8-Killerinstinkt
Sofort spannte sich alles in mir an. Ich konnte ihn riechen, diesen Mistkerl, der für Lucys Tod mitverantwortlich war. Und jetzt war er auf unserem Territorium, meinem Territorium!
Ohne eine Sekunde zu zögern oder auf die anderen zu warten, schoss ich los.
Meine Pfoten bewegten sich wie selbst und ich wirbelte das Gras um mich herum auf. Mein Fell war gesträubt und meine violetten Augen auf den Wolf vor mir gerichtet. Ich hörte Nicks Heulen, dann warf ich mich mit aller Kraft auf den Einzelläufer.
Ich knallte gegen ihn und sofort übernahm mein Instinkt. Ich schlug meine Krallen in seine Flanken und zog sie nach unten, worauf ich Fell und Muskeln durchtrennte.
Er jaulte auf und zusammen fielen wir hart auf den Waldboden, den wir entlang rutschten. Doch ich dachte nicht daran, mich von ihm zu lösen.
Hinter mir hörte ich das Knurren seiner Freunde, jemand kratzte an meinem Rücken.
Doch ich hatte mein Opfer auserwählt und ich würde nicht von ihm ablassen.
Der Einzelläufer wand seinen Kopf und versuchte verzweifelt, mich mit seinen Hinterbeinen von sich zu stossen. Er hatte scharfe Krallen, doch ich spürte keinen Schmerz. Ich knurrte wütend und schlug dann meine Zähne in seine Schultern. Er jaulte und ich schmeckte Blut auf meiner Zunge. Ich fühlte mich gefangen in einem ungekannten Rausch.
Ich spürte, dass die anderen auch angekommen waren, ich roch das Blut um mich herum und hörte das Fletschen von Zähnen und Zusammenprallen von schweren Körpern. Doch meine Aufmerksamkeit galt nur dem Wolf, der sich winselnd unter mir wand und mich panisch ansah.
Ich hielt dicht über seinem Kopf inne, Blut tropfte von meinen Lefzen und ich knurrte kopfschüttelnd. Die Ohren hatte ich flach angelegt.
Du wirst büssen, dafür dass du sie getötet hast.
Ich wusste, dass er mich verstand.
Ich war das nicht! Ich war nur dabei! Der Alpha hat sie getötet!
Es war mir egal. Ich wollte seine Ausreden nicht hören.
Wäre ich in diesem Moment ein Mensch gewesen, hätte ich rational gehandelt. Ich hätte ihn gefragt, wieso sein Alpha das getan hatte. Aber in meinem wölfischen ich dachte ich gar nicht soweit. Ich wollte nur meinen Rachedurst stillen.
Ich Hob meine Pranke und meine blutbefleckten Krallen blitzten spitz im grellen Sonnenlicht. Ich war imstande, ihn zu töten. Ich würde es tun.
Dann knallte ein schwerer, bekannt riechender Wolf gegen mich und riss mich von dem schwer verwundeten Einzelläufer weg.
Ich knallte auf den Rücken und schüttelte verwirrt den Kopf, um mich wieder zurecht zu finden.
Schon war er über mir.
Nick hatte die Ohren angelegt und knurrte mich herrisch an.
Hör auf, Alana!
Lass mich!
Ich schnappte nach ihm, doch seine starken Pfoten drückten mich auf den Boden.
Ich tobte unter ihm, versuchte mich zu befreien, doch gegen ihn hatte ich keine Chance.
Beruhig dich! Du willst ihn nicht töten!
Doch!
Und wie ich das wollte, alles in mir schrie danach.
Du willst keine Mörderin sein, Alana.
Das sass. Ich winselte leise, konnte es beim besten Willen nicht unterdrücken.
Erst jetzt kam ich wieder langsam zur Vernunft.
Der Mensch in mit übernahm langsam wieder die Oberhand und Schock und tiefe Angst erfüllte mich.
