~ 15 ~
Uuund wieder einmal ein etwas längeres Kapitel. Viel Spaß! Und lasst mir doch gerne ein ☆ Sternchen ☆ da.
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Es waren einige Tage seit unserem Ausritt ins Dorf vergangen. Robin bekam ich weiterhin nur selten zu Gesicht, was er den ganzen Tag trieb, wusste ich nicht.
Eines nachmittags stand Clementia in meinem Zimmer. Die Hände hatte sie hinter ihrem Rücken versteckt.
„Bitte seid mir nicht böse“, begann sie.
„Clementia, Ihr beunruhigt mich.“ Ich zog eine Augenbraue hoch und stand von meinem Sessel auf. Dort hatte ich ein Buch gelesen, welches ich mir vor wenigen Tagen aus der Bibliothek geholt hatte.
„Ich habe ein Geschenk für Euch. Auch wenn Ihr mein Geschenk momentan nicht mögen werdet, kann es sein, dass Ihr es eines Tages dennoch benutzt.“ Sie gab ihre Hände nach vor und hatte eine Häkelnadel und zwei Wollknäuel für mich.
„Ich soll häkeln?“, war meine einzige Frage, als ich ihr Geschenk beäugte. Mein Buch legte ich zur Seite und kam auf meine Zofe zu.
„Anfangs habe ich auch alles gehasst, was mich an mein altes Zuhause erinnerte und was ich dort für Pflichten zu erfüllen hatte. Doch heute gäbe ich so einiges dafür, diese Sachen noch ein einziges Mal tun zu können.“
„Ich habe wirklich nicht gern gehäkelt. Wisst Ihr, was ich alles herstellen musste? Ich habe mir sogar ein eigenes Kissen gemacht.“
„Das finde ich beeindruckend.“ Abermals beäugte ich Clementia seltsam. „Wenn man etwas gut kann, dann sollte man es auch weiterverfolgen. Ihr mögt es zwar nicht und vielleicht werdet Ihr es tatsächlich niemals mögen, doch Ihr seid gut darin. Da bin ich mir sicher.“
Clementia streckte mir die beiden Knäuel und die Häkelnadel entgegen und ich nahm sie ihr ab. Sie lächelte dabei, als hätte sie etwas Gutes vollbracht. Ich war mir da bloß noch nicht so sicher. Sollte ich mir ihre Worte zu Herzen nehmen? Doch fürs erste ließ ich es dabei und las in meinem Buch weiter, doch nicht, ohne mich davor noch bei Clementia bedankt zu haben.
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Als der nächste Morgen anbrach, war Robin wieder der erste, der aus dem Bett stieg. Dieses Mal wachte ich allerdings auf, tat aber so, als wäre ich noch im Träumeland.
Robin zog sich an und normalerweise verließ er danach sofort das Zimmer. Doch heute ging er hinüber zu seinem kleinen Tisch und zog die Schublade auf. Ich hatte mir den Tisch noch nie genauer angeschaut, denn er gehörte Robin, zumindest sah ich es so.
Ich hörte, wie er in einem Buch blätterte und danach hörte ich, wie er eine Feder nahm und zu schreiben begann. Ich lauschte dem Geräusch der Feder, welche das Papier berührte und schlief irgendwann aufgrund des monotonen Geräusches wieder ein.
Als ich nach einigen Stunden erwachte, schien bereits die Sonne durch das Fenster. Heute strahlte sie mit so einer intensiven Kraft, dass ich selbst in dem Zimmer ihre Wärme spüren konnte.
Ich schwang meine Beine über das Bett und kleidete mich an. Clementia kam wenig später in mein Zimmer und machte mir die Haare schön. Danach gingen wir gemeinsam in den Speisesaal, wo nur noch die Königin zu sehen war.
„Guten Morgen“, wünschte ich, als ich mich zu ihr gesellte.
Doch die Königin rümpfte heute nur die Nase und aß ihr Frühstück stumm weiter.
