9-Wie Melanie alles erfuhr
In diesem Moment hätte ich gerne zu sämtlichen, jemals angebeteten Göttern gebetet und gefleht, dass sie mich bitte einfach im Erdboden versinken liessen. Natürlich taten sie das nicht. Stattdessen prallte ich mit voller Wucht auf Nicks Brust. Er war darauf genauso wenig vorbereitet wie ich und taumelte nach hinten.
Kurz malte ich mir in meinem Kopf schon das Szenario aus, dass wir beide umfielen, ich direkt auf ihn und dass ich dann offiziell vor Scham explodieren würde. Aber soweit kam es glücklicherweise nicht. Dank Nicks Muskeln.
Er schaffte es irgendwie, sich zu fangen und schlang seine Arme um mich. Kurz verharrten wir so, in der Luft schwankend. Dann stabilisierte sich unsere Position. Wie versteinert stand ich da.
Nur mit dem Badetuch bekleidet, mit tropfenden Haaren, die mir am Rücken klebten und seinen Armen, die auf dem Badetuch lagen.
Ich war ihm nahe. Wirklich nahe. Ich sah hoch zu ihm, er sah runter zu mir. Sein Blick flog zwischen meinen Augen und meinen Lippen hin und her. Allein beim Gedanken daran, ihn zu küssen, begann es in meinem Innern zu kribbeln. Verdammt, da war doch was falsch mit mir! Er war vergeben und ich war doch nicht so eine, die sich trotzdem an einen vergebenen Typen ran machte! Offensichtlich schon.
Ich atmete stockend aus, während er mich langsam und fast schon sanft wieder auf die Füsse stellte.
„Wow, du bist echt ganz schön stürmisch." murmelte er scherzhaft, doch ich konnte genau erkennen, dass er nicht wirklich zum scherzen aufgelegt war. Ihn hatte dieser Moment genauso gefangen genommen wie mich. Und das war wirklich besorgniserregend.
Ich zog das Badetuch näher um meinen Körper, als könnte das irgendetwas besser machen.
„Halt dich bloss von mir fern."
Murrte ich dann und reckte das Kinn etwas höher. Oha, wieso hatte ich das denn jetzt gesagt.
Kurz wirkte Nick ebenso überrascht wie ich, dann verzogen sich seine Mundwinkel schelmisch.
„Wieso lässt du dann die Badezimmertür für mich offen?"
Seine Stimme war rau und jagte mir Blitze über den ganzen Körper.
„Pf, die Welt dreht sich nicht bloss um dich, Nick."
Konterte ich genervt. Sein Blick verdunkelte sich schlagartig. Das sah irgendwie heiss aus.
Er hatte die Arme verschränkt, die Muskeln traten leicht unter dem schwarzen, lockeren Shirt hervor, das ihm so hervorragend stand wie alles andere, was er trug. Er könnte in einem Abfallsack auftauchen und trotzdem noch aussehen wie...
„Heisst das, die Einladung war für jemand anderen?"
Meine Augen wurden gross. Störte ihn das etwa? Oder bildete ich es mir nur ein. Nein, es schien ihm eindeutig nicht zu gefallen. Sonst würde seine Kiefermuskultatur nicht so heraus treten.
„Nein du Idiot, das Schloss ist einfach kaputt. Das müsst ihr dringend mal reparieren."
Und da war es wieder, dieses süsse, verschmitzte Grinsen.
„Ach ja?"
Ich atmete tief ein und beschloss, diesem Spuk ein Ende zu setzen.
„Ja. Und jetzt lass mich vorbei."
„Warte."
Er berührte mich am Arm und sofort breitete sich eine unglaubliche Hitze in mir aus. Was lief nur falsch mit mir? Er war vergeben, verdammt nochmals. Und ich fand ihn ja auch ziemlich unausstehlich.
„Was? Noch ein dummer Kommentar über diese Türe und ich werde dir sowas von in den Arsch treten."
Er hob geschlagen die Hände und trat von einem Fuss auf den anderen.
„Nein, keine Sorge. Ich wollte nur wissen...wie es dir geht?"
Ich verzog die Lippen. Aha. Okay.
