11-Melanies Racheaktion
Die nächsten Tage verlieren unheimlich normal. Die Meisten gingen ihrer Arbeit oder ihrem Studium nach. Ich musste allerdings Anthony helfen, die Waffen aus den Keller zu holen und zu reinigen.
Ich, die ja so auf Gewalt stand.
Auf meine Frage hin, wofür die ganzen Dolche und verstaubten Jagd-Gewehre seien, antwortete mir der Alpha mit ernster und besorgter Stimme.
„Die sind für die menschlichen in unserem Rudel. Ich fürchte, das im Fall eines Kampfes wir ansonsten nicht gewinnen werden."
Ich hatte verstehend genickt. Anthony glaubte Nick seine Behauptung also auch nicht, dass ich seine Gefährtin war. Sonst würde er sich nicht für einen Kampf bereit machen.
„Aber wenn die Älteste feststellt, dass ich nicht Nicks Gefährtin bin, wieso willst du dann kämpfen? Ihr könntet mich doch dann einfach übergeben..."
Anthony schüttelte finster den Kopf.
„So leicht ist das nicht. Zacharia würde uns nicht in Ruhe lassen. Er will unser Revier und davon wird er nicht ablassen. Denn nur ein Alpha mit einem Revier, ist ein anerkannter Alpha."
Klar. Es ging ihm hier also in keinem Moment um mich. Gut zu wissen.
Schweigend putzte ich den Dolch weiter mit dieser stinkenden Flüssigkeit ab, die ihn wieder blitze blank erscheinen liess.
Nach einer Weile räusperte sich Anthony.
„Ich habe nachgedacht, Alana. Und es ist gut, dass ich dir das alleine erzählen kann."
Ich hob den Kopf und beobachtete, wie der bärtige Mann langsam den Schleifstein beiseite legte, mit dem er bis vor wenige Sekunden einen Dolch geschärft hatte.
Ohje.
„Ich habe beschlossen, dich nicht Zacharia zu übergeben. Selbst wenn die Zeremonie fehlschlagen würde."
Meine Augen wurden gross und die Couch fühlte sich plötzlich viel weicher und einladender an.
„Was? Aber...wieso denn? Verstösst du denn nicht gegen die Rudelgesetze?"
Anthony lachte brummend.
„Ich mag die Gesetze nicht. Sie wurden von Wölfen geschrieben, die vor hunderten Jahren lebten. Diese Regeln sind veraltet und konservativ. Ich werde einfach sagen, das Zacharia kein echter Alpha ist, solange er kein Land besitzt. Und somit keinen Anspruch auf dich erheben kann."
Mir wurde warm ums Herz.
„Wow...und wieso tust du das für mich?"
Anthony sah mich aus wissenden, sanften Augen an. Kein Wunder liebte ihn Margerite so sehr. Er schien ein guter Mann zu sein.
„Weil ich weiss, zu was dich Zacharia zwingen würde...was er dir antun würde. Und das kann ich dir nicht antun. Du bist ein Mitglied meines Rudels. Und das bleibst du auch."
Ich schluckte und ein kleiner Teil in mir zweifelte daran, ob ich wirklich von hier abhauen sollte.
„Das ist....danke."
Sagte ich leise und er lächelte, was man durch den dichten Bart nur schlecht erkannte.
Dann gingen wir wieder schweigend unserer Arbeit nach.
Die nächsten Tage verliefen ähnlich eintönig.
Die Älteste kam noch nicht vorbei, sie liess sich Zeit. Immer mal wieder kreuzten Einzelläufer von Zacharia auf, um sicher zu stellen, dass ich noch da war. Und anders als früher konnte Anthony sie nicht verjagen, da Zacharia das Recht hatte, auf dem neusten Stand zu bleiben. Es war eine Ausnahmesituation die niemanden sehr geheuer war.
Mit Nick redete ich nicht, mit Melanie auch nicht. Ich bekam allerlei vorwurfsvolle Blicke von ihren Freundinnen zugeworfen, doch die waren momentan mein kleinstes Problem. Das dachte ich zumindest.
Aber ich unterschätzte Melanies Rachegelüste.
Und so kam es, dass ich wie jede Nacht, zu Bett ging. In meinem Zimmer, das ich nun alleine bewohnte. Ich war nudelfertig und schlief eigentlich auch ziemlich schnell ein. Ich hatte einen tiefen Schlaf, schon immer. Und erst heute realisierte ich, dass dies ein Fehler war. Dass man sich niemals zu sicher fühlen durfte.
