5. Kapitel
Adeline
Routinemäßig zerrten meine Zofen an mir herum, zogen hier und dort Stoff zurecht. Ich trug ein blaues Kleid, vornehmen, edel, und natürlich für den Tanz geeignet. Die Ärmel gingen mir bis zum Ellbogen und waren an den Enden verziert. Das Kleid selbst war sehr royal gehalten und zeigte nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig von meiner Oberweite. Meine Schuhe wurden farblich mit dem Kleid abgestimmt und waren immer noch passend, um zu tanzen. Am liebsten hätte ich mir Schuhe gewünscht, in denen ich gar nicht hätte laufen könnten, um wenigstens nicht mit einem Prinzen tanzen zu müssen.
Ann, meine Hofdame, saß auf einer Chaiselongue und verschlang eifrig ein Buch in sich. Sie hatte rotbraunes Haar und sah einfach nur umwerfend aus. Ich hingegen fand, dass mein Gesicht fein und süß wirkte, als könnte ich gegen niemanden Widerstand leisten.
Eine Zofe zog zu fest an meinen Haaren und entschuldigte sich wehmütig. Ich winkte mit einem Lächeln ab und sagte ihr, es sei nicht so schlimm. Sie solle sich nur um meine Frisur kümmern, dass ja alles perfekt sitze und niemand von mir einen falschen Eindruck bekäme. Sie verstand meine Anspielung und widmete sich dann mit einem Grinsen wieder meiner aufwendigen Hochsteckfrisur.
Ich neigte den Kopf ein Stück zu Ann. »Du weißt aber, dass, wenn die Königsfamilie Andine eintrifft, du nicht die ganze Zeit lesen kannst. Und irgendwann kriegst du davon noch eine Nackenstarre.«
Sie lachte auf und meinte: »Stimmt gar nicht.« Sie schlug das Buch zu, konnte sich ein verräterisches Grinsen aber nicht verkneifen.
»Ach«, machte ich und sah an die Decke, weil die Zofe etwas richten musste, »ich würde auch gerne stundenlang lesen, ohne von jedem irgendwie schief angesehen werden. Du weißt ja, Prinzessinnenkram.« Ann lachte auf. »Und übrigens: Wenn ich dich nachher mit einem Buch sehe, suche ich dir einen Tanzpartner. Das verspreche ich dir.« Ich zeigte mit dem Finger auf meine einzige Freundin.
Sie kicherte und nahm sich dann sofort ihr Buch wieder vor.
Meine oberste Zofe trat mit einem Lächeln zu mir, das ich erwiderte. Sie hatte sich schon um mich gesorgt, als ich noch nicht einmal gehen konnte, und ich war überglücklich sie zu haben. Sie war eine weitere Stütze in meinem Leben. »Hoheit, wir sind fertig«, sagte sie bedacht und legte die eine Hand in die andere und musterte mein Spiegelbild. Daraufhin traten die restlichen Zofen zurück und warten.
Ich lächelte, auch wenn es kein echtes, aufrichtiges Lächeln war, und bedankte mich bei allen, die daraufhin mit einem Lächeln und einem Knicks aus meinem Gemach traten.
»Willst du ihnen nicht mal abgewöhnen, immer einen tiefen Knicks zu vollführen?«, fragte Ann, obwohl sie weiterlas.
Ich lachte und ging zum Tisch, um mir ein wenig Wein einzuschenken. Das Getränk schmeckte herrlich und vertraut und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, als ich mich am Ende der Chaiselongue fallen ließ. »Das habe ich versucht, aber immer wenn ich sie darauf hinweise, machen sie nur noch einen tieferen Knicks. Vielleicht sollte ich ihnen das mit strenger Stimme befehlen. Kann ja eventuell klappen, oder?«
Ann nickte und riss mir das Glas aus der Hand, bevor sie ein Schluck trank und mir das fast leere Glas wieder reichte. »Bestimmt«, sagte sie mit einem Grinsen und schlug das zugeklappte Buch wieder auf.
»Danke«, meinte ich sarkastisch und trank den letzten Schluck aus. Ich stellte das Glas auf den Beistelltisch und sah seufzend an die Decke. Gleich müsste ich in den Großen Saal hinuntergehen und den Rest des Nachmittags sowie des frühen Abends mit der königlichen Familie Andine und dessen Prinzen verbringen. Ich hatte wirklich keine Lust. Ich wollte mir das nicht antun, aber drum herum kam ich leider nicht.
