~ 27 ~

Heute habe ich wieder ein sehr langes Kapitel für euch!

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Sie hatten die Zelter aufgeschlagen und ein Lagerfeuer gemacht. Ein paar erlegte Wildtiere hingen über dem Feuer und wurden zubereitet. Schon seit zwei Tagen belagerten sie das Landstück. Es würde bestimmt nicht mehr lange dauern, bis die Familie von Eisenbach auftauchen würde.

„Einige Männer melden Bewegung im Osten“, meinte Simon Reichenstein, als er zu seinem Prinzen sprach.

Die Mundwinkel des Prinzen zogen sich nach oben. „Sollen sie nur kommen. Wir sind gut vorbereitet. Vielleicht lassen sie noch mit sich reden.“

„Die Familie von Eisenbach redet nicht, das wisst Ihr.“

Seufzend gab der Prinz ihm recht und sie wussten beide, dass es zu einem Kampf kommen würde. Der Prinz von Schwarzenburg war auswärts schon lange in keinen Krieg mehr verstrickt gewesen, doch hierbei verlangte es nach seiner Anwesenheit. Er war ein guter Kämpfer, das wusste er. Doch er hoffte, dass er gut genug sein würde. Die Familie von Eisenbach war ein unbarmherziger Gegner.

„Sie sind es wirklich!“ Einer der jungen Soldaten kam angelaufen. „Friedrich von Eisenbach reitet an der Spitze.“

„Danke.“ Der Prinz schenkte ihm ein knappes Nicken und forderte ihn dazu auf, es auch den anderen Männern zu berichten.

In der Ferne konnte Robin erkennen, dass auch seine Feinde die Zelte aufschlugen und ein Feuer machten. Er war sich sicher, dass Friedrich von Eisenbach noch heute zu ihm reiten würde.

Er hatte sich nicht getäuscht, und schon nach wenigen Stunden kamen einige Reiter immer näher.

„Friedrich von Eisenbach! Wie unangenehm, Euch wiederzusehen!“, rief der Prinz über die Länge eines halben Feldes hinweg.

„Das könnte ich nicht behaupten. Ich empfinde unser Treffen als äußerst angenehm.“ Robin biss die Zähne hart aufeinander und ging einen Schritt nach vorn. Simon Reichenstein machte es ihm nach.

„Das ist unser Landstück. Es wurde uns versprochen. Wir werden es nicht kampflos aufgeben!“

„Ich werdet wohl müssen.“ Der Spott in Friedrichs Stimme war selbst über die Entfernung zu vernehmen. „Wir geben euch zwei Tage Bedenkzeit!“

„Bedenkzeit wofür?“ Fast schon entkam Robin ein Lachen.

„Das Stück Land im Austausch gegen Eure Gemahlin.“

Meine Gemahlin. Meine was?

Robins Herz setzte einen Schlag lang aus, doch dann schüttelte er langsam den Kopf. Olivia war in der Burg. Sie war wohlbehalten und nicht in den Fängen dieser Männer. Sie war in Sicherheit. Wenn nicht, dann wusste er nicht, wie er sich dies jemals verzeihen könnte.

„Ihr lügt!“, kam Robin auf den Entschluss. Seine Stimme hallte über die Wiesen und waren das Einzige, was momentan zu hören war.

„Tue ich das?“ Friedrich von Eisenbach winkte einen seiner Reiter zu sich. Sein aufgesetztes Lächeln ging Robin nicht aus dem Kopf.

Der Reiter hatte etwas, oder jemanden bei sich am Pferd. Robin wollte am liebsten verschwinden, die Zeit zurückdrehen und diesen Augenblick nicht erleben. Doch er musste es.

Die Frau, die sie mithatten, wurde vom Pferd gehoben. Sie taumelte kurz, dann wurde sie an den Haaren gepackt und zu dem Prinzen gezerrt. Sie kniete am Boden, den Blick nach unten gerichtet. Die Haare waren zerzaust, das Kleid war rissig und kaputt.

