Schlammmonster - 1

Voller Wut knurrte ich laut auf und blickt zu der fahlen Mondsichel über mir. Wir mussten schneller vorankommen! Zwei Welpen waren aus einem der Randrudel verschwunden. Per Kurier hatte man mich um Hilfe bei der Suche nach den zwei Jungtieren gebeten. Ich hatte mich natürlich sofort mit zwanzig Wölfen auf den Weg gemacht. Unter ihnen kamen ganze drei aus meiner selbst ausgebildeten Elite. Normalerweise leitete ein solcher Wolf einen Einsatz alleine, doch bei dieser Angelegenheit hatte ich ein furchtbares Gefühl und brauchte die Sicherheit, die mir diese Wölfe schenkten.

Das Rudel, aus dem die Welpen kamen, befand sich ganz in der Nähe zu einem der letzten Menschenstützpunkte. Die dort Ansässigen waren bekannt für ihre Grausamkeit. Die Menschen hatten nie eingesehen, dass uns das Virus nicht in wilde Bestien verwandelt hatte. In Wahrheit hatte uns die Mondgöttin eine zweite Gestalt geschenkt, aber wir besaßen weiterhin unsere Menschlichkeit. In der Vergangenheit hatten die Menschen immer wieder mit den grausamsten Foltermethoden versucht, den Wolf in uns zu vernichten. Bei einigen wenigen Versuchsopfern hatte es funktioniert und sie waren kurz darauf verrückt geworden.

Die menschliche Splittergruppe, die sich irgendwo in der Nähe der großen Eisenmine aufhalten musste, hatte jedoch noch nie zu den angeblichen Heilern gehört. Sie hatten von Anfang an gnadenlos jeden Werwolf ermordet, der ihnen in die Finger kam. Ich hatte vorgehabt, im Frühling das feindliche Nest auszuräuchern oder zu belagern, wenn meine politische Lage als Anführer aller Rudel etwas gefestigt war, doch scheinbar hatte ich zu lange gewartet.

Wütend lauschte ich dem Klang meiner dunklen Pfoten, die stetig auf das weiche Gras trommelten. Wieso hatten Menschen und Werwölfe nicht einfach in Frieden leben können? Stattdessen hatten sich die Menschen in Monster verwandelt, die uns zu Sklaven machen wollten, folterten oder sogar töteten. Am Ende hatten wir uns erfolgreich zu Wehr gesetzt. Wir waren zu denselben grausamen Taten gezwungen worden wie die, gegen die wir uns wehrten, doch wenigstens erfuhren die Menschen bei uns ein gnädiges Schicksal. Kämpften sie, starben sie schnell und ohne Folter auf dem Schlachtfeld. Ergaben sie sich jedoch, wurden all ihre grausamen Taten im Gegenzug für lebenslangen Dienst begnadigt. Sie bekamen genug Essen und Trinken, genauso wie viele Aufgaben, die sie ein Leben lang beschäftigen konnten.

Plötzlich erkannte ich in der Ferne eine kleine Gestalt, die schwer hinkte. Abrupt blieb ich stehen. Die Wölfe hinter mir folgten meinem Beispiel und erkannten nun auch die winzige Gestalt. Eigentlich hätten wir zuerst dem Alpha des Rudels Bescheid geben müssen, dass wir angekommen waren, doch ich konnte den scheinbar verletzten Welpen nicht alleine lassen. Ich knurrte John, einen großen grauen Wolf mit ein paar weißen Strähnen im dichten Fell, an. Es war wirklich unpraktisch, dass man sich als Wolf kaum verständigen konnte. Mit den tierischen Lauten konnte man ein paar Gefühlsregungen zeigen oder vielleicht auch vor Gefahr warnen, doch alles andere war wirklich schwierig. John schien jedoch verstanden zu haben. Er gehörte zu meiner Elite und war schon auf vielen Einsätzen mit mir gewesen. Der graue Wolf warf seinen Kopf in die Richtung, in der das Rudel sein Dorf hatte und ich nickte zustimmend. Indem John ein paar andere Wölfe anknurrte, befahl er gut einem Drittel, sich ihm anzuschließen. Die anderen folgten weiterhin mir.

So schnell mich meine Pfoten über das feuchte Gras trugen, rannte ich auf den kleinen Welpen zu. Als er uns bemerkte, winselte er laut. Als er uns sah, fiel er kraftlos zu Boden. Sofort trieb ich mich zu noch größerer Eile an und ließ meine Begleitgruppe bereits nach kurzer Zeit weit hinter mir. Einer der Gründe, weswegen ich zum Anführer der Alphas ernannt wurde, war meine große Stärke und Schnelligkeit. Es gab nur wenige Wölfe, die mir an Stärke überlegen waren, doch keiner von ihnen hatte sich als so listenreich wie ich herausgestellt.

Endlich kam ich bei dem Welpen an. Sofort konnte ich an ihm den beißenden Geruch von kaltem menschlichem Angstschweiß riechen. Seltsamerweise stach unter dieser furchtbaren Note auch der Duft von wilden Blüten und goldenem Honig hervor, doch ich hatte keine Zeit mich darum zu kümmern. Viel wichtiger war, dass über allem der metallische Geruch von Blut lag. Ein Blick auf das linke Hinterbein des Welpen und ich vermutete stark, dass er dort verletzt sein musste. Wie um die Wunde jedoch ein schlechter Verband aus einem T-Shirt-Fetzen kam, konnte ich mir nicht zusammenreimen. Erst recht nicht, da das T-Shirt nach menschlicher Angst roch.