Ich hatte beinahe einen Menschen getötet. Einen schlechten Menschen, aber dennoch ein Lebewesen. Hätte mich Nick nicht aufgehalten...
Ich schloss die Augen, weil ich nicht daran denken wollte.
Im nächsten Moment spürte ich, wie sich das Kribbeln und die innere Stärke, die ich gespürt hatte, langsam wieder tief in mein inneres zurück zog.
Als ich die Augen wieder öffnete, war ich ein Mensch. Meine Kleider trug ich noch, sie waren auch nicht zerrissen. Ich hob meine Hände etwas an, sie waren sauber. Nur meine eigenen Wunden, die mir zugefügt wurden, bluteten etwas. Hauptsächlich fleischige Kratzer. Die brannten ganz schön.
„Hab ich....scheisse ich hätte ihn fast...ich wollte es!"
Stotterte ich und sah zu Nick hoch, der ebenfalls wieder als Mensch über mir kniete und sich nun langsam von mir aufhievte.
„Es ist alles gut, er lebt noch. Wir haben keinen getötet. Aber wir haben ihnen gezeigt, wer hier der Boss ist. Hoffentlich überbringen sie ihrem Alpha diese Botschaft."
Meinte Nick nachdenklich und ich wandte im Liegen den Kopf.
Zwischen den Grashalmen und den knisternden Blättern neben meinem Ohr konnte ich die Wölfe davonhinken sehen. „Richtet eurem Alpha aus wie feige er ist, nicht selbst aufzutauchen!"
Schrie Julian ihnen hinterher. Das Gras war an einigen Stellen rot gefärbt, die Erde aufgewühlt. Man sah, dass hier ein Kampf stattgefunden hatte.
Dann wanderte mein Blick weiter und traf auf Kaya. Sie lag ebenfalls auf dem Rücken, atmete schwer und hatte die Augen geschlossen. Killian und Damian knieten neben ihr und halfen ihr langsam hoch.
„Was ist mit ihr? Ist sie verletzt?"
Murmelte ich und Nick wandte den Kopf kurz zu ihr.
Ich fühlte mich unglaublich schuldig. Wenn sie es war, dann nur, weil es mir an Selbstbeherrschung gefehlt hatte und ich ein Wolfspack angegriffen hatte, dass mir zahlenmässig weit überlegen gewesen war. Was hatten sie denn auch für eine andere Wahl gehabt, als mir zu Hilfe zu eilen.
„Es tut mir leid, ich wollte nicht dass sie meinetwegen..."
Flüsterte ich mit einem fetten Kloss im Hals, doch Nick schüttelte beruhigend den Kopf.
„Nein, ihr geht es gut. Bis auf ein paar Kratzer vielleicht."
Ich runzelte die Stirn.
„Wieso trägt Kilian sie dann jetzt?"
Ich sah, wie ihre Arme fast leblos nach unten hingen, während Kilian los marschierte.
„Ich gehe vor", meinte er zu Nick, dieser nickte zustimmend.
Anschliessend widmete er sich wieder mir.
Ich lag noch immer auf der feuchten Erde.
„Sie ist erschöpft. Du bestimmt auch."
Ich runzelte die Stirn. Was hiess dass denn jetzt?
Ich wollte mich abrupt aufrichten, doch die Kraft verliess meine Glieder und ich sank zurück auf das Gras. Panik machte sich in mir breit. Mein Körper fühlte sich so schwer an wie Blei. Mein Herz pumpte unentwegt, trotzdem fühlte ich mich so erschlagen wir nach einem Triathlon mit einem Rucksack voller Steine im Gepäck.
„Was...wieso kann ich nicht aufstehen?"
Alarmiert blickte ich zu Nick, der neben mit wieder in die Hocke ging und beruhigend meinen Arm berührte. Gerne hätte ich ihn weg gestossen, doch dafür fehlte mir die Kraft.
„Und...wieso seid ihr nicht so kaputt?"