Wach wurde ich erst, als ich irgendwen Kichern hörte. Langsam blinzelte ich in die Dunkelheit hinein. Es dauerte einige Augenblicke, bevor ich mich an das fehlende Licht gewöhnte. Dann konnte ich einige Umrisse feststellen, die vor meinem Bett standen.
„Guten Morgen", meinte die einte Stimme.
„Gut geschlafen?", kicherte eine andere. Das waren Melanies Mädels.
Ich war noch nicht ganz wach, also schaltete ich langsam.
„Was soll das? Was macht ihr hier?"
Fragte ich müde und gar nicht zum Scherzen aufgelegt.
„Weisst du, was du mir angetan hast, Alana?"
Hörte ich Melanies Stimme aus der Dunkelheit.
Ich stöhnte.
„Melanie, darauf habe ich gerade echt keine Lust. Können wir das nicht morgen klären?"
„Nein. Können wir nicht. Ich hatte so grosse Pläne für Nick und mich. Und du? Du hast sie kaputt gemacht. Du hast mich verletzt."
Sie klang echt super angepisst. Ihre Mädels nickten zustimmend mit verschränkten Armen.
„Und da denkt ihr, in der Nacht an meinem Bett aufzukreuzen ist der richtige Weg, mit mir darüber zu reden?"
„Ich will gar nicht reden Alana. Ich habe gelitten, als ich das von dir und Nick gehört habe. Und du sollst auch leiden. Meine Mädels haben lange nachgedacht. Und ich glaube, wir haben rausgefunden, was es ist."
Ich schüttelte genervt den Kopf.
„Okay, das reicht jetzt. Verschwindet aus meinem Zimmer und zwar schnell."
„Ganz sicher nicht."
Ich wollte mich aufsetzen, da durchfuhr ein ziehender Schmerz meine Arme.
„Was zum...."
Flüsterte ich und sah hinter mich.
Meine Handgelenke waren mit festen und rauen Stricken ans Bett gekettet.
Ich wollte meine Beine bewegen, doch da war es genauso.
„Was ist das für eine Scheisse! Macht mich sofort los!"
Schnauzte ich und versuchte, an den Stricken zu reissen. Aber die sassen wirklich erstaunlich fest.
„Nein. Jetzt wird es Zeit, dass du dich mal genauso beschissen fühlst wie ich mich fühle."
Zischte Melanie und ihr schönes Gesicht tauchte langsam über meinem auf.
Sie sah wütend aus. Und sie schien es wirklich ernst zu meinen.
„Melanie, lass das. Ich verstehe, dass ich dich verletzt habe. Und das tut mir leid. Aber das hier ist echt Bullshit."
Sie schüttelte stumm den Kopf.
„Na los, mach schon! Bevor wer aufwacht!"
Forderten ihre Freunde die Brünette an, die etwas unentschlossen vor mir stand.
Dann nickte sie, als müsse sie sich selbst ermutigen.
Sie hob eine Hand und schob sie langsam in mein Blickfeld.
Mir lief es kalt den Rücken hinunter. Sie hielt eine Spritze in der Hand.
Aber eine, die garantiert nicht für Menschen gedacht war. Sie sah alt aus, war völlig verrostet und riesig. Wirklich riesig. Und ihre Nadel...mein Körper begann sich zu verkrampfen.
„Nein...."
Flüsterte ich und riss an den Fesseln.
„Du bist doch ein Labor Wolf. Dann hast du damit sicher kein Problem."
Knurrte Melanie, während sich eine lähmende Angst in meinen Gliedern ausbreitete. Es war eine Angst, wie ich sie nur empfand, als ich damals auf dem Tisch dieses verrückten Doktors gelegen hatte. Als er mir die Spritze verabreicht hatte, die mich tausende Qualen durchleben liess.
Und plötzlich sahen meine Augen wieder den Doktor über mir, nicht Melanie. Ich spürte nicht mehr mein warmes Bett unter mir, sondern den harten und kalten Operationstisch.
Ich sah, wie sich die Spritze meinem Hals näherte.
Verzweifelt versuchte ich, die Kräfte in mir zu wecken, die stark genug waren, die Stricke zu zerreissen. Doch die Angst lähmte mich. Ich konnte mich nicht bewegen. Sah nur, wie die Spritze langsam näher kam. Panik explodierte in meiner Brust.
