Falls er nur geht den ersten Schritt
Es fühlte sich gar nicht gut an, Lelio einfach sitzen zu lassen, aber Shin musste für diesen Moment allein sein und in Ruhe darüber nachdenken. Er wusste nicht wie seine Fähigkeiten funktionierten und ob er am Ende wirklich etwas mit Lelios Kopf angestellt hatte. Verunsichert war er über den sonnigen Schulhof gelaufen, bis er irgendwann nicht mehr gewusst hatte wohin und sich schließlich vor dem Raum der Botanik-AG wiederfand.
Weil er jetzt irgendetwas tun musste um sich abzulenken, ging er ohne weitere Umschweife hinein und blieb sofort stehen, als er Nell erblickte, der abwesend auf einem der Tische saß und seine Hände musterte. Shin wollte sich eigentlich sofort wieder umdrehen und weggehen, doch etwas stimmte an dem Bild nicht und ließ ihn neugierig innehalten. Nells Hände zitterten leicht und am einen Handgelenke war eine offene Wunde und Shins Augen weiteten sich erschrocken, als ihm klar wurde, dass Nell keine Klauen mehr hatte. „Was ist passiert?" Seine Angst war fast komplett der Neugier gewichen. Ganz verschwunden war sie jedoch nicht, denn der Inkubus hatte die Tür hinter sich offen gelassen, bereit jeden Moment umzukehren und wegzulaufen.
Nell blickte überrascht auf und lief ein wenig rot an, als er Shin erkannte. „Ich weiß nicht genau... ich glaube es ist eine Strafe, damit ich wieder normal den Unterricht besuchen kann. Aber es ist...", er brach ab und sah betreten auf den Boden.
Shin fiel auf, wie verändert Nell plötzlich war. So zurückhaltend wie er sich jetzt benahm war er fast schon süß, aber er wusste auch, dass Nell wahrscheinlich immer noch gefährlich war. Trotzdem konnte er es nicht lassen einen Schritt näher zu kommen und sich die Verletzung anzusehen. „Das sieht nicht so gut aus, wenn du willst kann ich mal einen Blick darauf werfen."
„Was? Bist du lebensmüde? Ich wollte dich umbringen!", entgegnete Nell harsch, starrte Shin jedoch an als würde er sich nichts sehnlicher wünschen, als dass dieser noch näher kommen würde.
„Ach tatsächlich?", versicherte Shin sich. „Du wolltest mich umbringen. Wie sieht es denn jetzt aus?"
In Nells Blick war für einen Moment Panik zu erkennen. „Jetzt nicht mehr.", schaffte er es zu sagen. „Aber... was auch immer du mit mir gemacht hast, hat keine Wirkung mehr auf mich."
Shin dachte kurz über diesen Satz nach. Je mehr er sich auf Nell konzentriert, desto mehr spürte er, dass sich etwas verändert hatte. Er konnte ihn nicht mehr so intensiv wahrnehmen wie beim letzten Mal, aber vielleicht lag es auch daran, dass Nell jetzt geschwächt war. Trotzdem, vielleicht sagte er die Wahrheit. „Aber warum willst du mich dann jetzt nicht erst recht umbringen? Man könnte es immerhin so auslegen, dass ich an deiner momentanen Situation schuld bin."
Nell seufzte. „Kann es sein, dass du ziemlich masochistisch veranlagt bist? So wie du redest, legst du es ja richtig darauf an."
„ich..." Shin war etwas aus dem Konzept gebracht. Eigentlich hatte er kein Gespräch anfangen wollen und jetzt stand er hier und unterhielt sich mit seinem Angreifer. „Ich bin ganz normal.", versicherte er sich selbst. Doch Nell war aufgestanden und hatte sich ihm soweit angenähert, dass er die Hand ausstrecken und sie über Shins Haare streifen konnte. Die Berührung war kaum der Rede wert. Nur Nells Fingerspitzen schienen überhaupt in Kontakt mit den Haarspitzen zu kommen.
„Es fühlt sich so ganz anders an.", flüsterte Nell und trat sofort wieder einen Schritt zurück. „Beim letzten Mal war ich wie im Rausch und hab mich von Instinkten leiten lassen."
„Tut es dir leid?", fragte Shin, während er seine Haare an der Stelle verstrubbelte, an der Nell sie berührt hatte.
„Es tut mir leid, dass ich es nicht beenden konnte, in beiderlei Hinsicht." Nell sagte es ohne weiter darüber nachzudenken, denn im nächsten Moment wurde er wieder rot im Gesicht und lehnte sich etwas verlegen an den Tisch auf dem er bis eben noch gesessen hatte. „Ich wollte dich nicht nur töten."