»Dann lass uns mal los«, meinte meine Hofdame, schlug das Buch zu und klatschte dafür in die Hände. Sie lehnte sich zu mir und meinte: »Ich hoffe, dieser Prinz ist ein ganz hässlicher Kerl. Eine Bohnenstange mit einer riesenlangen Nase und riesengroßen Augen.«
Belustigt stieß ich Ann weg und sie landete mit der Schulter auf einem Kissen. Lachend richtete sie sich wieder auf, erhob sich und hielt mir den Arm hin.
Ich ergriff ihn dankend und zusammen wie zwei sorglose junge Frauen, die wir nicht waren, traten wir aus meinem Zimmer auf den Flur hinaus und gingen dann gleichzeitig die hellweiße, verzierte Wendeltreppe hinunter. Im Hauptflur angekommen herrschte schon reges Treiben. Bedienstete eilten hin und her und verbreiteten Unruhe. Mir wurde immer mulmiger zumute, aber Ann holte mich mit einem vertrauten Händedruck und einem warmen Lächeln aus meinen wahnsinnigen Gedanken.
Zwei Wachen öffneten die weißen Türen zum Großen Saal und wir beide traten ein. Selbst im Saal waren alle Vorbereitungen noch nicht abgeschlossen. Bedienstete richteten die vielen Teller mit Essen oder schoben noch einige Tische und Stühle zurecht. Die Dekoration in diesem riesigen Raum, in dem die Fenster bis fast an den Boden reichten, war weiß und an einigen Stellen fand sich ein dunklerer Blauton wieder, der mit dem meines Kleides zum Verwechseln ähnlich sah.
Vater hatte alte Bekannte, Adlige aus anderen Gegenden und nahestehende Freunde, die vielleicht nicht reich, aber dafür freundlich und ergiebig waren, eingeladen. Und das alles in zwei Tagen! Das machte mich stutzig und ich überlegte, ob Vater länger Zeit gehabt hatte alles zu organisieren als nur diese beiden Tage. Und ich war fest überzeugt, dass es so war.
Der Saal war zumindest schon von etlichen Leuten gefüllt, die sich vor mir verbeugten oder mich mit Ann als meine Begleitung in eine knappe, aber freundliche Unterhaltung verwickelten. Als wir an meinem Vater vorbeikamen, lächelte er mir zu und ich wusste, was er damit meine: Er sagte, ich sehe super aus und packe das alles hier mit links. Nur leider war ich davon nicht ganz so überzeugt.
»Du schaffst das«, flüsterte mir Ann zu, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Ich bin doch dabei. Da kann dir doch nichts passieren. Ist auch versprochen«, sagte sie überzeugt und zwinkerte mir zu.
Ich erwiderte es vielsagend und zog sie näher an mich. Und wie so häufig verstand sie meine kleinen Andeutungen und drückte nochmals meine Hand, um mir immer wieder weiszumachen, dass nichts passieren würde, ich keine Angst haben müsste und alles gut werden würde.
Wir setzten uns auf eine halbrunde Chaiselongue, die weiter hinten stand, abgeschirmt von den vielen Leuten, und extra für mich hier platziert wurde. Mein Puls raste, als ich mich neben Ann setzte, mein Kleid glatt strich und in die Menge spähte, die vollkommen unbekümmert war. Ich hingegen war das reine Gegenteil, ließ es mir äußerlich aber nicht anmerken. Ich ließ meine Finger von dem weichen Stoff des Kleides hinabgleiten und strich über den samtigen Stoff des Möbelstücks. Als wäre dies ein Reflex, fingen meine Finger an im Takt auf den Stoff zu schlagen. Mein Blick ging weiter durch die Menge, die sich in einzelnen Gruppen zusammenfand, und blieb bei einigen wunderschönen Dekorationen oder Mobilariern hängen. Letzteres war das Podest, auf dem die Musiker ihre Instrumente überprüften und stimmten. Wenn ich daran dachte, hatte ich auch Lust auf meinem Klavier zu spielen, nur um diese verfluchte Nervosität abzuschütteln.
