~ 3 ~

Einige Zeit später dann im Thronsaal der Burg wurden wir von allen möglichen Menschen beglückwünscht und die Geschenke stapelten sich. Es waren sogar einige Dorfleute anwesend, was mich wunderte, doch kein bisschen ärgerte. Mein Vater hatte es nie geduldet das Einfache Volk bei Festigkeiten in die Burg zu lassen, doch hier schien das anders zu sein.

Bei unserem Eintreffen wurde mir der höhere Stand vorgestellt – der Priester war einer von ihnen –, ebenso wie die Dienerschaft. Natürlich waren nicht alle Diener anwesend, doch die wichtigsten stellten sich mir mit einer Verbeugung und einer schnellen Erklärung, für was sie zuständig waren, vor. Ich lächelte ihnen allesamt zu, auch wenn die meisten unter ihnen eher ängstlich wirkten. Oder vielleicht war es auch etwas anderes, ich konnte es nur nicht genau deuten.

Mittlerweile wurde das Festessen serviert und alle konnten Platz nehmen. Ich saß zwischen meinem Gemahl und meiner Schwester Ida. Meine Mutter saß mir gegenüber und lächelte mir zaghaft zu. Sie sorgte sich um mich, das wusste ich, doch ich konnte ihr nicht erklären, dass alles in Ordnung war, da überhaupt nichts in Ordnung war. Aber ich war der Bitte, nun ja, war es eine Bitte gewesen?, meines Gemahls nachgekommen und hatte kein einziges Mal mehr trübsinnig dreingeblickt. Zwar waren meine Gedanken noch lange nicht erheitert, doch das ließ ich mit meinen Gesichtszügen nicht erkennen.

„Du siehst traumhaft schön aus.“ Ich drehte mich zu meiner Schwester und nickte ihr dankend zu. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dich schon jemals in einem so fabelhaften Kleid gesehen zu haben. Von nun an wirst du nicht mehr so viel Männerbekleidung tragen.“ Ich atmete tief aus und hoffte, Robin lauschte nicht den Worten meiner Schwester Ida. „Vater hat die richtige Entscheidung getroffen, dich mit einem Prinzen zu vermählen. Du hättest vermutlich einen Bauernjungen geheiratet.“

„Ida!“, zischte ich warnend. Ich wagte einen kurzen Seitenblick zu Robin, welcher amüsiert zu sein schien. Vermutlich verstand er jedes einzelne Wort. „Jutta wird Colin heiraten wollen, das liegt auf der Hand. Aber ich kannte nicht einmal jemanden, der auch nur annähernd zu mir gepasst hätte.“ Ich sprach extra leise, doch war nicht sicher, ob es leise genug war.

Ida zuckte nur mit den Schultern und wandte sich von mir ab, um sich mit unserer anderen Schwester zu unterhalten. Unter dem Tisch verflocht ich meine Finger ineinander und wartete darauf, dass das Essen serviert wurde. Lange ließen sie nicht mehr auf sich warten und ein Gaumenschmaus an gebratenem Schwein und viel Gemüse, genügend zu Trinken, vor allem Wein, wurde aufgetischt.

„Ein Hoch auf das Hochzeitspaar!“ Mein Vater erhob sich von seinem Stuhl und prostete uns zu. Die anderen Gäste standen ebenso auf, sprachen Toasts aus und hoben ihre Weinkelche.

Einer der Gäste sprach laut: „Auf viele, viele Kinder!“ Die anderen Leute lachten, doch mein Lächeln schwand kurz, ehe ich mich wieder gefangen hatte. Es waren nur ein paar Sekunden gewesen, doch ich wusste, dass meine Mutter und Robin es gesehen hatten.

Mein Gemahl beugte sich zu mir und flüsterte mir unerwartet ins Ohr: „Ich bin froh, wenn wir das hier überstanden haben.“ Mein Kopf wanderte in seine Richtung und ich konnte ein schelmisches Grinsen auf seinem Gesicht ausmalen.

„Ich auch“, gestand ich etwas schüchterner als er es je sein könnte und betrachtete seine Gesichtszüge, als er sich quer über den Tisch mit meinem Vater unterhielt. Meistens sprachen sie nur über Schlachten, die sie gewonnen hatten und was sie alles gemeinsam erobern wollten. Das sich mein Vater eines Tages so leicht mit einem unserer früheren Feinde unterhalten konnte, war mir nicht klar gewesen. Für mich war es ohnehin nicht logisch gewesen, mich mit dem Feind zu vermählen. Doch mein Vater wusste bestimmt was er tat. Immerhin war er ein König und regierte unser Land. Nein, deren Land. Mein Land war nun das der Schwarzenburgs.

