Verlorene Freiheit - 2


Sobald ich der lauten Menge entkommen war, wich jedoch meine starke Maskerade. Tränen liefen über mein Gesicht und ich verfluchte mich selbst. Was sollte ich nun tun? Ich konnte doch nicht einfach willenlos Jordon heiraten, oder doch? Natürlich hätte es weitaus schlimmer kommen können, immerhin war er der wohl einzige noch nicht verheiratete junge Mann in meinem Alter, doch das hatte wiederum auch seine Gründe. Einen dummen Moment lang überlegte ich, einfach abzuhauen. Vielleicht hätte ich mit einem gesunden Arm einen kleinen Unterschlupf auf dem noch bewachten Gebiet finden und mich dort verstecken können, doch nur mit meiner linken Hand würde ich kaum genug Essen finden, selbst wenn es Frühling oder Sommer war. Stirnrunzelnd lief ich weiter durch die immer dunkler werdenden Gänge. Ich bemerkte nicht, wohin mich mein Unterbewusstsein führte, bis ich schließlich realisierte, dass ich mich vor einer dicken Metalltür befand.

Sie war mit einem neunstelligen Zahlenschloss gesichert. Hier hatten bei Beginn des Virus ein paar Werwölfe gehaust, besser gesagt Wölfinnen und Welpen. Der Minenbetreiber, ein einstiger Freund meines Vaters, hatte die Monster dazu genutzt, um Geld zu sparen. Anstatt die teuren Geräte für den Bergbau weiter zu warten und menschliche Angestellte zu bezahlen, hatte er die Wölfe als Sklaven gekauft. Mit Gewalt zwang man sie dazu in ihrer menschlichen Gestalt tief in den Minen zu arbeiten. Obwohl er nur Frauen und Kinder genutzt hatte, waren diese bei weitem stärker als normale Erwachsene gewesen. Mein Vater hatte seinem Freund immer geraten, die Bestien einfach umzubringen und das Geld lieber vernünftig zu investieren. Im Grunde genommen, hatte er Recht gehabt, denn ein paar der Kinder waren entkommen und hatten den Minenbetreiber als ausgewachsene Wölfe heimgesucht. Als mein Vater und ich nach einem Hilferuf hier ankamen, war sein Freund bereits in Stücke zerrissen worden. Auch die wenigen menschlichen Angestellten, die als Wächter gedient hatten, waren alle eines qualvollen Todes gestorben. Da die Mine viel Eisen beherbergte, hatten wir unser Lager hier aufgeschlagen. Wir holten einige Freunde und Verwandte zu der Mine, aber auch andere Menschen kamen mit der Zeit hierher, um Zuflucht zu suchen. Mittlerweile wohnten knapp 150 Menschen in und um die Bergstollen herum.

Einen Moment zögerte ich, dann tippte ich den Pin in das Zahlenschloss ein. Nur wenige Menschen kannten diesen. Mein Vater, ich und noch etwa ein Dutzend weitere enge Vertraute wussten ihn, so dass man bei einem Notfall das Quartier hier unten als Gefängnis nutzen konnte. Mit einem leisen Klicken entriegelte sich die Tür. Nur mit meiner linken Hand die massive Metalltür aufzuschieben war Schwerstarbeit. Mehrfach verrenkte ich mir meine rechte Schulter und stöhnte dabei laut vor Schmerzen auf, doch ich wäre nicht zu einer so guten Wächterin geworden, hätte ich bei ein bisschen Zippen gleich das Handtuch hingeworfen.

Nach fünf Minuten war ich völlig erschöpft, doch die Tür war offen. Einen Moment blickte ich noch misstrauisch in den schmalen Raum, doch schließlich rollte ich über mich selbst genervt mit den Augen. Seit wann war ich denn so wankelmütig? Fest entschlossen schritt ich in den Raum hinein, obwohl ich selbst noch nicht ganz wusste, zu was ich so entschlossen war.

Im Inneren war es sehr dunkel. Das einzige Licht drang von der kleinen Lampe vor der Tür in den Raum, trotzdem erkannte ich sehr schnell, wo sich der Wolf befand. Er war im zweiten Käfig nahe der Tür. Obwohl die Käfige für große Tiere ausgelegt waren, nahm der schwarze Wolf so viel Platz ein, dass er sich nur ein bisschen zu strecken brauchte, um von einem zum anderen Ende zu reichen. Aber was hatte ich denn erwartet? Das schwarze Ungetüm ging mir immerhin aufrecht stehend fast bis zur Schulter. Das war kein Wolf, sondern eher ein halbes Pferd. Im Moment lag das Tier jedoch auf den Bauch und hatte seine Schnauze auf den Vorderpfoten abgestützt. Leuchtende bernsteinfarbene Augen blickten mich ebenso misstrauisch an, wie ich ihn.