„Keine Angst. Das ist nur vorübergehend."
Beruhigte er mich und fuhr sich dann durchs Haar.
Ich sah Julian auf uns zukommen.
„Wir meinst du das?"
Ich suchte in seinen schönen, grauen Augen nach einem Hinweis. Es war ziemlich beängstigend, sich beinahe nicht bewegen zu können.
„Weibliche Wölfe sind schneller erschöpft als Männliche. Ich weiss auch nicht wieso, das war schon immer so. Auch bei Kia und Kaya, wann immer sie sich in ihrer Wolfsgestalt verausgaben, brechen sie danach zusammen und brauchen einige Stunden, um sich wieder zu erholen."
Ich seufzte und blickte hoch zum Blätterdach über uns. Die Sonne liess die feinen Adern der Blätter durch das grelle Grün hindurchscheinen.
„Das ist doch Scheisse...und unfair!"
Nick gluckste.
„Lach nicht! Und jetzt? Soll ich hier jetzt einfach so rumliegen?"
Er schüttelte den Kopf und ein fieses Grinsen trat auf sein Gesicht.
„Nö. Ich trage dich zurück."
Ich war zwar müde, aber ich konnte ganz genau spüren, wie mir die Röte in den Kopf schoss.
„Ganz sicher nicht, das kannst du vergessen, Nick."
Langsam schob er einen Arm unter meine Knie und den anderen um meine Hüfte.
„Ich warne dich!"
Kreischte ich, doch da hatte er mich auch schon mit einem Ruck hochgehoben und sein Gesicht zu meinem hinuntergebeugt. Eine Sekunde wagte ich es nicht zu atmen, als sein Blick kurz meine Lippen streifte. Dann richtete er sich gerade auf und begann loszulaufen. Als wäre mein Gewicht nicht weiter tragisch.
„Hey, ich bin nur hilfsbereit. Komm ja nicht auf den Gedanken, mich nacher zu schlagen", Nick grinste selbstzufrieden.
„Oh und wie ich das werde!"
Zischte ich halblaut. „Das habe ich auch nicht anders erwartet."
Seufzte der Junge und ohne weiteren Protest lehnte ich meinen Kopf gegen seine Armmuskeln. Ich konntr sein Herz schlagen hören. Ein wenig schneller als sonst. Wahrscheinlich die Anstrengung.
„Ich kann sie nehmen", bot Julian an, der nun mit Damian neben uns her lief. Dieser schwieg nur und betrachtete den Schnitt an seinem Arm.
„Nicht nötig", meinte Nick kühl und lief mit mir auf seinen Armen weiter.
Mein Kopf war an seine Schulter gelehnt und sein herber, betäubender Geruch umhüllte mich, während ich fast wegdöste. Scheisse, wieso musste sich das auch so gut anfühlen? Ich fühlte mich bei ihm geborgen, dabei konnte ich ihn gar nicht ausstehen!
„Aber..." Setzte Julian erneut an.
„Ich sagte ich nehme sie, kapiert?"
Fuhr ihn Nick an und drehte mich etwas von Julians ausgestreckten Armen weg, um mich mit seinem Körper von dem grossen Blonden abzuschirmen.
Irgendwie süss. Aber auch unnötig.
Mit mahlendem Kiefer und sichtlich angespannt marschierte Julian neben uns her. Niemand sprach ein Wort. Bald hatten wir Kilian eingeholt.
Mehr bekam ich nicht mehr mit, denn ich schlief ein.
Ich würde mich bestimmt für immer schämen, dass ich mich so an Nick kuschelte und einfach pennte, doch ich konnte nichts gegen dir Müdigkeit ausrichten, die von mir Besitz ergriffen hatte. Es fühlte sich an, als würde sie mich verschlingen und mich mit einer tiefen, beruhigenden Dunkelheit umhüllen.