„Das ist ja beruhigend." Shin versuchte sich unter Kontrolle zu halten. Es war schwierig innere Triebe mit Vernunft zu unterdrücken. Nells Verlangen war stark, Shin konnte es spüren, wie es bis zu ihm drang und ihn in seinem Denken beeinflusste. „Ich werde mir die Wunde einmal ansehen. Ich glaube hier im Raum gibt es einen Erste-Hilfe-Kasten.", hörte er sich sagen und hatte im nächsten Moment schon Nells verletzte Hand ergriffen. „Genäht werden muss es nicht, der... Biss sieht nicht so tief aus." Er schluckte als er die Ursache der Wunde feststellte. An Nells Lippen klebte immer noch etwas Blut und die Handgelenke waren mit seltsamen Zeichen verziert. Für einen Augenblick vergaß Shin ganz mit wem er sich hier in diesem Raum befand. Er konzentrierte sich auf diese fremden Zeichen, es war fast als würde er ihre Bedeutung verstehen, er versuchte tiefer zu graben, doch dann entsann er sich eines Besseren. Er stand seinem ehemaligen Angreifer gegenüber. Dies war nicht die richtige Zeit. Gefasst hob er wieder den Blick und sah, dass Nell ihn die ganze Zeit über abwartend angestarrt hatte. Ein Schauer überkam Shin und er räusperte sich. „Warum hast du dich gebissen? Hast du versucht die Schriftzeichen zu entfernen?"
„Ja.", gab Nell zu und sah von Shin, zu der Wunde. „Es hat nicht funktioniert."
Shin ließ die Hand los und wandte sich mit klopfendem Herzen zu dem Schrank um, um nach dem Erste-Hilfe-Kasten zu suchen. Die Angst war verschwunden. Was im Inneren zurück geblieben war, war ein erbitterter Kampf zwischen Verlangen und gesundem Menschenverstand. Er würde doch jetzt nicht etwas mit Nell anfangen, er hatte ihn immerhin fast umgebracht und außerdem war er jetzt mit Lelio zusammen. Andererseits... ja andererseits war Shin ja eigentlich gar kein Mensch, vielleicht ein kleines bisschen, aber hauptsächlich war er doch ein Dämon und das andere von dem nicht einmal Lelio wusste was es war. Was waren Moralvorstellungen denn schon für ihn? Nichts weiter als überflüssige Richtlinien. Ohne sich im Geringsten etwas von seinen Überlegungen anmerken zu lassen, holte er Verbandszeug hervor und desinfizierte erst einmal die Wunde, die eigentlich recht klein war.
„Du machst das gut.", bemerkte Nell und lächelte.
Shin fragte sich, ob Nell mit Absicht so tat als wäre er plötzlich verunsichert und zurückhaltend. Er musterte sein Gegenüber mit prüfendem Blick. Nell wich ihm nicht aus, sondern starrte fragend zurück. „Hm.", machte Shin und widmete sich wieder dem Versorgen der Wunde. „Besonders tief ist sie ja nicht, hat nur sehr viel geblutet. Du hast Glück gehabt. Bei mir hattest du fester zugebissen." Viel fester, bemerkte er in Gedanken.
„Normalerweise...", begann Nell, brach dann jedoch ab und schien sich kurz zu sammeln. Er wartete, bis Shin den Verband richtig befestigt hatte. Schließlich fuhr er fort: „Normalerweise bin ich mir in dem was ich tue immer vollkommen sicher. Wenn ich dich hätte töten wollen, dann würdest du jetzt nicht mehr hier vor mir stehen und wenn ich es nicht hätte tun wollen, dann hätte ich dir kein einziges Haar gekrümmt, aber du hast mich verunsichert. Ich kenne dieses Gefühl nicht." Er sah auf seine verbundene Hand und krümmte probeweise deine Finger zusammen und wieder auseinander. „Und dies hier kenne ich auch nicht."
„Aber es ist doch nicht schlecht auch einmal etwas neues zu entdecken, oder?" Shin nahm wieder Nells Hand und führte sie vorsichtig zu seinem Mund, bis die Finger seine Lippen berührten. Er spürte, dass ihm keinerlei Widerstand entgegengesetzt wurde und als sein Mund die Fingerspitzen von Nell berührten, machte dieser sich eigenständig und fuhr vorsichtig mit ihnen Shins Lippen entlang.
„Das ist wirklich nicht schlecht.", flüsterte Nell, als würde er etwas Verbotenes tun.
