Traumfresser

Shin war außer sich. Was auch immer dort am Bahnhof geschehen war, soviel Angst er auch in diesem Moment gehabt hatte, es war alles wie weggefegt. Jetzt war er sich nur noch am Ärgern. Er hatte sich einfach verjagen lassen. Er hatte nicht einmal einen richtigen Versuch gestartet sich durchzusetzen. Nein. Voller Wut blieb er vor seinem Zimmer stehen, das natürlich leer war. Er wollte nicht allein sein. Er könnte jetzt mit Lelio zusammen sein. Es war zwar nicht die beste Wahl, aber diese Schule ging ihm langsam auf die Nerven. Um irgendetwas zu tun, nahm er die Fee von seiner Schulter und streichelte ihr über den winzigen Kopf, während sie an dem Pflaster herumspielte. „Mach es nicht ab.", tadelte Shin sie und zog sie davon weg. In einem Seitenblick erkannte er etwas, das ihm einen erneuten Schauder über den Rücken laufen ließ. Die Tür zu seinem Zimmer war nur angelehnt. Eigentlich würde er sich über eine solche Kleinigkeiten keine großen Gedanken machen, aber nachdem er geschlagen, gebissen und geschubst worden war, wurde er etwas vorsichtiger. Er setzte die Fee wieder zurück um beide Hände frei zu haben und warf einen vorsichtigen Blick durch den Türschlitz. Das Licht war an, ansonsten war nichts zu erkennen. Vielleicht war Ren doch früher aus dem Krankenzimmer zurück und hielt sich jetzt im Zimmer auf. Shin beruhigte sich etwas und öffnete möglichst leise die Tür. Es war nicht Ren, sondern Nell, der in Shins Bett lag und allem Anschein nach schlief. Es sah aus als hätte er sich aus dem Sitzen zurückgelehnt und sei dann eingeschlafen. Shin spürte sowohl Freude als auch Schuldbewusstsein, weil er beinahe mit Lelio abgehauen war, während Nell hier auf ihn gewartet hatte. Er schloss die Tür hinter sich und trat zu Nell, der so viel friedlicher aussah als sonst. Shin beugte sich über ihn, um mit dem Finger seine Lippen zu berühren, doch kurz bevor er sie erreicht hatte, packte Nell ihn ohne Vorwarnung am Arm und zog den erschrockenen Inkubus unter sich aufs Bett. Die Fee fiel von Shins Schulter und landete auf dem Fußboden, von wo sie mit kleinen schimpfenden Lauten unter das Nachtschränkchen hüpfte.

„Hab ich dich.", sagte Nell halblaut und fuhr mit den Krallen über Shins Oberkörper, wobei er die Augen immer noch geschlossen hatte. Er beugte sich über ihn und kurz bevor ihre Nasen sich berührten, öffnete er die Augen und zwinkerte.

Shin wusste nicht so recht ob er lächeln sollte oder besser versuchen sollte sich davon zu machen, doch Nell roch gut und wenn er schon mal hier war... „Wie bist du in mein Zimmer gekommen?", fragte Shin mit klopfendem Herzen und schlüpfte mit seinen Händen, die von draußen immer noch eiskalt waren, unter Nells Oberteil.

„Kalt... Ich bin eingebrochen.", kam als Antwort und Nell erschauderte, als Shins Hände über seine nackte Brust streiften.

Shin griff ohne zu Zögern das Oberteil und zog es Nell über den Kopf, der es überrascht geschehen ließ und dann zurückzuckte, als Shin ihn zu sich ziehen wollte.

„Moment...", Nell wurde etwas nervös. „Eigentlich wollte ich dich überfallen, nicht anders herum."