Fridrich von Eisenbach forderte die Frau auf den Kopf zu heben. Doch sie weigerte sich. Sie knurrte ihn wütend an, weswegen er einfach ihr Kinn in seine brutalen Hände nahm, und es hochhob. Die Frau hatte die Augen geschlossen, doch Robin wusste auch so, dass es Olivia war. Er hatte es schon gewusst, als er nur ihre schlanke Gestalt in der Ferne erblickt hatte.

Der Schreck stand ihm ins Gesicht geschrieben, und er konnte die aufgebrausten Gefühle des ersten Heerführers spüren, als seien es seine eigenen. Doch seine Gefühle waren noch viel intensiver und glichen einem nicht aufhörenden Stromschlag.

Olivia öffnete langsam die Augen und starrte direkt in ein eisblaues Augenpaar. Robin konnte ihren Anblick fast nicht ertragen. Sie schien Schmerzen zu haben und ihr rechtes Auge war geschwollen und blau. Was haben sie ihr angetan?

„Lasst sie auf der Stelle frei!“ In Robin von Schwarzenburgs Stimme splitterte Eis. Es war leise um ihn herum. Nichts und niemand wagte zu atmen.

„Wie gesagt, Ihr habt zwei Tage Bedenkzeit, während uns Eure entzückende Gemahlin noch weiter ihre Anwesenheit schenken darf. Es ist eine Freude, die Prinzessin, um uns zu haben. Wir amüsieren uns prächtig.“ Er blickte auf Olivia hinab und strich ihr gespielt zärtlich über das Haar. „Habt Ihr Eurem Gemahl noch etwas zu sagen?“

Olivia hatte nie aufgehört, ihren Gemahl anzusehen. Sie sah sein Bedauern und wie leid es ihm tat. Doch er konnte nichts dafür, das wusste Olivia. Für die Gräueltaten des Prinzen von Eisenbachs konnte kein Mensch etwas, außer dieser selbst.

„Es tut mir leid“, war deswegen alles was sie leise flüsternd herausbrachte, ehe sie grob an den Oberarmen gepackt wurde und zu dem Pferd zurückgebracht wurde. Sie versuchte nicht zu schreien, keinen Ton von sich zu geben, doch Robin wusste, dass sie am liebsten alles hinausgeschrien hätte. Sie hatte Angst, das konnte er fühlen. Aus allen aufgebrachten Gefühlen um ihn herum, konnte er ihre Gefühle dennoch am intensivsten spüren.

Robin blieb wie erstarrt an dem einen Fleck stehen, selbst als die Männer umgekehrt und in ihren feindlichen Zeltern verschwunden waren.

„Wir lassen sie keine Nacht länger bei diesen Männern!“

„Das war auch mein Gedanke.“ Der erste Heerführer stellte sich vor seinen Prinzen und brachte ihn somit dazu, ihn anzusehen. „Dennoch müssen wir einen kühlen Kopf bewahren. Wir können nicht einfach einmarschieren und uns die Prinzessin holen. Das würden sie wollen und erwarten.“

„Wenn ich es alleine mache?“

„Nichts macht Ihr allein!“ Der erste Heerführer hob die Stimme und schlug seinem Prinzen gegen die Schulter. „Wir holen sie zu zweit dort raus. Dann fallen wir nicht so auf und unsere Männer können sich in der Zwischenzeit auf einen Kampf vorbereiten.“

„Das klingt nach einem Plan.“ Dennoch war der Prinz noch sehr verzweifelt und er kämpfte mit sich. Seine Gemahlin in einem derart schlechten Zustand zu sehen, ließ ihn den Verstand verlieren. Doch genau jetzt brauchte er seinen Verstand mehr denn je.

