~ 43 ~
Ich schlug die Augen auf, doch erkannte zuerst nichts.
Es war dunkel um mich herum. Das Holz im Kamin knisterte, und spendete Wärme.
Mir war nicht mehr heiß. Und auch nicht mehr kalt. Die Wärme in diesem Raum war im Moment absolut angenehm für mich.
Meisterin.
Ein Zischen in meinem Kopf. Eine Bewegung zu meiner rechten Seite.
Langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit, und ich konnte Umrisse erkennen.
Ich drehte den Kopf träge in die Richtung meiner Seelenstehler. Sie erhoben sich vom Boden und starrten mich mit ihren blutroten Augen an. Hinter ihnen konnte ich das Feuer im Kamin erkennen.
Ihr seid wach.
Ich konnte die Erleichterung aus Erlindas Gedanken hören.
Serafina kam sofort auf mich zu und stupste mich leicht mit ihrem Kopf an. Auch ihre Besorgnis konnte ich in meinen Gedanken vernehmen.
"Wie lange ..." Meine Stimme war ein einziges Krächzen, weshalb ich die Frage in meinem Kopf nochmal stellte.
Wie lange habe ich geschlafen?
Erlinda neigte den Kopf. Drei Tage lang. Euer Gemahl war ganz außer sich. Er ist nie von Eurer Seite gewichen. Lediglich jetzt, wo er sich kurz waschen und umziehen wollte. Er trug bis jetzt tatsächlich die gleiche Kleidung. Geschlafen hat er übrigens auch sehr wenig. Wenn überhaupt, dann ist er ein paar Mal neben Euch eingenickt, aber jedes Mal sofort hellwach gewesen, als ihr Euch bewegt habt. Euer Gemahl würde vermutlich auch einen guten Seelenstehler an Eurer Seite ausmachen, so vehement wie er Euch zu beschützen versucht.
Mein Herz zog sich bei ihren Worten zusammen. Robin war die ganze Zeit bei mir gewesen. Ich hatte seine Anwesenheit gespürt. Gewusst, dass er bei mir war. Gleichzeitig hatte ich aber auch keinen klaren Gedanken fassen können.
Mein Gehirn ratterte. Ich versuchte angestrengt an die letzten Tage zurückzudenken. Doch irgendwie war da nur ein großes, schwarzes Loch.
Ich wusste, dass ich große Schmerzen gehabt hatte, doch paradoxerweise tat mir jetzt rein gar nichts mehr weh. Die Erinnerung daran war auch nicht so schrecklich, wie sie vermutlich sein hätte sollen. Irgendwie war da nur diese unglaubliche Erleichterung in mir.
Überdies fühlte ich mich stark.
Machtvoll.
Übermächtig.
Ich konnte nicht recht beschreiben, wie ich mich fühlte. Doch ich wagte nicht, mit meinen Händen irgendetwas zu berühren. Ich hatte Angst, dass dieser Gegenstand oder dieses Lebewesen dann sofort in Flammen aufging.
Keine Ahnung wo diese Überlegungen plötzlich herkamen. Aber es war bestimmt sicherer für alle, wenn mir niemand zu Nahe kam. Ausgeschlossen meiner Seelenstehler natürlich. Diese waren schließlich nicht umzubringen.
Ich setzte mich unter einem angestrengten Stöhnen auf. An meinem Körper waren die letzten Tage offensichtlich nicht so leicht vorbeigegangen.
Die Tür knarrte, und mein Kopf schoss in diese Richtung. Inmitten der Dunkelheit ließ sich eine männliche Gestalt erkennen, die ganz nach meinem Gemahl aussah.
"Robin?", fragte ich daher heiser.
"Olivia!"
Er eilte auf mich zu, doch ich hielt ihn ab, sich auf mein Bett zu setzen.
"Bitte halte Abstand", ächzte ich. Auf meine Stimme war im Moment absolut kein Verlass, und dafür verfluchte ich sie. "Ich will dir nicht wehtun, und ich habe die Befürchtung, dass ich es tun würde."
Robin ging meiner Bitte nach, und blieb am Bettende stehen. Das Kaminfeuer erhellte sein Gesicht etwas, wodurch ich sehen konnte, wie verheerend er aussah.