„Tatsächlich?", Shin richtete sich auf, so dass sie sich, noch halb aufeinandersitzend, gegenüber waren. „Davon habe ich nur den Anfang mitgekriegt. Du willst richtigen Sex haben, nehme ich an. Also warum es nicht mir überlassen, oder vertraust du mir so wenig?" Shin konnte nichts dafür, dass seine Stimme so aggressiv klang. Er war einfach noch viel zu sehr durch den Wind und hatte jetzt wirklich Lust sich mit Nell etwas gehen zu lassen. Er lehnte sich vor und tastete mit der Zunge über Nells Brustwarzen, die dir die kalte Berührung seiner Hände erregt waren. Nell gab ein Geräusch von sich, das gar nicht zu seinem üblichen Ich passen wollte und eine Kralle legte sich bestätigend an Shins Hinterkopf. Der Inkubus grinste und drückte sein Opfer vor sich aufs Bett, bevor sein Mund sich bis zum Hals hocharbeitete. Nell zwang Shins Gesicht auf seine Höhe, damit sie sich küssen konnten und er war überrascht wie viel leidenschaftlicher es war als beim letzten Mal. Shins Knie drückte sich zwischen Nells Beine, wodurch er seine Erregung spürte und er als Antwort sofort dichter zu ihm gezogen wurde. Es war vielleicht doch nicht schlimm Nell etwas zu überlassen. Shin lies kurz von ihm ab und sie sahen sich schwer atmend in die Augen. Nell leckte sich etwas von Shins Speichel von den Lippen und grinste zurück. „Es macht mir Angst, wenn du mich anfasst.", gab Shin keuchend zu, als Nell Anstalten machte ihm das Oberteil auszuziehen.

Er hielt in der Bewegung inne und dachte kurz nach. Dann sagte er etwas, von dem er selbst überrascht war es aus seinem eigenen Mund zu hören: „Soll ich aufhören?"

„Nein!", sagte Shin sofort und drückte Nells Klauen nach oben, streifte den Stoff über seinen Kopf und saß mit freiem Oberkörper auf ihm. Ohne weiter zu überlegen, rückte er ein Stück nach unten, öffnete Nells Hose und begann damit ihn mit dem Mund zu befriedigen. Nell gab ein Knurren von sich und der Griff in Shins Haaren wurde fester, bis er seinen Kopf wegzog und Shin wieder zu sich hochzog um ihn zu umarmen und seinerseits unter sich zu drücken. Shin, dem diese neue Entwicklung sehr gefiel, schlang seine Arme um ihn und ließ zu, dass Nell ihm half die Hose auszuziehen, obwohl er sich ein wenig vor der Begegnung mit den Krallen im Intimbereich fürchtete.

„Darf ich dich beißen?", fragte Nell plötzlich. Er hatte mit dem Mund an Shins Ohr gespielt, so dass der Inkubus sein schweres Atmen gehört hatte. Jetzt fuhr Nell mit der Zunge seinem Hals hinunter, während seine Hände über Shins nackte Beine streiften.

Shins Körper verspannte sich und ein Gefühl der Panik schlich sich an, obwohl er sich schwor ganz ruhig zu bleiben und das Gefühl in seine Triebe umzuleiten. Was sehr gut funktionierte, weil ihre Geschlechter sich berührten und seine Gedanken etwas blockierten. „Warum?", schaffte er es trotzdem zu fragen und er griff unter Nells Kinn, um ihm ins Gesicht zu sehen.

Nells Mund war halb geöffnet und man konnte sehen, dass sowohl alle vier Eckzähne, als auch die beiden Zähne darum, spitz zuliefen. Genau wie man es schön an Shins Narbe ablesen konnte. „Ich weiß nicht.", sagte Nell und in seinen Augen lag keine Spur von Feindseligkeit, nur der Genuss des Moments. „Ich bin auch ganz vorsichtig.", versicherte er.