„Robin.“ Simon Reichenstein sprach ihn mit seinem Namen an. Seine Stimme kam nur dumpf in Robins Gehirn an. „Ich weiß, es ist schwer für Euch. Auch für mich war es nicht leicht, die zukünftige Königin so sehen zu müssen. Den Männern wird es ähnlich ergangen sein. Ich mag mir nicht erdenken, was Ihr jetzt fühlt, doch um euretwillen und ihretwillen, bewahrt einen kühlen Kopf!“

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Mein Bauch tat weh. Meine Füße schmerzten. Mein Gesicht brannte. Mein Auge tränte. Ich fühlte mich elend und mir war zum Kotzen zumute. Was ich auch tat. Mehrmals am Tag.

„Sie werden einsehen, dass sie das Landstück aufgeben müssen. Ab diesem Zeitpunkt werden wir sie angreifen. Aber erst in zwei Tagen. Bis dahin halten wir uns bedeckt.“ Der Prinz kniete sich neben mich. Seine Augen glitzerten. „Danach dürft Ihr zusehen, wie wir Eurem Gemahl die Haut langsam Stück für Stück und mit Bedacht vom Körper ziehen. Umgekehrt geht es leider nicht, obwohl es sehr reizend wäre. Aber wir haben versprochen, Euch am Leben zu lassen.“ Er fuhr mit seinen Fingern durch mein langes Haar und betrachtete mich gespannt.

Wem habt Ihr es versprochen? Die Frage lag mir auf der Zunge, doch ich verbiss sie mir. Stattdessen spuckte ich ihm vor die Füße und funkelte ihn an. Mehr Verachtung wie ich diesem Mann zuwarf, konnte man für keinen anderen Menschen empfinden.

„Erstickt an Euren Worten! Erstickt an dem Blut Eurer Feinde!“

„Warum schenkt Ihr mir bloß so viel Missachtung, Prinzesschen?“ Lachend stand er wieder auf und ließ mich im Dreck zurück. Allmählich fing es an zu nieseln und es wurde windig. Keine perfekte Kombination, wenn man nicht mehr Kleidung am Leib trug als ein altes, zerrissenes Burgkleid, welches viel mehr von meinem Körper preisgab, als mir lieb war. Der Prinz hatte mir selbst den wärmenden Mantel des Heerführers entnommen und ihm seinen Besitzer wieder zurückgegeben.

Ich saß am Boden und betrachtete die Krieger vor mir. In den letzten Tagen hatte ich sie häufiger beobachtet, denn es gab Gruppierungen. Einige Männer waren stets in der Nähe des Prinzen – sie dürften wohl ähnlich denken wie er. Andere wiederum hielten sich um den Heerführer herum auf. Sie waren auch diejenigen, die mir Wasser brachten und mir Essen reichten. Dann gab es noch eine dritte Gruppe, die offensichtlich nicht gut fand, was der Prinz machte, dennoch aber jeden Befehl seinerseits ausführte. Mein Peiniger war einer dieser Männer. Er lugte oft in meine Richtung, doch sobald ich ihn ansah, schaute er weg. Er bemitleidete mich, das konnte ich deutlich aus seinem Gesicht lesen, doch von mir aus konnte er daran ersticken.

Mit den Fingern fuhr ich über den Erdboden, als ich plötzlich ein paar Steine berührte. Mein Herz schlug schneller, als ich meine Fingernägel in die Erde grub und nach spitzen, kantigen Steinen suchte. Alles nur durch Berührungen, denn ich behielt die Männer um mich herum stets in den Augen.

Ich hatte einen scharfkantigen, kleinen Stein gefunden und grub ihn aus. In meiner Handfläche versuchte ich ihn zu verstecken und wartete, bis es dämmriger wurde. Die Gewissheit, dass Robin und seine Männer nicht mehr weit entfernt waren, ließ mich mutiger werden. Doch ich musste auch Vorsicht walten lassen. Auf keinen Fall dufte mir ein Fehler passieren.