Mit einem Knurren befahl ich dem Welpen, ruhig zu bleiben, während ich mich verwandelte. In meiner wölfischen Gestalt konnte ich dem Kind nicht helfen. Mittlerweile war ich den Schmerz gewöhnt, der sich bei der Wandlung meine Wirbelsäule entlang bis in jeden noch so kleinen Winkel meines Körpers ausbreitete. Nach wenigen Sekunden stand ich schwer atmend vor den Welpen. Obwohl ich keine Kleidung trug, schämte ich mich nicht, sondern handelte sofort. Mit vorsichtigen Fingern begann ich den wirklich schlechten Verband von dem Hinterlauf des Welpen zu nehmen. Darunter kam eine fast schon verheilte Schusswunde hervor. Da ich auf der Hinterseite des Beines keine Austrittsstelle sehen konnte, musste sich die Kugel immer noch im Fleisch befinden. Sie musste unbedingt entfernt werden, bevor sich das Kind zurückverwandelte. Es war fast unmöglich vorherzusagen, was mit einem Fremdgegenstand bei der Verwandlung geschah. Meistens zersplitterte er unter dem hohen Druck und die kleinen spitzen Teilchen flogen anschließend durch den gesamten Körper. Aus einer einfachen Wunde wie dieser konnte eine lebensgefährliche Verletzung entstehen.

„Du musst jetzt sehr tapfer sein", flüsterte ich dem kleinen verängstigten Welpen zu. Ich brauchte unbedingt die Informationen, wo sich sein Freund befand, deswegen musste er sich jetzt schon verwandeln. Ein letztes Mal atmete ich tief durch, bevor ich so schnell wie möglich handelte. Ich fischte mit meinen Fingern in der Wunde herum, fand die Patrone und zog sie heraus. Der Kleine heulte dabei vor Schmerzen laut auf, doch er war tapfer und fiel nicht in Ohnmacht. Ich versicherte mich, dass die Patrone ganz war, bevor ich mit meiner autoritärer Stimme befahl: „Verwandle dich!"

Keinen Moment später lag vor mir ein kleiner zitternder Junge. Seine kurzen dunklen Haare waren zerzaust und seine hellen blauen Augen blickten mich voller Schmerz an. Er wimmerte, so als verstände er noch nicht ganz, dass er mittlerweile kein Wolf mehr war, sondern ein Mensch. Die Wunde an seinem Bein sah ziemlich übel aus, doch dank der wölfischen Regeneration würde sie hoffentlich gut verheilen.

„Was ist passiert?" Ich versuchte, so viel Dringlichkeit in meine Stimme zu legen, wie ich nur konnte. Der Junge musste begreifen, dass er jetzt die Wahrheit sagen musste, auch wenn er sich vielleicht dafür schämte.

„Wir waren in dem Wald", begann er zu erzählen und ich hätte am liebsten vor Zorn laut aufgeschrien, trotzdem blieb ich so ruhig wie möglich. Wie konnten die Welpen so dumm und unvorsichtig gewesen sein? „Die Erwachsenen haben uns immer verboten in den Wald hineinzugehen, aber wir waren neugierig. Zuerst ist uns nichts passiert. Es war einfach so aufregend. Da gab es so viele verschiedene Tiere und Insekten, aber wir sind zu weit gegangen. Wir haben eine große Schnecke beobachtete, als plötzlich ein Schuss ertönte. Georg ist sofort zu Boden gefallen. Ich wollte zu ihm, doch mich hat auch eine Kugel getroffen."

"Was ist dann passiert?", hakte ich nach. Wenn der Kleine noch lebte, war sein Freund vielleicht auch noch am Leben, wenn wir uns beeilten.

„Ich habe mich tot gestellt. Ein Mann ist davon gelaufen und ich dachte, dass ich nun alleine sei, doch als ich versuchte mich aufzurichten, kam diese Frau. Zuerst dachte ich sie würde mich erschießen, aber dann erklärte sie mir, dass sie mir die Wahl lasse zu leben oder zu sterben. Sie hat mir einen Verband angelegt und mir geholfen aufzustehen", erzählte der Junge weiter. Seine aufgeregte piepsige Stimme überschlug sich dabei fast.

Ich wusste nicht, was ich von dieser Geschichte halten sollte, doch anderseits konnte ich mir kaum erklären, wie sonst der schlampige Verband aus einem T-Shirt an dem Bein des jungen Welpen zustande kam. „Was ist mit deinem Freund?", fragte ich also nach.

Nun traten große Tränen in die hellen blauen Augen. „Die Frau hat ihn untersucht und gemeint, dass er tot sei."

Fluchend raufte ich mir die Haare. Das war wirklich keine gute Nachricht, aber vielleicht hatte die Frau gelogen oder sich getäuscht. Wir mussten unbedingt zu ihm und nachsehen. „Wo genau wart ihr?"

„Im Wald..." Die Antwort des Jungen war nicht gerade hilfreich. Wir mussten also die Geruchsspur des Welpen zurückverfolgen. Das war nicht schwierig, doch es verbrauchte kostbare Zeit, denn beim Wittern konnte man nicht mit vollem Tempo rennen. Wir mussten also sofort los, wenn wir auch nur die geringste Chance haben wollten, dass der Welpe noch lebte.

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Ein großes Dankeschön an gabliere .

Sie hat sich extra die Zeit genommen und einige Kapitel noch einmal Beta zu lesen. Dank ihr sind nun wesentlich weniger Rechtschreib- und Grammatikfehler in dieser Geschichte.

Auch ein großes Dankeschön an alle fleißigen Leser. Ich war wirklich perplex wie viele von euch in die Geschichte schon hineingelesen haben, obwohl gerade einmal drei Teilchen online sind. Ich hoffe, ihr habt alle viel Spaß ;)

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