„Mir geht es gut, keine Sorge."
„Deine Kräfte werden nach und nach zurück kommen."
Ich blitzte ihn an.
„Ich sagte doch, mir geht es gut. Und jetzt lass mich in Ruhe!"
Zischte ich und wandte mich der Türe zu.
Hinter mir hörte ich noch, wie Nick fluchte: „Scheiss drauf."
Dann wurde ich auch schon umgedreht und an die kalte Badezimmerwand gedrückt.
Die feinen Wassertropfen, die sich an der Wand versammelten berührten meine Haut und ich schauderte.
Dies lag aber hauptsächlich an Nick.
Denn er stand so dicht vor mir, dass seine Jeans gegen mein knappes Badetuch drückte.
Ich schnappte nach Luft. Verdammt, er war mir so nahe, dass ich beinahe durchdrehte.
„Was machst du mit mir, Alana."
Knurrte Nick leise und sein Gesicht schwebte so dicht vor meinem, dass ich seinen Atem auf meinen Lippen spüren konnte.
Die ganze Luft um mich roch plötzlich nicht mehr nach meinem Shampoo, sondern nach Nick. Und er roch unglaublich gut.
„Was...was soll das. Wieso machst du das."
Flüsterte ich, während er langsam seine Hand entlang meiner Wange gleiten liess und sie in meinen nassen Haaren vergrub. Scheisse, wie ich das liebte.
„Keine Ahnung. Ich kann mich einfach nicht beherrschen wenn du..."
Ich schluckte und blickte ihm direkt in die grauen Augen. Ein Gewitter schien darin zu wüten. Ich bildete mir fast schon ein, den Donner zu hören. Aber das war nur mein Herzschlag, der in meinem Kopf pochte.
„Wenn ich was?"
Wisperte ich und spürte, wie er meinen Kopf nach vorne drückte. Und meine Lippen direkt auf seine.
In meinem Bauch zog sich alles zusammen, mein Herz schlug Saltos und ich schloss automatisch die Augen. Nick machte ein kehliges Geräusch, bevor er seine Arme um meine Hüfte schlang und mich nahe an sich heran drückte. Ich legte meine Hände an seine Wangen und intensivierte den Kuss. Ich spürte wie seine Zunge über meine Lippen strich. Ganz leicht. Als würden wir zusammen spielen. Seine Lippen machten süchtig. Noch schlimmer wurde es, als er langsam meinen Hals hinab wanderte und ich bereitwillig den Kopf schief legte. Seine Hand glitt von meiner Schulter über meine Brust und meine Beine gaben nach. Doch Nick hielt mich fest, als wäre ich eine Feder. „Das ist...das ist nicht richtig."
Flüsterte ich und Nick löste sich kurz von mir, um mich anzusehen. Sein Atem ging genauso schnell wie meiner.
„Ich weiss. Aber ich kann nicht anders. Du hast diese Anziehung..."
Ich biss mir auf die Lippen.
Ohja. Die hatte er auch.
„Du spürst es auch. Das sehe ich."
Ich atmete schwach aus, als seine Lippen über meine Strichen. Und wie ich es spürte.
Ich hielt die Augen geschlossen, während er mit den Fingern über meine Schultern fuhr und wartete darauf, dass er mich wieder küsste.
Mein schlechtes Gewissen war stark, aber die unglaubliche Begierde nach Nick war stärker.
Und als er mich wieder küsste, war es um mich geschehen. Er fuhr mit seinen Händen meine Arme entlang und ich genoss die Berührungen. Ich konnte ihn gar nicht nahe genug bei mir haben.
Meine Hände wanderten unter sein Shirt, den Waschbrettbauch entlang und er schauderte. Ich grinste in unseren Kuss hinein. Ich mochte das Gefühl, dass ich so einen Einfluss auf ihn hatte.
Dann waren seine Finger an meinem Badetuch und nach Luft ringend lösten wir uns voneinander.
Er blickte mich fragend an und ich nickte. Noch nie hatte ich ein solches Verlangen gespürt wie heute.
Seine Augen schienen zu glühen und er beugte sich vor, um mich wieder zu küssen.
