14-Es ist kein Traum
Nach dem Gespräch mit Margrit verliess ich den Raum nicht mehr. Ich legte mich schlafen und verzichtete darauf, meinen knurrenden Magen zu besänftigen.
Die nächsten Tage vergingen dann auch wie im Fluge.
Melanie und Nick waren nun offiziell getrennt, was mir Kaya freudig nach dem Duschen mitteilte. Für mich bedeutete das aber keine grosse Veränderung, denn Nick und ich sahen uns höchstens beim Essen oder zufällig auf dem Gang. Er machte keine Anstalten, mich besser kennen lernen zu wollen und icz war zu stolz, ihm die ganze Zeit nachzurennen und auf etwas gemeinsame Zeit mit ihm zu hoffen.
Auch wenn ich mich zugegeben darüber gefreut hätte. Vor allem jetzt, wo es zwischen Melanie und ihm aus war. Aber wieso sollte man sich so um jemanden bemühen, von dem nichts zurück kam? Ich würde mich nur lächerlich machen. Also verbrachte ich meine Zeit damit, in dem Sägewerk zu arbeiten und Anthony zu überzeugen, dass ich so weit war, wieder die Uni zu besuchen. Er blieb aber hartnäckig und verneinte. Keine Ahnung, ob er es mir verbot weil er sah, dass ich noch nicht so weit war, oder weil er wütend auf mich war.
Abends trainierte ich mit Julian, mit dem ich schon beträchtliche Fortschritte verzeichnen konnte oder chillte mit Kia und Kaya, manchmal auch mit Killian. Den Rest des Rudels mied ich so gut es ging. Nur mit Simon redete ich manchmal. So merkwürdig das auch klingen mochte, obwohl er der war, der seine Abneigung mir gegenüber am klarsten Postiert hatte, mochte ich ihn von den übrigen Rudelmitglieder am meisten. Vielleicht weil er der echteste von ihnen war.
Nachts träumte ich oft schlecht. Meistens wiederholte sich meine Horror Nacht, in der mich Melanie fast mit winer spritze abgestochen hatte. Manchmal jagte mich aber auch Zacharia durch den Wald. Es wechselte sich ab. So wurde mir nie langweilig...
Aber heute Nacht war etwas anders. Ich schlief und träumte nichts. Zumindest konnte ich mich nicht daran erinnern, als ich aufwachte.
Alles was ich noch wusste war, dass ich einen herzzereissenden Schrei gehört hatte. In meinem Traum war er mir durch Mark und Knochen gegangen. Aber als ich dir Augen öffnete, lag ich warm eingebettet in meinem menschenleeren Zimmer. Es war also alles nur ein Traum gewesen. Ich wollte mich schon umdrehen, als ich vom Gang her ein Rumoren hören konnte.
Dann wurden panische Stimmen laut. Ich runzelte die Stirn. In meinem Döszustand war ich mir nicht sicher, ob das schon wieder in meinem Traum
Stattfand oder tatsächlich passierte.
Dann fuhr ich innert einer Sekunde aus dem Bett, riss die Türe auf und stürmte alarmiert auf den Gang.
„Was ist..."
Setzte ich an, doch die Worte blieben mir im Hals stecken.
Kälte setzte sich in meinen Gliedern fest und hinderte mich daran, weitere Schritte zu machen.
Im Türrahmen ihres Zimmers stand Kaya. Ihre Dreadlocks hingen ihr offen ins Gesicht. Ihr weisses Nachtgewand war rot gesprenktelt und ihre Arme ebenfalls in Blut getränkt.
Ihre Augen waren rot und die Tränen stürmten über ihr verzerrtes Gesicht, das nur puren Schmerz zeigte.
In ihren Armen hielt sie Kia.
Die rothaarige, aufweckte Schönheit hing leblos in den Armen ihrer Freundin. Ihre Arme waren verdächtig blass und hingen zur Seite hinunter. Ihr Kopf war über Kayas Ellbogen hinweg nach hinten gekippt. Ihre Augen waren geschlossen. Über ihrem Bauch konnte man nichts erkennen ausser Blut. Feine Rinnsale bahnten sich ihren Weg ihre Beine hinunter und tropften schliesslich von ihren bemalten Zehennägeln auf den Boden.