Dunkle Ringe zeichneten sich unter seinen besorgten Augen aus. Den mangelnden Schlaf sah man ihm deutlich an.
"Wie geht es dir?", wollte Robin sofort von mir wissen.
"Erstaunlich gut", krächzte ich. "Meine Stimme ist nur nicht ganz da. Danke, dass du die letzten Tage immer bei mir warst."
"Natürlich." Robin lächelte zaghaft. Danach erzählte er mir, was die letzten Tage vorgefallen war. Er wollte, dass ich das Ereignis mit dem Priester wusste. Auch ich erklärte ihm dann von meinem seltsamen Gefühl, und dass ich Angst hatte, jemanden zu verletzen.
"Deswegen will ich, dass einer meiner Seelenstehler die dunkle Hexe aufsucht", beendete ich meine Erzählung.
"Jene Hexe, die dir das angetan hat?" Robin schien verwirrt.
"Ja. Denn irgendwie denke ich, dass ich ihr dankbar sein muss. Je länger es noch hinausgezögert worden wäre, desto schlechter wären vermutlich meine Chancen es zu überleben gestanden. Außerdem kann nur sie mir helfen."
Robin stieß angespannt die Luft aus, nickte jedoch. "In Ordnung. Von mir aus, soll sie kommen. Aber in ihrer wahren Gestalt. Ich lasse mich von ihr nicht noch einmal in die Irre führen."
"Danke", flüsterte ich.
Erlinda, denkt Ihr, Ihr könnt die dunkle Hexe ausfindig machen?
Selbstverständlich, Meisterin.
~ ♡ ~ ♡ ~ ♡ ~
"Ihr wolltet mich sprechen, mein König." Die Heilhexe vom Markt stand neben dem Bett des Königs. Mittlerweile war es früher Vormittag, und sie war auf dem Weg zur Prinzessin gewesen.
Starke Nervosität hatte sie ergriffen, als ein Wache zu ihr gekommen war, und gemeint hatte, dass sie der König höchstpersönlich sehen wollte.
Nun stand sie hier, neben seinem Bett. Er sah sehr schlecht aus. Kein Wunder, dass er sich so der Bevölkerung nicht mehr zeigen wollte. Zumal er vermutlich auch nicht mehr aus dem Bett steigen konnte.
Die Aufregung der hellen Hexe wurde nicht besser, als sie sah, dass nicht nur der Wache, sondern auch drei Diener anwesend waren. Was wollten sie hier?
Der König vertraute diesen vier Menschen. Zum einen dem Wachen, welcher seine Tür schon bewachte, seitdem er krank geworden war. Er kannte weder seinen Namen, noch wie lange er schon in Diensten der Krone stand. Doch ihn jeden Tag aufs Neue zu Gesicht bekommen zu haben, hatte dem König gutgetan.
Dann waren da noch drei seiner Diener. Sie hatten ihm zu essen und trinken gebracht. Das Feuer nachgelegt. Ihn gewaschen und sauber gemacht. Er vertraute ihnen.
Was der König mit den fünf Personen besprechen wollte, sollte nicht zu den Ohren seiner Gemahlin durchdringen. Oder zu seinem Sohn. Natürlich wollte er ihnen eigentlich nichts verschweigen, doch hierfür sah er einfach keinen anderen Weg mehr.
"Das wollte ich. Danke ... dass Ihr gekommen seid."
Die Hexe hob eine Augenbraue. Der König bedankte sich, dass sie gekommen war? Er hätte es genauso gut befehlen können. Ihre Hände schwitzten leicht. Um sich das nicht anmerken zu lassen, verflocht sie ihre Finger ineinander.
"Ich verlange etwas ... von Euch, was dieses ... Zimmer nicht ... verlassen soll", sprach der König weiter.
Immer wieder wurde er von schweren Hustenanfällen unterbrochen und spuckte dabei Blut. Er musste starke Schmerzen haben, dachte die Hexe.
"Ich möchte, dass ... Ihr mir eine handvoll ... Flockenbeeren bringt."
Flockenbeeren?!
Die Hexe starrte ihn entgeistert an. Er verlangte von ihr, dass sie ihm half, zu sterben?