Seufzend ging ich weiter in die Dunkelheit hinein und ließ mich direkt vor dem Käfig mit dem Wolf nieder. Ich hatte keine Angst. Nicht weil ich die starke Natur des Tieres unterschätzte und auch nicht, weil eine Wand aus stählernen Gitterstangen zwischen uns war, sondern weil ich im Moment absolut keine Angst vor dem Tod hatte. Vielleicht war das dumm, doch war ein Leben, in dem man nichts sagen, nichts entscheiden konnte und stattdessen das tun musste, was ein anderer befahl, überhaupt lebenswert? Ein kämpferischer Freigeist wie ich wollte lieber auf dem Schlachtfeld sterben, als alt in einem Käfig werden.

Ich blickte zu dem Wolf. Tief in seinen bernsteinfarbenen Augen erkannte ich den gleichen tiefsitzenden Wunsch nach Freiheit. „Schau mich nicht so an", schimpfte ich das Tier. „Du wirst wenigstens bald sterben. Ich darf wegen deinem Biss ein Leben als Gefangene verbringen."

Der Wolf gab ein verächtliches Schnauben von sich, so als würde er mir eindeutig nicht glauben. Trotzdem spitzte er neugierig seine großen flauschigen Ohren und funkelte mich mit seinen intelligenten bernsteinfarbenen Augen an.

„Das kannst du mir ruhig glauben", versicherte ich dem Tier schwer seufzend. „Ich darf wegen dir einen Kerl heiraten, der Spaß dabei empfindet, euch so langsam und qualvoll wie nur möglich umzubringen. Ich finde, wenn man schon einen so sinnlosen Krieg führt, sollte man zumindest dem Feind ein schnelles Ende bereiten."

Der Wolf legte seinen Kopf schief. Scheinbar war er ein guter Zuhörer, andererseits war meine Stimme für ihn die einzige mögliche Ablenkung von der sonst dauerhaft anhaltenden Finsternis.

„Weißt du? Eigentlich hatte ich immer eine Wächterin bleiben wollen. Sie bewachen das Dorf vor einem Angriff. Sehr viele von den Wächtern sterben, weil ein paar Wölfe durch die Gegend streifen und immer wieder unser Lager heimsuchen. Bis jetzt konnten wir sie alle abwehren, doch die Verluste auf unserer Seite sind groß. Die meisten Wächter sterben spätestens nach 5 Jahren Dienst. Ich halte mittlerweile seit ich 12 bin jede Woche sieben Mal vier Stunden Wache. Eigentlich hätte ich längst draufgehen müssen, doch ich war schlau und habe gelernt. Mittlerweile habe ich ganze 9 Jahre harte Wache überlebt, damit bin ich die Rekordhalterin in unserem Dorf, doch ausgerechnet heute kamen wie aus dem nichts diese zwei Welpen." Ich seufzte schwer.

Der Wolf vor mir knurrte, doch ich ignorierte ihn. Die bernsteinfarbenen Augen warfen mir Verrat vor. Irgendwie war das sehr witzig, denn man konnte doch nicht seinen eigenen Feind verraten, oder doch?

„Weißt du, vor diesem Tag hätte ich dir stolz erzählt, dass ich absolut jeden Wolf umbringen kann, der sich meinem Versteck nähert. Ich hätte behauptet, dass ich ohne Angst und ohne Zögern mein Gewehr anlegen würde, ziele und meinen Feind mit hundertprozentiger Sicherheit treffe." Ich formte meine linke Hand zu eine lächerlichen kleinen Pistole und zeigte damit auf den großen Wolf. Dann gab ich ein leises: „Peng!", von mir.

Der Wolf in dem Käfig zuckte nicht zurück. Natürlich wieso sollte er auch, immerhin zielte ich nicht mit einer echten Waffe auf ihn. Zu meiner Verwunderung hatte er jedoch aufgehört zu knurren und blickte mich nun neugierig an.

Schulterzuckend wollte ich weitererzählen, doch durch den plötzlichen Schmerz in meiner Verletzung, sprudelte ein Schwall von wüsten Flüchen aus meinem Mund. Als ich meine Dummheit für die kleine Bewegung ausgesessen hatte, sprach ich weiter: „Heute habe ich zum ersten Mal gezögert. Ein alter Freund von mir ist mir zu Hilfe geeilt. Ihr habt seine Frau und sein Kind in den Wahnsinn getrieben. Für ihn war es scheinbar ausgleichende Gerechtigkeit, dass er nun zwei eurer Jungen dafür erschoss."

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Fröhliche Weihnachten euch alle ;)

Falls ihr Werwolfgeschichten und Hörbücher mögt, schaut doch einmal beim Weihnachtsgeschenk vorbei:


https://youtu.be/6HjNZTbKKcE


Ich bin leider kein Profi und habe auch nicht das beste Equipment, aber zumindest habe ich mir Mühe gegeben xD (Das könnte auch in einem Zeugnis stehen, wenn jemand sich angestrengt, aber die Leistung miserable war)



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