3'
Diesmal war es nicht meine Freundin, die den Drang verspürte, mich kurz vor acht Uhr brutal aus meinem Erholungsschlaf zu reißen. Nein. Diesmal war es erst kurz nach sechs Uhr morgens und ein ekelhaft quietschendes Geräusch weckte mich - mein Wecker.
So schnell ich konnte, und so schnell es mein schlaftrunkenes Ich erlaubte, richtete ich mich auf und drückte auf den Aus-Schalter des Wecker.
Erleichtert sank ich zurück in das traumhaft weiche Kopfkissen und hätte sofort weiter schlafen können, doch ich hatte Schule und meine Eltern waren da beide sehr streng. Also war ich dazu gezwungen aufzustehen. Wie in Zeitlupe schwang ich meine nackten Beine über die Bettkante und richtete mich auf.
Dann tapste ich mit hängenden Schultern ins Bad rüber und absolvierte meine tägliche Morgenroutine und warf mir die Klamotten vom Vortag über.
»Kay, bist du im Bad?«, drang die gedämpfte Stimme meiner Mutter zu mir durch die weiße Badtür.
»Ja-ha«, gab ich schlecht gelaunt zurück und unterdrückte das Bedürfnis, die Augen zu verdrehen.
»Beeil dich ein wenig, Liebes.« Selbst bei diesen Worten schien sie noch das gut gelaunte in Person zu sein. Hatte sie denn nicht mit bekommen, dass ich jetzt schon genervt von diesem Tag war? Aber wahrscheinlich war sie einfach so, schließlich musste man als Kellnerin immer nett und höflich sein, und nicht vergessen: immer schön lächeln.
Dann hörte ich die sich entfernenden Schritte meiner Mutter und stöhnte laut auf.
Kurze Zeit später verließ ich das Badezimmer und ging in die Küche hinüber. Mein Kater Simba begrüßte mich mit einem kleinen Miauen, widmetet sich dann aber wieder seinem Fressen, was interessanter als ich zu sein schien.
Ich kraulte ihm kurz den Rücken und setzte mich dann an den dunklen Küchentisch, auf dem meine arbeitsbegeisterte Mutter mein Frühstück bereits bereit gestellt hatte. Lustlos schaufelte ich mir das Müsli rein, denn ich hatte keine Lust mir schon am frühen Morgen ein Predigt über ›Frühstück-essen-ist-sehr-wichtig-für-deinen-jungen-Körper-und-deine-schulischen-Leistungen‹ anhören zu müssen.
Wie gesagt waren meine Eltern in diesem Thema sehr streng und akzeptierten meine Aussage, ich hätte morgens keinen Hunger, nicht. Wahrscheinlich musste ich mir was besseres aus denken, doch früh ratterte mein Gehirn nicht so schnell wie ich wollte und fand keine guten Ausreden - und am Nachmittag hatte ich es meist schon wieder vergessen, oder einfach keine Lust mir darüber Gedanken zu machen.
Ich war so sehr in Gedanken vertieft, dass ich gar nicht mit bekam, dass meine Mutter die Küche betrat und anfing, die Schränke abzustauben. Was war mit ihr nur falsch? Sie liebte es ja förmlich irgendwas sauber zu machen. Wie ich schon gelernt hatte, war es ihr auch egal, wie spät oder zeitig es war. Einmal, zum Beispiel, hatte sie kurz nach Mitternacht im Flur Staub gesaugt und mich dadurch aufgeweckt, obwohl ich am nächsten Tag Schule hatte.
»Ich dachte du warst gestern so erschöpft, wie kannst du da bitte jetzt schon sauber machen?«, kritisierte ich sie mürrisch, doch wie immer fand sie meine Bemerkungen eher belustigend und ließ sich von meiner schlechten Laune nicht anstecken.
»Ach Liebes, ich war gestern erschöpft, aber heute ist schon wieder ein neuer Tag. Eine Weisheit hat mir mal gesagt: ›Wenn man am Morgen putzt, wird der Rest des Tages genauso schön‹«, flötete sie und putzte weiter, wobei sie zu summen anfing.
»Genauso schön«, wiederholte ich meine Mutter kopfschüttelnd. Das konnte sie doch echt nicht ernst meinen. Und diese Weisheit, war höchst wahrscheinlich sie selber, denn niemand anderes würde auf so einen dummen Spruch kommen.
Als es um sieben war, holte ich meinen Rucksack mit meinen Schulsachen aus meinem Zimmer und zog mir meine Jacke, Schuhe und Schal an. Dann setzte ich meinen Rucksack auf und rief meiner Mutter ein »Tschüss« zu, die darauf irgendwas antwortete, was ich nicht mehr verstand, denn da hatte ich schon die Tür hinter mir zu gezogen.
Draußen wehte ein beißender Wind, genau wie am Wochenende, und ließ mich frösteln. Reflexartig zog ich meinen Schal über die Nase, um meinen heißen Atem abzufangen, der mich dann ein wenig wärmen konnte. Meine beiden Hände vergrub ich so tief es ging in meine Jackentaschen, damit sie nicht bei der Kälte abstarben.
Dumpf hörte man meine Schritte auf dem steinernen Bürgersteig aufkommen und ab und zu in eine kleine Pfütze platschen. Gestern, nachdem ich mich mit Max getroffen hatte und wieder zu Haus war, hatte es noch ein paar Stunden lang leicht geregnet, sodass nun alles patschnass war und die auf dem Boden liegenden Laubblätter an den Schuhsohlen kleben blieben.