In diesen Moment bewegte sich etwas in meinen Augenwinkeln.
Ich schreckte hoch. Automatisch stiess ich Nick von mir weg. In einer flüssigen Bewegung stand der schwarzhaarige junge Mann bald zwei Meter von mir entfernt.
Doch es war schon zu spät.
Er hatte die Hand an der Türklinke und bereits einen Fuss im Zimmer.
Simon.
„Oha."
Machte er und sein Blick schweifte immer wieder von mir zu Nick. Die wulstigen Narben meiner Krallen prangten neben seinem linken Auge.
Ich schluckte.
Scheisse.
„Das Schloss ist wohl kaputt."
Stellte er dann fest.
Nick reagierte nicht, sah Simon nur aus gefährlich ruhigen Augen an.
Endlich konnte ich mich zusammen reissen und schob mich mit gesenktem Blick an dem bulligen Mann vorbei. Dann verschwand ich in meinem Zimmer.
Das Herz schlug mir bis zum Hals. Aber nicht wegen meiner wilden Knutscherei mit Nick. Sondern wegen Simon. Wenn es einen Menschen gab, der mich noch mehr hasste als Melanie, dann war er es. Und er hatte gerade gesehen, wir ich Nick geküsst hatte. Das würde er garantiert nicht für sich behalten.
„Scheisse, scheisse, scheisse."
Ich drückte die Hände an den Kopf und liess mich auf mein Bett sinken. Was hatte ich auch erwartet?
Dass ich ungestraft mit einem vergebenem Mann knutschen konnte? Nein, Karma hatte mich eiskalt erwischt. Aber ich hatte doch bereits genug Probleme, was sollte ich nun mit Simon anfangen?
Gar nichts. Ich würde ihn sicher nicht aufsuchen und anbetteln, nichts zu sagen. Dafür war ich zu stolz.
Stolz war keine erstrebenswerte Charaktereigenschaft. Eindeutig nicht. Aber ich konnte mich nicht überwinden, Simon aufzusuchen.
Den ganzen Abend lang tigerte ich im Zimmer herum und sinnierte darüber, was jetzt passieren würde.
Vielleicht wurde ich ja aus dem Rudel geschmissen. Halb so wild, dann würde ich mein Leben endlich wieder selbst leben können. Wieder auf die Uni gehen. Vielleicht war das ja gar nicht so schlecht.
Nein, es war schon schlecht. Meine Selbstbeherrschung und meine Kenntnisse über den Wolf, der ich jetzt war, hielten sich stark in Grenzen. Ich brauchte das Rudel, um wieder richtig auf dir Beine zu kommen.
Apropos Beine.
Meine Beine waren weich wie Butter, als ich die Treppen hinunter lief, um am Abendessen teilzunehmen.
Die Stimmung war gut. Melanie half Nicks Mutter, die Schüsseln mit Salat und Kartoffelstock hinzustellen. Anthony brachte die Klösschen.
Es roch göttlich, aber mir drehte sich fast der Magen um.
Mein Blick traf den von Nick. Er sass bereits mit einigen Jungs am Tisch und wirkte ziemlich angespannt.
Schnell wandte ich den Blick wieder ab und steuerte meinen Platz an.
„Hei du, gehts wieder?"
Fragte Kaya und ich nickte. „Ja, geht schon. Ich habe die ganze Zeit geschlafen."
Sie strich mir beruhigend über den Arm.
„Mach dir keine Sorgen, daran gewöhnt man sich."
Ich lächelte schwach und liess mich an meinem Platz nieder.
Mir gegenüber sass wie immer Simon. Er hatte ein fieses Grinsen auf dem Gesicht und wirkte ziemlich ausgelassen.
Ich sah ihn finster an.
Damian, der wie immer neben mir sass, blickte beunruhigt zwischen uns hin und her und rutschte auf seinem Stuhl hin und her.
„So, heute hat der Alpha höchst persönlich Hand ans Essen gelegt. Also besser keine Beschwerden!"
Scherzte Margrit und als sie lachte, bildeten sich diese feinen Fältchen um ihre Augen, die sie so sympathisch machten.
