulenken. Ich wusste, dass es ihr Bruder war, aber dennoch hatte ich Mühe mich zu beherrschen.
»Du ... du hast keine Ahnung, wie er heißt?«
Ich blickte Jacon mit zusammengezogenen Augenbrauen verwundert an. »Nein, habe ich nicht.«
Jacon lachte verbittert und meinte: »Das ist Charles Gúston, Hoheit. Baldiger Thronfolger von König William Gúston, Herrscher über das Reich ...«
Ich lachte auf. »Danke für diese Aufklärungsrunde, Bruder. Ich wollte nur wissen, wie er heißt und nicht was ihm bald bevorsteht.«
Der junge Mann neben mir rümpfte die Nase und blickte zu meinen Eltern, die immer noch in einem wichtigen Gespräch um mich und Adeline verwickelt waren.
»Vielleicht kann ich ja fragen, ob wir alle drei tanzen«, scherzte ich, obwohl der belustigte Unterton fehlte. Ich verschränkte die Arme hinter dem Rücken und stellte mich gerade hin.
»Vielleicht«, meinte er abwesend und nippte an seinem Glas.
»Willst du am Ende des Tages betrunken nach Hause rennen?«, fragte ich meinen Freund, der daraufhin grinsen musste.
»Vielleicht.« Er grinste breiter.
»Kannst du vielleicht auch etwas anderes sagen?«, fragte ich genervt und blickte an ihm vorbei.
»Vielleicht«, sagte er beabsichtigt und lachte brummig.
Ich stöhnte und meinte: »Ich sag es ja, dein Sarkasmus hat heute Oberklasse erreicht.« Ich löste mich von Jacons reizender Gesellschaft und bahnte mir durch die vielen Menschen einen Weg zu Adeline und ihrem Bruder, die für mich schon lang genug getanzt hatten. Als ich näherkam und über das Gelächter der andern Anwesenden hinweghörte, hörte ich, wie Adeline entrüstet sagte: »Was? Sie wissen, dass ich Prinz Ethan schon früher begegnet bin? Hat er es ihnen erzählt?«
Daraufhin nickte ihr Bruder und antwortete: »Ja, das hat er, Adeline. Deswegen hast du dich auch so oft in letzter Zeit nickt blicken lassen, stimmt's?«
Adeline schluckte stark und antworte: »Ja, aber da wusste ich nicht, dass er ... dass er der Prinz ist. Und wieso hat er dies erzählt, Charles? Ich versteh das nicht.« Sie sah ihrem Bruder tief in die Augen, der versuchte, sie durch ein knappes Lächeln aufzumuntern.
»Er hat das gesagt, und nun weiß ich auch, dass es stimmt, damit ...«
»Entschuldigt, Hoheit«, griff ich in letzter Sekunde ein und verbeugte mich vor dem Prinzen, »aber dürfte ich Prinzessin Adeline zu einem weiteren Tanz bitten.«
Prinz Charles verbeugte sich ebenso knapp und meinte dann mit einem knappen Lächeln: »Natürlich, Hoheit.«
Adeline sah ihn erschrocken an, schluckte kurz und richtete sich dann gerade auf.
»Habt dank«, meinte ich, bevor er ging und auf seinen Vater, der mit meinen Eltern in einer Ecke Platz genommen hatte, zusteuerte.
Ich drehte mich zu Adeline und richtete mich dann wieder ganz auf. Ich reichte ihr meine Hand, die sie erst einen Moment betrachtete, dann aber mit einem tiefen Atemzug annahm. Ich trat zu ihr, legte ihr meine Hand um die Taille und flüsterte ihr zu: »Lass uns einen Moment ungestört reden, Adeline.«
Sie zuckte zusammen, als mein Atem an ihrem Ohr vorbeistrich, nickte dann aber langsam und bedacht, als befürchte sie, ich könnte ihr, sobald wir diesen Raum verlassen würden, den Kopf abreißen.
Die Luft draußen war frisch und ich konnte endlich wieder richtig durchatmen. Ich sog sofort den Duft von blühenden Bäumen, Blumen und dem Duft von Moos ein, das mich an den Wald in der Nähe unseres Königreiches erinnerte.