„Stop...nicht...."
Presste ich hervor.
„Schau doch, wie erbärmlich sie jetzt wimmert..."
Hörte ich eine der Mädchen sagen, doch die Worte drangen nicht bis zu mir vor.
Ich hatte solche Angst. Ich konnte nicht mehr atmen. Und ich spürte, wie die Spritze meinen Hals berührte. Ganz leicht, setzte die Spitze auf meiner Haut an. Sie kratzte nicht einmal wirklich daran.
Aber das war der Moment indem ich die Augen schloss und schrie. Ich schrie so laut ich konnte. Wie ich es in dem Labor getan hatte. Ich schrie meine ganze Hilflosigkeit hinaus, die mich von innen zu zerfressen drohte.
Der Schrei hallte in meinen Ohren und dann spürte ich, wie sich ein Teil des Schmerzes von mir loslöste. Wie eine enorme Druckwelle löste er sich aus meinem Körper und rauschte mit einer unglaublichen Geschwindigkeit durch das Zimmer. Ich hörte wie es mehrere Knälle gab, dann war die Spritze plötzlich weg. Ich spürte sie nicht.
Mit fliegendem Atem öffnete ich die Augen.
Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich weinte. Aber meine Tränen liefen mir heiss die Wangen hinunter. Ich drehte schluchzend den Kopf, konnte nur aus den Augenwinkeln Melanie und die anderen jungen Frauen ausmachen, die sich stöhnend von der Wand links von mir aufrappelten. Ich hatte gar nicht die Zeit zu verstehen, was ich mit ihnen getan hatte.
Dann öffnete sich auch schon die Türe.
Durch meine verschleierte Sicht konnte ich sehen, wie Killian, Nick und noch einige andere alarmiert ins Zimmer stürzten.
„Was zum Teufel ist denn hier....Alana!"
Hörte ich Julian schockiert rufen. Ich war noch immer nicht in der Lage, meinen zitternden Körper unter Kontrolle zu bringen. Zu viel Angst sass noch immer fest in mir verankert. Sie hatte Besitz von mir ergriffen und liess mich nicht mehr los.
Julian war sofort bei mir.
„Schneid sie schon los, schnell!"
Hetzte Killian besorgt, während Julian mit blossen Händen die Stricke an meinen Füssen zerriss.
Ich weinte und zog sofort die Beine an meinen Körper.
„Melanie spinnst du? Tickst du noch ganz richtig!"
Schrie Kia die braunhaarige, verängstigte Schönheit an.
„Das ging wirklich zu weit! Wolltest du die echt in ihren Hals stecken oder was?"
Keifte Kaya Melanie an. Die hatte die Spritze fallen gelassen.
„Nein...keine Ahnung ich war einfach so wütend."
Meinte Melanie kleinlaut, während sich ihre Unterstützerinnen um sie scharten und sich fest hielten, als ob sie hier die Opfer wären.
„Das ging zu weit."
Hörte ich Nick, seine Stimme wirkte kalt wie Eis.
„Aber Nick..."
Ich hörte nicht mehr hin.
Julian hatte unterdessen meine Fesseln gelöst. Jetzt kehrten meine Fähigkeiten zurück.
Blitzschnell drückte ich mich an die Wand und zog die Beine an meine Brust. Noch immer versiegten meine Tränen nicht.
„Scheisse...sie ist völlig panisch", murmelte Killian Julian zu, der hilfsbereit seine Arme nach mir ausstreckte.
„Hey, es ist alles gut. Komm..."
Versuchte er, beruhigend auf mich einzureden.
Doch ich war nicht in der Lage, die gute Absicht dahinter zu erkennen. Ich fühlte mich in die Ecke gedrängt wie ein Tier. Ich hatte Angst und ich vertraute niemandem.
„Nein! Lass mich!"
Schrie ich panisch und schüttelte wild den Kopf. Wie erbärmlich.
Ratlos blickten sich Killian und Julian an.
Dann wurde der blonde Muskelprotz plötzlich unsanft beiseite geschoben.
„Geh zur Seite."
Hörte ich Nick sagen, der plötzlich vor mir auftauchte.
Er trug einen schwarzen Pulli und eine graue Trainerhose. Sein Haar war vom Schlaf geplättet.
„Aber sie...."
Setzte Julian an, doch Nick ignorierte ihn und kniete sich auf mein Bett.