Erst als ich einen grellen Ausruf hörte, schreckte ich aus meinem traumlosen und friedlichen Schlaf hoch.
Abrupt riss ich die Augen auf. Ich brauchte erstmal einige Sekunden, um mich wieder in der realen Welt zurecht zu finden. Dann blinzelte ich, meine Sicht klärte sich langsam. Ich blickte in ein wütendes, purpurrot angelaufenes Gesicht, das von goldenem braunen Haar umgeben war. Melanie. Doch sie sah nicht mich so an. Ich folgte ihrem tödlichen Killerblick und drehte den Kopf. Über mit sah ich Nicks angespannte Gesichtszüge. Er starrte seine Freundin warnend an. Rundherum stand ihre Clique, die wie immer nichts anderes dazu zu sagen hatten, als ein empörtes und vorwurfsvolles Einatmen. Als würden sie alle im Takt Ersticken.
Moment mal. Wieso war Nicks Gesicht eigentlich über mir. Langsam tastete ich nach den starken Schultern, an die ich angelehnt hatte und erstarrte sofort. Shit. Ja Richtig, er hatte mich ja vom Ort des Kampfes hierher getragen. Verständlich, dass das auf Melanie einen falschen Eindruck machen konnte.
„Lass mich runter."
Zischte ich sofort und stiess mit meinen Armen gegen seine Brust. Wie hatte ich das nur zulassen können! Gerne hätte ich mich selbst geohrfeigt.
„Ja, Nick! Lass sie runter!"
„Was ist dein Problem Melanie, sie war völlig erschöpft, ich habe sie nur hierher getragen!"
Fuhr Nick sie mit dunkler, rauer Stimme an.
Ich war noch immer damit beschäftigt, strampelnd seinen Armen zu entkommen, die jedoch keinen Zentimeter nachgaben und mich umschlungen hielten. Uff, wieso fühlte sich das auch so gut an. Ich wurde eindeutig verrückt. Das Wolf-Sein bekam mir nicht.
„Hier stehen noch andere Männer, das hättest ja wohl nicht du übernehmen müssen!"
Keifte Melanie. Julian räusperte sich vielsagend, war aber nicht so dumm, sich in den entfachten Streit einzumischen.
„Jetzt lass mich schon runter, ich hab keine Lust mehr von ihr angeschrien zu werden", murmelte ich und seufzte. Es war schon anstrengend, meine Lippen zu bewegen.
„Tu du jetzt nicht so! Die Schwächliche geben, damit du dir ein bisschen Aufmerksamkeit erhaschen kannst! Da falle ich nicht drauf rein, das ist so erbärmlich", zeterte Melanie und fuchtelte vor meinem Gesicht mit ihrem Finger herum. Ihre Nägel erinnerten mich an meine Krallen. Nur in Pink.
Langsam, fast schon vorsichtig, stellte mich Nick auf die wackeligen Beine. Seine beiden warmen Hände, die mich an der Hüfte noch kurz stützten, entgingen mir dabei nicht.
Ich sah kopfschüttelnd zu Melanie. Sie begann langsam, den Bogen zu überspannen.
„Hör mal, wenn ich nicht so kaputt wäre, würde ich dir deine pinken Einhorn-Nägel einzeln ausreissen und sie dir in den Mund stopfen."
Knurrte ich und sie verschränkte schnaubend den Kopf.
„Na dann versuch es doch, du Laborwolf."
Ich kniff die Augen zusammen. Wenn es sein musste, würde ich jegliche verbliebene Kraft in meinem Körper zusammenkratzen, um dieser selbstgefälligen Kuh mal in die Fresse zu schlagen.
Aber Nick kam mir zuvor.
„Das reicht jetzt Melanie, verstanden? Ich hasse dieses ewige Drama, seit Alana hier ist."
„Eben, Schatz, das alles ist erst passiert seit sie hier ist!"
Reklamierte seine Freundin nun mit grossen Hundeaugen. Ich machte einige Schritte weg von dem streitenden Paar, dann gaben meine Beine erneut nach.