Adeline ging zu meiner Rechten und spielte verunsichert und abwesend an ihrem Ärmel. Ich fragte mich, ob sie das Armband, was ich ihr einst geschenkt hatte, immer noch trug. Ich hoffte es.
Als wir hinausgetreten waren, hatte sie sich sofort von mir gelöst und einen sicheren Abstand zwischen uns gebracht. Sie blickte mich nicht an, was auch nicht nötig war, denn hier draußen war niemand, der sich sonst gewundert hätte, warum die Prinzessin des Hauses so unfreundlich gegenüber dem Prinzen war. Nur einige Wachen bewachten die Mauer, das Tor in weiter Entfernung oder die Eingangstüren. Aber diese interessierten sich nicht für uns, blieben an Ort und Stelle und rührten sich nicht.
Ich wollte gerade etwas sagen, als Adeline aufblickte, mir direkt in die Augen sah und fragte: »Wieso hast du das getan?«
Blinzelnd blieb ich stehen. Auch sie kam zum Stillstand und starrte mich an. »Was ... was meinst du?«
Sie schluckte stark und antwortete dann: »Dich als Stallburschen ausgegeben. Mich geliebt. Warum das alles?«
Ich betrachtete sie in der tiefen Nachmittagssonne und die Strahlen rückten sie in ein undefinierbares Licht. Ihre Haltung war grazil, damenhaft und anmutig. Wie die einer wahren Herrscherin. Und ihr Gesichtsausdruck war direkt, drückte Mut und Wissbegierde aus. »Ich konnte schlecht zu dir kommen und mich als Prinz vorstellen. Und geliebt habe ich dich, nun, weil ich es einfach getan habe. Genauso wie du.«
Sie öffnete den Mund, aber ich kam ihr zuvor: »Wenn ich mich als Prinz ausgegeben hätte, hätten wir nicht zueinandergefunden. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass dir das auch bewusst ist, Adeline.«
Sie trat einen Schritt auf mich zu und ihre Züge verhärteten sich. »Ich sagte dir, du sollst mich nicht so nennen. Du bist ein Tier.«
»Das stimmt«, gab ich zu und reckte das Kinn. »Ich bin zur Hälfte Tier und zur Hälfte Mensch.«
»Werwolf?«, hakte sie nach und brachte wieder einen gewissen Abstand zwischen uns.
»Ja.«
Sie schnaubte verächtlich. »Und du dachtest dir, du nutzt mich aus?«
»Inwiefern bitte?« Meine Augen formten sich zu Schlitzen.
»Du wusstest doch, was du bist, und dennoch hast du dich in meine Nähe begeben. Du dachtest dir, du spielst den armen Bauernjungen, um dich an mich heranzumachen, und dann mit der größten Überraschung des Jahrhunderts zu kommen und mir später zu verkünden, dass du Prinz Ethan Andine bist.«
Ich spannte die Schultern an und trat einen Schritt auf sie zu. Zu meiner Überraschung trat sie keinen Schritt zurück und hielt meinem Blick stand. »Weil ich mich zu dir hingezogen fühlte. Und genau das tatest du auch. Ich wusste, was ich damit tat, aber ich konnte nicht anders. Ebenso wie du, Adeline. Und wie gesagt, ich konnte nicht vor dich als Prinz treten. Hätte ich die Zeit gehabt, hätte ich es dir Schritt für Schritt beigebracht und auf das große Drama verzichtet, aber ich hatte sie nicht − du hattest − hast − sie nicht.«
Sie verschränkte die Arme und reckte das Kinn. Dann atmete Adeline kräftig durch und begann einige Schritte zu setzen. Ich folgte ihr. »Erzähl mir über deine ... Spezies«, forderte sie und seufzte.
Ich trat zu ihr und ging mit ihr weiter den Weg entlang. »Nun, wie du weißt, sind wir Wer...«
»Wir?« Sie blieb abrupt stehen und starrte mich fassungslos an. »Wer ist ›wir‹?«
»Wie normale Wölfe leben wir in Rudeln − in einem Clan. Das heißt, dass nicht nur ich ein Wolf bin.«
Bestürzt sah sie mich an und fragte: »Deine Eltern?«
Ich nickte und sie verstand es, lachte sogar hysterisch auf. »Wundervoll. Wirklich.« Sie stieß Luft aus und bat mich dann fortzufahren.