Einige lachten und Anthony setzte sich grinsend auf seinen Platz. Dabei strich er sich über den dunkeln Bart. Sie waren gut drauf. Fragte sich wie lange noch.
„Melanie..."
Simon sprach sie direkt an.
Mein Herz rutschte mir in die Hose und unter dem Tisch drückte ich die Nägel in meine Handfläche.
„Hm?"
Die angesprochene hob den Kopf von ihrem Teller Salat.
„Magst du mir bitte das Brot hinüber reichen?"
Meinte Simon Seelenruhig.
Mein Herz klopfte bis zum Hals und ich erstach Simon förmlich mit Blicken, als er grinsend den Brotkorb entgegen nahm und sich zwei Stücke auf den Teller legte.
Damian bemerkte, dass ich angespannt war. Doch er fragte nicht nach. Dafür war ich ihm dankbar.
Dann hielt mir Simon den Brotkorb hin. Er sprach laut. Und mein mieses Gefühl wurde noch schlimmer.
„Alana, möchtest du auch etwas Brot?"
Ich starrte ihn an und wäre ihm gerne an die Gurgel gegangen. Am liebsten hätte ich sie ihm heraus gerissen, sodass er nie wieder sprechen konnte.
Aber das nützte nichts. Vielleicht hätte ich ihm zuvorkommen können und es Melanie selbst erzählen können, aber ich war zu feige gewesen. Oder zu stolz. Wie man es nahm.
„Nein, danke."
Meinte ich mit belegter Stimme und er runzelte gespielt erstaunt die Stirn.
„Ach echt nicht? Sonst nimmst du dir doch auch immer gerne etwas davon, was Melanie hat. Nicht wahr?"
Ich biss die Zähne zusammen und spürte, wie meine Handflächen zu surren begannen, so sehr stachen meine Nägel hinein.
„Was meinst du damit?"
Fragte Julian verwirrt und es wurde ruhiger am Tisch.
„Simon, halt die Klappe."
Knurrte Nick. Als ob Simon das beeindrucken würde.
Simon lächelte seelig, während er schwieg und uns alle warten liess. Er genoss es, mich bloss zu stellen. Ich würde ihm auch noch die zweite Wange verkratzen, das schwor ich mir.
„Simon, wie meinst du das? Sag schon. Was ist los?"
Melanie hatte sich etwas über den Tisch vorgebeugt, um ihn besser sehen zu können.
„Es liegt nicht an mir, das zu erzählen. Willst du es ihr nicht selbst sagen, Alana?"
Seine Stimme triefte nur so vor Schadenfreude.
Mir war eiskalt und ich starrte Simon nur schweigend an. Vielleicht sollte ich es tun und wenigstens dazu stehen, was ich Melanie angetan hatte. Doch Nick kam mir zuvor. Seine Miene war finster.
„Es reicht!"
Schnauzte er Simon an und liess sich dann in seine Stuhllehne zurück fallen. Er blickte in die Runde, sah jedoch niemanden wirklich an.
Oh nein, bitte tu es nicht.
„Ich habe Alana geküsst."
Und da war die Bombe geplatzt.
Am Tisch war es totenstill.
Ich spürte die Blicke auf mir und starrte einfach geradeaus auf Simon. Diese Genugtuung würde er nicht lange geniessen können.
Von Melanie kam ein Geräusch, dass ich nicht wirklich einordnen konnte und Anthony rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Stirn. Nur Margrit lächelte. Ich war mir nicht sicher, ob sie vielleicht etwas falsch verstanden hatte. Aber nein, sie lächelte wirklich.
„Du Schlampe! Wie konntest du das tun!"
Kreischte Melanie dann und sprang von ihrem Stuhl auf.
Er knallte gegen die Wand und sie stürmte auf mich zu.
Es war ein Reflex. Blitzschnell war auch ich aufgestanden und war ihrer Hand ausgewichen, die nach mir hieb.
„Es tut mir leid, Melanie. Ich weiss das macht es nicht ungeschehen, aber es tut mir wirklich leid."
Meine Stimme klang stark, zum Glück. Innerlich fühlte ich mich nämlich gerade wie ein Stückchen Elend.