Als es dunkler wurde, versuchte ich mit dem kleinen Stein auf und ab Bewegungen zu machen, in der Hoffnung, dass das Seil irgendwann nachgeben würde. Immerhin hatte es schon viel zu lange standgehalten und rieb meine geschundenen Handgelenke mit jedem Tag mehr auf. Diese Bewegungen mit dem Stein taten an meinen Händen sehr weh, doch ich biss die Zähne zusammen. Was sie Robin und den Männern antun würden, wäre ganz sicher weitaus schlimmer. Wir sollten einfach umkehren und das Landstück hinter uns lassen. Die Familie von Schwarzenburg hatte genügend Land, da kam es auf ein Stück weniger auch nicht mehr an. Ich wusste, es ging mehr um die Ehre als um das Land selbst, aber mein Leben war mir wichtiger.

Ein Fauchen. Hoch. Erzitternd. Schrill.

Dieses Mal hörte man sie zuerst, bevor man sie roch. Doch der Geruch ließ nicht lange auf sich warten. Die Männer erhoben sich und griffen zu den Waffen. Einige waren schon eingeschlafen, doch dieses Geräusch weckte selbst den tiefsten Schläfer aus dem Schlaf.

Ein Fauchen – zum zweiten Mal. Lauter. Aggressiver. Unnachgiebiger.

Um uns herum war es leise geworden. Kein Tier war mehr zu hören. Mein Herz schlug schnell und ich hatte aufgehört, das Seil lösen zu wollen. Die Krieger waren wachsam. Ihr Blick war gen den Wald gerichtet. Das Geräusch kam von dort.

Kein Fauchen mehr. Ein Brüllen. Angsteinflößend. Ohrenbetäubend. Gefährlich.

Mein Peiniger kam auf mich zu und zog sein Schwert. Sein Blick huschte immer wieder in die Richtung des Geräusches. Ich wusste, er hatte die Anweisung, mich vor solchen Gefahren wie einem Seelenstehler zu beschützen.

Ich sah nichts mehr und versuchte nach Luft zu schnappen. Jemand hielt mir zwei Hände auf Augen und Mund gedrückt. Ich hörte eine Klinge, dann, wie jemand zu Boden ging und spürte, wie etwas Warmes – Blut vielleicht – auf meine Finger tropfte.

„Schsch“, raunte mir jemand zu, als dessen Finger sich von meinen Augen lösten. Ich sah, dass meinem Peiniger die Kehle aufgeschlitzt worden war und hob den Kopf. Simon Reichenstein deutete mir leise zu sein. Er hob mich hoch und versteckte mich hinter einem Gebüsch.

„Ihr.“ Zu mehr Worten war ich nicht imstande. Noch nie war ich so glücklich über ein vertrautes Gesicht gewesen.

„Dachtet Ihr etwa mit diesem Stein würden Eure Fesseln aufgehen?“ Simon entnahm ihn mir und überließ diese Aufgabe seinem Schwert. Kaum war ich frei, fühlte es sich unsagbar gut an.

Robin von Schwarzenburg kniete sich plötzlich neben mich und legte mir eine Hand auf mein Knie. „Wir holen Euch hier fort.“ Dankbarkeit erfüllte mich und ein schwaches Lächeln mischte sich auf meine Lippen. Robin war da. Er war bei mir!

Das Gebrüll war zurück. Doch mit ihm auch der Gestank. Zwei Wesen sprangen aus der Dunkelheit und stürzten sich auf die Krieger der Eisenbachs.

„Wir müssen hier weg!“, entkam es mir panisch. Ich wollte aufspringen, doch Robin drückte mich zurück.

„Olivia. Beruhigt Euch. Wir müssen von hier fort, Ihr habt recht. Aber ohne viel Aufsehen zu erregen.“

Mein Gemahl half mir hoch. Simon Reichenstein lief zu den Pferden vor, die sie etwas abseits hingestellt hatten. Ich konnte sehen, dass sie unruhig waren. Wer wäre es bei diesen Geräuschen nicht?