»Wir verwandeln uns, nachdem die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist und bleiben das, bis die Sonne wieder aufgeht. Am Tage können wir uns entscheiden, ob wir uns verwandeln wollen oder nicht. Wir kommunizieren über Gedanken. Du konntest mich verstehen, weil du eine Mondgeborene bist.« Sie öffnete den Mund, aber ich fuhr fort: »Mondgeborene sind Menschen, die zu einem bestimmten Mond des Mondzyklus geboren wurden. Mit ihnen können wir sprechen, obwohl sie in der menschlichen Erscheinungsform sind. Wenn wir uns verwandeln, dann ist der Wolf wie eine Hülle, die uns umgibt. Wenn wir uns zurückverwandeln, haben wir Kleidung noch an uns. Bei den männlichen Wölfen ist das nur beim Oberkörper nicht oft der Fall, weil wir ein wenig stämmiger, muskulöser gebaut sind.«
Sie nickte bedacht und ließ sich die Worte durch den Kopf gehen. Ich glaubte, Tränen in ihren Augen zu sehen, aber als sie sich zu mir wandte, erkannte ich in ihren Augen keine Träne. Ich hatte mich wohl geirrt. »Und wieso seid ihr jetzt hier?«
»Hat dir dein Vater nicht gesagt, dass wir euch einen ...«
»Besuch abstatten? Doch, das hat er.«
Wenn ich könnte, würde ich dich sofort heiraten, hätte ich jetzt am liebsten gesagt, zügelte mich aber und atmete dafür die wohltuende Luft ein. »Hattest du dich schon für einen Prinzen aus dem Süden entschieden?«, fragte ich anstatt dessen und verschränkte die Hände hinter dem Rücken.
Sie schüttelte den Kopf und meinte zaghaft: »Nein. Vater sagte eh, dass«, Adeline blickte wieder auf, »wir zu euch besserer Verbindungen haben als zu den Königreichen im Süden.«
»Ich weiß«, sagte ich bedacht und versuchte meine Stimme ruhig zu halten. Wenn du wüsstest, was sie dort drinnen gerade besprechen, würdest du mir den Kopf abreißen, dachte ich mir nur und steuerte mit ihr auf den Palast zu.
»Und ...«, sie schluckte, »leben alle Clanmitglieder bei euch am Hofe?«
Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. »Nein.« Ich seufzte stark. »Du musst wissen, der Clan ist eine zweite Familie, aber wir stehen in keiner guten Verbindung zu ihm. Sie finden es nicht besonders, dass sich einige des Rudels auf andere Dinge konzentrieren als auf den Clan. Aber meine Familie − meine menschliche Familie − hat dieses Amt schon seit Generationen und wir lassen uns von dem Rudel nicht unterkriegen. Uns steht die Krone zu. Ich weiß nur, dass einst eine Dame, natürlich ein Wolfsmädchen, in diese Familie eingeheiratet hat und so regieren seit je her Werwölfe das Königreich Anglaiys.«
»Und deine beiden Elternteile sind jetzt auch Werwölfe?«, hakte sie nach.
Wir kamen den Wachen immer näher, weswegen ich leise sprach: »Ja. Vater ist in die Königsfamilie geboren worden, aber Mutter kommt aus unserem Clan.«
Adeline sah mich verwundert an und das erste Mal dachte ich, Interesse in ihren Augen zu sehen: »Gibt es viele Clans?«
Ich nickte. »Ja. Hier im Norden leben vier. Ein Rudel davon sind wir und wie mir bekannt ist, gibt es noch zwei weitere im Süden.«
Sie schluckte stark, nickte aber. »Und ... vertragen sich die Rudel?«
»Nein, nicht wirklich. In menschlicher Gestalt geht es noch, aber geht es um das eigene Rudel, dann ist Schluss.«
»Verstehe«, sagte sie, als wir die Tür erreichten und die Wachen uns öffneten. Adeline hielt mir ihre Hand hin und ich war überrascht sie nicht darum bitten zu müssen.
