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„Die Späher-Krähen haben Bewegung in unseren Wäldern wahrgenommen. Ich vermute, dass es der Prinz und unsere Männer sein werden!“ Ein junger Krieger verbeugte sich vor der Königin und verblieb in dieser Pose, bis ihn die Königin aufforderte, weiterzureden. „Wir haben Boten-Krähen losgeschickt, damit sie uns eine Nachricht zukommen lassen können, falls es tatsächlich Männer von Schwarzenburg sind.“

„Danke für diese Information, sie ist sehr wertvoll.“ Die Königin Ottilie von Schwarzenburg atmete erleichtert aus, als der junge Krieger den Saal verließ. Keine Sekunde später stand sie auf und marschierte zum König. Er musste diese Neuigkeit sofort erfahren!

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„Guten Tag!“ Pirmin Malel schrak aus seinem Schlaf hoch. Eine dichte Nebelsuppe hatte sich um ihn herum gelegt. Er hatte sich nach dem langen, anstrengenden Ritt eine Pause gegönnt und seinen Hengst an einen Baum gebunden, welchen er im Moment nur schwer wahrnehmen konnte.

Der Magier blinzelte ein paar Mal, als er das Gesicht eines anderen Magiers erkannte.

„Benjamin?“

„Ihr habt Euch meinen Namen gemerkt, wie schön.“

„Was macht Ihr hier?“

„Ich möchte Euch begleiten.“ Der junge Magier blickte auf den älteren hinab.

„Das kommt nicht infrage.“ Pirmin stand auf und klopfte sich den Dreck aus den feuchten Klamotten. Der Tau ließ ihn nun frösteln.

Das Moos hatte ihm als weichen Untergrund gut gedient, doch er merkte, dass er die letzten Tage zu wenig geschlafen hatte. Am liebsten würde er an Ort und Stelle noch einmal umkippen und sich dem Schlaf hingeben.

„Warum nicht? Ihr sagtet Ihr hättet Euch einsam gefühlt und, dass ihr zu wenig sozialen Kontakt habt. Ich fühle mich bei er Lichtung nicht wohl, deswegen dachte ich, ich komme mit Euch.“

„Nein.“

„Ihr könnt mich nicht daran hindern.“

Pirmin verdrehte die Augen, bis er schließlich nickte. Er war zu erschöpft, um zu diskutieren. „Gut, wir können gemeinsam reiten.“ Er ging zu seinem Hengst, um die Zügel vom Baum zu lösen. „Aber Ihr werdet nicht bei mir wohnen. Außerdem habe ich nicht zu wenig sozialen Kontakt.“

„Aber Ihr fühlt Euch einsam?“

„Damals. Jetzt bin ich glücklich, wenn ich allein bin.“

„Das klingt traurig. Ich reite gerne eine Weile mit Euch.“ Benjamin setzte sich wieder auf seine Stute, als er merkte, dass auch Pirmin sich wieder auf sein Pferd schwang.

Es war früh morgens und Benjamin war erfreut gewesen, Pirmin endlich gefunden zu haben. Schon seit Tagen ritt er ihm hinterher. Manchmal hatte er die Hufabdrücke des Hengstes aus den Augen verloren, doch irgendwann war er doch wieder auf neue Abdrücke gestoßen.

Der Nebel war dicht und er konnte Pirmin auf seinem Pferd nur schlecht erkennen. Die Äste hingen mit welkem Glanz von den Bäumen. Selbst die bunten Farben der Blätter schienen trüb. Benjamin sah, dass die Sonne am Aufgehen war und versuchte, den Nebel zu vertreiben, doch dieser war hartnäckig.

Nach einer Weile des Schweigens fragte Benjamin: „Seid Ihr nicht neugierig, zu wem die Seelenstehler gehören?“

„Was wollt Ihr mir sagen?“ Pirmin klang gelangweilt.

„Wollen wir es herausfinden?“

Pirmin seufzte. Dann wagte er einen Seitenblick zu seinem Gefährten. Neugierig und voller Hoffnung betrachtete er Pirmin. Dieser allerdings hob eine Augenbraue und dachte kurz nach.