»Ich gehe mir schnell ein Glas Wein holen. Möchtest du auch eins?« Ich wandte meinem Blick zu Ann, die verträumt mit einer Locke spielte, die so hartnäckig war und nicht in ihrer Hochsteckfrisur halten geblieben war.
Sie nahm ihre Augen von den Leuten, die sie wie immer bis ins kleinste Detail musterte und analysierte, und verneinte dies lächelnd. Ich erwiderte ihr Lächeln, in das man sich wirklich unsterblich verlieben konnte, und machte mich auf.
Es war schwer mir einen Weg durch die Menge bis zu dem Buffet zu suchen. Jedes Mal wurde ich angesprochen und in ein Gespräch verwickelt. Und jedes Mal sprach ich freundlich und aufmerksam mit den Leuten, die mir manchmal bekannt, manchmal aber auch völlig fremd waren. Mein Lächeln war fast die ganze Zeit aufgesetzt, aber das hatte ich schon früh gut drauf gehabt. Auch wenn die Leute Witze schlugen, lachte ich, auch wenn es künstlich war, sich aber echt anhörte. Als ich mich dann endlich zu den riesigen Tischen mit dem Essen durchgeschlagen hatte, steuerte ich die vielen Weingläser an und nahm mir eins. Der Geruch war vertraut, wohltuend, und als ich einen Schluck genommen hatte, musste ich seufzen. Die Leute versperrten mir wieder den Weg zur Chaiselongue, die auf der anderen Seite lag. Aber nur dort war ich von den Massen, von dem Gelächter und den vielen Stimmen sicher. Nur dort sprach mich keiner an und riss Witze, die überhaupt nicht lustig waren.
Mit einem Stöhnen strich ich über mein Kleid und umfasst die Kette, die mir um den Hals hing. Sie war silbern, passte mit den Ohrringen und der Krone zu meinem Kleid und meiner Hochsteckfigur und erinnerte mich an meine glückliche, aber auch geprägte Vergangenheit. Vater hatte sie mir an meinem fünften Geburtstag geschenkt. Er hatte gesagt, sie sei von Mutter. Sie habe sie mir vermacht und wollte sie mir eigentlich zu meinem achtzehnten Geburtstag schenken. Aber Vater hatte gemeint, dass ich ein Stück, etwas Persönliches bräuchte, an dem ich festhalten könnte und das mich an meine verstorbene Mutter erinnere. Und wenn ich ehrlich sein sollte, war die Kette eine Stütze für mich. Sie half mir und ich hatte das Gefühl, dass meine Mutter, obwohl sie in einem der vielen Sterne ruhte, bei mir war.
»Adeline?«, erklang eine Stimme hinter mir und ich drehte mich um. Vor mir stand eine etwas kleinere, junge Frau. Ihre roten Haare hoben sie aus der Masse ab und ihre grauen Augen waren stechend und direkt. Aber dennoch lag in ihnen eine gewisse Wärme.
Ein Lächeln umspielte meine Lippen, als ich auf sie zuging und sie in den Arm nahm. »Parris, ich wusste gar nicht, dass du auch hier bist.«
Sie lachte auf und machte dann einen Knicks, wie es sich für eine Untertanin gehörte. Aber ich für meinen Teil hätte sie lieber daran gehindert. Aber was soll man da machen? Das ist halt der Titel. »Ach, Hoheit, ich kann doch solch eine Feier nicht verpassen. Schon gar nicht, wenn Ihr dabei seid.« Sie grinste und ich musste lachen.
»Ich würde es wirklich vorziehen, wenn du als meine Freundin mich nicht als Prinzessin siehst, sondern, ja, als Freundin.«
Sie kicherte und strich sich über die feuerroten Haare. Sie trat einen Schritt auf mich zu und flüstere fast: »Du weißt doch, Adeline, dass ich das nicht kann. Ich bin nur die Tochter eines Beraters deines Vaters. Und damit immer noch eine deiner Untertanin.« Parris lächelte und trat einen Schritt zurück.
Ich musste auflachen. »Witzig. Du, meine Untertanin? Nein, ich werde einen fremden Prinzen heiraten und nicht hier das Reich regieren. Nein, danke, das übernimmt Charles. Dein Humor ist wirklich bemerkenswert«, meinte ich ironisch und nahm einen Schluck von meinem Wein.