Ich spürte die Blicke der anderen, die meisten verurteilten mich. Mehr als sie es sowieso schon getan hatten.
„Du Hure, ich hasse dich! Du machst hier alles kaputt, du bist das schlimmste was diesem Rudel
Jemals passiert ist!"
Melanie schlug mit den Fäusten nach mir, aber ich wich locker aus. Man merkte, dass sie ein Mensch war.
Es traf mich, was sie sagte, aber sie hatte auch jedes Recht, wütend auf mich zu sein. Also liess ich es ihr durchgehen. Ich hatte etwas schlimmes getan, was keine Frau einer anderen antun sollte.
Und ich musste die Konsequenzen davon jetzt auch tragen.
„Melanie, es reicht jetzt, lass sie doch jetzt mal!"
Kaya und Kia schnappten sich die Arme der tobenden jungen Frau und zogen sie von mir weg.
„Ich hasse dich! Ich wünschte du wärst in diesem
labor verrottet!"
Ich schluckte und schlang die Arme um mich. Das war echt hart.
„Jetzt mal halblang. Es braucht immer zwei für sowas. Wieso siehst du nicht mal deinen Freund an, statt alle Schuld auf Alana zu schieben!"
Meckerte Kaya und Kia hob zustimmend die Brauen.
„Genau! Alana ist ja wohl nicht alleine daran schuld, oder?"
Anthony hatte sich erhoben.
„Hier geht es nicht um Schuld. Hier geht es um ein Privates Problem, das alleine die drei betroffenen angeht. Sie sollten das unter sich selbst ausmachen. Und uns andere das Abendessen geniessen lassen."
Nick sass noch immer in seinem Stuhl und mahlte mit dem Kiefer. Ich sah ihm an, dass er kurz davor war, etwas zu sagen. Aber er tat es doch nicht. So ein Feigling. Ich hasste ihn so sehr in diesel Moment.
Melanie machte sich von den beiden Wölfinnen los und richtete ihre Stola, die sie über ihrem Top trug.
Sie wischte sich die Tränen von der Wange und hob trotzig den Kopf.
„Hure."
Zischte sie mir zu und ich schwieg.
Es klingelte.
Einmal, dann noch einmal.
Alle Blicke gingen zu Anthony.
Dieser legte das Messer langsam nieder und drehte den Kopf.
„Simon", wies er den bulligen Klotz an, der sofort brav zur Türe dackelte.
Irgendwie passte das gerade nicht so. Wer sollte schon bei unserem Haus klingeln, um neun Uhr abends?
Er öffnete die Türe und innert einer Sekunde flog er durch den ganzen Raum.
Er krachte mit voller Wucht gegen den Sessel, der neben dem Kamin stand und kippte ihn um. Er stöhnte.
„Fuck."
Sofort waren die Wölfe auf den Beinen und rannten zur Türe.
Ich folgte ihnen. Ich hatte das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte.
Die anderen traten hinaus ins Freie und ich folgte ihnen.
Jetzt konnte ich sehen, was los war.
Die Einzelläufer waren wieder hier. Dieses mal waren es mehr. Es waren richtig viele. Vielleicht sogar mehr als wir Rudelmitglieder hatten.
Und dieses Mal, war jemand dabei, den ich bisher noch nie gesehen hatte.
Ein gross gewachsener, dürrer Mann. Seine braunen Haaren waren an den Schläfen grau meliert. Er trug einen Anzug, aber einen billigen. Sein Gesicht war an vielen Stellen vernarbt. Es wirkte, als wäre er schon in einige Kämpfe verwickelt gewesen.
Er hob die Arme und lächelte.
„Verzeiht die Störung. Aber es ist wichtig."
Eine ruhige Stimme. Aber sie kratzte in den Ohren. Ich hatte das Gefühl, den Mann zu kennen.
„Ich habe gehört, ihr habt mich als Feige bezeichnet. Also dachte ich, ich statte euch mal höchst persönlich einen Besuch ab."
Sein Lächeln war gefährlich. Und selbstsicher. Das war ein gefährlicher Mann. So viel war klar.
