~ 35 ~
Ich erwachte in meinem weichen Bett. Robin lag nicht mehr neben mir, er hatte das Bett vermutlich schon vor Stunden verlassen. Das Bett war so angenehm und die Decken rochen frisch und gut, sodass ich eigentlich nicht aufstehen wollte. Ich hätte sicher noch Stunden weitergeschlafen, wenn meine Blase nicht nach Erleichterung gebeten hätte.
Gerade als ich aufstehen wollte, sah ich zu meinem Nachtkästchen hinüber und erblickte die leckeren Kekse und einen Becher Milch. Da mein Magen tatsächlich zu Knurren anfing, als ich die Köstlichkeiten erblickte, schlang ich sie beinahe in einem Stück hinunter. Wann hatte ich das letzte Mal so etwas derart Köstliches gegessen?
„Wer mir wohl immer die Kekse und die Milch bringt?“, murmelte ich. Die Frage war an mich selbst gerichtet. Ich wagte zu wetten, dass, wenn Robin das Zimmer verließ, die guten Speisen noch nicht auf meinem Kästchen standen. Also mussten sie danach hingebracht werden. Ich würde mir vornehmen, beim nächsten Mal wach zu sein, wenn der oder die Unbekannte unser Zimmer betrat.
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„Guten Morgen, meine Prinzessin!“ Clementia war in meinem Gemach gestanden, keine Sekunde nachdem ich meinem Wachen Bescheid gegeben hatte, dass ich meine Zofe sehen wollte. „Ihr habt heute besonders lange geschlafen. Aber es hat Euch bestimmt gutgetan. Auch eine Prinzessin braucht manchmal ihre Ruhe.“
Clementia hatte heute ein schlichtes oranges Kleid mitgebracht. Sie erklärte mir, dass es hervorragend zur herbstlichen Jahreszeit passte, und sie teilte mir auch mit, dass sie Angst gehabt hatte, ich würde es niemals tragen können. Sie erzählte mir ohne Punkt und Komma, wie sehr sie mich vermisst hatte, und wie groß die Besorgnis der Bevölkerung war.
„Das Volk hat sich ernsthaft Sorgen um Euch gemacht.“ Clementia kämmte meine Haare, und hielt kurz inne. „Aber falls Ihr heute wirklich vorhabt, zu der Heilhexe zu gehen, müsst Ihr vorsichtig sein.“
„Warum?“, wollte ich von ihr wissen. Ich hatte meiner Zofe am Vortag erzählt, dass ich unbedingt mit der Hexe sprechen musste, welche mich am Tag des Lagerfeuers angesprochen hatte. Vielleicht konnte sie mir einige Fragen beantworten.
„Nun … Die Menschen sind sehr froh, dass Ihr wieder nach Hause gekehrt seid, doch sie haben auch Angst vor Euch. Sie wissen jetzt, dass Ihr eine dunkle Hexe seid und Seelenstehler an Eurer Seite habt, die sie noch nie zu Gesicht bekommen haben. Es ist verständlich, dass sie sich fürchten.“
Ich blickte über meine Schulter und schaute Clementia an. „Habt Ihr auch Angst?“
Meine Zofe wartete, ehe sie langsam nickte. „Nicht vor Euch“, beeilte sie sich zu sagen. „Aber vor den Dämonen.“
„Clementia, das sind keine Dämonen. Sie heißen Erlinda und Serafina und sind sehr liebenswürdig. Sie würden Euch niemals etwas tun. Dem Volk auch nicht. Keiner braucht sich zu fürchten.“
„Sie haben Namen?“ Meine Zofe schluckte. Dann räusperte sie sich verlegen und kämmte mein Haar weiter. „Vielleicht müssten die Menschen die beiden einmal sehen, um zu wissen, dass sie ihnen und ihren Tieren nichts tun.“
„Vielleicht.“ Ich stand auf und bedankte mich bei Clementia. Sie hatte mein Auge überschminkt und mir abermals einen Zopf geflochten. Als sie aus meinem Zimmer verschwunden war, seufzte ich erleichtert auf.
Wie lange es wohl dauern mochte, bis die Menschen die Seelenstehler akzeptierten? Bis sie mich akzeptierten?
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Clementia und fünf unserer Wachen begleiteten mich auf dem Weg zur Heilhexe. Die Sonne strahlte mit all ihrer Kraft auf die Erde, und ließ die bunten Farben des Herbstes gut zur Geltung bringen. Das goldene Licht der Sonne strahlte durch die Äste eines Baumes neben uns.
Eine leichte Windbrise wehte den angenehmen Duft von Kastanien, Eicheln und Moos zu uns. Ich liebte den Geruch vom Herbst. Unwillkürlich hoben sich meine Mundwinkel. Schon lange hatte ich mich nicht mehr so gut gefühlt, wie in diesem Moment.
