~ 23 ~
Robin von Schwarzenburg hatte die halbe Nacht damit verbracht, Olivia beim Schlafen zuzusehen. Nachdem sie sich vereint hatten, fühlte er sich besser denn je. Wann hatte er sich das letzte Mal so gut und gleichzeitig so verloren gefühlt? Er wollte Olivia nicht verlassen, doch er musste es tun. Hier ging es mehr als nur um ein blödes Stück Land. Wenn es nur darum gehen würde, dann könnte er gut darauf verzichten.
Seufzend stand er von seinem weichen Bett auf und zog sich an. Er musste zu den Männern, sie verließen sich auf ihn.
„Habt Ihr sie gut zu Bett gebracht?" Simon Reichenstein feixte und bekam deswegen einen Schlag gegen die Schulter.
„Ich würde Euch raten leise zu sein." Dabei konnte er sein Lächeln aber nicht verbergen.
„Diese Frau." Simon Reichenstein lachte, wurde dann aber wieder ernst. „Die Männer erwarten Euch. Die meisten von ihnen haben sich heute Nacht noch von ihren Familien verabschiedet. Der Rest tut was Ihr ihnen befohlen habt und passt auf das Dorf auf. Einige Wachen haben sich freiwillig gemeldet, mit uns in die Schlacht zu ziehen, andere wiederum bleiben hier und beschützen den König, die Königin und selbstverständlich Eure Gemahlin. Sie werden die Burg mit allem verteidigen, was sie haben. Es sind auch genügend Vorräte vorhanden, sollte es zu einer Belagerung kommen."
Dankend nickte Robin seinem ersten Heerführer zu und sie begaben sich beide zu den Pferden. Robin verlangte von den Stallburschen zu erfahren, welche Tiere reitbar waren und welche nicht mehr oder noch nicht für so einen langen Ritt zumutbar waren.
Wenig später, als er zur Burg zurückkam, standen seine Mutter und Oliva vor dem Tor. Seine Gemahlin sah müde von der langen Nacht aus, doch er versuchte sich genau dieses Bild einzuprägen. Er wollte sie genau so in Erinnerung behalten.
Als er bei den beiden wichtigsten Frauen in seinem Leben angekommen war, lächelte ihm seine Mutter aufmunternd zu. „Mein Sohn, du wirst es ihnen zeigen. Ich weiß, dass du es schaffen kannst und ich bin unglaublich stolz auf dich. Pass auf dich auf." Die Königin von Schwarzenburg gab ihrem Sohn einen langen Kuss auf die Stirn, bis sie sich abwandte und in der Burg verschwand. Robin wusste, dass sie solche Abschiede nie gut verkraftete. Er wusste, dass sie Angst hatte und er wusste, wie gut gelaunt sie stets war, wenn er wieder nach Hause zurückkehrte.
„Liebste." Robin von Schwarzenburg stand nun seiner Gemahlin gegenüber. „Ich werde wiederkommen." Er gab ihr einen Kuss auf den Haaransatz und schaute sie an. Ihre Augen glänzten, so, als müsste sie sich zusammennehmen um nicht loszuheulen.
„Ich werde die Tage bis zu Eurer Rückkehr zählen", flüsterte sie und schlang ihre zierlichen Arme um seinen Oberkörper. Der Prinz erwiderte ihre Umarmung und so standen sie für einige Minuten schweigend da. Robin genoss den schlanken Körper seiner Gemahlin und er sog den betörenden Duft von ihr ein letztes Mal ein, bevor er es für eine sehr lange Zeit nicht tun konnte. Widerwillig befreite er sich von dieser Umarmung und küsste sie sanft ein letztes Mal auf den Mund.
„Passt auf Euch auf, meine Liebste."
„Ihr bitte auch!" Olivias zarte Finger streiften über seine Wange, bis er sich umdrehte und zu seinen Männern ging.
Ein Abschied war beiden noch nie so schwergefallen.
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Die Soldaten der Familie von Eisenbach wachten zwischen den Bäumen und betrachteten die vielen Rösser mit ihren Reitern, welche nur hunderte Meter von ihnen entfernt über die Felder ritten.
Die Sonne war am Aufgehen und strahlte mit aller Kraft. Heute würde ein warmer Tag werden, das war sicher.
„Wir warten, bis es dunkel wird." Friedrich von Eisenbach drehte sich zu seinen Soldaten um. „Dann, erst dann, holen wir uns die Prinzessin." Das mörderische Lächeln, welches seine Lippen zierte, ließ sich nicht verbergen.