Shin nickte langsam. Heute musste einfach etwas Dummes passieren. Wenn er schon nicht mit Lelio gegangen war, dann wenigstens das hier. Er ließ Nells Gesicht wieder los und dieser küsste seinen Hals, bis er vorsichtig seine Zähne in sein Fleisch senkte. Shin keuchte auf und wusste nicht ob es wegen dem Schmerz war oder etwas Anderes. Es war nicht einmal halb so schlimm wie beim letzten Mal. Nell war vorsichtig und der Druck hörte sofort auf stärker zu werden, als das erste Rinnsal Blut sich bemerkbar machte. Er ließ nicht locker und schluckte etwas von dem Blut unter, während seine Klauen sich in den Bettlaken festkrallten und am Ende wohl Löcher hinterlassen würden. Shin bemerkte, dass der leichte Schmerz sehr schnell von einem angenehmen Taubheitsgefühl abgelöst wurde und seine Hände wanderten nach unten um die andere Sache zu tun. Es würde wohl wieder nicht aufs Ganze gehen, aber das hier war aufregend und neu. Nells Biss lockerte sich und er küsste Shin, was nach süßem Blut schmeckte. Es war nicht das angenehmste Gefühl, aber in diesem Moment genau das was Shin seltsamerweise wollte. So konnte es gerne weitergehen. Doch...

Von der Zimmertür kam plötzlich das Geräusch eines Schlüssels und sie schwang ohne weitere Vorwarnung auf. Ren stand im Eingang und sah müde auf seinen Mitbewohner und Nell hinunter. Er seufzte und kam ins Zimmer. „Ich will schlafen, also seid ab jetzt leise oder geht woanders hin."

Beide sahen irritiert zu, wie Ren eiskalt an ihnen vorbeiging, sich bis auf die Unterhose auszog (aus Shins Perspektive sein zu erwähnen, das Ren etwas zu dünn ist), sich in sein Bett legte, zudeckte und Richtung Wand drehte.

Nell lies von Shin ab. Sein Blick war neblig, weil das Blut sich noch in ihm ausbreitete, aber er konnte klare Gedanken fassen und entschied, dass es doch etwas unpassend war jetzt weiterzumachen wo sie unterbrochen worden waren. Shin nickte ihm etwas zerknirscht zu. Sie zogen sich beide wieder an und benutzten ein paar Taschentücher um das Nötigste sauber zu machen.

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Fünf Stunden später und es war bereits dunkel geworden, als Shin zurück in sein Zimmer kam und sich müde in sein Bett fallen ließ. Ein Blick auf das Nachtschränkchen und er sah die Fee, die vom Fußboden irgendwie nach oben gelangt war. Sie blinzelte ihm zu. Nell hatte verraten, dass Sumpfschattenfeen sich hauptsächlich von Insekten und Schädlingen ernährten (wenn sie kein Aas finden konnten), die sie selbst jagten. Also musste er sich darum schon mal nicht kümmern. Er drehte sich im Bett herum und bildete sich ein, dass es noch nach Nell roch. Sex war zwar noch eine aufregende Sache, aber das mit dem Blut war anders gewesen. Er fühlte an seinen Hals, der jetzt mit zwei Bissspuren verziert war, die eine wohl zu schwach, als dass eine Narbe zurückbleiben würde, und spürte einen innerlichen Triumph. Er wusste genau wo Nell sich befand. Er wusste, dass er schlief. Und er konnte sein eigenes Blut in Nells Körper spüren. Es war anders als alle Verbindungen die er bisher hatte und jetzt da er verstand es zuzuordnen, war es perfekt. Mit einem Lächeln im Gesicht wickelte er sich in seine Bettdecke und schlief ein.

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Es war so still um ihn herum, dass er nur seinen eigenen Atem hören konnte.

Dann wachte er auf.

Oder er öffnete die Augen.

Etwas war nicht mehr in Ordnung.

Shin lag in seinem Bett.