Mit einem leichten Kopfnicken nahm ich ihre Hand an und schritt dann mit ihr in den belebten Saal, wo die Leute unbekümmert und nicht wissend ihr Leben fristeten.
Adeline
Die Musik spielte laut und ich wollte sofort wieder raus in die friedliche Stille, auch wenn ich mir durchaus der Anwesenheit einer gewissen Person bewusst war.
Ich hatte erkannt, dass Ethan nicht mit mir gespielt hatte und dass er mir das mit dem Wolf so gezeigt hatte und nicht irgendwie anders. Und dass nur, weil uns − mir − die Zeit gefehlt hatte. Aber eigentlich war das überhaupt nicht meine Schuld, denn ich hatte nicht beschlossen zu heiraten. Nein, das war mein liebster Herr Vater gewesen.
Die Leute grinsten, als wüssten sie alles, aber dabei musste ich mir mein Grinsen verkneifen, denn sie hatten nicht die leiseste Ahnung. Sie wussten nicht, dass sich in diesem Saal drei Menschen befanden, die sich in Nullkommanichts in wilde Tiere, die einem über den Kopf ragten, verwandeln konnten. Nein, all diese Gestalten, die dachten, sie wüssten alles, hatten absolut keine Ahnung.
Ethan − Prinz Ethan − bedeutete den Musikern weiterzuspielen und aufs Kommando taten sie es. Die Leute widmeten sich wieder ihren Gesprächen und Einige ihren falschen und unkontrollierten Tänzen − zumindest empfand ich es so.
»Entschuldigst du mich?«, flüsterte er mir in mein Ohr und ich zuckte zusammen.
Ich nickte und er ließ meine Hand los, bevor er sich wie ein anmutiges Tier auf seine Eltern zubewegte. Nach einigen Momenten streckte er die Hand aus und bat seine Mutter, Königin Mary, mit ihm zu tanzen. Verlegen nahm sie die Hand ihres Sohnes und musste grinsen. Wenn ich darüber nachdachte, waren sie recht normal. Aber hinter dieser Fassade versteckte sich immer noch ein Tier.
Bevor ich losging, atmete einmal tief durch und lief dann am äußersten Rand des Raumes vorbei, um nicht durch die ganzen tanzenden Gestalten zu rennen. Mein Blick fiel nach links und ich sah durch die Fenster auf die Stadt in weiter Entfernung und auf den Wald, den man von hier ein Stück sehen konnte. Dann wanderten meine Augen zu dem glühenden Gasball, der sich langsam auf den Weg machte zu verschwinden. Und da kam mir in den Sinn, dass die Königsfamilie Andine rechtzeitig gehen müsste, um nicht als Monster enttarnt zu werden.
Wie angewurzelt blieb ich stehen und starrte mit offenem Mund auf die Chaiselongue. Mein Herz raste immer noch von dem eher untypischen Spaziergang, aber nun hatte sich meine Laune wieder gewendet. Ich schüttelte den Kopf, während ich die Augen zu Schlitzen formte und auf Ann zuging. Sie bemerkte noch nicht einmal, dass ich mich hinter sie stellte, denn sie war in ein Buch verschlungen. Als würde es ihre Gedanken umranken und sie an dieses Stück Papier binden. Lästig, dachte ich und schnappte ihr von hinten das Buch weg.
Sie wirbelte herum, wollte schon etwas sagen, als sie mich mit offenem Mund anstarrte. Dann biss sie sich auf die Unterlippe und sackte zusammen.
Ich ging mit einem Grinsen um das Möbelstück und setzte mich mit gerecktem Kinn neben sie. Ich las mir den Titel des Buches durch: Die Gestalten der Nacht. Ich fuhr innerlich zusammen. Das erinnerte mich an eins: Werwölfe. Gestalten, die durch die tiefe Nacht streiften und fürchterlich heulten. »Du weißt, was ich dir versprochen habe, wenn du ein Buch liest?«, fragte ich unbeeindruckt und legte dieses neben mich.