Sie lächelte verhalten und meinte dann: »Darf ich Euch meinen Gatten vorstellen?« Parris drehte sich um und ergriff die Hand eines jungen Herrn. Er kam mit einem Lächeln auf mich zu und nahm meine Hand, bevor er auf meinen Handschuh einen Kuss setzte. »Das ist Gabriel, Hoheit.«
Ich legte den Kopf ein Stück schief und lächelte, als ich meine Hand wieder zurückzog. »Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
»Die Ehre ist ganz meinerseits, Hoheit.« Er stellte sich neben Parris und legte einen Arm um ihre Taille.
»Kommen Sie denn mit Parris Begeisterung für Musik und Kunst zurecht«, fragte ich den jungen, blonden Herren, der auf mich einen recht freundlichen Eindruck machte.
»Natürlich.« Er lachte auf und blickte zu seiner Ehefrau. »Wir lieben es beide.«
»Wirklich?« Mein Lächeln war echt und wurde breiter. »Das freut mich sehr, dass Ihr Euch gefunden habt. Noch einmal herzlichen Glückwunsch.«
Parris lächelte mich verräterisch an, machte aber einen Knicks. »Danke, Hoheit«, sagte sie und rückte ein Stück näher an Gabriel. »Wie auch immer, wir wollten Ihre Zeit nicht zu sehr in Anspruch nehmen. Es war freundlich mit Ihnen zu sprechen, Hoheit.«
Zuerst wollte ich widersprechen, ihr sagen, sie sollen ruhig bleiben, mit mir noch einige Worte wechseln, aber sie wusste, wer ich war und was mir bevorstand, weswegen sie sich bedacht zurückzog. Deswegen lächelte ich auch nur und meinte: »Ich wünsche Ihnen noch einen wundervollen Abend. Haben Sie viel Spaß. Und weiterhin viel Glück in Ihrer Ehe.«
»Danke, Hoheit«, murmelte Parris, mit der ich und Ann früher, als wir noch klein gewesen waren, gespielt und uns gegenseitig durch den königlichen Garten gejagt hatten. Gabriel machte eine knappe Verbeugung und verschwand dann mit meiner einstigen Freundin, die ich kaum noch zu Gesicht bekommen hatte, in der Menge. Es machte mich traurig, denn ich hätte gern weiter mit ihr gesprochen, aber ich wusste, dass sich Menschen im Laufe der Zeit ändern. Ich hatte es vor meinen eigenen Augen miterlebt.
Seufzend drehte ich mich wieder um und steuerte diesmal, ohne auf die vielen Gestalten zu meiner Rechten oder Linken zu achten, auf die Chaiselongue zu, auf der Ann immer noch gemütlich lag und die Leute betrachtete, die in einiger Entfernung an ihr vorbeizogen.
»Da bist du ja endlich«, meinte sie und machte mir ein wenig mehr Platz. »Ich dachte, du kommst nie mehr oder das Buffet ist so grandios, dass du dich gar nicht mehr davon lösen kannst. Echt, ich hatte schon vor, dich zurück zu schleifen.«
Ich musste schmunzeln, als ich mich setzte, und nahm einen weiteren Schluck von dem dunkelroten Getränk. »Tja, ich bin halt eine Prinzessin. Was soll ich da noch hinzufügen«, meinte ich gespielt hochmütig und spitzte die Lippen.
Ann lachte und setzte sich auf. »Aber na klar doch. Deswegen hast du eine Ewigkeit gebraucht, weil du in jeden erdenklichen Spiegel schauen musstest und dich betrachtetest, ob du auch gut genug aussiehst, wenn Prinz Oberhässlich hier reinspaziert.« Sie kicherte.
Ich stieß ihr gegen die Schulter, wodurch sie nur noch mehr lachte, und schnaubte. »Zügel deine Zunge, Ann«, meinte ich gespielt und sah sie an. »Nein, ich habe Parris getroffen.«
Ihr Lachen verebbte sofort und die Mundwinkel bogen sich nach unten. »Oh«, meinte sie und spähte einen Moment auf den polierten Boden. Dann sah Ann mich an und zog leidig die Brauen zusammen.