„Alana, ich komme jetzt zu dir."
Meinte er mit ruhiger aber fester Stimme.
Ich schüttelte den Kopf.
„Nein!"
Wimmerte ich und drückte mich mehr an die kalte Wand.
„Doch."
Es schien, als liess er gar keine Widerrede zu. Langsam kroch er zu mir, bis ich ihn riechen konnte. Dann sah ich seine Augen.
Ich sah Sorge darin, Mitgefühl und...Zuneigung?
„Ich bin hier, okay. Sie tun dir nichts, das lasse ich nicht zu, verstanden?"
Flüsterte er langsam und schob seine Arme hinter meinen Rücken.
„Nein..."
Versuchte ich schwach zu widersprechen, doch Nick hob mich sanft hoch und zog mich näher zu sich.
Bis ich mit dem kalten Rücken an seine Brust gelehnt dasass.
„Ist okay. Ich hab dich."
Murmelte er leise neben meinem Ohr und seine Arme schlangen sich um meinen Bauch. Ich wurde mit einer beruhigenden Wärme geflutet.
Mein Körper hörte langsam auf zu zittern. Meine aufs äusserste Angespannten Muskeln entspannten sich wieder. Und meine Tränen versiegten. Ich konnte wieder Atmen.
Und das alles nur weil er hier war. Er hatte es geschafft, die lähmende Angst ihn mir zu verdrängen. Als würde sie sich vor ihm fürchten.
„So ist gut. Es wird alles gut. Ich lasse dich nicht allein."
Nick klang entschlossen. In seiner Stimme schwang ein Hauch von Wut mit. Aber ich spürte, dass die nicht mir galt. Und somit war in diesem Moment alles gut.
„Ich...ich hatte Angst."
Piepste ich mit rauer Stimme.
„Ich weiss. Ich auch....aber jetzt bin ich bei dir."
Ich wusste nicht, wieso er Angst gehabt hatte, aber ich wollte nicht weiter reden.
Ich fühlte, wie diese tiefe Müdigkeit von mir Besitz ergriff, die ich auch gespürt hatte, als ich mich zu einem Wolf verwandelt hatte. Doch dieses Mal hatte ich doch gar nichts getan? Oder?
Dann verschwand langsam alles. Die hitzigen Gespräche am anderen Ende des Raums verblassten und ich spürte nur noch Nicks Wärme, die mich umschloss. Und ich war endlich wieder sicher. Dann war alles Schwarz und leise. Wie in einem Watteball.
Als ich am Morgen aufwachte, strahlte die Sonne bereits in mein Zimmer. Ich spürte noch immer eine tief sitzende Erschöpfung, aber es ging mir besser.
Die Bilder der gestrigen Nacht huschten mir wieder vor meinem inneren Auge vorbei. Ein dunkler Groll bildete sich in meinem Innern. Gegen Melanie, die mir diese panische Angst eingejagt hatte, alles nur um sich an mir zu rächen. Damit war sie zu weit gegangen. Gestern mochte ich vielleicht nicht in der Lage gewesen sein, sie fertig zu machen, doch heute war ich es. Und ich würde sie spüren lassen, dass sie sich mir der falschen Person angelegt hatte. Sie hatte den Krieg eröffnet, also konnte sie ihn auch haben.
Ich gähnte und wollte mich umdrehen, um nochmals einige Minuten zu dösen, bevor mein Wecker klingelte.
Doch da bemerkte ich die Hand auf meiner Hüfte. Ich runzelte die Stirn. Dann drehte ich langsam den Kopf und spitzte erstaunt meine Lippen. Oha.
Ich lag halb auf Nick. Mein eines Bein hatte sich um seins geschlungen, meinen Kopf hatte ich auf seine Brust gebettet. Er trug noch den Hoodie, in dem er auch gestern aufgetaucht war, um mich zu beruhigen.
Er war also geblieben...die ganze Nacht lang.
Ein Lächeln huschte mir über die Lippen. Wie er da lag, die zerzausten Locken die ihm in die Stirn hingen, die langen Wimpern und die vollen Lippen. Er sah so entspannt aus. So sah ich ihn selten.