„Ich bin Anthony, der Alpha dieses Rudels. Ich will wissen, was du und dein Gefolge in unserem Revier zu suchen habt."
Der Mann senkte seine schlaksigen Arme, an denen der Saum des Anzugs hinunter hing als würden drei weitere Arme hinein passen. Das Lächeln verschwand ebenfalls.
„Naja, normalerweise begrüsst man seine Gäste zuerst. Aber ich sehe schon, ihr wollt lieber direkt zur Sache kommen."
Anthony nickte und bedeutete den Männern hinter ihm, sich zurück zu halten.
„So ist es. Also sprich, bevor ich dich von diesem Grundstück jage!"
Die Mundwinkel des Mannes zuckten verächtlich.
„Ich bin hier um einzufordern, was mir gehört."
Gierig leckte er sich über die Lippen.
„Und das wäre?"
Anthony zeigte sich unbeeindruckt und hatte sich breit hingestellt. Er wirkte schon ziemlich einschüchternd. Doch dieser andere Alpha, er schien das nicht wahrzunehmen.
„Sie. Ich will sie."
Mit dem langen, knochigen Finger wies er auf mich.
Wenn mir vorher kalt war, als Simon mich und Nick an Melanie verraten hatte, dann war mir jetzt eiskalt.
„Das geht nicht. Alana ist ein Mitglied meines Rudels. Sie wird es nur durch ihren eigenen Willen verlassen. Und das will sie nicht, oder?"
Anthony drehte den Kopf auffordernd zu mir.
Schnell schüttelte ich den Kopf. Ich wusste noch immer nicht, was hier ablief. Den Einzelläufer, den wir eingefangen hatten, hatte mir bereits verkündigt, dass sein Alpha es auf mich abgesehen hatte, aber ich wusste nicht wieso.
„Es geht nicht darum, was sie will. Ich habe einen Anspruch auf sie. Ich habe sie verwandelt."
Meine Augen weiteten sich. Was redete er da für einen Schrott? Der verrückte Doktor war tot. Das war also nicht möglich.
„Was...nein, das ist nicht möglich."
Platzte es aus mir heraus. Der Alpha blickte zu mir und lächelte fein. Es wirkte irgendwie unheimlich.
Dann schloss er kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete, leuchteten sie gelb. Eine gefährliche Farbe.
Ich zuckte zusammen. Jetzt wusste ich es wieder.
„Du...du warst der Wolf, den der Doktor gefangen hielt!"
Er zuckte die Schultern und strich sich über das vernarbte Kinn.
„Ja. Ich bin Zacharia. Nun, der Doc hat mir ganz schön zugerichtet. Das gebe ich zu. Aber dank deinem Rudel bin ich da raus gekommen. Und jetzt will ich dich abholen."
Ich schüttelte den Kopf und machte eine energische Handbewegung.
„Nein, du kannst mich nicht einfach so einfordern. Ich bin kein Gegenstand! Uns selbst wenn, du hast mich nicht verwandelt. Das war eine Spritze, die mir der Doc verpasst hat."
Er legte den Kopf schief.
„Du kannst dir das ruhig einreden. Aber es ist nicht wahr. Ich bin dein Erschaffer und ich lasse nicht zu, dass jemand zwischen uns steht."
Ich verzog das Gesicht. Das konnte doch nicht sein. Dieses...Biest konnte mich unmöglich erschaffen haben. Der Doc hatte doch gesagt, dass diese Methode meistnicht funktionierte. Aber vielleicht hatte er sich auch geirrt. Schliesslich war er vollkommen verrückt gewesen.
Dann blickte ich auf den Einzelläufer neben den Alpha. Es war derjenige, den ich letztens fast aus Wut getötet hätte. Er sah noch immer ziemlich übel aus. Und mir wurde es schlagartig klar.
Meine Hände begannen zu zittern.
Langsam blickte ich wieder zu Zacharia hoch.
„Das warst du, oder? Du hast Lucy getötet."
Wisperte ich und spürte, wie mir das Atmen schwer fiel.
Ich spürte den besorgten Blick von Killian auf mir, der sich neben mir postiert hatte. Genau wie Julian.