Ich erwiderte ihren Blick und sagte seufzend: »Sie ist liiert. Wusstest du das?«
Anns Augenbrauen schossen in die Höhe, dann schüttelte sie enttäuscht den Kopf. »Nein, ich wusste es nicht.«
Mein Lächeln war schwächlich, aber dennoch konnte ich sie dadurch ein wenig aufmuntern. »Ich auch nicht«, sagte ich und ließ mein Blick durch die Massen schweifen. Ich wusste, wie sehr sie und auch ich darunter litten, dass Parris nicht mehr zu uns gehörte. Dass sie nicht mehr die fröhliche Person war, die sie in unseren Kindestagen gewesen war. Dass sie sich, warum auch immer, von uns abgewandt hatte.
»Egal«, meinte ich nach einer Weile und neue Freude schwang in meiner Stimme mit, von der ich mich fragte, wo sie denn plötzlich herkam. »Sag, hast du schon jemanden gefunden, der dir gefallen würde?«
Glücklicherweise sprang Ann auf meine Anspielung an und meinte fröhlich: »Nein, noch nicht«, sie setzte sich kerzengerade hin, »aber ich bin optimistisch, dass ich am Ende des Tages mindestens mit einer Person getanzt habe.« Natürlich, dachte ich mir. Ann war vielleicht in meiner Gegenwart eine taffe, furchtlose und junge Frau, aber in Gegenwart unbekannter Personen ging sie oft unter. Sie war nicht so offen, aber das brauchte sie auch nicht. Sie gehörte zu mir, sie war eine meiner Stützen, und ich half ihr, wenn sie Hilfe brauchte − auch wenn ihr das selten bewusst war.
Plötzlich erklangen Trompeten vor dem Palast und ich fuhr hoch. In meiner Magengegend kribbelte es und das Blut rauschte mir förmlich durch die Adern. Auch Anns Lächeln verebbte und sie setzte sich gerade auf.
Die Gespräche im Raum wurden leiser, verstummten aber nicht vollständig. Vor unserem Platz standen nicht allzu viele Gäste, weswegen ich sah, wie mein Vater mit einigen Beratern aus der Masse trat und auf die riesigen Türen am anderen Ende des Großen Saals zusteuerte.
Immer wieder dachte ich, mein Herz würde stehen bleiben. Dann kribbelte es in meinem Bauch. Es kam und ging. Es war nervenaufreibend und ich wurde immer nervöser. Dennoch zwang ich mich ruhig und gleichmäßig zu atmen.
Alle sahen gespannt zu den Türen, als diese geöffnet wurden und helles Licht hineintrat. Ich versuchte an einem älteren Mann vorbeizusehen, aber er stand mir zu sehr im Weg, als dass ich etwas hätte sehen können. Dann stimmten die Trompeten draußen im königlichen Garten noch einmal an und alle Anwesenden verbeugten sich vor der Königsfamilie Andine. Auch ich und Ann taten das und verweilten so einen Moment.
Als ich merkte, dass die Personen vor mir sich wieder aufgerichtet hatten, hob ich auch langsam mein Haupt und sah nach vorne. Zuerst sah ich König Edward Andine, der meinen Vater begrüßte. Er hatte pechschwarze Haare und an einigen Stellen stach schon leicht das Grau hervor. Sein Gesicht war kantig geschnitten, er hatte Augen, die einen eindringlich ansehen konnten, und eine geradlinige Nase. Trotz dieser markanten Züge erkannte man die Lachfalten und irgendwie fand ich, dass dieser Herr auf mich sympathisch wirkte, auch wenn ich mir vorstellen konnte, dass sein Gesicht auch nicht nur freundliche Gesichtszüge haben konnte.
Dahinter tauchte seine Frau auf. Königin Mary, wenn ich mich recht erinnerte. Sie hatte braune Haare, die kunstvoll geflochten waren, die ihren grau-braunen Augen und den feinen Zügen schmeichelten. Sie hatte lange Wimpern und genau wie ich eine Stupsnase. Auch ihr Lächeln wirkte natürlich und nicht aufgezwungen. Im Gesamten wirkte ihr ganzes Gesicht natürlich, als wäre sie einer Göttin entsprungen.
Hinter den beiden trat ein junger Mann hervor und mir blieb das Herz stehen. War das der Prinz? Ich musterte ihn: Braunes Haar wie das seiner Mutter und hellbraune Augen zierten sein makelloses Gesicht. Dieses war nach hinten gekämmt, aber dennoch erkannte man die Haare, die sich gegen diese Frisur sträubten. Mir blieb das Herz stehen. Er war es. Und er sah gar nicht ...