„Ich zeig dir etwas noch besseres." Und Shin beugte sich nach vorne, schob Nells Hand beiseite und küsste ihn. Zuerst zögerlich, doch als er merkte wie Nell auf ihn einging, schob er mit seiner Zunge seinen Mund auf und spürte Nells Wärme. Es war anders als beim ersten Mal, weil niemand von beiden davon überrascht war, sondern sie nur darauf gewartet hatten. Als Shin von ihm abließ, merkte er, dass er halb auf Nells Schoß saß, das Knie zwischen dessen Beinen und bei diesem Blick sah er auch, dass Nell erregt war. „Es war nur ein Kuss...", murmelte Shin verlegen, konnte aber nicht ignorieren, dass er selbst gerade sehr darauf aus war diese Sache weiter zu bringen. Doch gerade als er einen weiteren schmutzigen Vorschlag machen und nach Nells Hand greifen wollte, hörte er auf dem Flur draußen Schritte. Mit einem schnellen Blick versicherte er sich, dass die Tür angelehnt war und man nicht sofort eine komplette Übersicht über die Ereignisse in diesem Zimmer hatte. Nell hatte die Geräusche auch bemerkt, natürlich und wahrscheinlich schon vor Shin.
Verärgert schob er Shin ein wenig zur Seite und schwang sich über den Tisch. Mit beiden Beinen landete er dahinter auf dem Boden um sich zu verstecken. Der Inkubus hörte noch, wie er etwas von: „Der hat mir gerade noch gefehlt.", murmelte. Im nächsten Moment wurde die Tür auch schon aufgestoßen und Lelio betrat das Zimmer.
„Ich dachte mir schon, dass du hier bist.", sagte er mit einem ernsten Gesichtsausdruck. „Shin, was ist los?"
Shin fühlte sich etwas ertappt. Eine leichte Röte auf den Wangen und eigentlich immer noch von seinem Verlangen nach Nell getrieben, versuchte er so zu tun, als hätte er die letzte Stunde damit verbracht über ihre Beziehung nachzugrübeln. „Dafür, dass du dir sicher warst wo ich bin, hast du aber ganz schön lange gebraucht um zu mir zu kommen." Seine Stimme klang etwas höher als beabsichtigt, aber das konnte man auch darauf schieben, dass Shin beleidigt sein könnte.
„Ich habe über dich nachgedacht. Das was du gesagt hast... war etwas verletzend.", sagte Lelio und Shin war nicht in der Lage seinen Gesichtsausdruck dabei richtig zu deuten.
„Es tut mir Leid.", kommentierte er es deswegen hastig und hoffte, dass es ehrlich klang, denn irgendwie war er nicht imstande Empathie für Lelio zu empfinden. Denn gerade hatte er einfach viel zu viel Stress. Diese Situation schwenkte hoffentlich nicht in eine altbekannte Szene über. Er versuchte sich ganz und gar auf das zu konzentrieren was er jetzt vor sich hatte: Ein Beziehungsproblem. Wenn er so tat, als wäre Nell gar nicht unter dem Tisch hinter ihm, würde er es vielleicht sogar selbst glauben. Er schluckte und sah seinen Freund aus unschuldigen Augen an. „Es hatte seine Gründe.", stammelte er.
„Ich weiß."
„Deswegen habe ich diese Dinge gesagt."
„Das ist mir durchaus bewusst."
„Und nicht weil... was?", Er blinzelte überrascht, als die Bedeutung von Lelios Reaktion bis in sein Gehirn vordrang.
„ich habe über dich nachgedacht.", wiederholte Lelio sich und schloss beiläufig die Zimmertür. Während er auf Shin zukam, redete er weiter: „Die Leute kommen auf diese Schule, weil sie eine Gefahr für die brave Gesellschaft darstellen. Was ist aber wenn ein Wesen auf diese Schule kommt, das von Natur aus eigentlich gar nicht gefährlich ist. Shin, du gehörst hier nicht zu den Jägern, du bist nur ein Inkubus, nur unter Menschen bist du stark. Und selbst dort würde es jemanden wie dich viel Überwindung kosten ernsthaften Schaden anzurichten. Warum also bist du an dieser Schule? Du hast davon gesprochen, dass du nicht ganz Inkubus seist, also vielleicht...", Er war jetzt bei Shin angekommen und legte mit einem mitfühlenden Lächeln eine Hand auf dessen Schulter. „Vielleicht bist du hier weil dein Einfluss auf Menschen irgendeine Gefahr darstellt. Ich habe es gespürt, aber du brauchst deswegen keine Angst zu haben. Ich kann zwischen meinen eigenen Gefühlen und den Aufgezwungenen ganz einfach unterscheiden. Oder hast du Angst, dass ich nur mit dir zusammen bin, weil du mich verzaubert hast?"