In Seinem Bett, in Seinem Zuhause. Er wusste, dass irgendetwas damit nicht stimmte und es war immer noch zu still. Er stand auf und die Geräusche die er dabei verursachte, waren unangenehm laut, obwohl es nur das sanfte Knistern der Decke und das leise Knirschen des Bettgestells war. Mit angehaltenem Atem stand er für einen Moment in der Mitte seines Zimmers und lauschte. Doch dort war nichts. Er sah sich um, um irgendeinen Hinweis zu entdecken, doch sein Zimmer sah aus wie immer, wie an dem Tag als er abgereist war... Shin zuckte zusammen, als ihm klar wurde, dass es ein Traum war. Wieder. Wenigstens war dieses Mal keine Gottheit bei ihm, die sich über seine Verwirrung lustig machen konnte. Shin sah schon, worauf dieser Traum hinauslief und er wollte sich auf den Weg zur Küche machen, stellte aber fest, dass seine Zimmertür verschlossen war. Verärgert ließ er sich zu der überflüssigen Aktion hinreißen, am Griff zu rütteln. Was natürlich vergeblich war. Er setzte sich auf sein Bett und fragte sich was das zu bedeuten hatte. Hatte es etwas mit der Abwesenheit der Geräusche zu tun? Er rieb sich die Stirn und spürte eine erschreckende Müdigkeit, die ihm im Traum bisher noch nicht untergekommen war. Er sah wieder auf und stellte nüchtern fest, dass sein Zimmer verschwunden war. Um ihn herum war nur noch tiefste Dunkelheit und das Bett auf dem er saß. Vorsichtig tastete er mit dem Fuß in die scheinbar bodenlose Schwärze und fand eine Art Ebene vor. Er trat auf, wobei im gleichen Augenblick sein Bett verschwand und er kurz schwankte um Halt zu finden. Irritiert sah er sich um. Alles war verschwunden, alles was er war. Die Konsequenzen wurden ihm eiskalt bewusst, als er nicht mehr in der Lage war sich an das zu erinnern, was anstelle der Schwärze hier sein sollte. Er sah an sich herab und ihm fiel etwas ins Auge. Winzig und in kindlichen Farben gehalten, klebte ein gemustertes Pflaster an seiner Hand. Shin, er war Shin und er begann instinktiv das Pflaster abzuziehen. Sein Zimmer kehrte zurück, mit ihm die Wohnung und alles was dazu gehörte. Auch die Dinge die sich außerhalb befanden und die vor ihm verborgen blieben.

Mit all den Dingen, kam auch der Schock über das was gerade geschehen war. Noch dazu sah Shin sich plötzlich mit grober Gewalt auf sein Bett gedrückt. Auf ihm saß jemand mit wachen Augen, doch jedes Mal wenn Shin versuchte ein weiteres Detail zu erkennen, verschwamm es, oder er vergaß es sofort wieder.

„Hast du mich herausgefunden.", sagte der Fremde in einem entschuldigenden Tonfall. „Diese Nachfahren der Lilith sind schon interessante Geschöpfe. Manchmal gibt es sogar noch welche die Träume anderer manipulieren, damit sie ihnen etwas Lebensenergie abgewinnen können. Eine schöne Art sich zu ernähren, denn es ist ein Geben und Nehmen und abgesehen von der Unzüchtigkeit die dabei stattfindet, kommt niemand zu Schaden."

„...Was?", fragte Shin irritiert über die Lehrstunde. Natürlich waren es alles Dinge von denen er wusste, obwohl er zu der verzweigten Art gehörte, wo die Traummanipulation beim Sex kaum mehr ausgeprägt war. Heute ernährte sich fast niemand mehr von der Lebensenergie von Menschen, besonders, weil es immer riskanter wurde einen reinen Menschen zu erwischen.