Beinahe hätte ich laut aufgeschrien, als eine Person mein Sichtfeld kreuzte. Mein Herz raste wie wild, meine Hand zitterte und ich hatte es schwer, den Beistelltisch zu finden, um das Glas abzustellen. Denn ich war mir sicher, dass ich es fallen gelassen hätte, wenn ich die Person noch weiter angestarrt hätte. Seine Haare waren wie die von König Edward pechschwarz, erinnerten an eine dunkle Krähe aus einem düsteren Wald. Sein Gesicht hatte ebenfalls markante Gesichtszüge und die Wangenknochen waren sichtbar zu erkennen. Seine schlammbraunen Augen spiegelten so viele Ereignisse und Erinnerungen wieder, dass sich Tränen in meinen Augen festsetzten.
»Wow, Prinz Oberhässlich ist extrem gut aussehend«, flüsterte mir Ann zu und ich schreckte hoch.
Ich sah sie mit aufgerissenen Augen an, aber sie starrte den Mann an, der auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes stand. Ich schluckte stark und sah die Person wieder an. Ich schreckte innerlich zusammen, denn diese Augen mit den gelblichen Splittern sahen genau in meine. Fest und entschlossen betrachtete mich diese Person und formte die Augen leicht zu Schlitzen.
Ethan.
Ethan
Ihr Gesichtsausdruck war unwiderruflich und ich musste mich zurückhalten, damit sich kein Grinsen um meine Lippen legte. Sie sah wunderschön aus. Wie immer. Ihr goldblondes Haar war zu einer graziösen Hochsteckfrisur frisiert worden und das wenige Puder bedeckte ihre leichten Sommersprossen. Die Krone auf ihrem Haupt war silbern und glänzte, hob sie von den anderen ab, gab ihre Macht und Titel. Ihr blaues Kleid schmeichelte ihrer Figur und lief an den Taillen enger zusammen. Ihr Gesichtsausdruck hingegen sprach Bände. Sie war sprachlos, erschüttert, überrascht und, ja, ein Stück verzweifelt. Und ich konnte es ihr nicht verdenken, denn immerhin hatte sie gedacht gehabt, ich sei nur ein Bürgerlicher. Aber, nein, ich war ein Werwolf sowie auch ein Prinz.
Die Leute im Raum schauten noch zu uns, überprüften unsere Garderobe, musterten uns bis ins kleinste Detail, bevor sie sich wieder ihren eigenen Gesprächen zuwandten.
Ich hatte Mühe nicht zu Adeline zu sehen und ihren immer noch erschrockenen Gesichtsausdruck zu sehen. Anstatt dessen konzentrierte ich mich auf das Gespräch meiner Eltern und König William. Ich musterte ihn und verglich ihn mit seiner Tochter. Und, ja, sie hatte seine Augen und einige Züge ihres Vaters.
»Wird sie eine Szene machen?«, fragte Jacon, als er unauffällig zu mir getreten war und mir ein Glas Wein reichte. Wir hatten uns mit dem König von Maristion weiter in eine Ecke begeben, um in Ruhe reden zu können. Denn das hier war kein direkter Freundschaftsbesuch, nein, es war die Klärung einer Liierung.
Ich zuckte mit den Schultern und nahm ein Schluck von meinem Getränk, während mein Blick über die Gäste schweifte. »Ich hoffe nicht.«
»Du ... du hoffst?«, fragte Jacon sprachlos und riss die Augen auf.
Ich musste grinsen und reckte das Kinn. »Ja. Bei ihr kann man nie wissen, was genau in ihr vorgeht.« Ich blickte zu Jacon, der immer noch total fassungslos war.
»Na super«, antwortete er nach einer Weile, blinzelte und nahm dann einen Schluck von dem köstlichen Wein.
Mein Grinsen wurde breiter und ich meinte: »Finde ich auch.«
Er lachte kurz auf und glättete ein wenig seine Frisur, die er sich extra für diesen Anlass hatte machen lassen. »Den Sarkasmus kannst du dir sparen«, sagte er und drehte sich ganz zu mir.