Ann seufzte und spähte an die Decke. Aber ich hatte es ihr versprochen. Und versprochen war und blieb versprochen.
Also stand ich mit einem triumphierenden Grinsen auf, nahm ihre Hand und zog sie von diesem bequemen Mobiliar hoch. Sie seufzte zwar, wehret sich aber nicht, als ich sie durch die Massen zog und nach einer passenden Tanzgelegenheit Ausschau hielt. Die meisten jungen Leute waren aber vergeben und die, die übrig waren, hätte ich meiner geliebten Ann nie vorsetzen. Oder diese Leute waren einfach zu alt, um überhaupt mit ihr mitzuhalten.
Grübelnd blieb ich an der anderen Seite des Raumes stehen, Anns Hand immer noch fest ergriffen, und ließ meinen Blick über den ganzen Trubel schweifen. Mein Blick hing einen Moment bei Ethan fest, der mit seiner Mutter auf der Tanzfläche zu dem relativ ruhigen Lied tanzte. Ich schluckte und konzentrierte mich wieder auf mein Versprechen, suchte nach einem jungen Herrn, der geeignet für sie war. Und dann sah ich ihn: den jungen Mann mit den braunen Haaren und den stechenden Augen. Dieser junge Herr, der vorhin mit der Königsfamilie mit eingetreten war. Und ich war mir sicher, dass er kein Werwolf war, weswegen ich auch keinen Skrupel hatte, ihm meine Freundin vorzusetzen, die zudem hübscher als einige andere Damen in diesem Saal war.
»Entschuldigt«, wandte ich mich an den jungen Mann, der mir sofort seine Aufmerksamkeit schenkte und mich mit hochgezogenen Brauen musterte.
»Hoheit«, meinte er und verbeugte sich.
Ich senkte ebenfalls knapp mein Haupt, bevor ich Ann näher zu mir heranzog und meinte: »Würden Sie mir die Ehre erweisen und mit dieser jungen Dame tanzen.«
Er wollte schon etwas erwidern, als er seinen Blick blinzelnd von mir abwandte und meine Ann betrachtete. Für meinen Geschmack brauchte er dafür zu lange, aber gerade, als ich etwas hinzufügen wollte, meinte er: »Aber natürlich, Hoheit. Es ist mir eine Ehre«, meinte er an meine Freundin gewandt und reichte ihr die Hand.
Sie biss sich auf die Unterlippe und ich sah, wie ihr die Röte in die Wangen schoss. Mit einem Kopfnicken nahm sie seine Hand an und steuerte mit ihm auf die Tanzfläche zu. Sie drehte sich während des Gehens noch einmal zu mir um und formte mit den Lippen: Danke.
Bitte, gab ich zurück und musste grinsen, als die beiden ein wenig unbeholfen anfingen zu tanzen.
»Es scheint mir, als wollest du deine Freundin loswerden«, meinte eine Stimme flüsternd hinter mir und ich zuckte zusammen.
Ich wirbelte herum und beinah hätte ich ihn aus Versehen geschlagen, da er sich so weit zu mir heruntergebeugt hatte. Seine stechend braunen Augen mit den gelben Splittern, die etlichen Sonnen glichen, sahen mich an, während ihm das pechschwarze Haar in Strähnen ins Gesicht hing. Er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und ein verräterisches Grinsen umspielte seine Lippen. Diese geschwungen ... Nicht, ermahnte ich mich selbst und knurrte innerlich.
»Nein«, machte ich seine Behauptung zunichte und drehte ihm demonstrativ den Rücken zu, sodass ich auch wieder auf die Menge blicken konnte und Ann im Blick hatte, die mit diesem jungen Mann versuchte zu tanzen.
Er stellte sich glucksend neben mich und betrachtete ebenfalls seinen Freund. »Ich finde es ganz hervorragend, wie du deine Hofdame mit meiner Familie in Verbindung bringst.«
Ich riss die Augen auf. »Aber ... Ich dachte, er gehöre nicht zu deiner Familie. Ich ...«
Ethan zuckte mit den Schultern und wirkte in diesem Moment wie der sorglose Mann, der Sohn eines Bauers gewesen war und mich geliebt hatte, ohne diese Wolfsseite an sich zu haben. »Tut er auch nicht. Aber für mich tut er das.« Er zwinkerte mir zu.