Meine Füße trugen mich nur schwer, sodass ich einmal stolperte. Robin bemerkte es und lief die paar Schritte zu mir zurück. „Könnt Ihr laufen?“

„Es geht schon!“ Ich bemühte mich darum, wieder auf die Beine zu kommen, doch schwankte kurz. Robin fasste mich an den Unterarmen und gab mir mein Gleichgewicht zurück.

„Offensichtlich nicht.“ Mehr sagte er nicht, als ich auf einmal den Boden unter den Füßen verlor, und mein Gemahl mich hochhob. So schnell es ihm mit mir möglich war, lief er auf den ersten Heerführer zu, welcher uns mit den Pferden schon entgegenkam.

Er schwang mich auf Feuerherz Rücken und stieg dann selbst auf. In einer Hand hielt er die Zügel, in der anderen Hand hatte er mich fest umklammert, als er Feuerherz die Schenkel gab und ihm mit einem Schnalzen signalisierte, dass er angaloppieren sollte.

Der Wind preschte mir ins Gesicht, doch ich war so erleichtert, wie schon lange nicht mehr. Ich war nicht mehr allein. Robin war da. Er hielt mich fest. Ich war ihm so dankbar.

Schneller als ich es mir gedacht hätte, erreichten wir unser Lager. Simon informierte sofort die Männer und, dass sie sich bereit machen mussten.

Robin stieg von Feuerherz und half mir ebenfalls herab. Neben uns kamen drei Pferde zum Stehen, auf dessen Rücken junge Männer saßen.

„Olivia, seht mich an.“ Ich tat ihm den Gefallen, obwohl ich wusste, wie schrecklich ich aussehen musste. Ich konnte es nur erahnen, denn gesehen hatte ich mich die letzten Wochen nie. „Ihr werdet mit Herbling, einem unserer Heiler, mitreiten. Zwei unserer jüngsten Krieger werden Euch begleiten. Ihr kehrt erst wieder zum Lager zurück, wenn die Schlacht vorbei ist. Sollten wir verlieren, kennen die Männer meine Anweisungen. Währenddessen sorgt sich Herbling um Eure Wunden und Verletzungen.“ Robin hob mich entgegen meinem Willen hoch und setzte mich auf das Pferd des Heilers.

„Robin. Wartet!“ Er hatte sich schon abgewandt, doch er blieb stehen. „Bitte“, flehte ich, obwohl ich selbst nicht wusste, was ich damit bezwecken wollte. Eine Bitte für was? Dass er bei mir blieb? Auf sich Acht geben sollte? Mit seinen Männern zurück nach Schwarzenburg reiten sollte? Dass er mich nicht allein lassen sollte? Mich zum Abschied küssen sollte? Sich überhaupt verabschiedete? Mir ein letztes Mal in die Augen blicken sollte?

Der Prinz von Schwarzenburg drehte sich um und blickte zu mir hoch. Er nahm meine eiskalten Finger in seine immerzu warmen Hände und hauchte einen Kuss darauf.

„Olivia, Ihr müsst mit meinen Kriegern verschwinden, denn sie werden bald da sein. Mit ihnen auch diese Kreaturen. Ihr seid in guten Händen!“ Er drückte meine Hand sanft und schaute mich ein letztes Mal an. Dann wandte er sich an den Krieger, auf dessen Pferd ich saß. „Verschwindet nun!“ Dieser gehorchte sofort und gab dem Pferd die Schenkel. Zuerst trabten wir langsam bei den Kriegern vorbei, danach fielen die drei Reiter in einen schnellen Galopp. Bestimmt waren wir eine Stunde unterwegs gewesen, bis sie eine Rast machten und sich kurz beraten hatten. Dem Anschein nach wollten sie hierbleiben und errichteten ein kleines Lager.