Es fühlte sich gut an, ihm so nahe zu sein, das leugnete ich gar nicht. Ich genoss das Gefühl sehr. Es hatte etwas intimes, zusammen unter der Bettdecke zu liegen. Aber es war nicht unangenehm. Ich atmete langsam aus, während eine wohlige Wärme meinen Körper durchströmte. Ich hasste Nick doch eigentlich für seine Aktion neulich, doch wieso starrte ich ihn jetzt wieder an wie eine verliebte Teenagerin?
Damit musste ich eindeutig aufhören.
„Morgen."
Murmelte Nick dann und zog seine Arme, die um mich gelegt waren, etwas an. Ich holte tief Luft.
„Hi."
Piepste ich. Seine Stimme klang so herrlich rau und verschlafen.
Jetzt öffnete er die schönen Augen und blickte direkt auf mich hinunter.
„Wie geht es dir?"
Fragte er.
„Ganz gut...denke ich."
Er nickte zufrieden.
„Aber müsstest du nicht an der Uni sein?"
Fragte ich, während er sein Kinn auf meinen Kopf bettete. Ihm schien diese Nähe also auch zu gefallen. Er ging ziemlich locker damit um.
„Das war wichtiger. Wegen einem verpassten Tag passiert ja nichts."
Ich musste grinsen und war froh, dass er es nicht sah.
„Du wolltest also bei mir bleiben?"
Kurzes Zögern.
„Ich musste sicherstellen, dass es dir gut geht. Ich wollte nicht, dass du alleine aufwachst und vielleicht wieder..."
Mein Blick wurde finster. Sofort war meine Kuschelstimmung verschwunden.
„Ja...ich weiss was du meinst."
Meinte ich kühl. Melanie würde die Aktion gestern noch leid tun. Dafür würde ich sorgen.
„Alana, hör zu, ich weiss dass das unter aller Sau war, was sie gestern abgezogen hat, aber bitte, veranstalte kein Drama deswegen."
Und schon sass ich am anderen Ende des Bettes.
„Wie bitte? Bist du deswegen geblieben? Um die Wogen für deine Freundin zu glätten?"
Zischte ich. Nick liess seufzend die Arme auf die Bettdecke fallen.
„Nein, das reimst du dir jetzt wieder zusammen. Ich meine damit nur, dass heute die Älstest kommt und dass wir nicht noch mehr Stress brauchen als das Ritual und Zacharia..."
Ich schüttelte den Kopf und schenkte ihm meinen besten giftigen Blick.
„Du willst also, dass ich einfach vergesse, dass sie mich gefesselt und fast mit einer Spritze erstochen hat? Einfach so?"
Er richtete sich langsam auf und schlug die Bettdecke zurück.
„Nein, du sollst es nicht vergessen. Aber du sollst es ruhen lassen. Zumindest für heute."
Ich lachte verächtlich.
„Vergiss es. Ich dachte echt, du bist wegen mir hier. Aber du sorgst dich nur um dich und dein Rudel. Verschwinde!"
Bellte ich und warf die ungekämmten Haare zurück.
Nick schüttelte den Kopf und linste zwischen seinen Locken zu mir rüber.
„Alana..."
„Ich sagte raus hier!"
Ich sprang auf und Nick schüttelte entnervt den Kopf.
Dann hob er abwehrend die Hände und trottete aus dem Zimmer. Zurück liess er mich und die riesige Wut, die in mir brodelte wie ein Vulkan.
Und dieser Vulkan brach aus, als ich Melanie am Esstisch erblickte. Ich hatte mir ohnehin nicht vorgenommen, mich zurück zu nehmen. Oh nein. Aber als ich sie sah, war mein einziger Gedanke sie zu zerstückeln.
So wütend war ich. Vielleicht war es der Wölfische Teil in mir, vielleicht auch nicht.
Ich stand am Ende der Treppe, die in die riesige Halle führte, die als Salon und Esszimmer diente.
Die meisten waren bereits unten, schmierten sich ihre Brote oder assen ein Müsli. Melanie war gerade dabei, ein Korb mit Toast auf den Tisch zu stellen.
Ihre hellbraunen Haare glänzten golden, als wäre nie etwas geschehen. Das würde ich ändern.
„Oh, oh."
Machte Killian, als er mich erblickte und stiess Kia, die neben ihm sass in die Seite.
„Ohje, sie wird sie fertig machen."
Die Gespräche am Tisch verstummten. Melanie drehte sich um. Unsere Blicke trafen sich.
Ich fixierte sie und liess meiner Wut freien lauf.