All die Sorgen, Schmerzen und Ängste der letzten Wochen waren für einen Augenblick vergessen. Einen sehr, sehr kurzen Augenblick.
"Ihr werdet uns Unheil bringen!" Ein bärtiger Mann mittleren Alters sprang aus dem Schatten einer Hütte hervor, und versperrte uns den Weg.
Clementia zuckte erschrocken zusammen. Meine Wachen zogen ihre Schwerter, doch ich blieb erstaunlicherweise gelassen. Und das überraschte mich tatsächlich sehr. Vielleicht lag es daran, dass ich mich soeben noch derart gut gefühlt hatte?
"Tretet zur Seite!" Einer meiner Wachen hatte das Wort ergriffen, und ging bedrohlich auf diesen Mann zu. Dieser trug alte Lumpen als Kleidung, die wohl wenig vor der Kälte schützen mochten. Zudem sah er abgemagert und müde aus. Doch sein Gesichtsausdruck wirkte entschieden und kühl. Fast schon frostig.
"Ich bewege mich nicht fort. Nicht ehe diese Hexe unsere Heimat verlassen hat." Er deutete mit dem Zeigefinger auf mich. Ich erkannte, dass seine Hand leicht zitterte. Es ließ ihn also doch nicht kalt, dass ihm mein Wachmann immer näher kam.
Aus den Augenwinkeln bekam ich mit, dass mehrere Menschen stehen blieben und das Geschehen aufmerksam verfolgten. Doch niemand mischte sich ein.
"Ich wiederhole mich ungern. Tretet zur Seite, oder Ihr werdet es bereuen", drohte mein Wache emotionslos.
Der Mann wollte etwas erwidern, vermutlich hätte er protestiert, doch eine schrille, verängstigte Stimme ertönte rechts von uns.
"Papa!" Ein Mädchen, sie konnte kaum älter als acht Winter alt sein, stürmte herbei und drängte sich zwischen den Menschen durch. Ihre Augen waren gekennzeichnet von der Furcht, die wohl durch ihre Adern schoss.
"Anne, geh nach Hause!" Der Mann versuchte bestimmt zu klingen, doch ich hörte den bebenden Unterton in seiner Stimme.
Diese Anne schien sehr mutig zu sein, denn sie wandte sich an den Wachen, welcher direkt vor ihrem Vater stand. "Was auch immer mein Papa gesagt hat, er meint das nicht so. Er hat getrunken", versuchte sie die Situation zu retten.
Mittlerweile tauchten auch seine Frau und zwei weitere seiner Kinder auf, die sich schluchzend an das verdreckte Kleid ihrer Mutter klammerten. Natürlich wusste jeder hier, dass der Prinz von Schwarzenburg gedroht hatte, jedem Leid zuzufügen, der mir Schmerzen oder Kummer bescherte.
Also entschied ich einzugreifen. Ich räusperte mich kurz, um die Aufmerksamkeit des Mannes und meines Wachen zu erlangen.
"Wir werden dem Prinzen kein Wort hierüber berichten, sofern Ihr uns den Weg nun endlich freimacht, damit wir weitergehen können." Ich war stolz darauf, wie gefestigt meine Stimme klang. Dann schaute ich dem Mann direkt in die Augen. "Ihr solltet zu Eurer Familie gehen und für sie da sein. Genauso wie die tapfere Anne für Euch da war." Ich schenkte dem Mädchen ein kleines Lächeln, welches sie zögerlich erwiderte.
Ich konnte sehen, dass dieser Mann verwirrt von mir zu Anne, und schließlich zu seiner Frau starrte. Diese schluchzte erleichtert auf.
"Es tut mir leid, ich habe nicht nachgedacht", kam es stockend aus seinem Mund, während Anne ihn am Handgelenk schnappte, und ihn vom Weg zerrte.
"Das war beeindruckend", flüsterte mir meine Zofe ins Ohr, als wir unseren Weg fortsetzen konnten.
Ich machte eine wegwerfende Handbewegung, und schüttelte dabei den Kopf. "Irgendwie kann ich die Angst der Dorfbewohner nachvollziehen. Mit dunklen Hexen ist nicht zu scherzen, vor allem wenn sie keine Magie haben." Genau aus diesem Grund wollte ich der Heilhexe einen Besuch abstatten. Ich brauchte ihre Hilfe diesbezüglich.
"Trotzdem hättet Ihr das nicht tun müssen", meinte Clementia. Doch sie schenkte mir ein ehrliches Lächeln, und gab mir das Gefühl, das Richtige getan zu haben.
"Wir sind dazu verpflichtet, mit dem Prinzen über solche Vorkommnisse zu sprechen, meine Prinzessin." Einer der Wachen hatte sich an mich gewandt.
Ich hatte es mir allerdings fast gedacht, weswegen ich nickte.
"Ihr müsst Euren Pflichten nachgehen, das verstehe ich. Dann werde ich eben auch mit ihm darüber reden müssen."
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