»Echt? Ich finde ja, das ist einer meiner besten Disziplinen.«
Jacon verschluckte sich und hustete, wobei sein Husten ab und zu in ein sarkastisches Lachen überging. Ich trat zu ihm und klopfte ihm auf den Rücken. Er winkte ab und meinte dann nur: »Haha.«
Ich grinste noch breiter und setzte am Weinglas an, um einen weiteren Schluck zu nehmen, als ich jedoch inmitten der Bewegung innehielt, weil mein Blick bei Adeline festhing, die mich mit gerecktem Kinn und leicht verzweifelter Miene ansah. Sie wurde von ihrer Freundin vollgetextet und ich musste, obwohl mein Mund gerade an diesem Glas klebte, schmunzeln. Ich setzte ab, leckte mir kurz über die Lippen und reichte das Glas Jacon, der keine andere Wahl hatte als es anzunehmen. Ich richtete meinen Anzug und trat auf meine Eltern sowie König William zu. »Entschuldigt, Hoheit, aber dürfte ich Ihre Tochter zum Tanze auffordern?«, fragte ich ganz förmlich und verbeugte mich knapp.
Das Lächeln auf dem Gesicht des etwas älteren Herrn vergrößerte sich und er meinte mit einer kurzen Handbewegung: »Aber natürlich. Geht nur.«
Ich nickte ihm dankend zu, warf meinen Eltern noch einmal einen vielsagenden Blick zu und machte dann auf dem Absatz kehrt. Jacon, mein bester Freund, stand immer noch so da, wie ich ihn stehen gelassen hatte, und sah mir mit offenem Mund hinterher. Mein Blick war zielgerichtet auf Adeline gesetzt, die mich immer noch anstarrte und keine Anstalten machte, ihren Blick von mir abzuwenden. Die Leute um mich herum grüßten mich und machten für mich Platz, sodass ich ungehindert auf die Prinzessin zusteuern konnte. Als auch ihre Freundin, die zudem auch ziemlich hübsch war, mitbekam, dass ich auf sie zusteuerte, hörte sie auf mit Adeline − oder eher mit sich selbst − zu reden. Sie setzte sich gerade hin und faltete die Hände im Schoss.
Adeline hingegen hatte sich seit der ersten Sekunde, in der sich mich erblickt hatte, nicht bewegt und saß kerzengerade vor mir. Wie die junge Frau hatte sie die Hände im Schoss gefaltet und ich sah schon aus weiter Entfernung, dass sie zitterten. Ich Brustkorb senkte sich gleichmäßig, aber nur, weil ich wusste, dass sie sich einredete, ruhig zu bleiben. Als ich kurz vor ihr ankam, zog sie einmal tief Luft ein.
Durch meine ausgeprägten Sinne hörte ich dieses Einziehen deutlicher als jeder andere Mensch hier in diesem Saal. Auch das Zittern ihrer Hände hatte ich schon Weitem wahrnehmen können, weil es mir mein Wolf ermöglichte. Ich hatte sogar zählen können, wie oft sie geschluckt hatte, während ich mich langsam auf sie zubewegt hatte. Außerdem hatte ich erkannt, wie ihre Ohrringe in Zeitlupe hin- und hergeschwungen waren.
Als ich vor der Chaiselongue zum Stehen kam, nahm ich den Blick kurz von Prinzessin Adeline und wandte mich kurz nickend ihrer Hofdame zu − zumindest hielt ich sie für diese. Dann sah ich sie wieder an und verbeugte mich, bevor ich ihr meine Hand hinhielt.
Sie schluckte stark, aber gab mir ihre von einem Handschuh bedeckte Hand. Adeline zuckte leicht zusammen, als ich sie auf den Handrücken küsste und ihr dann wieder in die stechenden Augen sah. Sie blinzelte noch nicht einmal, starrte mich einfach nur an.
Als ich ihre Hand wieder freigab, hielt ich meine aber immer noch vor sie, bevor ich fragte: »Würdet Ihr mir die Ehre erweisen, Hoheit, und mit mir tanzen?«
Adeline zögerte. Sie sah nicht auf meine Hand, sondern in meine Augen und ich wusste, dass sie an den Wolf dachte, der ich war. Ich wusste, dass sie meine menschlichen Augen mit denen meines Wolfes gleichsetzte. Ich sah, wie sie diese gelben Splitter betrachtete. Doch dann blinzelte sie, sah auf meine Hand, atmete kräftig durch und ergriff diese dann.