„Ja. Sie hätte dich nur verraten. Ich musste dich...uns schützen."
Meine Unterlippe begann zu zittern.
Ich war nicht in der Lage, ihn anzuschreien oder als Mörder zu beschimpfen. Dafür tat es zu weh. Ich stand dem Mörder meiner besten Freundin gegenüber. Und ich wollte ihn umbringen.
„Ganz ruhig."
Hörte ich Killian neben mir flüstern. Kurz berührte er vielsagend meine Schulter. Als wolle er mir signalisieren, dass ich nicht alleine war.
„Dafür wirst du büssen. Ich werde dich umbringen, dafür, was du ihr angetan hast!"
Zischte ich und ballte die Hände zu Fäusten.
Zacharia musterte mich kurz interessiert, dann lachte er. Es klang irgendwie verrückt. Was sollte man auch erwarten, er war vermutlich Monate-, wenn nicht sogar jahrelang in einem Labor eingesperrt und gefoltert worden. Aber das entschuldigte gar nichts.
„Seht sie euch an! Diese Kraft, diese Wut! Sie ist perfekt. Wir werden unaufhaltsam sein, Alana. Du und ich. Als Alpha und Luna."
Ich drohte beinahe zu explodieren.
Was fiel ihm ein, hier aufzutauchen und sowas zu sagen? Seine Zunge sollte ich ihm dafür herausreissen!
„Das kannst du vergessen. Ich bin keine Luna und ich werde niemals mit dir und diesem...Pack mitkommen!"
Schleuderte ich Zacharia ins Gesicht und spuckte vor ihm auf den Boden. Auch wenn er einige Meter von mir weg stand spürte ich trotzdem den Ärger, der auf mich zu rauschte.
„Du bist die stärkste weibliche Wölfin, die mir jemals untergekommen ist. Du wirst mir die Kraft verleihen, ganze Rudel zu unterwerfen."
Abgesehen davon, dass ich zutiefst verletzt und unglaublich wütend war, verstand ich die Welt nicht mehr.
Wie sollte ich ihm zu irgendeiner Art von Macht verhelfen? Ich war nicht die, für die er mich hielt, eindeutig nicht. Und ich wollte es auch nicht sein.
„Egal was du sagst, ich gehöre nicht zu deinen Einzelläufern. Ich habe bereits ein Rudel."
Ich blickte neben mich. Julian nickte grimmig. Er schien wie ich ziemlich bereit zu sein, auf den mageren Alpha loszugehen. Trotz der Neuigkeiten, die er gerade eben erfahren hatte.
„Ach, ehe ich es vergesse. Damian, auch dich habe ich verwandelt. Für dich ist immer Platz in meinem Rudel. Dann, wenn du es satt hast, wie ein wertloser Omega behandelt zu werden."
Zacharia hatte die gelben, stechenden Augen auf Demian gerichtet, der den Kopf zwischen die Schultern gezogen hatte.
Er sah nicht sonderlich begeistert von seinem Angebot aus.
Zacharia seufzte.
„Nungut, überleg es dir."
Dann wandte er sich wieder mir zu.
„Also, komm jetzt."
Ich schnaubte und verschränkte die Arme.
„Ich gehöre dir nicht. Ich bin eine eigene Person, ich treffe meine Entscheidungen selbst."
„Nein, Alana."
Ich zuckte zusammen, als hätte mich jemand geohrfeigt.
Das war Anthony. Hatte er gerade nein gesagt?
Mein Kopf fuhr zu ihm herum. Neben ihm stand Margrit und ein tiefer, trauriger Schatten hatte sich auf ihr Gesicht gelegt. Etwas stimmte hier gewaltig nicht.
„Du musst mit ihm gehen."
Meinte Anthony ruhig.
„Was?"
Flüsterte ich und sah hilfesuchend zu den anderen Rudelmitgliedern.
Ich sah, wie sich mein Alpha quälte. Ich wusste, dass es ihm gar nicht gefiel. Wieso tat er es dann?
Zacharia wirkte zufrieden.
„Was soll das? Du kannst sie ihnen doch nicht einfach aushändigen! Was werden die mit ihr anstellen!"