„Hilfe..."
Hauchte Kaya tonlos, bevor sie erneut von Schluchzern geschüttelt wurde.
Dann gaben ihre zitternden Beine nach und sie sackte zu Boden.
Sofort waren die Mitglieder des Rudels bei ihr, die meisten waren noch vor mir auf den Gang getreten.
Margrit versuchte mit Melanie die Blutung zu stoppen, während Killian die Wiederbelebung begann.
Als Kaya sah, wie sich die Menschen an dem Körper ihrer Freundin zu schaffen machten, kroch sie langsam rückwärts und vergrub das Gesicht in den blutverschmierten Händen.
Ich spürte einen tiefen Schmerz in meiner Brust. Ich wusste, wie Kaya sich fühlte. Niemand konnte ihr in diesem Moment wirklich helfen. Trotzdem drängte ich mich zwischen den anderen hindurch und kuschelte mich eng an sie. Dass ich kurz darauf voller schmierigem Blut war, kümmerte mich nicht. „Ich bin da. Ich bin da."
Flüsterte ich nur und hielt Kaya so fest ich konnte in meinen Armen. Sie sollte den Halt spüren, der mir gefehlt hatte.
„Sie darf nicht sterben, Alana...bitte..."
Schluchzte Kaya gequält, während mir die Tränen in die Augen traten.
„Sie tun alles was sie können. Es wird alles wieder gut."
Flüsterte ich, während sie ihren Kopf an meine Schultern anlehnte. Doch mit einem Blick zu Margrit wusste ich sofort, das dem nicht so war.
Traurig nahm sie ihre Hände von Kias Bauch, dessen Blutung unterdessen fast versiegt war. Melanie wandte sich mit Tränen in den Augen ab, während einige andere nur fassungslos dastanden.
„Es reicht, Killian. Hör auf."
Meinte Anthony leise, als Killian noch immer die Herzmassage durchführte. Er kämpfte verbissen um seine Freundin. Doch es war zu spät für sie.
„Sie ist tot, Killian. Sie ist tot."
Anthonys Stimme war getränkt mit Trauer, doch er schaffte es irgendwie, den um sich schlagenden Killian von Kias schlankem Körper zu entfernen. Der Boden war voller Blut. Es war schrecklich.
„Bitte, Alana. Sie darf nicht sterben."
Flüsterte Kaya neben meinem Ohr, ich konnte ihre Erschöpfung spüren.
Margrits und mein Blick trafen sich und ich wusste, dass ich es ihr sagen musste.
„Kaya, Kaya."
Flüsterte ich und hielt ihr bleiches Gesicht zwischen meinen Händen. Ich wusste nicht wieso ich es ihr sagen wollte, aber ich wollte da sein, wenn sie es erfuhr. Hilflos und schmerzerfüllt sahen mich ihre Augen an. Wie sollte ich ihr die schlimmste Nachricht ihres Lebens überbringen?
„Sie schläft jetzt, Kaya. In eurem nächsten Leben wartet sie bereits auf dich. Aber hier, in dieser Welt, hier ist sie gestorben. Kia ist tot."
„Nein! Nein ist sie nicht, du lügst!"
Schrie sie und wollte sich umdrehen.
Doch ich hielt sie eisern fest, zwang sie, mich anzusehen, während Simon und Nick ein weisses Leinentuch auf Kias Körper hinab senkten.
„Sieh nicht hin, Kaya. Behalte Kia nicht so in Erinnerung. Das würde sie nicht wollen."
Meine Unterlippe zitterte, als sich Kaya krümmte.
Dann legte sie ihren Kopf auf meinen Schoss und weinte still vor sich hin.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte, also blieb ich einfach nur da sitzen und starrte auf das weisse Tuch, das sich an einigen Stellen rot färbte.
Kia war weg. Und sie würde nicht mehr zurück kommen. Sich damit abzufinden war unheimlich schwer.
Lilly lief an mir vorbei ins Zimmer und blickte aus dem sperrangelweit geöffneten Fenster.
Dann hörte ich, wie sie irgendetwas vom Boden aufhob.
„Ich...ich hab was gefunden."
Meinte sie mit zitternder Stimme, als sie wieder in den hell erleuchteten Gang trat.
Sofort richteten sich alle Blicke auf sie.