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Lange stand ich unter dem Burgtor und hatte den Männern zugesehen, bis sie aus meinem Sichtfeld verschwunden waren. Selbst als ich sie schon lange nicht mehr sehen konnte, rührte ich mich nicht vom Fleck.
Die Sonne strahlte schon mit voller Kraft und ich fragte mich, wie die Königin dies stets ausgehalten hatte. Was würde ich tun, wenn ich einmal Kinder hatte? Würde ich mich jedes Mal so fühlen, wie ich es nun tat?
„Meine Prinzessin." Clementia gesellte sich zu mir und blickte in die Ferne. „Er wird wiederkommen. Er kam bis jetzt immer zurück."
„Ich danke Euch für Euren guten Zuspruch. Dennoch bin ich sehr besorgt um ihn." Zum ersten Mal seit Stunden wandte ich meinen Blick der langen Felder und Wälder ab und betrachtete meine Zofe.
„Ich kann nicht sagen, dass ich dieses Gefühl kenne, da es nicht der Wahrheit entsprechen würde, aber ich kann Euch sagen, dass er stark ist. Nicht nur körperlich, sondern auch innerlich, das wisst Ihr. Er weiß was er tut und außerdem hat er Simon Reichenstein an seiner Seite, welcher besser auf ihn Acht geben kann, als es ein Gott jemals könnte."
Mir entkam ein leichtes Lächeln und ich nickte Clementia dankend zu. Ein letztes Mal schaute ich in die Ferne und würde es von nun an jeden Tag tun. Mein größter Wunsch war es, dass er wieder zu mir zurückkam. Den Kloß, der sich gebildet hatte, versuchte ich zu ignorieren. Ich musste stark sein, genauso wie es auch mein Gemahl sein musste. Ich wusste, dass er nicht gerne in die Schlacht zog, er hatte mir zwar noch nie von Mirofeld erzählt, doch ich ahnte, dass nicht alles was sich herumsprach, auch der Wahrheit entsprach.
„Lasst uns Goldie besuchen", meinte ich, um mich abzulenken. Clementia folgte mir, denn sie wollte mich dem Anschein nach nicht allein lassen.
Wir hatten das Stallgebäude erreicht, welches noch nie so leer gewesen war. Die meisten Pferde waren weg und ritten Richtung Eisenbach. Doch ein paar wenige durften hierbleiben, darunter auch die beiden Jährlinge Krümel und Santos. Ich streichelte deren Kopf und Krümel stupste mich mit seinen Nüstern an.
„Das sind zwei wunderschöne Pferde. Denkt Ihr, ich kann sie angreifen?", fragte Clementia.
„Sie beißen nicht." Grinsend betrachtete ich meine Zofe, wie sie zaghaft eine Hand austreckte und einmal rasch über Santos Nasenrücken strich.
„Streichelt sie unter der Mähne. Dann könnt Ihr auch ihr weiches Fell spüren." Der Herbst mit seinen bunten Farben veränderte nicht nur die Umgebung, sondern auch das kurze Fell der Tiere. Auch sie bereiteten sich auf den Winter vor und wurden immer plüschiger.
Als ich Goldie erreichte, musste ich feststellen, dass sie bereits auf das Winterfell gewechselt hatte. Ältere Pferde waren mit den langen Haaren einfach schneller dran, das war mir auch in Bell schon öfter aufgefallen. Doch wenn in Bell ein Pferd zu alt wurde, hatte es ohnehin nicht lange gedauert, bis es beim Schlächter gelandet war.
„Streichelt Goldie. Bei ihr braucht Ihr Euch nicht zu fürchten", meinte ich zu Clementia, die zaghaft die ältere Stute berührte. Sie fuhr über ihre Nüstern und lächelte dabei.
„Ich fand es sehr faszinierend, als Ihr der Stute den Sattel aufgelegt habt." Clementias Augen leuchteten, als sie sich an diesen Augenblick zurückerinnerte. „Das war einer dieser Momente, wo ich mir stark vorgekommen bin. So, als müssten wir Frauen nicht immer unterwürfig leben. Es hat mir Hoffnung gegeben", seufzte sie und verstummte. Anscheinend wurde ihr jetzt erst klar, dass sie es laut ausgesprochen hatte.
„Ihr habt Recht, wir müssen nicht immer so leben. Eines Tages werdet auch Ihr jemanden an Eurer Seite finden, der selbst vor Euren kurzen Haaren nicht zurückschreckt. Ihr habt zwar nichts, was Ihr einem Mann an Reichtum bieten könntet, doch Ihr seid meine Zofe, was Euch die Aufmerksamkeit vieler junger Männer schenkt." Ich erfreute mich darüber, dass ich Clementia ein echtes Lächeln entlocken konnte und streichelte Goldie weiter.