„Isst Robin heute nichts?“, wagte ich erneut.
„Er war schon vor Stunden hier. Ihr habt heute sehr lange geschlafen“, meinte die Königin nun doch und zog eine Augenbraue nach oben. Doch ich zuckte nur mit den Schultern und aß ebenso mein Frühstück. Dies war unsere ganze Konversation gewesen, doch mehr wusste ich ohne Robin auch nicht mit seiner Mutter zu reden.
Da ich nichts Besseres zu tun hatte, beschloss ich mit Clementia die Stallungen aufzusuchen und streichelte Goldie. Ich besuchte sie beinahe jeden zweiten Tag, doch geritten hatte ich sie seither kein weiteres Mal. So wie die letzten Male auch schon, war Robin heute nicht hier. Feuerherz hingegen war auswärts, vielleicht also war er mit seinem Pferd ausreiten gegangen.
Leider wusste ich noch immer sehr wenig über meinen Gemahl, obwohl ich mir manches Mal dachte, dass ich schlauer aus ihm wurde. Doch dann gab es wieder diese Tage, an denen ich unsicher war und überhaupt nichts zu wissen schien.
Ich streichelte Goldie, als ein Stalljunge zu mir kam. Er musste gut sechzehn Winter hinter sich haben.
„Meine Prinzessin.“ Er verbeugte sich vor mir und lächelte Clementia an.
„Guten Tag“, begrüßte ich ihn ebenso.
„Ich möchte diese Stute auf die Wiese bringen. Wollt Ihr mich begleiten? Ihr könnt sie vom Zaun aus mit den anderen Pferden beobachten.“
„Gerne.“ Ich schaute Clementia an, welche nur mit den Schultern zuckte.
Der Wache, welcher mir in den Stallungen auf Schritt und Tritt folgen musste, kam natürlich auch mit. Er ließ mich nie aus den Augen, wenn ich zu den Pferden ging. Manchmal kam mir in den Sinn, ob die Familie von Schwarzenburg befürchtete, dass ich fliehen würde. Doch warum sollte ich das? Und überhaupt … wohin?
Clementia und ich setzten uns in das von der Sonne erwärmte Gras – Clementia war meine Angewohnheit sich auf den Boden zu setzen nun schon gewohnt – und genossen die Stille um uns herum. Die Pferde grasten glücklich auf der Wiese und ließen sich von nichts stören, und die Vögel zwitscherten ihr schönstens Lied.
„Wollt Ihr immer noch ein Vogel sein?“, fragte mich meine Zofe flüsternd.
Ich lächelte in mich hinein. „Eigentlich nicht. Ich würde nur gerne ihre Freiheit besitzen. Dorthin fliegen zu können, wo auch immer es mir beliebt, fände ich schön. Ich möchte nicht immer nur in der Burg festsitzen und die Pferde besuchen. Die Welt muss doch noch mehr bieten können.“
„Die Welt einer Prinzessin ist übersäht mit Pflichten.“ Clementia zuckte mit den Schultern. „Eines Tages werdet Ihr eine Königin sein und Eure Kinder großziehen. Ich werde sie dann mit Freuden zu Bett bringen, solltet Ihr einmal wieder eine Nacht mit Eurem Gemahl verbringen wollen“, Clementia kicherte unsicher, als ich miteinfiel.
„Wisst Ihr, der Gedanke einmal Kinder zu haben, ist irgendwie beängstigend. Ich kenne mich mit diesen kleinen Wesen doch gar nicht aus.“
„Ich denke, das tut anfangs niemand. Man muss erst ein Kind bekommen, um sie zu verstehen und um sie lieben zu können.“
„Wolltet Ihr jemals ein Kind haben?“
Meine Zofe schaute traurig zu Boden. „Natürlich habe ich immer von einer eigenen Familie geträumt, doch nun, mit kurzem Haar, werde ich wohl nie wieder diese Chance bekommen. Ich habe keine Eltern mehr, keine Wertgegenstände und könnte meinem Gemahl nichts bieten.“ Sie kräuselte ihre Lippen ineinander und schaute mich an. „Aber nun bin ich an Eurer Seite und wie ich einst schon sagte: Es ist das beste was mir passieren konnte. Ich bin sehr froh darüber.“
Ich lächelte sie zaghaft an, ehe wir wieder den Pferden beim Fressen zusahen. Das hatte etwas Beruhigendes.