Wollte er es herausfinden?

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Zwei Wochen nachdem der Brief meiner Mutter angekommen war, passierten wir die fünf Tore bis zur Burg. Unser Eintreffen wurde lautstark angekündigt und die Dorfbewohner jubelten uns erfreut zu.

Die Soldaten hatten Krähen zu uns geschickt, welche wir einfingen und zurückfliegen ließen. Robin hatte einer dieser Krähen einen Zettel angehängt und irgendetwas raufgeschrieben. Niemand durfte wissen, was er auf den Zettel geschrieben hatte, und so hatte er sie wieder fortgeschickt. Auch mir hatte er es nicht anvertraut, aber vielleicht würde er es noch tun, wenn wir endlich wieder unter uns sein konnten.

Erlinda und Serafina hatte ich darum gebeten, im Wald zu bleiben. Zumindest so lange, bis ich das alles klären konnte. Sie gaben sich damit einverstanden, doch sollte ich aus welchem Grund auch immer plötzlich panische Angst verspüren, dann würden sie keine Sekunde länger in dem Wald bleiben – das hatten sie mir versprochen.

„Robin!“ Die Königin kam uns freudestrahlend entgegen, und sobald mein Gemahl von Feuerherz Rücken abgestiegen war, umarmte ihn seine Mutter stürmisch. „Ich habe mir solche Sorgen gemacht!“ Sie drehte sich zu mir um. „Hauptsächlich auch um Euch, meine Liebe. Wie seht Ihr denn aus? – Ich habe täglich zu den Neun Göttern gebetet.“ Die Königin fasste mich am Arm, und zog mich an sich.

Die Neun Götter … etwas, an das ich nicht glaubte. In Bell hatte man stets nur einen Gott verehrt, doch auch bei ihm hatte ich meine Zweifel. Meine Gebete waren ohnehin nie wirklich erhört worden, aber vielleicht lag das auch an mir – jemand, der Dunkles in sich hatte, würde wohl kaum das Privileg haben, einen Gott an seiner Seite zu haben.

„Ich bin sehr froh, wieder Zuhause zu sein“, meinte ich an die Königin gewandt. Sie betrachtete mich noch eine Weile, schaute genauer auf mein blaues Auge, welches beinahe wieder normal aussah, doch dann wandte sie sich um und ging gemeinsam mit meinem Gemahl in die Burg hinein. Ich folgte ihnen, dicht hinter mir ging der erste Heerführer. Unsere Pferde wurden von den Stalljungen weggebracht und versorgt.

„Meine Prinzessin!“ Clementia kam um die Ecke gerannt, und warf sich mir in die Arme. „Ich hatte solche Angst um Euch! Ich fürchtete schon, Euch nie wieder zu sehen!“ Meine Zofe merkte wohl, dass ich sehr überrascht von ihrer Handlung war, weswegen sie von mir abließ und sich hastig entschuldigte. Doch dann berührte sie mich am Arm, und sagte: „Wenn Ihr zum König wollt, dann kleide ich Euch ein. In Männerklamotten könnt Ihr dem König auf keinen Fall entgegentreten.“

„Ich sollte aber dabei sein, wenn mein Gemahl und der erste Heerführer mit ihm sprechen.“

„Vielleicht ist es keine schlechte Idee, wenn du nicht sofort anwesend bist.“ Robin stellte sich vor mich, und hatte unserer kurzen Konversation gelauscht. „Simon Reichenstein und ich werden zuerst mit dem König reden und danach können du und meine Mutter dazustoßen.“

„Hmpf“, kam es von der Seite der Königin, doch Robin ignorierte es.

„Aber ich sollte dabei sein!“, versuchte ich es erneut, dieses Mal entschlossener.