Julian griff mir unter die Schulten und zog mich wieder hoch.
„Gehts?"
Fragte er mitfühlend. Ich räusperte mich. „Klar. Danke dir."
Ich hasste es, so schwach aufzutreten. Aber mir ging es immer noch besser als Kaya, die noch immer bewusstlos war und nun von Kilian und Kia ins Haus geschleppt wurde.
Bevor Nick und Melanie weiter diskutieren konnten, trat Anthony aus dem Haus, gefolgt vom Rest des Rudels.
Margrits Blick flog als erstes zu Nick, als müsste sie sicherstellen, dass es ihm gut ging. Danach sah sie zu mir. Ich erwiderte den Blick. Hatte sie sich etwa Sorgen um mich gemacht? Und wenn ja, wieso?
„Was ist hier los? Ich dachte ihr wahrt Jagen?"
Nick trat etwas hervor und straffte die Schultern. Jeder hatte Respekt vor Anthony.
„Wollten wir. Aber dan haben sich einige der Einzelläufer an der Grenze postiert. Sie haben uns provoziert und wir haben beschlossen, ihnen einen Denkzettel zu verpassen."
In Nicks Gesicht war nicht das kleinste Anzeichen einer Lüge zu erkennen. Doch ich und die anderen wussten, dass nicht alles so geordnet abgelaufen war. Doch niemand sagte was dagegen. Auch wenn ich es ungern zugab, doch dafür war ich Nick echt dankbar. Er hatte mich gerade vor einigen neuen Vorwürfe an meine Person gerettet.
„Mhm. Und Kaya und Alana haben mitgekämpft?"
„Ja. Wir mussten sie zurück tragen."
Anthony nickte.
„Na gut, immerhin ist niemand ernsthaft verletzt worden. War der Alpha dabei?"
Julian schüttelte den Kopf.
„Hat sie feige vorgeschickt."
Platzte es aus ihm heraus.
Anthony liess den Blick über den Wald hinter uns schweifen.
„Das ist nicht gut. Sie werden bald wieder auftauchen."
„Dann zeigen wir ihnen eben erneut, wer hier herrscht. Dieses Pack können wir fertig machen!"
Simon rieb sich die Hände und sah dabei aus wie jeder Bösewicht in jedem Märchen der Gebrüder Grim.
Eher unsympathisch.
Kritisch beäugte ich den breiten Mann mit den Narben im Gesicht, die er von mir geschenkt bekommen hatte. Ja, ich war bestimmt auch nicht seine Lieblingsperson hier.
„Wir dürfen sie nicht unterschätzen. In der Geschichte hat es selten Einzelläuferaufstände gegeben, aber wenn, dann waren sie folgenreich. Wir müssen uns für den Fall eines Angriffs bereit machen."
Es wurde ruhig.
„Den Rest besprechen wir drinnen."
Den Rest, von dem Anthony gesprochen hatte, bekam ich nicht mehr mit. Von Julian war ich in mein Zimmer bugsiert worden und war auch sogleich eingeschlafen, als mein Kopf das weiche Kissen berührt hatte.
Erst gegen Abend wachte ich wieder auf. Ich trug noch immer meine Kleidung und richtete mich schwankend auf. Mein Kopf pochte unangenehm und ich trank zuerst einmal zwei Gläser Wasser. Schlimmer als jeder Kater.