Als das Essen abserviert wurde, begannen die Musikanten wieder zu spielen und erheiterten die Menge mit schwungvoller Musik. Einige Menschen standen sogar auf und begannen zu tanzen. Während ich sie beobachtete, schlich sich ein echtes Lächeln auf mein Gesicht. Ich konnte unter den vielen Menschen sogar den kleinen Jungen erkennen, welcher uns die Ringe gebracht hatte. Als er bemerkte, dass ich ihn ansah, winkte er mir fröhlich zu und tanzte unbeirrt weiter.

Die Musikanten sangen Lieder von Heldentaten und erheiterten die Menschen. Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder.

„Wollt Ihr tanzen?“ Mein Gemahl stand so plötzlich neben mir, dass ich mich erschrak und herumwirbelte.

„Was, wenn ich Euch sage, dass ich keine sonderlich gute Tänzerin bin?“

Seine Mundwinkel zuckten belustigt nach oben. „Dann würde es mich dennoch nicht daran hindern, Euch zum Tanz aufzufordern.“ Er verbeugte sich und streckte mir seine Hand entgegen.

Auf keinen Fall konnte ich ihn vor all den Augen so neben mir stehen lassen. Deswegen legte ich meine zarten Finger in seine Handfläche und musste feststellen, dass diese noch immer so warm war wie vor ein paar Stunden.

„Ich will Euch nur warnen, aber ich bin tatsächlich nicht sehr begabt“, raunte ich ihm zu, als er neben mir zu den Musikanten schritt. Dass mein Herz dabei wie verrückt ging, weil wir von allen Seiten angestarrt wurden, versuchte ich zu verbergen.

„Macht Euch darüber nicht so viele Gedanken, lasst Euch einfach von mir führen.“

Als wir die Tafel verlassen hatten und uns nun jeder sehen konnte, nickte er den Musikanten zu, welche nun zu einem anderen Lied wechselten. Einem langsameren Lied, welches man besser zu zweit tanzen konnte als allein.

Ich legte eine Hand in Robins Hand und führte die andere auf seine rechte Schulter. Danach versuchte ich mich an all das zu erinnern, was mir gelehrt worden war. Doch da Tanzen nie zu meinen Stärken gezählt hatte, hatte ich es schnell aufgegeben und mich wichtigeren Dingen gewidmet. Dingen, die mir Freude bereitet hatten.

Robin setzte einen Schritt nach vorn, während ich beinahe getaumelt wäre, hätte er mich nicht gehalten. Er nach vorn, sie nach hinten, schlichen sich die Gedanken in mein Gehirn und ich versuchte es umzusetzen. Doch es blieb nicht nur dabei, sondern er drehte mich plötzlich im Kreis, bis ich an seiner Brust landete.

Ein leises Lachen drang in meine Ohren. „Seid nicht so angespannt.“

Ich schnaubte aus und hob meinen Kopf, um ihm in die Augen zu schauen. Seine eisblauen Augen funkelten belustigt und musterten mich ebenso. Es schien fast so, als würden wir uns in diesem Moment zum ersten Mal richtig betrachten. Ich würde es niemals laut aussprechen, doch er war schön, falls man mit diesem Wort einen Mann beschreiben konnte. Sein pechschwarzes Haar stand ihm zu allen Seiten ab und ein paar freche Haarsträhnen verirrten sich, sodass sie ihm in die Stirn hingen. Seine Wangenknochen waren hoch und seine Lippen, welche ich nur einmal kurz gespürt hatte, zogen meine Augen magnetisch an. Erst als mich Robin in eine weitere Drehung schickte, konnte sich mein Blick von ihnen reißen.

Als ich wieder bei ihm landete, musterte er mich eigenartig. Wir wirbelten weiter über die Tanzfläche und langsam gesellten sich immer mehr Tanzpaare zu uns dazu. Als ich einen Blick über Robins Schulter warf, konnte ich erkennen, dass mein Vater wohl meine Mutter zum Tanz aufgefordert hatte, da sie ebenfalls über die Tanzfläche schwebten.

„Wie findet Ihr die Musik?“, fragte mich Robin plötzlich. Ich schenke ihm abermals meine Aufmerksamkeit.

„Die Musikanten sind hervorragend“, gab ich zu. Es waren drei Männer, die verschiedene Instrumente spielten, einer von ihnen sang ab und zu sogar.

Als er mich dieses Mal betrachtete, konnte ich mich nicht überwinden, ihn anzusehen. Also zog er mich in eine letzte Drehung, und die Musik verstummte abrupt, ehe sie mit einem neuen Lied begann. Doch Robin und ich blieben auf der Tanzfläche stehen, ohne der Musik zu folgen.