Innerlich erschreckte mich diese Geste. Sie war gleichzeitig so vertraut und befremdend. Es erinnerte mich an den normalen Ethan, aber dieses Zwinkern passte nicht zu diesem Ethan, der Prinz und Werwolf war. Ich zwang mich, meine Lungen mit Sauerstoff zu füllen und richtete meinen Blick nach draußen. Die Sonne bewegte sich immer weiter auf den Horizont hinzu und ich fragte mich, wann die Andines gehen würden, denn immerhin verwandelte sich die Königsfamilie bei Untergang dieses atemberaubenden Gasballs.
Ethan
Nachdem ich Adeline die Zeit gelassen hatte, verträumt in die Massen zu starren − obwohl mir bewusst war, dass sie dies nur meinetwegen tat −, bat ich sie irgendwann mir zu folgen. Mich erschreckte immer wieder die Art, wie sie mich jetzt ansah. Wie viel Verletzlichkeit, Scheu und Leid in ihren sonst mit so viel Lebensfreunde gefüllten Augen aufblitzte. Und wie sie zögernd und genau bedacht meine Hand ergriff, als könnte ich sie jeden Moment in den Tod reißen. Ich wusste, dass sie sich vor dem fürchtete, was tief in mir steckte, aber genau wie sie wusste ich, dass unsere Herzen immer noch im selben Takt schlugen. Und das war der Punkt, der mich zu dem Entschluss gebracht hatte, ihr mein Geheimnis − und das meiner Familie, meines Clans − anzuvertrauen. Aus diesem einfachen Grund tat ich das, was ich tun musste. Auch wenn ich wusste, dass sie mich dafür erst einmal hassen würde.
Sie ging einen Schritt hinter mir, obwohl ich immer noch ihre Hand hielt, und blickte jede Gestalt einzeln an. So als schmiedete sie einen Fluchtplan und benötigte eine gewisse Person dafür.
Mit einem Seufzen ließ ich sie in ihren Tagträumen, während ich weiter auf die Stühle zusteuerte, auf denen die Familien Andine und Gúston Platz genommen hatten. Alle Blicke ruhten auf uns und ein wenig graute es mir vor der Sache, die wir gleich besprechen − nun, eher festlegen − würden. Ich wusste, dass sie mich dafür hassen würde, aber dennoch hoffte ich dringend, dass sie keine Szene machen und mir zustimmen würde, auch wenn es halbermaßen gezwungen wäre.
Irgendwann nahm Prinzessin Adeline ihren Blick von den ganzen Gestalten, entzog sich meiner Führung und ging mir einige Schritte voraus. Ich benötigte erst einen winzigen Augenblick, um diese Situation zu verstehen, bevor ich zu ihr aufschloss und meine Hände hinter dem Rücken verschränkte, ehe wir an der Garnitur ankamen.
Mein Vater erhob sich zuerst und danach machte es meine Mutter ihm gleich. Vater trug seinen dunklen Anzug, der stets zu seinen rabenschwarzen Haaren passte, und Mutter ein weinrotes Kleid, das im guten Kontrast mit ihrem lockigen Haar stand.
»Eure Hoheit«, sagte Adeline Ehre erweisend und ging vor meinem Vater und meiner Mutter in die Knie.
Mein Vater, König Edward, regierte sofort und zog Adeline an den Schultern hoch. Irgendwie hatte diese Berührung, diese Geste, etwas Vertrautes, Besinnliches. Als würde zwischen ihnen eine Verbindung sein, die keiner erkennen könnte. »Du bist wahrlich hübsch, mein Kind«, sagte er und ein wahrhaftiges Lächeln umspielte seine Lippen. Ich musste die Augen über diese Bemerkung verdrehen, aber zum Glück nahm keiner von mir Kenntnis.
»Danke, Hoheit«, meinte sie und machte nochmals einen kleinen Knicks, bevor sie sich meiner Mutter, Königin Mary, zuwandte.