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Langsam brach die Nacht herein, doch ich hatte die Königin seit dem Aufbruch ihres Sohnes nicht mehr gesehen. Vermutlich hat sie die Zeit bei dem König verbracht, welcher von Tag zu Tag schwächer wurde.
Mein Wache nickte mir zu, als ich in das Zimmer meines Gemahls ging. Ich legte mich ins Bett und sog den Duft von Robin ein. Bald schon würde der Geruch verschwunden sein und Robin würde nur noch eine Erinnerung sein. Ich hoffte so sehr, dass er wieder zurückkommen würde, doch bei der Familie von Eisenbach hatte ich ein schlechtes Gefühl. Sie waren nicht wie die anderen Familien, sie waren schlimmer. Hätte mich mein Vater mit dem Prinzen von Eisenbach vermählt, dann war ich mir nicht sicher, ob ich heute noch leben würde. Robin war so anders, als ich es mir jemals gedacht hätte. Vielleicht war auch Friedrich von Eisenbach anders, wer wusste das schon. Immerhin handelte er auch im Namen seines Vaters.
Ich trug noch mein langes grünes Kleid, als ich ein seltsames Geräusch vernahm. Ruckartig setzte ich mich auf und ließ die Füße über die Bettkante baumeln. Es klang beinahe so, als wäre ... meine Tür wurde aufgeschlagen und ein mir fremder Mann stand im Türrahmen.
Sein Ausdruck im Gesicht ließ keine Freundlichkeit vermuten und mit einem Mal hatte ich alles vergessen, was mir Simon Reichenstein gelehrt hatte. Das Gefühl der Angst siegte und ich wusste, dass weder Robin noch der erste Heerführer in der Burg waren, um mir zu helfen.
Der Mann war viel schneller an meiner Seite gewesen, als mir lieb war. Grob packte er mich an meinem Oberarm und zog mich hoch. Auf seiner Kleidung zierte das Wappen der Familie von Eisenbach und in mir stieg Panik auf. Zeige deinem Gegner nicht, dass du Angst hast. Meine innere Stimme versuchte sich an alles zu erinnern, doch mein Gehirn benahm sich wie ein Schwamm. Ich schlug um mich, wie ein zum Tode verurteiltes Lamm, doch es führte nur dazu, dass sich der Griff um meinen Arm festigte.
Meine Furcht wurde nicht kleiner, als ich meinen treuen Wachen tot vor meiner Zimmertür fand. Der Schrei blieb mir in der Kehle stecken, denn ich hatte diesen Mann gern gewonnen. Nun lag er in seinem eigenen Blut und hatte die Augen vor Schreck geöffnet. Diesen Anblick würde ich wohl mein Lebtag nie vergessen.
„Kommt!" Die Stimme des Mannes klang rau und unfreundlich. Er trug einen Bart und war mittleren Alters. Ich hatte ihn am Abend zuvor nicht gesehen, was hieß, dass der Prinz von Eisenbach noch mehr Männern mitgebracht hatte und diese in der Zwischenzeit versteckt gehalten hatte.
Der Tumult hatte erst begonnen, denn Wachen liefen aufgeregt hin und her, wollten zu mir durchdringen und mich beschützen, doch von irgendwo her kamen ständig neue Männer der Eisenbachs. Sie überrumpelten uns in unserer eigenen Burg. Wie konnte das bloß passieren? Wir hatten Schützen an den Burgtürmen aufgestellt und ich hörte, wie die großen Schleudern benutzt wurden. Ich war am Verzweifeln. Der Griff um meinen Arm wurde immer fester und wenn er mich nicht bald loslassen würde, wusste ich nicht, ob er ihn mir nicht abschnürte.
„Olivia!" Königin Ottilie rief meinen Namen in der Ferne. Ihre Wachen schirmten sie ab und einige versuchten zu mir durchzudringen. Doch es wurden immer mehr Männer um mich und ein weiterer packte mich am anderen Arm. Ich war viel zu benommen, um mich ernsthaft zu wehren. Was ich auch nicht gekonnt hätte, denn ihr Griff war viel stärker als der der Räuber.
Ich sah wie die Wachen weiterhin versuchten zu mir zu kommen. „Beschützt euren König!", rief ich ihnen zu, während ich mich von den Männern der Eisenbachs aus der Burg schleifen ließ. Ich stemmte meine Füße gegen den Boden, doch erzielte dabei wenig Erfolg. Sie hatten es wohl mehr auf mich abgesehen als auf den König. Warum, das wusste ich nicht.
Was ich aber wusste, war, dass ich Angst hatte.
Große Angst.
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