„Diesen Zettel."
Sie hob ein abgerissenes Stück Papier in die Luft.
„Was steht drin?"
Fragte Nick mit monotoner Stimme.
„Sie ist nur die Erste."
Las Lilly mit brüchiger Stimme vor.
Julian schlug mit der geballten Faus an die Wand, sodass es knallte.
„Zacharia!"
Stiess er den Namen hervor, an den wir alle dachten. Es war sein Versprechen gewesen; dass es noch nicht vorbei war. Und das war sein erstes Attentat auf unser Rudel gewesen.
Anthony knurrte und zum ersten mal konnte ich wahre Wut in ihm aufflammen sehen.
„Das wird nicht ungestraft bleiben....das war das einzige Mal, dass wir nicht vorbereitet waren. Ab jetzt werden wir jeden Einzelläufer den wir sehen...töten."
Die grimmigen Blicke, die teils gemischt mit Schmerz waren, richteten sich auf den Boden. Jeder wusste, dass diese Worte den Krieg ankündigten. Und jeder stimmte damit überein.
„Was...machen wir jetzt mit ihr?"
Flüsterte Margrit ihrem Mann zu.
„Wir werden sie begraben, wie es sich gehört. Morgen. Und dann werden wir angemessen trauern."
„Und danach?"
„Danach werden wir Zacharia jagen und töten."
Ich konnte spüren, wie sich die Wut in mir breit machte. Die Rachegelüste stiegen in mir auf.
Zacharia hatte es zu weit getrieben. Ich würde ihm höchst persönlich die Kehle aufschlitzen. Wenn es also sein müsste; würde ich töten.
„Wie kam er oder wer auch immer das war, überhaupt ins Haus? Es ist doch Nachts immer gesichert."
Warf Killian die Frage in den Raum.
„Er konnte ja wohl nicht durch ein geschlossenes Fenster im zweiten Stock klettern."
Er hatte recht. Und an den Blicken der anderen konnte ich erkennen, was sie dachten.
Nick sprach es aus.
„Also hat ihn jemand hinein gelassen. Jemand von uns."
Es war totenstill. Kaya war geistig gar nicht mehr richtig anwesend. Sie lag nur auf meinem Schoss und regte sich nicht. Dass sie lebte erkannte ich nur daran; dass sie ab und zu schniefend ausatmete.
„Kann ich dir helfen?"
Fragte Demian neben mir und sah traurig zu Kaya hinunter.
Ich schüttelte Stumm den Kopf.
Er nickte und schlang die Arme um die Knie. Ich war froh, dass er neben mir war.
„Es ist besser, wenn wir das nicht heute Nacht klären."
Meinte Anthony und Killian ballte die Hände zu Fäusten.
„Doch! Das müssen wir sehr wohl! Jemand hier drin ist Schuld daran, dass Kia tot ist! Wir können nicht so tun als wäre jemand hier nicht ein dreckiger Verräter!"
Schweigen. Einige nickten.
„Und wie willst du das um diese Uhrzeit klären, Killian? Denkst du diese Person meldet sich freiwillig, um alles zu beichten?"
Anthony klang streng.
„Ich glaube, ich weiss wer es war."
Meinte Lilly, die noch immer auf den Zettel sah.
„Wer?"
Killian schien darauf zu brennen, einen Namen zu hören.
„Sie war es."
Lillys Finger deutete anklagend auf mich.
Ich zuckte unmerklich zusammen.
„Was?"
Stiess ich hervor und Lilly nickte überzeugt.
„Sie kam später als wir alle aus den Zimmer. Und sie wollte nie Teil des Rudels sein, das hat sie auch klar gemacht."
Gemurmel.
„Und wer hätte es sonst sein sollen. Wir alle hier kannten Kia so lange und wir liebten sie. Niemand würde ihr sowas antun."
Melanie stellte sich neben Lilly, als wolle sie ihre Unterstützung bekunden.
„Meine Freundin war sie auch."
Meinte ich mit heiserer Stimme. Gerne hätte ich den beiden Mädels ihre Gesichter zerfetzt, doch das wäre Kia und Kaya gegenüber respektlos. Also blieb ich nur regungslos sitzen.