Vorsichtig warf ich einen flüchtigen Blick gen Himmel, der nicht gerade vielversprechend aussah. Dunkel bis hellgraue trübe Wolken bedeckten den sonst makellos blauen Himmel und erlaubten der Sonne, nur ein paar winzige Strahlen zu uns hinunter zu schicken.
Es waren nicht viele Leute kurz nach sieben schon draußen unterwegs, und die die ich sah, waren mir bereits bekannt. Da war einmal die nette alte Dame, die mit ihrem Beagle bereits so früh Gassi ging und deren graues Haar immer perfekt saß, als wäre sie gerade vom Friseur gekommen. Dann gab es noch einen mitte dreißig Jährigen Mann, der mir immer auf meinem Schulweg gegen sieben morgens entgegen joggte. Aber ich verstand diese Leute nicht, die freiwillig schon wach waren.
Und dann war da noch eine Person, die ich jeden Morgen ertragen musste, und zwar ...
»Tüüt, Tüüüt, Tüüüüüt«, erklang es schrill hinter mir und ließ mich erschrocken herum fahren.
Und da war diese Person auch schon, meine beste Freundin Pippa. Schelmisch grinste sie von ihrem Fahrrad zu mir herunter und bremste, wobei ihre Räder über den klammen Steinboden rutschten und dabei ein grässliches Geräusch erzeugten, bevor sie elegant absprang und neben mir auf dem Fußweg landete.
»Morgen!«, begrüßte sie mich fröhlich und umarmte mich überschwänglich. Doch ich musterte sie nur irritiert.
»Was ist mit dir los? Warum bist du so gut gelaunt? Hab ich was verpasst?!« Ich versuchte leicht geschockt zu klingen, was mir auch relativ gut gelang.
Pippa benahm sich früh sonst nicht so freudig, sonst verschlief sie meistens und holte mich mit ihrem Fahrrad erst kurz vor der Schule ein. Doch heute lachte sie sogar über meinen seltsam verknautschten Gesichtsausdruck, obwohl sie sonst genauso bekloppt aussah.
»Ach, du bist doch einfach nur ein Morgenmuffel! Schneid dir mal 'ne Scheibe von deiner Mutter ab!«, lachte sie und zwinkerte mir allen ernstes zu. Bei dem Gedanken an meine Mutter mit ihrem Staubwedel in der Hand verdrehte ich genervt die Augen und musste mir ein Lachen verkneifen.
»Lass meine Muter da raus, sonst erzähle ich dir gleich mal eine ihrer neusten Weisheiten, die ich mir heute Morgen anhören durfte!« Freundlich knuffte ich ihr in die Seite, ehe sie zur Seite ausweichen konnte.
»Okay, okay! Benimm dich!«, warnte sie mich und fügte hinzu: »Ich muss dir was ganz Cooles sagen!«
Ich erinnerte mich an ihre Nachricht zurück, die sie mir gestern kurz vor acht geschrieben hatte. Stand da nicht auch sowas drin?
Aber wenn Pippa mir etwas Cooles sagen wollte, dann gab es nur zwei Möglichkeiten, was dies wohl sein könnte:
Erstens, sie hatte mal wieder einen neuen Freund - das war bei ihr nicht sehr unwahrscheinlich und kam häufiger vor, als mir insgeheim lieb war.
Oder Zweitens, ihre Katze war trächtig.
Dass ihre Katze trächtig war, ist bist jetzt zwar nur ein mal passiert - mein Kater Simba ist eines ihrer Jungen -, aber so oft erzählte mir Pippa auch nicht irgendwas Cooles.
»Hast du wieder einen neuen Freund?«, sprach ich dann meine Vermutung aus und versuchte, mich nicht allzu sehr für ›ihre-coole-Sache‹ zu interessieren. Als Pippa nicht antwortete, sah ich zu ihr auf, denn ich hatte gerade noch den Boden unter meinen Füßen eingehend gemustert.
Meine beste Freundin lief schweigend neben mir her, die hellbraunen, schulterlangen Haare hingen ihr ins Gesicht und nachdenklich kaute sie auf ihrer Lippe herum.
»Hallo?« Mit meiner Hand wedelte ich wild vor ihrem Gesicht herum und riss Pippa wieder ins hier und jetzt.
»Ach so, nee, du lagst falsch«, erklärte sie mir immer noch mir ihrer überlegenden Miene. Abwartend beobachtete ich sie, doch meine Freundin hatte nicht vor, weiter zu reden.
Als ich gerade wieder vor ihrem Gesicht herum fuchteln wollte, öffnete sie ihren Mund und begann zu reden.
»Das Coole, was ich dir erzählen wollte, also was ... eigentlich wollte ich dir was zeigen.«
Mit einer Hand schob sie ihr Fahrrad weiter neben sich her, mit der anderen wühlte sie in ihrer Jackentasche herum, was glatt als Clownsnummer im Zirkus hätte taugen können.
»Soll ich dir helfen?« Meine Stimme war leicht skeptisch bei diesem Anblick, da ihr fast ihr Rad aus der Hand zu kippen drohte, doch ihre Antwort war immer gleich: »Nein, krieg das schon hin.«
Nach kurzem warten zog sie einen großen, zerknitterten Zettel aus ihrer Jackentasche und reichte ihn mir fett grinsend.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top