„Ihr schient nicht so, als läge Euch das Tanzen nicht.“

Ich lächelte zaghaft und schaute ihn an. „Es ist schon eine Weile her.“

„Einige Dinge verlernt man nie.“

Danach gingen wir zu unseren Stühlen zurück. Meine Eltern hatten ebenso Platz genommen, denn ich wusste mein Vater mochte das Tanzen nicht sehr gern. Er tat es meiner Mutter zuliebe, für die es beinahe nichts Schöneres gab, als sich der Musik hinzugeben. Vielleicht tat er es aber auch dem Ansehen zuliebe, denn meine Mutter und er wechselten Zuhause nie liebevolle Gesten aus.

Draußen wurde es allmählich dunkler und immer mehr Gäste verabschiedeten sich von uns. Sie wünschten uns nur das Beste.

„Vater möchte gleich bei Sonnenaufgang abreisen. Es sieht so aus, als würde er keine Sekunde länger als nötig hierbleiben wollen.“ Jutta stellte sich neben mich und wir betrachteten gemeinsam einige plaudernde Gäste. Mein Gemahl stand beim höheren Stand und unterhielt sich mit den Männern.

„Das habe ich auch schon gehört.“ Ich musste mich zusammennehmen, um nicht in Tränen auszubrechen. Dass meine Familie so schnell aus meinem Leben verschwand, damit hätte ich nicht gerechnet. Klar, wir konnten in Kontakt bleiben, aber es war nicht das Gleiche. Zumindest ein paar Tage länger hätten sie hierbleiben können. Machte man das nicht normalerweise so?

„Ich bin sicher, dass du dich mit dem Prinzen verstehen wirst. Er hat dir zweimal einen Blick zugeworfen, als du nicht hingesehen hast. Ich weiß zwar nicht, was er dachte, aber ich denke, dass er dich mag. Wer könnte das auch nicht? Du bist meine fabelhafte Schwester und jeder wird dich lieben.“ Von den Worten meiner Schwester gerührt, nahm ich sie in den Arm. Ich sog ihren Duft ein und hoffte, sie irgendwann wieder so fest in die Arme schließen zu dürfen.

Als sich mein Vater erhob, um zu gehen, setzte mein Herz beinahe aus. Wenn meine Familie weg war, dann war ich auf mich allein gestellt. Ich wusste, dass das ohnehin passiert wäre, doch so richtig vorbereitet war ich auf diesen Moment nicht.

„Du warst die schönste Braut, die ich, bis auf deine Mutter natürlich, jemals gesehen hatte“, meinte mein Vater, als er sich von mir verabschiedete. Irgendwie hatte ich mir andere Worte erhofft, doch was erwartete ich schon von einem König? Von nun an hatte er keine Pflichten mehr mir gegenüber. Es gab auch keine Umarmung oder einen Kuss auf die Stirn. Nichts. Doch so war mein Vater eben. Auch er war nicht für seine Zärtlichkeiten bekannt.

„Du hast ein Glück, er sieht sehr gut aus. Ihr werdet hübsche Kinder zeugen“, zwinkerte mir meine Schwester Ida zu, bestaunte noch einmal mein Kleid, ehe sie zu unserem Vater schritt.

„Ich werde dich vermissen!“ Jutta schmiss sich in meine Arme und verharrte dort länger als sonst. „Du kannst mir immer schreiben.“

„Ich werde dich auch vermissen.“, flüsterte ich in ihr Ohr und wollte sie nicht mehr loslassen. Doch meine Mutter kam uns dazwischen und berührte Jutta an der Schulter.

„Es wird Zeit zu gehen“, meinte sie nun zu meiner Schwester. Diese wischte sich die Tränen weg, hauchte mir einen Kuss auf die Wange und ging zum Rest unserer Familie.

Meine Mutter stand direkt vor mir, zog mich ebenso in eine Umarmung und flüsterte mir ins Ohr: „Ich liebe dich, egal was passiert. Du wirst immer meine Tochter sein. Ich wünsche dir nur das Beste und das du dich gut einlebst. Du wirst es schaffen, das weiß ich. Denn du bist stark – vergiss niemals, dass du die Stärkste von allen bist. Die Stärkste von allen!“ Danach schaute sie mir noch lange in die Augen, bis auch sie sich von mir abwand und ich sie wohl nie mehr wiedersehen würde. Sie allesamt. Das stimmte mich traurig, doch von nun an fing ein neues Leben für mich an.

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