Herbling stellte seinen kleinen Koffer auf den Boden und öffnete ihn. Zum Vorschein kamen unzählige Tinkturen, Öle, Salben und Kräuter.

„Hebt es für die Krieger auf“, meinte ich schwach, als er mit einer Salbe und verschiedenen Kräutern auf mich zukam.

„Meine Anweisung ist es, Euch zu heilen. Euch die Schmerzen zu nehmen und die Wunden zu versorgen.“

„Mir geht es gut.“ Eine Lüge. – Doch ich wollte nicht behandelt werden.

„Euch geht es nicht gut.“ Der Heiler war bei mir angekommen und hob mich von dem Pferderücken. „Ich mache das nicht nur, weil ich den Befehlen meines Prinzen Folge zu leisten habe, sondern weil ich ein Heiler bin.“

Ohne mein Einverständnis kümmerte er sich um mein verletztes Auge. Er zog mein Lid nach oben und vergewisserte sich, dass meinem Auge nichts passiert war und ich noch genauso gut sehen konnte, wie mit meinem anderen. Das hätte ich ihm auch sagen können, doch er hatte mich nicht danach gefragt. Er wollte so vieles von mir wissen, zum Beispiel, wo ich Schmerzen hatte. Doch ich sagte nichts. Er musste mich nicht versorgen. Ich hielt die Schmerzen aus. Ich hielt alles aus, solange Robin am Leben blieb.

Die Männer hatte ein kleines Lager errichtet. Bettfelle wurden ausgebreitet und ein Feuer wurde angezündet. Wir waren dicht neben dem Wald und einer der jungen Krieger war für kurze Zeit verschwunden und danach mit einem erlegten hasenähnlichen Tier zurückgekommen. Ich hatte dieses Tier noch nie gesehen, aber es dürfte sich oft in dieser Gegend aufhalten. Zumindest hatte ich dies gehört und gelesen. Es handelte sich um einen Nanuk – sein Fleisch war wohl zarter als dies eines herkömmlichen Hasen, und er war von der Fellfarbe her stets schwarz. Außerdem besaß er spitze Zähne, mit denen er sich gut verteidigen konnte.

Gegen meinen Willen war ich eingeschlafen und schrak mitten in der Nacht hoch. Ich konnte mich nicht an meinen Traum erinnern, doch ein grauenvoller Gestank lag mir in der Nase. Die drei Männer schienen es ebenso mitbekommen zu haben, denn sie waren wachsam.

Ich stand auf und hoffte, dass ich mich irrte. Doch dieser Verwesungsgeruch wollte nicht weiterziehen. Meine Augen suchten die Dunkelheit ab und versuchten, etwas zu erkennen. Einer der jungen Krieger stellte sich neben mich und hatte sein Schwert gezogen. Ich sah, dass seine Hand leicht zitterte. Er war noch jung – sehr jung. Hatte er schon gelernt, wie man richtig kämpfte?

Blutrote Augen traten aus dem Schatten der Nacht hervor. Nun zog auch der Heiler sein Schwert und sog scharf die Luft ein. So ein Wesen hatte noch keiner der drei Männer je zu Gesicht bekommen.

Die Seelenstehler verhielten sich anders als die letzten Male. Sie griffen nicht sofort an, sondern sie verhielten sich ruhig und kamen gelassen auf uns zu. Der größere der beiden ließ mich nicht aus den Augen und so blieben sie einige Meter vor uns stehen.

Meisterin. Eine Stimme in meinem Kopf. Ein Zischen, wie das einer Schlange. Ich hob eine Augenbraue, blickte hastig zu einem der Männer, doch sie schienen es nicht gehört zu haben.

Meisterin. Abermals diese Stimme. Sie musste von den Seelenstehlern kommen. Mein Herz schlug schneller. Mein Puls raste.