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Es wurde schon dunkel und ich hatte von meinem Gemahl den ganzen Tag lang nichts gehört oder gesehen. Langsam machte ich mir Sorgen, denn als es das letzte Mal so eine komische Stimmung in der Burg hatte, hatten uns die Räuber überfallen.
Ich ging in meinem Zimmer auf und ab und konnte nicht stillstehen. Meinen Wachen vor der Tür hatte ich auch schon gefragt, ob er wüsste, wo Robin sei, doch dieser konnte mir keine Auskunft geben. Genauso wenig wusste ich, wo der erste Heerführer war und dass die beiden unauffindbar für mich waren, beschlich mich mit einem mulmigen Gefühl.
Meine Augen wanderten im Zimmer umher, bis sie schließlich an dem Tisch stehen blieben. Heute Morgen hatte mein Gemahl etwas geschrieben und ein Buch geöffnet. Vielleicht war es ein Tagebuch? Doch dann würde er es nicht frei zugänglich in einer Schublade lassen, dachte ich. Deswegen ging ich auf den Tisch zu und öffnete die erste Lade. Darin fand ich tatsächlich ein Buch.
Die Legende des Schwarzenburg Wolfes. Ich schluckte schwer, als ich das Buch in meine Hände nahm und es auf den Tisch legte. Dass ich es genau hier finden würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Warum hatte es Robin an sich genommen? Wollte er etwa nicht, dass ich solch schaurige Geschichten las?
Ich schlug die erste Seite auf und las das, was ich ohnehin schon einmal gelesen hatte. Der Schwarzenburg Wolf schien einer von uns zu sein – ein Mensch. Doch wie war das möglich? Waren all die Geschichten, Mythen und Legenden wahr? Konnte es sein, dass es diesen Wolf auch heute noch gab und es nicht nur Erzähltes von den Alten war? Doch wenn es den Schwarzenburg Wolf geben sollte, dann mussten auch die anderen Geschichten stimmen. Ich griff mir an den Kopf, denn dieser begann wehzutun. Wieso zerbrach ich mir den Kopf über so einen Wolf? Warum las ich dieses Buch überhaupt?
Ich wusste keine Antwort darauf, erst als ich die letzten geschriebenen Seiten aufschlug. Die Schrift war ident mit der der vorigen Seiten, doch die Farbe war frisch und roch noch nach Tinte. Mit meinem Zeigefinger fuhr ich sanft darüber und konnte die leichte Feuchtigkeit noch spüren. Hatte mein Gemahl dies geschrieben? Ich flog mit den Augen über die Zeilen, über Worte und Sätze die beinahe schon verzweifelt klangen.
Wie kann man jemandem erklären, wer oder was man ist, wenn man es nicht tun soll? Wie kann man damit leben, es diesem jemand nicht zu sagen, obwohl man danach lechzt. Oder vielleicht ist es auch nur der Wolf, der danach lechzt?
Wie kann man nicht gehasst werden, wenn man sich selbst dafür hasst, wer oder was man ist? Wie kann man einen Fluch rückgängig machen, der vor abertausenden von Jahren ausgesprochen wurde? Geht dies überhaupt? Hat der Wolf das denn verdient?
Wie kann man damit leben, wer oder was man ist, wenn man daran zweifelt, jemals richtig leben zu können? Wie kann man damit umgehen zu wissen, dass die Kinder, die man haben wird, das gleiche Schicksal treffen wird? Wie kann man das mit sich vereinbaren?