„Du kanntest sie ja kaum! Und Zacharia hat ja klar gemacht, wir eng ihr verbunden seid. Vielleicht war das ja von Anfang an euer Ziel."
Ich schnaubte.
„Und welchen Beweis hast du dafür, Melanie? Ausser deinem offensichtlichen Hass auf mich? Keinen. Weil ich das niemals tun würde."
Es war still und ich sah fassungslos zwischen den Gesichtern umher. Einige mieden schuldbewusst meinen Blick, Killian sah mich nur an. In seinen Augen herrschten gemischte Gefühle.
„Du glaubst doch nicht etwa auch dass ich..."
Setzte ich an. Bei ihm tat es mir besonders weh. Weil ich von allen gedacht hatte, dass er derjenige sein würde, der mir glaubte. Aber dann wandte er nur den Kopf ab.
„Genug! Ihr steht da und werft euch die Schuld zu, während Kia hier am Boden liegt! Das ist so respektlos!"
Schrie Kaya und robbte zu ihrer Freundin.
„Sie hat Recht. Ihr solltet alle schlafen gehen. Ich werde hier bleiben und wachen."
Anthony nickte vielsagend. Er würde keine Widerreden dulden.
Ich spürte die Anspannung im Gang, die Luft war zum schneiden dick und nur zögernd, fast unwillig machten sich die Mitglieder des Rudels wieder auf den Weg in ihr Zimmer.
Wortlos stand ich auf und lief los.
Ich war unglaublich wütend. Wütend über Kias Tod und darüber, dass sie mir die Schuld gaben. Ohne Beweise, sie beschuldigten mich einfach, weil ich die Fremde im Rudel war. Oder weil sie mich nicht mochten. Keine Ahnung.
Wieso musste ich für alle immer diejenige sein die dafür verantwortlich war, wenn etwas schlimmes passiere?
Ich steuere des Badezimmer an und schlug die Türe hinter mir zu.
Ich sah in den Spiegel. Ich blickte auf ein bleiches Gesicht, mit wütenden und frustrierten Augen.
Ich war allein. Genauso wie ich es war, als ich hier das erste Mal angekommen war. Sie hatten mich nie akzeptiert. Egal was ich tat.
Ich sah an mir hinunter. Ich war überall rot.
„Scheisse", flüsterte ich und stellte das Wasser an. Ich versuchte, mit Seife und schwamm das Blut von meinen Armen zu waschen. Dabei schrubbte ich so exzessiv, dass ich mir fast die Haut aufriss.
Dann hörte ich wie die Türe aufging und blickte durch den Spiegel hinter mich.
„Geh weg."
Sagte ich nur und liess das heisse Wasser weiter über meine Arme laufen.
Nick schloss langsam die Türe und trat näher.
„Ich dachte, du brauchst vielleicht was neues zum Anziehen."
Meinte er und trat hinter mich, sodass ich seine Nähe an meinem Rücken spüren konnte.
Ich schluckte und befahl mir, nicht los zu heulen.
„Danke."
„Ich glaube nicht, dass du es warst. Ich wollte, dass du das weisst."
Ich verzog die Lippen.
„Aha. Soll ich dir dafür jetzt dankbar sein, oder was?"
Er fuhr sich durch die Haare und lehnte sich neben mir an die Wand, sodass er mich von der Seite beobachten konnte.
„Du schabst dir ja die Haut von den Knochen, Alana. Lass mich mal."
Ohne meinen Protest abzuwarten, hatte er mir den Schwamm abgenommen und mich zu sich gedreht. Dann fuhr er konzentriert meinen Hals entlang. Das warme Wasser rann meinen Oberkörper hinunter und ich schauderte. Ich spürte die ganzen Hormone, obwohl dieser Zeitpunkt das eigentlich verbieten sollte.
Ich beobachtete wie Nicks graue Augen auf meinen Hals gerichtet waren, wie seine Knöchel meine Haut streifte, wenn er sie mit dem Schwamm abwischte.
„Wieso bist du hier?"
Fragte ich, als er den Schwamm weg legte.
Er wich der Frage aus.
„Du solltest das hier ausziehen, ich hab dir ein Shirt von mir mitgebracht."
Er deutete auf mein Pyjama, der an einigen Stellen rot verfärbt war.