Das Gift der weißen Flockenbeere war eines der schnellst ergreifenden überhaupt. Bei einer einzigen Beere verursachte es massive Magenkrämpfe, Durchfall und Erbrechen. Zudem heftige Schmerzen. Doch schon ab vier Beeren, waren die toxischen Inhaltsstoffe so stark, dass es gar nicht mehr zu Schmerzen kam, weil der Körper mit dem Gift zu überfordert war. Bei gut sieben Beeren war man demnach nach wenigen Minuten tot.
Sie schmeckten bitter. Anscheinend. Probiert hatte die Hexe sie selbstverständlich noch nie.
Die Flockenbeeren trugen deshalb diesen Namen, weil sie an kleine, dicke Schneeflocken erinnerten. Sie wuchsen auch im Winter, somit waren sie ganzjährig pflückbar. Die Hexe wusste sogar, wo sich der nächste Strauch befand. Er wuchs nicht weit außerhalb der Burgmauern.
Die Heilhexe blinzelte einmal. Zweimal. Sie räusperte sich, um Zeit zu schinden. Ihre Gedanken mussten zuerst sortiert werden. Denn was der König von ihr verlangte, war nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.
Sie sollte dem König helfen, sich umzubringen!
Damit kam sie eindeutig nicht sehr gut klar. Aber wenn sie sich den König ansah, dann hatte er ohnehin nicht mehr lange zu leben. Außerdem musste er furchtbare Schmerzen erleiden. Sie konnte verstehen, warum er es schneller beenden wollte. Vermutlich würde sie nicht anders handeln. Und da er nun einmal nicht mehr aus dem Bett kam, musste er jemanden beauftragen. Das war verständlich. Doch wieso musste es genau sie sein?
"Ich sage es ... deshalb inmitten ... anderer Anwesenden, damit ... Ihr Zeugen habt ... sollte jemand Fragen wegen ... den Flockenbeeren ... aufwerfen. Auch ... wenn ich ... ich es bezweifle. Niemand ... wird meinen ... Tod genauer ... in Augenschein ... nehmen, nachdem ... ich schon ... schon ... seit mehreren Monden ... krank bin."
Es war leise in dem Raum. Niemand sprach etwas. Vermutlich war die Dienerschaft nicht befugt, etwas zu sagen, schoss es der Hexe durch die Kopf. Dennoch blickte sie von einem Augenpaar zum nächsten.
Eine ältere Frau mit stechend hellblauen Augen nickte der Hexe leicht zu. Vermutlich wollten und konnten sie den König nicht länger leiden sehen. Die Hexe wusste, dass schon sehr viele Heilmittel ausprobiert worden waren. Alle eigentlich, die ein jedem Heiler und jeder Hexe in den Sinn gekommen waren. Doch nichts hatte etwas gebracht.
"In Ordnung", hörte sich die helle Hexe selbst sagen. "Ich werde Euch Flockenbeeren bringen. Wann wollt Ihr sie haben?"
Sie konnte beinahe selbst kaum fassen, dass sie dem zugestimmt hatte.
Ein leichtes Lächeln umspielte die Lippen des Königs. Tatsächlich war er nicht sicher auf die Reaktion dieser Hexe gewesen. Doch sie hatte sich und ihre Gedanken gut im Griff.
Nachdem die Prinzessin Olivia von Schwarzenburg endlich aufgewacht war, und sich sein Sohn nicht mehr um sie sorgen musste, konnte auch der König in Frieden gehen.
Es gab immer wieder Neuigkeiten, die ihn brennend interessierten und wo er am liebsten dessen Ausgang schon wusste, doch er konnte dies alles ohnehin nicht mehr miterleben. Er wollte nicht alles immer nur durch Erzählungen erfahren. Doch vor allem wollte er diesen Schmerzen nicht länger ausgesetzt sein.
"Morgen."
Sein Entschluss war gefallen.
Er wollte heute seine Frau noch ein letztes Mal sehen und sprechen. Seinen Sohn vielleicht auch.
Morgen jedoch würde er eine Verabredung mit den Flockenbeeren haben.
So bizarr das auch klang, er freute sich darauf.
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