Könnt ihr meine Gedanken lesen? Ein absurder Gedanke, doch dieser schoss mir abrupt durch den Kopf.

Ja – Sind diese Männer eine Bedrohung?

„Nein!“ Ich hatte es laut ausgesprochen und schaute zu dem Heiler, welcher fragend die Augenbrauen hob. „Könnt Ihr sie nicht verstehen?“

Die drei Männer schüttelten die Köpfe. Bei dem jungen Krieger neben mir konnte ich sogar die Angst aus dem Gesicht herauslesen. Deswegen versuchte ich wieder, in meinen Gedanken, mit den Wesen zu kommunizieren.

Verfolgt ihr mich?

Meisterin. Das war alles was sie antworteten. Ich war ihre Meisterin? Wie war das möglich? Sie mussten sich irren. Ich war keine dunkle Hexe und wusste nicht, wie man Magie praktizierte. Meine Mutter war bestimmt keine Heilhexe und mein Vater kein Magier.

Ihr seid unsere Meisterin. Ihr seid eine dunkle Hexe. Meisterin! Die Stimmen zischten in meinem Kopf. Das waren unmögliche Gedanken.

Nur unsere Meisterin kann unsere Stimmen hören. Nur von ihr lassen wir uns Befehle erteilen. Nur von ihr können wir die Gefühle lesen und herausfiltern. Meisterin!

Ich trat einen Schritt nach vorn, doch der junge Krieger hielt mich am Arm zurück.

„Bleibt hier, meine Prinzessin.“ In seiner Stimme konnte ich das Flehen hören.

„Sie werden uns nichts tun“, sagte ich. Mehr auch zu mir selbst, um mir Mut zu machen. Doch die Vision, die ich dank dem Pilzbären hatte, machte mich furchtlos. Die Seelenstehler schienen nicht böse zu sein und hatten mir noch keinen Grund gegeben, vor Angst zu erzittern. Zumindest nicht mir gegenüber.

Wie heißt ihr? Ich wollte mich vergewissern. Denn in meiner Vision hatten die beiden Seelenstehler Namen gehabt. Doch da waren beide ausgewachsen gewesen – nun aber war einer der beiden etwas kleiner als der andere.

Serafina, Meisterin! Der kleinere Seelenstehler beugte den Kopf und blickte mich danach wieder mit ihren blutroten Augen an.

Erlinda, Meisterin. Der größere Seelenstehler trat einen Schritt auf mich zu und betrachtete mich genau. Habt Ihr eine Aufgabe für uns? Sollen wir Euch hier verteidigen, oder könnt Ihr uns anderswo mehr gebrauchen? Die drei Männer werden Euch beschützen, da bin ich sicher, auch wenn sie zittern, als wären wir ein schlimmer Albtraum und sie noch kleine Kinder!

Mir war nicht klar gewesen, dass man sich mit einem Seelenstehler derart ausgezeichnet unterhalten konnte und, dass sie so etwas wie Hohn in ihre gedanklichen Reden miteinbinden konnten.

„Helft Robin von Schwarzenburg und seinen Männern. Lasst sie nicht sterben. Lasst ihn nicht sterben. Ich wäre euch zu tausend Dank verpflichtet.“

Ohne mir eine Antwort zu geben, kehrten mir die Seelenstehler den Rücken zu, stießen ein ohrenbetäubend lautes Brüllen aus und verschwanden in der Dunkelheit. Ich hielt den Atem an und wagte es nicht, mich zu bewegen.

Als die Seelenstehler fort waren, kam wieder Leben in den jungen Krieger neben mir, indem er sich umherwarf, auf die Knie fiel und sich übergeben musste. Während unseres Gesprächs war mir der Geruch nicht mehr so schlimm erschienen, wie er vermutlich sein musste. Denn auch der Heiler verzog die Nase und wechselte mit dem anderen Krieger einen hastigen Blick, welcher mir nicht entgangen war.

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