Das Blut hatte sich vermutlich mit Kayas Tränen vermischt.
„Ich ziehe mich sicher nicht aus, wenn du da bist."
Meinte ich eisig und er hob eine Braue.
„Na gut, dann dreh ich mich um."
„Okay."
Nick drehte mir brav das breite Kreuz zu und ich streifte das an mir klebende Pyjama ab. Schnell wischte ich das restliche Blut von meinem Körper, dann schlüpfte ich in das nach Nick riechende Shirt.
Als ich wieder hoch sah, blickte Nick mich direkt an.
In seinen Augen schien ein Feuer zu lodern. Ein heisses Feuer.
„Was...hast du etwa geguckt?"
Ich schnappte nach Luft und spürte, wie mir ganz heiss wurde. Wahrscheinlich lief ich auch gerade knallrot an.
„Nein. Habe ich nicht."
Er grinste leicht, es war nicht mehr als das Anheben seiner Mundwinkel.
„Du lügst."
Zischte ich misstrauisch.
„Vielleicht."
Ich schlug mit der Hand nach ihm, doch er fing sie ab und zog mich näher zu sich.
Er atmete langsam, während sein Blick mein Gesicht absuchte. Mir wurde ganz mulmig zumute. Schliesslich war ich ihm so nahe und trug an meinem Körper nicht mehr als ein Shirt von ihm. Das war schon irgendwie intim.
„Wieso bist du hier?"
Fragte ich erneut. Meine Stimme versagte fast. Ich war mir nicht sicher, ob es an dem tragischen Ereignis heute lag, oder an seiner Nähe.
Er mahlte mit dem Kiefer, bevor er langsam meine Hand losliess.
Ich blieb an Ort und Stelle stehen.
Weil er nichts sagte, redete ich weiter.
„Ich dachte, du willst es langsam angehen?"
Er blickte mir in die Augen.
„Will ich auch. Aber alles woran ich vorhin denken konnte, war, ob du verletzt bist. Ich konnte erst wieder richtig atmen, als du unverletzt aus dem Zimmer gerannt kamst."
Ich schluckte. Wow, das hörte sich an als ob er sich ganz schön viele Gedanken um mich machte. Er dachte also an mich? Wieso zeigte er mir es dann nicht?
„Mir geht es gut. Soweit es mir gut gehen kann."
Er nickte und seine Finger strichen über den Saum seines Shirts.
„Steht dir."
„Besser als dir?"
„Nein, das nicht."
Er grinste frech. Kurz, für einen kurzen Augenblick kehrte diese Unbeschwertheit zwischen uns zurück, die es manchmal gegeben hatte.
„Du bist schon arrogant."
„Mag sein. Aber dann musst du das auch sein, denn gleiches zieht gleiches bekanntlich an."
Ich schnaubte.
„Ich fühle mich rein gar nicht von dir angezogen."
Gleichzeitig wanderte mein Blick zu seinen vollen Lippen, die meinen unglaublich nahe gekommen waren.
„Aber ich fühle mich von dir angezogen."
Meinte er plötzlich ernst und mein Herz machte einen Satz.
„Ach ja?"
Piepste ich und ich spürte, wie sein Atem über meine Lippen strich.
„Ja."
Ich wäre fast darauf hinein gefallen. Einfach, weil jede Zelle in meinem Körper Nick noch näher sein wollte.
„Aber diese Gefühle sind nicht echt, Nick. Sie kommen von einer blöden, überirdischen Verbindung, die wir uns nicht ausgesucht haben."
Er nickte.
„Mag sein. Aber vielleicht wären die Gefühle auch da, wenn die Verbindung es nicht wäre."
Das war möglich. Und ein Teil in mir hoffte sogar darauf.
„Und wie erkennen wir das?"
Fragte ich leise.
„Lass es uns rausfinden."
Dann landeten seine Lippen auf meinen. Und die Gefühle in mir drohten zu explodieren. So lange verzehrte ich mich schon danach, seine Lippen wieder zu fühlen.
Und jetzt endlich konnte ich ihm wieder nahe sein. In diesem moment warf ich all meine Prinzipen darüber, dass ich ihn nicht ausstehen konnte, über Bord.
Ich legte meine Arme um seinen Hals und stellte sicher, dass er ja nicht aufhörte, mich zu küssen.