Rief Killian aus und Anthony bedeutete ihm harsch, zu schweigen.
„Es ist sein Recht. Er hat Alana verwandelt. Die Rudelgesetze besagen, dass er ein Anrecht auf sie hat. Ich kann leider nichts dagegen tun."
Fassungslos starrte ich den Alpha an. Er suchte meinen Blick.
„Es tut mir leid, Alana. Aber sein Anrecht auf dich ist stärker als meines."
Ich öffnete den Mund.
„Dann scheiss auf die Gesetze! Ich entscheide das selbst! Und ich will hier nicht weg! Ich will nicht mit ihm mit!"
Tränen stiegen mir in die Augen. Das konnte doch nicht ihr ernst sein?
Sahen sie denn diese finsteren Gesichter nicht? Alles Männer. Männer mit einem durchgeknallten Anführer. Und denen wollten sie mich einfach so ausliefern? Weil irgend ein Gesetz sowas befahlt?
„Ich kann leider nichts tun. Die Gesetze kann ich nicht brechen."
Anthony nickte Simon schwermütig zu. Er und noch ein Wolf packten mich an den Armen und schleppten mich mit sich. Weg vom Rudel. Auf Zacharia zu, der mit einem breiten Grinsen und irren Leuchten in den Augen auf mich wartete. So schnell ging das also.
„Nein! Lasst mich los!"
Kreischte ich und schlug wie wild um mich. Aber die beiden Männer waren verdammt stark.
„Das kannst du doch nicht tun! Bitte, Anthony!"
Hörte ich Kia panisch flehen, doch der Alpha sagte nichts.
Julian stürzte vor und machte Anstalten, Simon regelrecht anzugreifen. Aber zwei andere versperrten ihm den Weg.
Ich trat Simon ins Schienbein, worauf er laut fluchte. Dann hörte ich ihn neben meinem Ohr sprechen.
„Das hast du verdient."
Meine Sicht verschleierte sich und ich kämpfte gegen die Tränen. Sie sollten meine Angst nicht sehen. Ich hasste sie, hasste sie alle. Dass sie zuliessen, dass Zacharia mich mitnahm.
Sie schleppten mich direkt vor Zacharia. Dabei hielten Simons bullige Hände meinen Arm so fest, dass er taub geworden war. Meine Schuhe waren voller Dreck, den ich aufgefühlt hatte, als ich mich mit den Füssen in den Boden gestemmt hatte. Ich konnte Zacharia riechen. Ein stechender, modriger Geruch. Ekelhaft.
„Gut, dass das geklärt ist. Denn ich habe eine Menge mit dir vor..."
Er verzog das Gesicht und grinste, dabei zeigte er seine grausigen Zähne.
Ich spürte, wie meine Sicht sich veränderte. Schärfer wurde. Und ich sah in Zacharias Augen die meinen. Sie leuchteten lila. Ich verzog die Lippen. Ich würde ihm hier und jetzt die Kehle aufschlitzen. Ich würde alles tun, ich würde sogar eher sterben, als mit diesem Mörder mitzugehen. Wenn mir niemand helfen würde, musste ich mir selbst helfen. Ich atmete tief ein und wollte gerade den inneren tobenden Wolf rauslassen, als wir unterbrochen wurden.
„Wartet!"
Ich drehte, genau wie alle anderen auch, den Kopf zu Nick. Er stand etwas vor dem Rest des Rudels und fuhr sich unruhig durch die Haare. Er wirkte unentschlossen. Aber dann sagte er doch etwas.
„Er kann sie nicht mitnehmen."
Nick straffte die Schultern und blickte mich an. Er sah bestimmt die Angst in meinen Augen. Das war mir aber ganz schön egal.
„Und wieso nicht?"
Fragte Zacharia barsch.
„Weil..."
So, meine lieben Sternchen. Ein gemeiner Cut, aber dafür dürft ihr jetzt in den Kommis raten, was Nick als nächstes sagen wird!
Was sind eure Gedanken zu den Geschehnissen?
Ich hoffe, ich sehe euch im nächsten Kapitel wieder!
Alles liebe ♡
Angora77 ☽
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