Meine Mutter, so wie sie nun mal war, ging auf Adeline zu, umfasste zärtlich ihre Schultern und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. Ich sah, wie sie erstarrte, aber nichts sagte oder tat, dass sie später bereut hätte. Aber ich war mir sicher, dass es nur der Schock war, dass meine Mutter, die Königin, so offen und freundlich war. »Das stimmt«, beteuerte sie. »Du bist eine wahre Schönheit.«
Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf König William, der zufrieden lächelte. Aber in gewisser Weise lagen Verletzlichkeit und Trauer in seinen trüben Augen. Es versetzte mir einen Stich ihn so zu sehen, aber insgeheim wusste ich, dass, wenn ich hier nicht stehen würde, es ein anderer Prinz an meiner Stelle wäre. Und das konnte ich nicht zulassen.
Als ich wieder zu Adeline blickte, ging sie zu ihrem Vater und setzte sich bedacht auf die Kante der verzierten Couch. Meine Mutter setzte sich und bedeutete mir mit einem einfachen Lächeln, mich neben sie und Vater zu setzen. Ohne Widerspruch folgte ich ihrer Anweisung.
Mein Vater erhob zuerst das Wort und blickte zwischen dem König von Maristion und seiner Tochter hin und her. »Dieser Besuch von uns galt heute einer außerordentlich wichtigen und diplomatischen Sache. Wir wissen, Adeline, das Ihr vor der Entscheidung steht, einen Prinzen zu wählen. Auch wenn Ihr in dieser Sache gewisse Einschränkungen habt.« Er sah nun Adeline an. »Wir haben mit der Königsfamilie Gúston gute Verbindungen, weswegen uns die Sache mit Eurer Heirat aufmerksam gemacht hatte. Und ...«
Irgendwie erreichte mich dieses Gespräch nicht mehr. Ich blendete diese Verhandlung vollkommen aus und betrachtete nur Adeline, die mit angespannter Miene und mit zu Schlitzen geformten Augen meinen Vater ansah. Und als sie plötzlich scharf die Luft einzog und ihren Kopf ruckartig zu mir richtete, setzte mein Herz einen Schlag aus und ich wusste, dass sie es wusste: Ich wollte sie heiraten. Und sie wusste auch, dass ich erzählt hatte, dass wir zuvor schon Bekanntschaft gemacht hatten. Und dieser Punkt unterstützte die Heirat. Denn ich wollte sie. Mehr als alles andere.
Sie blinzelte und nickte dann bedacht. Es war ganz kurz, zaghaft, als hätte sie Angst, sie würde damit etwas völlig Falsches machen. Adeline schaute kurz zu ihrem Vater und erwiderte knapp sein väterliches Lächeln, bevor sie sich meinen Eltern zuwandte.
Ich aber konnte nicht anders als sie anzustarren. Ich sah, wie sie stark schluckte und sie dazu durchrang ein- und auszuatmen. Außerdem ermöglichte es mir mein Wolfsinstinkt zu sehen, wie sie die glasklaren Tränen wegblinzelte.
Als meine Ohren wieder etwas mitbekamen, hörte ich, wie die Könige und meine Mutter in fröhliches Gelächter verfielen. Dann kam es auf den Termin für die Hochzeit an. Wir fanden es nicht nötig, erst eine Verlobung zu starten. Es war gesichert, dass ich und Adeline heiraten würden. Und als das auch abgeschlossen war, als der König von Maristion seinen Berater gerufen hatte und alles bekräftigt worden war, erhoben wir uns und stießen an. Ich konnte mir vorstellen, was in meiner Adeline vorging, aber ich hatte keine andere Wahl gehabt. Nur so hatte ich sie für mich gewinnen können, auch wenn der Preis dafür ziemlich hoch war.
Der Wein schmeckte gut, aber wie so oft konzentrierte ich mich auf die junge Frau, die mir gegenüberstand und mit einem aufgesetzten Lächeln alles verarbeitete. Ich konnte nicht anders, sah sie nur an, bis sie meinen Blick erwiderte. Es sprachen viele Gefühle in ihren Augen, aber ich sah auch ein Stück Hoffnung und glaubte sogar ein kleines bisschen Erleichterung zu erkennen.
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