Er intensivierte den Kuss und drängte mich an die kalte Wand des Badezimmers. Wieso knutschten wir auch immer im Badezimmer herum. Konnten wir das nicht wie alle anderen im Privaten erledigen?
Doch dieses Mal kam niemand rein. Kein Simon. Nur wir zwei.
Nick entfuhr ein leiser, tiefer brummender Laut, als er mir seinen Händen unter das lange Shirt fuhr und seine Finger zuerst über meinen Bauch und dann über meine Brüste fuhren.
Ich schauderte und genoss die heissen Küsse, die er währenddessen überall auf meinem Hals verteilte.
Dann zog er plötzlich die Hände zurück und trat von mir zurück. Seine Augen leuchteten grell.
„Was...wieso hörst du auf."
Er fuhr sich durch die Haare und atmete stockend aus.
„Hat sich das echt angefühlt?"
Ich nickte. „Ja."
„Siehst du."
Ich musste lächeln. Es war wahrscheinlich das unsensibelste, was ich je in meinem Leben getan hatte. Aber ich dachte nur daran, mit Nick zu knutschen, obwohl jemand gerade gestorben war. Vielleicht lag das auch an dieser Verbindung. Vielleicht war ich auch einfach ein egoistisches Miststück.
„Wieso machst du dann nicht weiter?"
Ich machte barfuss einen Schritt auf ihn zu, griff nach seinen Fingern und liess sie langsam meine nackten Beine hinauf gleiten.
Er knurrte und ich spürte, dass er schauderte.
„Weil ich es richtig machen möchte. Kein Arschloch. Keine schnelle Nummer im Badezimmer. Ich will dich kennen lernen."
Ich liess seine Finger los und biss mir auf die Lippen.
Verdammt, das war echt ziemlich ehrenhaft von ihm. Damit hätte ich nicht gerechnet.
„Okay...das klingt eigentlich ganz gut."
Flüsterte ich und Nick starrte kurz leicht frustriert meine Beine an. Kurz sah er aus, als würde er es bereuen, dass er ausgerechnet jetzt den Gentleman spielte, als ich ihm hatte grünes Licht geben wollen. Aber vielleicht war das auch besser so.
„Gut. Dann treffen wir uns morgen nach der Beerdigung am kleinen Teich."
Ich nickte.
„Aber ich gehe nicht an die Beerdigung."
Er fragte nicht wieso und ich war froh darüber. Abgesehen davon, dass ich eine weitere Beerdigung nicht ertrug, wollte ich auch nicht als die Geächtete dort erscheinen.
„Okay. Dann komme ich nach."
Ich nickte abermals.
„Gut."
Er entfernte sich etwas zögerlich von mir und verliess dann das Badezimmer. „Dann bis Morgen."
Ich nickte nur wie ein Trottel und blieb dann stehen wo ich war. Diese Nacht war eindeutig zu viel für mich.
Der nächste Tag verlief auch nicht besser. Erst jetzt wurde Kias Tod irgendwie real. Niemand ass etwas und niemand redete gross.
Ich getraute mich auch nur kurz nach unten, um meine Jacke anzuziehen und dann nach draussen zu verschwinden. Den ganzen Tag über arbeitete ich alleine im Sägewerk und zerhackte Holz für Holz.
Ich legte meine ganze Wut in meine Schläge und versuchte so, die Kontrolle über meine aufgewühlten Gefühle zurück zu bekommen.
„Es tut mir leid."
Hörte ich dann Killian hinter mir sagen und liess das Holzbeil langsam sinken.
„Was tut dir leid?"
„Dass ich dich nicht in Schutz genommen habe, als sie dich beschuldigt haben. Ich weiss doch, dass du das niemals tun würdest. Aber in diesem Moment, ich war einfach so aufgewühlt und ja..."
Ich zuckte die Schultern.
„Schon okay. Ist vergessen."
Er nickte und vergrub die Hände in den schwarzen Hosentaschen. Er war ganz schwarz gekleidet. War es schon Nachmittag? Hatte ich die Zeit so vergessen?
„Ich mag dich Alana. Du bist meine Freundin und ich möchte dich nicht verlieren, weil ich nämlich..."
Ich unterbrach ihn.