Blitzschnell, schneller als es einem normalen Menschen möglich gewesen wäre, bewegte ich mich auf sie zu.
Ihre Augen weiteten sich, Julian versuchte noch, dazwischen zu gehen, doch ich war zu schnell.
Ich stiess ihr krachend die Hand auf die Brust, mit solch einer Wucht, dass sie nach hinten flog und gegen die Wand knallte.
Raunen war zu hören. Erschrockene Aufschreie einiger Mädels.
Melanie stemmte sich wimmernd und hustend wieder auf die Beine.
„Alana!"
Warnte mich Anthony, der in der Küchentür erschien.
„Hör auf damit!"
Doch ich dachte gar nicht daran.
Ich wollte sie einfach nur fertig machen. Meine Wut an ihr auslassen. Und auch meine Angst, die ich ihretwegen wieder durchleben musste.
Ich atmete schnell und lief mit entschlossenen Schritten auf sie zu. Meine Augen glühten lila. Mein innerer Wolf wollte mitspielen. Wollte sie zerfetzen. Ich konnte ihre Angst riechen. Sie sollte sich genauso fürchten wie ich mich.
Ich knurrte und es hörte sich nicht mehr menschlich an.
Killian versuchte, sich mir in den Weg zu stellen. Aber meine Wut hatte meinen Verstand ausgeschaltet. Und ich packte ihn einfach an der Schulter und stiess ihn aus dem Weg. Es ging ganz leicht. Dass er gegen die Stühle taumelte und fast einige zu Boden riss. Doch das war unwichtig. Nichts würde mich von meinem Ziel abbringen.
„Alana, nicht!"
Wimmerte Melanie und hob schützend die Hände vor ihr Gesicht. Die alte Alana hätte spätestens jetzt aufgehört. Doch seit ich ein Wolf war, hatten sich meine moralischen Grenzen irgendwie verschoben.
„Ich mach dich fertig!"
Knurrte ich und hatte sie fast erreicht. Ich spürte, wie meine Finger zu Klauen wurden. Klauen, die ich in ihren Hals rammen würde. Dann wüsste sie schon, wie sich das anfühlte, was sie gestern hatte tun wollen.
Ich hob die Hand und spürte den feinen Luftzug daran. Melanie schrie auf.
In dem Moment schoss Nick von der Seite auf mich zu und stiess mich mit voller Wucht von meinem Opfer weg.
Ich flog durch die Luft, landete aber wieder auf meinen Füssen. Ich hob den Kopf und sah das leuchten meiner Augen sich in seinen spiegeln.
„Stop!"
Sagte Nick und blickte mich fest und entschlossen an.
„Ich mach sie fertig. Also geh mir aus den Weg!"
Knurrte ich und er baute sich vor dem jammernden Mädchen auf, das sich so klein wie möglich machte.
„Nein. Wirst du nicht. Dann bist du nicht besser als sie."
Ich verzog die Lippen. Das war mir egal. Ich wollte auch keinen Award für den herzensgutesten Menschen gewinnen. Ich wollte Melanie nur endlich geben, was sie verdiente.
„Denk darüber nach, bevor du dich mit mir anlegst", warnte mich Nick. Doch ich brauchte nicht nachzudenken. Er war stark, das wusste ich, ja. Aber gerade jetzt hatte ich ein enormes Selbstbewusstsein. Ich wusste einfach, dass ich stark genug war.
„Das schaff ich schon", konterte ich und wollte gerade wieder los stürmen, als mir Kaya die Sicht versperrte. Ihre Dreadlocks waren zu einem enormen Dutt gebunden. „Ruhig Blut, Alana. Du hast jedes Recht der Welt, wütend zu sein. Und ich bin ganz dafür, dass du ihr mal eine gehörige Abreibung verpasst."
„Dann lass mich einfach durch. Dann wirst du es sehen."
Zischte ich.
Sie sah mich wissend an.
„Erst, wenn du dich wieder unter Kontrolle hast. Gerade jetzt, würdest du sie töten, Alana. Das ist der Wolf in dir. Du hast noch nicht gelernt, wie du mit ihm umgehen kannst. Aber du würdest es bereuen, wenn du das jetzt tun würdest."
Sie hielt mich beruhigend an den Schultern fest. Das wirkte. Ich hätte Melanie tatsächlich getötet. Und als mir das klar wurde, setzte auch mein Verstand wieder ein. Ich wollte mich bei ihr revanchieren, aber nicht auf diese Weise. Naja, vielleicht in einer etwas abgeschwächten Version davon.