Robin nahm meine Hand in seine und schaute mich an. „Du hast ein heißes Bad verdient. Ebenso wie gekämmt und neu gekleidet zu werden. Deine Zofe hat recht, so ist es das Beste. Wir erwarten dich in drei Stunden im Thronsaal, wo wir gemeinsam zum König gehen, aber bis dahin werden Simon Reichenstein und ich allein mit meinem Vater reden.“

„Denkst du, dass er es so schlecht aufnimmt?“

„Was aufnimmt?“, wollte die Königin neugierig wissen.

Robin schüttelte leicht den Kopf. „Mutter, das wirst du früh genug erfahren. – Olivia, bitte halte dich an diesen Plan.“ Dann ließ er meine Hand los und marschierte mit seinem ersten Heerführer davon.

„Etwas früh genug zu erfahren, bedeutet immer, eine der letzten zu sein“, seufzte die Königin. Doch anstelle nachzubohren, was ich damit gemeint hatte, ließ auch sie mich mit meiner Zofe zurück.

„Wie geht es Euch?“, wollte Clementia wissen. Besorgt betrachtete sie mich von der Seite, als wir gemeinsam zu meinem Zimmer gingen.

„Es gab Zeiten, da fühlte ich mich besser.“

„Hat der Prinz von Eisenbach Euch sehr schlecht behandelt?“

„Ich will darüber nicht reden. Zumindest nicht jetzt.“

„Natürlich. Das kann ich verstehen. Aber solltet Ihr ein offenes Ohr brauchen, ich bin immer für Euch da. Schließlich bin ich Eure Zofe.“

„Danke.“ Ich versuchte mich an einem Lächeln, doch ob es sonderlich glücklich aussah, konnte ich nicht bestätigen.

Clementia ließ heißes Wasser und einen Badezuber bringen. Seufzend ließ ich mich in das warme Wasser gleiten. Es fühlte sich wie eine halbe Ewigkeit an, als ich das letzte Mal ein Bad genommen hatte. Während ich mich wusch und das Wasser genoss, verschwand meine Zofe aus dem Zimmer, denn sie wusste, dass ich lieber allein war.

Danach kam sie mit einem wunderschönen dunkelblauen Kleid zurück. Es trug funkelnde, wertvolle Steine und glänzte im Sonnenlicht.

„Ihr seht fabelhaft aus!“, jubelte Clementia entzückt, als sie mich betrachtete. Sie hatte meine Haare zu einem Zopf geflochten, welcher mir seitlich über die vordere Schulter hinabhing.

Zugegeben, mein Anblick im Spiegel hatte mich im ersten Moment selbst geschockt. Ich hatte hastig den Blick abgewandt, doch Clementia war es selbstverständlich aufgefallen. Sie hatte mir versichert, dass es halb so wild sei, dass man es überdecken konnte, und dass jeder tapfere Mensch Narben und blaue Flecken hatte, weil es bedeutete, dass man sie überlebt hatte. Ich war meiner Zofe für diese Worte sehr dankbar gewesen. Außerdem war von dem blauen Auge fast nichts mehr sichtbar gewesen, es war auch eher mehr mein Gesamtbild, welches mich schockierte. Ich war viel dünner geworden und hatte sehr viel abgenommen, dabei war es für mich ohnehin schwer genug, an Gewicht zuzulegen. Nun sah ich aus wie ein wandelndes Skelett.

„Der Prinz wird sich freuen, Euch wieder so zu Gesicht zu bekommen.“ Damit sprach mir Clementia aus der Seele. An manchen Tagen hatte ich mich dafür geschämt, wie ich aussah. So mancher Mann sah besser aus, als ich es die letzten Tage getan hatte. Doch ich hatte eine schwere Zeit hinter mir, man würde es mir verzeihen.

Ich holte einmal tief Luft, nickte meiner Zofe zu, und ging gemeinsam mit ihr in den Thronsaal. Ich war gespannt auf das, was mein Gemahl mir erzählte, und wie der König auf die Neuigkeiten reagiert hatte, oder noch reagieren würde. Meine Hände zitterten, doch ich verknotete sie ineinander. Vergeblich versuchte ich ruhiger zu werden. Meine innere Ruhe zu finden. Doch meine derzeitigen Lebensumstände machten es nicht einfacher.

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