Wärme durchflutete mich, als ich meine Finger um ihre Hand schloss und sie leicht hochzog. Ich richtete mich auf, sah ihr noch einmal in die Augen, bevor wir nebeneinander auf die Mitte des Saales zusteuerten. Die Gäste um uns herum traten zur Seite und die Musiker stimmten an. Wir verbeugten uns voreinander und gingen dann aufeinander zu.
Adeline zuckte zusammen, als ich meine Hand um ihre Taille legte und sie näher zu mir zog. Sie schaute zu den Musikern, und als das Lied ganz begann, fingen wir an uns im Takt der Musik zu bewegen. Adeline fiel dies viel leichter als mir. Sie bewegte sich graziös und mit Anmut, als hätte sie ihr ganzes Leben nichts anderes gemacht. Ihr Kleid schwang fröhlich mit und ich war mir sicher, dass die Gäste nur die Täuschung und nicht Adelins Bestürzung bemerkten. Es war eine perfekte Illusion, wir spielten ihnen allen etwas vor, so wie wir es fast immer taten, und ließen uns nichts anmerken. Zu meinem Erstaunen spielte Prinzessin Adeline fantastisch mit. Außer dass sie während des Tanzes mir nicht in die Augen blickte. Ihre waren so voller Trauer und Betroffenheit und einem kleines Stück Angst. Ich hatte gehofft, sie wäre nicht ängstlich, sie fürchte sich nicht vor dem, was tief in mir schlummerte, aber ich hatte mich geirrt.
Als sie einige Pirouetten gedrehte und ich sie zu mir zurückgezogen hatte, sah sie mir nun tief in meine Augen. Ihr Brustkorb senkte sich gleichmäßig und ich merkte, wie sie den Kopf reckte, um in meiner Gegenwart nicht klein zu wirken.
Meine Hand lag immer noch um ihre Taille, als das Lied verstummte und die Anwesenden begannen zu klatschen. Mein Blick ruhte immer noch auf ihr. Es fühlte sich an, als wäre alles um uns nicht da. Als wären wir allein ohne die vielen Menschen, die auf jeden kleinsten Schritt unserer selbst achteten. Nach einem weiteren Augenblick ließ ich sie dann doch los und wir traten ein Stück zurück, bevor wir uns verbeugten.
Adeline ging tief in die Knie und der Stoff ihres blauen Kleides breitete sich auf dem blank polierten Boden aus. Sie hob langsam ihr Haupt und richtete sich dann wieder auf. Die junge Frau, die ich zu lieben gelernt hatte, starrte mich an, als sich die Leute um uns versammelten und zum nächsten Lied tanzten. Einen Moment später, als wäre sie aus ihrer Starre verfallen, senkte sie erneut ihren Kopf und steuerte dann auf die Chaiselongue zu.
Ich blickte ihr hinterher, sah den blauen Stoff ihres Kleides, der wie Wellen mit jeder Bewegung wiegte und nach und nach hinter den vielen, mir nicht bekannten Gästen verschwand. Ein knappes Lächeln umspielte meine Lippen, als ich die Hände hinter dem Rücken verschränkte und dann von der Tanzfläche ging. Wie so oft erwartete Jacon mich schon, als wäre ich bei diesem kleinen Tänzchen in Lebensgefahr gewesen.
»Das war gar nicht schlecht«, meinte er mit einem Grinsen und reichte mir ein neues Glas gefüllt mit Wein.
Ich lehnte ab und meinte: »Willst du mich betrunken machen, sodass ich mich vor allen blamiere?« Ich lachte.
Mein Freund schüttelte mit einem Grinsen im Gesicht den Kopf. »Nein, hatte ich eigentlich nicht vor, Hoheit.«
»Ach, jetzt wirst du förmlich?«
Jacon lachte brummig auf und zuckte mit den Schultern. »Anscheinend schon.« Er ließ seinen Blick durch die Menge schweifen. »Meinst du, es wird klappen?«
»Das kann ich nicht genau sagen, aber in dieser Sache bin ich sehr zuversichtlich.« Ich richtete meinen Blick in die hinterste Ecke in diesem eleganten Saal und entdeckte Adeline, die verstohlen zu uns blickte und hoffte, wir würde sie nicht bemerken.
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