Ich beschloss, mir zuerst mal eine heisse Dusche zu gönnen, bevor ich über eine meiner heutigen dummen Reaktionen nachzudenken wagte. Mit Handtuch und Shampoo bewaffnet, machte ich mich auf den Weg ins Bad. Wieso ich meine Duschsachen nicht einfach in einem der vielen Fächer im Regal vor dem Bad liegen liess? Klar, das hätte ich machen können. Aber ich vertraute hier niemandem. Höchstens vielleicht Kaya und Kilian, und ein bisschen auch Damian. Aber ansonsten niemandem. Und ich hatte keine Lust auf Zahnpasta in meiner Shampoo-Flasche. Solche Streiche kannte ich nämlich von früher aus dem Wohnheim. Also schleppte ich all meinen privaten Besitz immer mit mir herum. So konnte ich wenigstens alles im Auge behalten. Sonst summte ich meistens irgend ein Lied, wenn ich duschen ging. Aber heute war mir nicht danach. Ich fühlte mich immer noch gerädert und hatte Kopfschmerzen wie verrückt. Und ich musste über meinen Angriff auf den Einzelläufer nachdenken.
In Gedanken versunken öffnete ich die Tür zum kleinen Bad, dass ich mir mit allen in diesem Stock teilte und schloss hinter mir ab. Zur Sicherheit. Und nein, ich war nicht paranoid. Aber wenn man von einem verrückten Wissenschaftler entführt, zu einem Werwolf gemacht wurde und anschliessend seine einzige, beste Freundin verlor, dann war man nun mal vorsichtig. Ich stellte das Wasser an und liess es auf meine Haare hinunter rieseln, die stark nach Erde und Wald rochen. Der heisse Wasserstrahl traf mich und ich schloss die Augen genüsslich, während die feinen Rinnsale mein Gesicht und meinen Körper entlang hinunter flossen. Bald erfüllte heisser Dampf die Dusche und ich war umhüllt von wohliger Wärme und Stille. Meine Gedanken begannen, sich zu regen. Nicht nur hatte ich alle anderen in Gefahr gebracht, indem sie gezwungen waren, mir zu helfen, sondern ich hatte jemanden verletzt. Ernsthaft verletzt. Klar, in diesem Moment war der Einzelläufer in seiner Wolfsgestalt gewesen, aber ich hatte zu jeder Zeit gewusst, dass dahinter ein Mensch steckte. Und ich hatte ihn trotzdem angegriffen. Und dann nicht mal aufgrund von einer notwendigen Selbstverteidigung. Er hatte nichts weiter getan, als seine Pfote zu bewegen. Er war weit entfernt gewesen. Ich hätte mich nicht einmal in Gefahr wägen müssen. Und trotzdem hatte ich ihn angegriffen. Schaum meines Shampoos floss über meinen nackten Bauch. Es roch nach Kirschblättern. Einem meiner absoluten Lieblingsdüfte. Ich fuhr mir durch die Haare und massierte mir die Tinktur in die langen Haare. Eine Alltagshandlung. Und irgendwie absurd, wenn ich bedachte, dass ich vor wenigen Stunden noch drum und dran gewesen war, einen Menschen umzubringen. Ich war schon immer etwas Temperamentvoll gewesen, das stimmte. Aber das Höchste der Gefühle war ein Tritt in die Kronjuwelen eines sehr aufdringlichen gastes in der Bar gewesen, in der ich früher als Nebenverdienst gearbeitet hatte. Aber töten? Dazu hätte ich mich nie imstande gefühlt. Niemals. Und doch hatte ich es beinahe getan. Wieso? Ich spülte meine Haare aus und beobachtete die feinen Dreckspuren, die mit dem schaumigen Wasser gemischt im Strudel am Boden der Dusche abgesogen wurden. Ich erinnerte mich wieder daran, wie ich ihn gebissen hatte, gekratzt hatte. Ich hatte dabei nichts als Wut und Blut Lust gespürt. Ich hatte Rache für Loucy nehmen wollen. Ich atmete scharf ein. Nein, so war ich nicht. So wollte ich nicht sein. Ich würde nicht zu einem schlechten Menschen werden, egal was mir hier widerfahren war. Ich musste einen Weg finden, mich selbst besser zu beherrschen. ich war ein Laborwolf, ich konnte mich also nicht mit der Entwicklung der übrigen Rudelmitglieder vergleichen. Keine Ahnung, wie es bei mir aussah. Vielleicht erhielt ich nie Kontrolle über meine Instinkte und Gefühle. Aber es musste einen Weg geben...Damit ich nicht das Gute in mir verlor.