„Du scheinst auch etwas Talent zu haben, immerhin ist dieser Raum ein fester Punkt. Das ist aber nicht normal für einen Inkubus, oder?", fuhr der Fremde fort und sah sich um, ohne Shin loszulassen. „Aber ich habe mich ablenken lassen.", schloss er gutgelaunt. „Es gibt Wesen die in der Beziehung viel mächtiger sind und sie werden noch mächtiger, wenn sie andere verschlingen. Du scheinst mir einige Probleme zu haben, aber wenn ich mit dir fertig bin, wirst du dich an nichts mehr erinnern. Vorher können wir gerne noch etwas Spaß haben."

„Ich ... was?", fragte Shin erneut, während ihm langsam die Gliedmaßen wehtaten.

Der Fremde beugte sich über ihn und kurz wurde sein Gesicht klarer. Ohne den sonst müden Ausdruck war er kaum zu erkennen gewesen. „Ich habe dich markiert um in deinen Traum zu kommen. Leider hast du es rechtzeitig bemerkt, so konnte ich dich nicht einfach verschlingen. Jetzt muss ich es gewaltsam erledigen. Es tut mir wirklich leid."

Shin sah ihn verwundert an. „Sie sind der Arzt von heute Mittag. Was reden sie..." Seine Stimme versagte, als der Eindringling seine Hand hob und sie anschließend in Shins Brustkorb bohrte. Es war ein Traum und es gab weder Blut noch ein Brechen der Rippen. Doch als die Hand in Shin eindrang, kam die Dunkelheit und das Verschwinden zurück. Shin schnappte nach Luft und sah, wie die Augen des Arztes bei der Berührung golden aufleuchtete und er blitzartig von Shin abließ.

Erschrocken sah der Eindringling auf seine Hände. Das Gold war aus seinen Augen verschwunden und Shin unter ihm atmete schwer. „Das ist eindeutig nicht von dieser Welt.", stellte der Arzt fest. Doch bevor er überlegen konnte, ob er es noch einmal versuchen sollt, hatte Shin ihn mit einer einzigen Handbewegung zu Boden geworfen.

Shin hatte die Hand noch ausgestreckt und sah zitternd hinauf, unschlüssig wie er das gerade getan hatte. Seine Brust schmerzte, als er sich aufrichtete. Jemand war schon wieder in seinen Traum eingedrungen. Götter waren ja noch in Ordnung, sie machten sowieso was sie wollten, doch das hier gefiel ihm ganz und gar nicht. Dieser Mann, dieses Wesen, war eine der Kreaturen, die einem Erinnerungen und Persönlichkeitsfragmente wegnahmen, um selbst stärker zu werden. Wie viele trug er wohl schon in sich? Und er schien keiner von der Sorte zu sein, die nach einem kleinen Stückchen aufhörten, sondern alles aus ihren Opfern saugten bis nichts mehr übrig war. Es machte Shin so wütend, dass man es bei ihm versucht hatte.

Die Kreatur, die immer weniger menschlich aussah, versuchte sich aus Shins Traum herauszuwinden um die Flucht zu ergreifen, doch Shin ließ ihn nicht gehen. Der Raum blieb nach seinem Willen verschlossen. „Ich frage mich, ob du mir etwas weggenommen hast.", mutmaßte Shin und sah mit ungewollter Genugtuung, wie die Kreatur voller Angst den Kopf schüttelte.

Und dann passierte es wieder.

Shin sah sich mit einem Mal selbst dabei zu, wie er aus dem Bett aufstand und ohne Federlesen den Eindringling packte, zu sich hochzog und ihm dann in den Hals biss. Jedenfalls sah es so aus, doch als Shin wieder er selbst war, merkte er, dass er lediglich seine Zunge gegen seine Haut gedrückt hatte und trotzdem Blut in seinen Mund floss. Blut lief in seinen Mund und er schluckte und hustete. Er ekelte sich vor sich selbst und verstand nicht, was er da gerade getan hatte. Der Raum um ihn herum löste sich langsam auf und er glitt in das Erwachen über.

Es schmeckte immer noch nach Blut.