„Wirst du nicht. Es ist alles gut, versprochen."
Ich zeigte ihm ein Lächeln. Er nickte langsam und kratzte sich am Hals.
„Na gut...kommst du mit? Die Beerdigung fängt gleich an. Wir vergraben sie auf dem Rudelfriedhof weiter hinten im Wald."
Ich schüttelte den Kopf.
„Ich komme nicht mit."
„Aber willst du dich denn nicht von Kia verabschieden?"
Fragte Killian niedergeschlagen.
„Nein. Ich will sie rächen. Vorher kann ich ihr nicht unter die Augen treten."
„Ich verstehe. Ich lege für dich eine Blume auf ihr Grab."
Ich lächelte schwach und zog die Handschuhe aus.
„Danke, Killian."
Er drehte sich um und verschwand, während ich auf die feinen Holzsplitter auf dem Boden starrte und am liebsten laut los geschrien hätte.
Aber ich riss mich zusammen.
Ich musste meine Wut, meinen Frust und die Trauer irgendwie loswerden. Körperliche Betätigung war der Schlüssel. Holzhacken hatte geholfen, mir die Wut etwas zu nehmen, aber die Trauer spürte ich immer noch. Das war das schlimmste aller Gefühle. Denn Trauer ging einher mit Hilflosigkeit und Verzweiflung. Und diese Gefühle kannte ich unterdessen ziemlich gut.
Also beschloss ich, mich auf den weg zum kleinen Teich zu machen, der mir Nick zu Beginn meiner Zeit hier gezeigt hatte. Es lag ein ganz schönes Stück Wald zwischen dem Teich und mir. Das letzte Mal hatten wir die Distanz als Wolf zurück gelegt, als Mensch war ich also sicherlich langsamer. Aber das war auch okay so.
Ich joggte los, in die Richtung in der ich den Teich vermutete.
Das Joggen verwandelte sich ziemlich schnell in einen Sprint und der Sprint in einen kleinen Marathon. Aber es fühlte sich so unglaublich befreiend an.
Ich rannte durxh den Wald, als Mensch, als langsames Wesen. Ich spürte mein Herz angestrengt in meiner Brust schlagen und das säuerliche Ziehen in meinen Beinmuskeln. Ich spürte wie mein Hals vom vielen Einatmen der kühlen Waldluft pulsierte und wie meine Haare um meinen Kopf herum flogen, wenn ich über einen Baumstamm sprang.
Meine Füsse waren flink, ich schoss an den aneinander gereihten Baumstämmen vorbei und genoss die vereinzelten Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg durch die Baumkronen kämpften. Ich war mir nicht sicher, ob ich zu schnell für einen normalen Menschen rannte. Wahrscheinlich schon.
Nick und die anderen konnten das ja auch. An einem Ort stehen und innert einer Sekunde wo anders sein.
Und ich, ich konnte das jetzt auch.
Ich flog förmlich durch den Wald und war mir sicher, dass eine Kamera mich nur verschwommen erwischt hätte, hätte man nun versucht, ein Foto von mir zu machen.
Das Gefühl der Freiheit währte genau so lange an, bis ich anhielt. Denn ich hatte mein Ziel erreicht. Vor mir lag friedlich der kleine Teich, der mit Seerosen bewachsen war und tiefblau glitzerte. Die grünen, nassen Gräser am Ufer des Teichs glitzerten als wären sie aus Diamanten und kleine Libellen flogen umher. Es war ein friedlicher Ort.
Und trotzdem fühlte ich mich schon wieder so menschlich. Menschlich mit so vielen schmerzlichen Gefühlen.
Ich hockte mich an das Ufer des Sees und schwadderte mit den Fingern durch das kalte Wasser.
Gedankenversunken sass ich da, lauschte den Geräuschen des Waldes und den trillernden Vögeln, sodass die Zeit verging ohne dass ich es merkte.
Dann setzte sich plötzlich jemand neben mich.
Wer denkt ihr, könnte wirklich Zacharia ins Haus gelassen haben? War es am Ende doch Alana? Und wie denkt ihr über Nick und sie?
Ich freue mich über den Leser*innenzuwachs und hoffe, ihr seid auch alle im nächsten Kapitel wieder dabei!
Alles liebe ♡
Angora77 ☽
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