Die Türe ging auf und ich zuckte zusammen. Schnell stellte ich das rauschende Wasser ab. "Hallo? Kannst du bitte raus gehen?", rief ich und versuchte, durch den Hellen Duschvorhang irgend einen Umriss auszumachen. Vergeblich. "Hm, nein ich denke nicht. Hier riecht es so gut." Mein Herz beschloss, sich selbstständig zu machen und nun dreimal so schnell zu schlagen. "Nick? Verschwinde hier, ich dusche!" Ich hörte ihn leise lachen. Dieses Arschloch! Ich hatte die Türe doch abgeschlossen? "Jetzt weiss ich, es schmeckt nach Kirsche, hab ich recht?" Frustriert zeigte ich ihm durch den Vorhang den Mittelfinger. "Nick, ich meine es ernst, geh raus." "Nö." Ich stöhnte. "Du...du bist so kindisch!" Kurz war es ruhig aber ich konnte schwören, dass er grinste. Ich war mir ganz sicher. ich starrte den nassen Vorhang an und wartete ab, während ich aus unerfindlichem Grund die Luft anhielt. "ach ja? ich kann nämlich dein Herz schlagen hören. Ich denke nicht, dass du mich wirklich kindisch findest." Seine stimme triefte nur so vor Selbstgefälligkeit. "Mein Herz schlägt so schnell, weil ich mir vorstelle wie ich dir an die Gurgel gehe du Idiot!" Schnauzte ich und er gluckste. "Ich glaube das würde mir gefallen. Ich könnte aber auch einfach zu dir in die Dusche kommen."
Ich riss die Augen auf. Was war denn bitte mit Nick los? Sonst war er ja eher nicht der Mann der grossen Worte, also was sollte das. Machte er sich über mich lustig? Ziemlich sicher, ja.
"Weisst du was, mir reichts, du kannst das Bad haben. Reichst du mir wenigstens das Badetuch?" Mürrisch streckte ich eine Hand hinter dem Duschvorhang hervor. Zum Glück hatte ich das Shampoo bereits ausgewaschen. Auf Duschgel und Conditioner musste ich heute wohl verzichten. Nick murmelte irgendetwas unverständliches, dann spürte ich aber den weichen Stoff auf meiner Hand. Schnell schlang ich es mir um den Körper. Nachdem ich kontrolliert hatte, ob auch wirklich alle wichtigen Stellen bedeckt waren, riss ich den Vorhang extra angepisst auf. "Danke für die Störung. Hier hat man ja wirklich nie seine Ruhe", blaffte ich den schönen, dunkelhaarigen jungen Mann an, der aus geheimnisvollen grauen Augen zu mir hinunter sah.
Unverblümt musterte er mich und mir wurde ganz heiss unter meinem Badetuch, dass nur das notdürftigste verdeckte.
„Die Türe war offen. Ist also nicht meine Schuld."
Merkte Nick an und ich schnaubte, während ich Anstalten machte, aus der Dusche zu steigen.
„Ach was, das ist ja wohl die..."
Und da passierte es.
Meine nassen Füsse verloren auf dem glatten Badezimmerboden urplötzlich den Halt.
Mit erschrockenen und weit aufgerissenen Augen musste ich mitansehen, wie ich hilflos nach vorne fiel. Genau auf Nick.
Was denkt ihr, wieso hat Nick ein Auge auf Alana geworfen, obwohl er doch in einer Bezuehung ist? Und findet ihr das Richtig? Auch von Alana, da sie ihn auch bereits küsste, obwohl sie wusste, dass er vergeben ist?
Bin gespannt auf eure Meinungen zum Kapitel! ♡ bis bald ❥
Angora77 ☽
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top