Wie kann man Vollmond um Vollmond ein Zimmer aufsuchen, in dem niemand ist und sich dort verstecken, nur um die Verwandlung hinter sich zu bringen und danach wieder auf den nächsten Vollmond zu warten? Wie kann man nur so eingesperrt sein? So machtlos, wo man doch so viel Macht besitzt. Wie kann man jemals richtig damit leben?
Der Wolf will frei sein, er will laufen, er will töten, er will lauschen, er will jagen, er will die Freiheit spüren. Sie riechen. Sie schmecken. Sie sehen. Sie hören. Sie fühlen. Er will mit der Freiheit eins sein. Er will sich nicht immer verstecken müssen. Er will nicht immer eingesperrt sein. Er will zu seinem Rudel, und sein Rudel will zu ihm.
Wird er jemals richtig leben können?
Ich legte das Buch zur Seite und schluckte. Wenn das von Robin geschrieben wurde, dann sprach die pure Verzweiflung aus ihm. Doch wie hätte er das schreiben können – er war kein Wolf. Das hätte ich mitbekommen – oder?
Meine Beine trugen mich wie von selbst zu unserem Fenster. Ich stellte mich davor und schaute hinaus in die klare Nacht. Es war hell – das war dem Vollmond zu verdanken.
Zitternd atmete ich die Luft ein und aus, ehe mein Gehirn realisierte, dass heute Vollmond war. Das letzte Mal an Vollmond war die Königin genauso unausstehlich gewesen, ebenso wie Robin, ehe er mich gerettet hatte. Doch danach war er für eine längere Zeit verschwunden gewesen.
Entschlossen Robin zu finden, öffnete ich die Zimmertür. Mein Wachmann blickte mich erstaunt an, als hätte er nicht damit gerechnet, dass ich zu so später Stunde noch einmal aus dem Zimmer trat.
„Kann ich Euch behilflich sein, meine Prinzessin?“, wollte der Wache von mir wissen.
„Wenn Ihr mir nicht sagen könnt, wo mein Gemahl ist, dann werdet Ihr mir nicht von großer Hilfe sein. Ich werde ihn suchen.“
„Soll ich Euch begleiten, meine Prinzessin?“
„Danke, ich komme allein zurecht.“ Ich nickte dem Wachen zu, ehe ich durch die Burggänge ging. Es war finster und kaum eine Fackel beleuchtete die Wände. Ab und an, wenn ich an einem Fenster vorbeiging, erhellte der Mond meinen Weg.
Ich ging die Treppen nach unten und lugte in jenen Saal, in welchem Robin und der erste Heerführer stets miteinander kämpften. Doch dort war niemand zu sehen.
Nervös ging ich weiter und versuchte mich leise fortzubewegen. Mein Herz schlug sehr schnell, doch ich hoffte, dass ich mich irrte. Robin war bestimmt kein Wolf, das waren Erzählungen, die man für seine Kindern vor dem Schlafengehen erfand. Bestimmt war nichts Wahres daran. Vielleicht war Robin auch wieder ins Bordell gegangen. Verübeln konnte ich es ihm nicht, immerhin hatten wir kein weiteres Mal miteinander geschlafen, und dass, obwohl wir seither jede Nacht nebeneinander schliefen.
Vor der Bibliothek konnte ich einen Wachen ausmachen, deswegen ging ich auf ihn zu. Eventuell wusste er, wo Robin war. Doch je näher ich dem Wachmann kam, desto mehr wurde mir bewusst, dass es sich um den ersten Heerführer handelte. Bevor ich allerdings kehrtmachen konnte, hatte er mich schon erkannt.