Ich atmete wieder langsamer und meine geschärfte Sicht verwandelte sich zurück in die eines normalen Menschen.
„Mag sein." Murmelte ich und mahlte mit dem Kiefer, während Melanie erleichtert aufatmete, und sich überaus dankbar in Nicks Arme warf.
„Aber ich mach sie fertig."
Kaya grinste mir zu, bevor sie mich wieder los liess.
„Und das werde ich um nichts in der Welt verpassen."
Flüsterte sie mir zu.
Das half.
Trotzdem war die Stimmung beim Frühstück äusserst angespannt. Ich fixierte die ganze Zeit über eine nach der anderen, die gestern Nacht dabei gewesen waren. Damit sie verstanden, dass sie auch noch dran kommen würden. Und ich sah mit grosser Zufriedenheit, wie sie jeden Bissen runter würgen müsste.
Aber auch sonst war alles angespannt. Heute würde die Älteste kommen um zu überprüfen, ob Nicks Behauptung wahr war, oder nicht. Ehrlich gesagt glaubte ich nicht daran. Aber für diesen Fall hatte ich ja die Reisetasche unter meinem Bett. Dann würde ich hier schleunigst verschwinden.
Es war merkwürdig, dass heute Niemand zur Arbeit oder an die Universität ging. Ihnen allen schien dieses dumme Ritual echt wichtig zu sein.
Anthony brach nach einer weile das eiserne Schweigen, das am Tisch herrschte.
„Melanie, ich möchte dass du dich hier vor allen bei Alana entschuldigst."
Melanies Kopf lief rot an und sie verknotete unruhig ihre Finger.
„Aber..."
„Ich dulde kein aber! Wir sind ein Rudel! Kein Mitglied sollte einem anderen solchen Schaden zufügen, wie du es tun wolltest. Also los."
Erwartungsvoll blickten die Augenpaare von Melanie zu mir.
Ich hatte sie fest im Visier. Ich machte es ihr doch nicht leicht, das konnte sie vergessen.
Melanie schluckte und blickte mich dann an.
„Es tut mir leid, das hätte ich nicht tun dürfen. Es war falsch."
Sie schien die Worte kaum aussprechen zu können, trotzdem gab es mit eine gewisse Genugtuung.
Nicht, weil sie sich entschuldigte, ich sah in ihren Augen, dass es nur leere Worte waren. Sondern weil sie sich erniedrigt fühlte. Und das war eines der miesesten Gefühle überhaupt.
Ich strafte sie mit Schweigen, sagte einfach nichts und biss von meinem Brot ab. Meine Zitternden Hände, den schock von gestern Nacht, der noch immer tief in meinen Gliedern sass, vermochte ich vor ihnen allen zu verstecken.
Zufrieden wollte sich Anthony wieder seinem Essen widmen, als eine von Melanies Gehilfinnen der Kragen platzte.
„Wieso muss sich Alana nicht auch bei uns entschuldigen?"
Giftig sah sie Kaya an.
„Wieso sollte sie? Sie war schliesslich ans Bett gekettet du dumme Gans!"
Das Mädchen reckte empört den Hals.
„Aber sie hat uns alle an die Wand gestossen! Sie hat uns zwar nicht berührt, aber sie hat geschrien und wir sind echt heftig an die Wand geknallt."
Kurz war es ganz still. Die älteren Mitglieder des Rudels sahen sich vielsagend an. Anthonys Blick war unglaublich ernst und nachdenklich geworden, während der seiner Frau vor Freude strahlte. All diese Reaktionen verstand ich nicht. Ich verstand ja nicht mal die Anschuldigung. Ich hatte nichts dergleichen getan, was mir Melanies Freundin vorwarf. Ich hatte niemanden gestossen.
Doch bevor irgendwer noch etwas dazu sagen konnte, klingelte es an der Tür.
Anthony erhob sich und richtete sein Hemd.
„Sie sind da."
Was glaubt ihr, wird in dem Ritual rauskommen? Hat Nick gelogen oder die Wahrheit gesagt? Und wie konnte Alana Melanie und ihre Mädels an die Wand stossen, ohne sie zu berühren? So viele Fragen, lasst eure Meinungen dazu in den Kommis! ❥ ich freue mich darauf, von euch zu lesen ♡
Alles liebe
Angora77 ☽
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