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Shin drehte sich im Bett herum und musste husten. Etwas Warmes tropfte aus seinem Mund und ein stechender Schmerz zuckte durch seine Mundhöhle. Mit zitternden Händen knipste er die Lampe neben seinem Bett an und sah, dass auf seinem Laken rote Flecken waren. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und sah das Blut. Er schluckte und drückte dabei die Zunge nach oben. Wieder dieser stechende Schmerz. Der Geschmack wurde unerträglich. Shin hielt sich die Hand vor das Gesicht, während die rote Flüssigkeit in dicken Tropfen vor ihm auf das Bett fiel.

„Was ist los?" Ren war aufgewacht und erkundigte sich mit müder Stimme nach ihm, doch Shin konnte nicht antworten, denn sobald er den Mund öffnete, kam der Geschmack zurück. Als Ren keine Antwort bekam, stand er auf und kam zu ihm ans Bett. „Shin."

Shin hob den Kopf und sah hilflos zu seinem Zimmergenossen. „Hnf.", brachte er hervor und ein kleines rotes Rinnsal, stahl sich sein Kinn hinunter.

Rens Augen weiteten sich erschrocken. „Mach den Mund auf, damit ich nachsehen kann.", befahl er, doch Shin schüttelte den Kopf. „Ich kann dir nicht helfen, wenn ich nicht weiß was es ist." Widerwillig öffnete Shin den Mund und seine Zunge löste sich schmerzhaft von seiner Haut, so dass das Blut sein Kinn hinunterlief. Ren beugte sich vor und fasste mit dem Zeigefinger vorsichtig auf Shins Zunge und zog ihn sofort wieder zurück. Er sah ihn mit einer Mischung aus Abscheu und Mitleid an. „Es sieht so aus, als hättest du dich ausversehen selbst verletzt. Eigentlich kann das gar nicht passieren, aber da du ein Mischling bist..."

Shin fasste sich ebenfalls auf die Zunge und bereute es sofort, denn jetzt hatte er auch am Daumen einen Riss, der anfing zu bluten. Ren reichte ihm wortlos ein paar Tücher, mit denen er es wegwischen konnte und prüfte dann noch einmal. Es fühlte sich seltsam an. Wenn er die Zunge hinaufstrich, bemerkte er fast gar nichts. Erst nach unten, also vom Mundinneren nach außen, waren schuppenartige Stacheln zu spüren, die sich bei der kleinsten Berührung aufstellten und die Haut aufrissen, so hatte er sich die Mundhöhle im Schlaf verletzt. Shin saß schockiert auf seinem Bett und versuchte diese Entwicklung zu verarbeiten. Hatte er so den Fremden im Traum angegriffen? Indem er ihn mit seiner Zunge verletzt hatte? Plötzlich traf ihn die eiskalte Erkenntnis, dass er das Muster, das er auf seiner Zunge ertastete schon kannte. Es war das gleiche das sich in den Narben an Rens Nacken wiederfand und auch in dem Bild von sich selbst, das Abaddon ihm gezeigt hatte. „Was ist das?", fragte er mit schwacher Stimme.

„Das ist vollkommen normal... also für Leute wie dich. Damit wird Blut übertragen, aber eigentlich verletzt ihr euch nicht damit.", erklärte Ren und Shin war dankbar, dass seine Stimme so ruhig und beherrscht klang. „Ist das vorher noch nie passiert?"

„Nein!" Shin schluckte. „Und wenn ich rede, mache ich es nur noch schlimmer. Au!" Er hielt sich die Hand vor den Mund und griff dankbar nach einem der Tücher die Ren ihm gegeben hatte. Während er vergeblich versuchte das Blut von seinem Lacken zu wischen und sich dabei selbst leidtat, grübelte Ren vor sich hin, bis er schließlich sagte:

„Ich kann dich zu jemandem bringen, der dir helfen kann."

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