„Meine Prinzessin.“ Er nickte mir zu. „Was macht ihr so spät noch hier? Wolltet Ihr etwa um diese Uhrzeit noch lesen?“
„Um ehrlich zu sein suche ich meinen Gemahl.“ Ich klang mutiger, als ich es war. Allein in der Gegenwart von Simon Reichenstein zu sein, beschlich mich mit einem mulmigen Gefühl. Auch über ihn hatte ich so manche Geschichte gehört, die mir Angst einjagte.
„Ihr gedenkt ihn hier zu finden?“ Fragend hob er eine Augenbraue und kam einen Schritt auf mich zu. Einen Schritt, welchen ich zurückwich. Verflucht, ich sollte keine Angst zeigen.
„Nein. Ja. Nein.“ Meiner Antwort zufolge hatte ich keine Ahnung was ich hier eigentlich tat und der Heerführer schien das zu merken.
„Ihr solltet schlafen gehen. Euer Gemahl wird bestimmt bald zu Euch stoßen.“
„Zuerst möchte ich aber noch in die Bibliothek.“
„Es tut mir leid, nachts ist Euch der Zutritt verboten.“
„Ach, und Ihr bewacht die Bibliothek Nacht um Nacht?“ Nun hob ich eine Augenbraue und fragte mich erneut, was ich hier eigentlich tat. Ich sollte dem Heerführer Folge leisten und in mein Zimmer zurückkehren. Was ich nicht tun sollte, ist nachts vor ihm zu stehen und mit ihm darüber zu diskutieren, ob ich in die Bibliothek durfte oder nicht.
Der erste Heerführer grinste mich an und schüttelte leicht den Kopf. „Nein, nur heute.“
„Dann darf ich also nachts immer in die Bibliothek, nur bei Vollmond nicht. Habe ich das richtig verstanden?“
„So in etwa.“ Der Heerführer betrachtete mich seltsam und kam einen weiteren Schritt auf mich zu. Dieses Mal blieb ich standhaft und schaute in seine Augen. Ich wandte den Kopf nicht von seinen grünlichen Augen, welche goldene Sprenkel zu besitzen schienen. Auch sein Augenpaar schien mir faszinierend. Doch ich musste mich auf etwas anderes konzentrieren – nämlich, wie ich in die Bibliothek kam.
„Mein Gemahl ist also in der Bibliothek. Ansonsten würdet Ihr sie nicht bewachen. Lasst Ihr niemals jemanden durch?“
„Es kommt niemand durch. Auch nicht die Prinzessin von Schwarzenburg.“
„Warum nicht? Weil er gefährlich werden könnte?“
„Er würde Euch niemals etwas tun.“
„Dann lasst mich rein.“
„Nein.“
„Doch.“
„Nein“, jetzt knurrte er das Wort und kam erneut einen Schritt auf mich zu. „Meine Geduld ist besser nicht auf die Folter zu spannen. Ihr geht jetzt.“
„Ist er ein Wolf?“, entkam es mir verzweifelt. All meine Hoffnung hing an diesem einen Satz, welchen ich niemals zu sagen gedacht hätte.
Danach war es still.
Simon Reichenstein richtete sich auf und schloss die Augen für einen kurzen Moment. Dann kam er so dicht an mich ran, dass ich beinahe schon Angst bekam, hätte er mir nicht ins Ohr geflüstert: „Wenn Ihr noch lauter sprecht, reißt er mir die Kehle raus. Solltet Ihr tatsächlich keine Angst haben, dann bitte, geht hinein!“ Fast schon klang er spöttisch.
Doch ich formte meine Augen zu einem Strich und tat, was er mir erlaubt hatte. Ich öffnete die Tür zur Bibliothek und setzte den ersten Fuß hinein.
Die Bibliothek war dunkel und wurde nur vom Mondlicht erhellt. Als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, wagte ich vorsichtig: „Robin?“ Dabei war mir bewusst, dass ich meinen Gemahl zum ersten Mal mit seinem Vornamen ansprach.
Ich schlich durch die Gänge und berührte zaghaft ein Buchregal. Wenn er hier war, warum verhielt er sich so leise? Mein Blick huschte über meine Schulter, doch Robin war weder vor mir, hinter mir oder neben mir. Das konnte nur bedeuten, dass er auf der anderen Seite des langgezogenen Bücherregals war.
Mit klopfendem Herzen und nicht mehr dazu fähig irgendetwas zu sagen, schritt ich voran. Meine Hände zitterten, als sich meine Finger in meinem Kleid festkrallten.
Was machte ich hier überhaupt? Wenn es Robin gut ging, wäre er bestimmt irgendwann ins Zimmer zurückgekommen. Wenn er ein Mensch war, dann hätte er schon längst auf seinen Namen reagiert. Doch er war bestimmt kein Wolf. Denn wenn das so war, dann wusste ich nicht wie ich auf ihn reagieren sollte. Würde er mich angreifen? Oder wie er geschrieben hatte, mich töten wollen?
Panik stieg langsam in mir auf, je näher ich dem Ende des Bücherregals kam. Ich war keine mutige junge Frau, geschweige denn eine Tapfere. Wieso also machte ich das? Wie es mir schien, wollte ich unbedingt Albträume haben, ansonsten wäre ich zu Bett gegangen und hätte schon seelenruhig geschlafen, ehe mein Gemahl zu mir gekommen wäre.
Ich hatte das Ende des Regals erreicht, blieb aber noch kurz wie angewurzelt stehen. Ich wusste nicht wie viel Zeit inzwischen vergangen war, doch ich wusste, ich konnte meinen Ohren trauen. Und meine Ohren vernahmen ein seltsames Atemgeräusch – eines das definitiv nicht menschlich war.
All den Mut, den ich auffinden konnte, nahm ich zusammen und trat einen großen Schritt hinter dem Regal hervor.
Mein Herz blieb beinahe stehen, als ich den wohl größten Wolf, den ich jemals zu Gesicht bekommen würde, vor mir sah. Er knurrte mich nicht an, noch kam er auf mich zu. Er blieb an dem Punkt stehen, wo er war.
Seine Augen leuchteten silberblau aus seinem Gesicht hervor. Sein Fell war gräulich-schwarz mit einem leichten Blauschimmer. Die Ohren waren seltsam lang und verliefen zu einem spitzen Ende zusammen. Die Schnauze war länglich und die Nase war schwarz. Seine Pfoten waren groß und die Krallen sahen gefährlich aus. Doch der Wolf bewegte sich noch immer keinen Millimeter.
„Würdet Ihr Euch kurz bewegen, damit ich weiß, dass Ihr echt seid?“, fragte ich, in der Hoffnung der Wolf würde mich verstehen. Doch als er sich dann tatsächlich vorwärtsbewegte, wich ich hastig hinter das Bücherregal zurück.
Ich wagte kaum zu atmen. Als ich mich wieder zu dem Wolf wenden wollte, stand er so plötzlich neben mir, dass ich einen Schritt nach hinten stolperte. Ich fiel unsanft zu Boden und schluckte schwer, als mich der große Wolf von oben herab beäugte.
Bei näherem Betrachten konnte ich ein Muster auf seinem Gesicht und seinem Fell erkennen. Doch, ehe ich es mir genauer anschauen konnte, legte sich der Wolf auf den Boden und zeigte mir somit, dass von ihm keine Gefahr ausging.
„Robin, seid Ihr es?“, flüsterte ich mit bebender Stimme. Ein absurder Gedanke … aber …
Der Wolf gab mir kein Zeichen, er legte lediglich seinen Kopf auf seinen Vorderpfoten ab. Von dort aus betrachtete er mich weiter.
Diese eisblauen, bis fast schon silbernen, Augen – ich würde sie überall herauserkennen. Niemand hatte so ein faszinierendes Augenpaar, außer mein Gemahl. Er brauchte mir auf meine Frage nicht mehr zu antworten, denn ich wusste es auch so.
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