„Was? Nein...", Diese Nähe war plötzlich sehr unangenehm. Shin wusste nicht wo er hinsehen sollte, denn etwas an Lelios Wortwahl war sehr erniedrigend gewesen. „Ich habe nicht weiter darüber nachgedacht."
„Ja, natürlich.", Lelios Hand wanderte langsam in Shins Nacken. „Du bist ein Inkubus, diese Art von Dämonen denkt nicht wirklich viel über Liebe, also Gefühle nach, oder?"
Ein befremdliches Gefühl hatte sich in ihm festgesetzt, das es ihm nicht erlaubte eine Antwort zu formulieren. Wie konnte Lelio nur solche rassistischen Äußerungen von sich geben? Normalerweise bekam man so etwas nur von anderen Dämonen zu hören. Shin nahm sich zusammen und fragte in einem ruhigen Ton: „Warum sagst du solche Sachen? Ist dir so etwas in einer Beziehung denn egal?" Eigentlich wollte er nicht darüber sprechen wenn sie von Nell belauscht wurden, aber etwas trieb ihn dazu diesen Dialog fortzuführen. Es ging nämlich in eine Richtung die ihm gar nicht gefiel.
Lelio schien kurz nachzudenken, doch für Shin sah es eher so aus als würde er nur so tun als ob er darüber nachdachte, bis er schließlich sagte: „Ich wollte dich damit eigentlich nur beruhigen. Diese Beziehung funktioniert auch ohne Gefühle, denn du kannst dich ausleben und es ist nicht so, dass ich nicht auch Vorteile davon hätte."
„Was für Vorteile?", hörte Shin sich fragen. Ein lästiges Brummen hatte sich in seinem Kopf ausgebreitet und er versuchte die Wut die er gerade auf Lelio empfand mit Gleichgültigkeit zu erdrücken.
„Jemand hat es auf dich abgesehen." Mit diesen Worten wurde der Griff um Shins Nacken etwas fester und Lelio strich mit dem Daumen über die Narbe die Nells Zähne hinterlassen hatten. „Wie wäre es damit? Du hilfst mir dabei ihn zu erlegen, damit könntest du gleichzeitig Rache nehmen. Wenn du dich nicht selbst wehren kannst, soll es eben jemand anderes für dich machen." Er beugte sich zu Shins Ohr und flüsterte: „Du musst nur die Beute für ihn spielen."
Zum ersten Mal seit dieses absurde Gespräch begonnen hatte, sah Shin auf und erblickte den Ausdruck in Lelios Augen. Der junge Inkubus erschauderte und all seine Instinkte schrien danach sich sofort von seinem Freund zu entfernen. Aber da war noch etwas anderes. Es sah herausfordernd zurück und belächelte den Blick des Jägers in Lelios Augen. Shin klammerte sich an diesem Gedanken fest und stellte sich. „Was bildest du dir eigentlich ein?" Seit wann stammten solche Worte aus seinem Mund? Und schon hatte er Lelios Hand gepackt und sie von seinem Nacken weggezerrt. „Lass mich los!" Damit wollte Shin sich an ihm vorbeidrängen. Er hatte es nicht nötig sich weiter mit ihm abzugeben, Shin wollte einfach nur noch hier weg, hatte Nell schon ganz vergessen.
Doch natürlich ließ Lelio ihn nicht einfach so gehen, er wimmelte Shins Griff ab und drückte ihn grob vor sich auf den Tisch. „Ich wollte es wirklich auf die nette Tour machen, aber wie es aussieht, bist du noch erbärmlicher als ich dachte." Etwas Silbernes blitzte auf und Lelio hatte plötzlich ein Messer in der Hand, das er an Shins Kehle hielt. „Ich dachte du würdest mir gerne helfen, aber so geht es natürlich auch. Tu einfach was ich sage, oder es kommt noch eine Narbe dazu."
Shin dachte an Nell. Würde er ihm helfen? Aber es war jetzt irrelevant, denn in diesem Augenblick war er nur auf sich allein gestellt. Ohne weiter darüber nachzudenken was er tat, versuchte er Lelios Hand mit dem Messer wegzudrücken, doch Lelio war ziemlich stark, also ließ Shin ohne Vorwarnung los und die Klinge schnitt ein paar Millimeter in seinen Hals, bevor Lelio sie aufhalten konnte.
Entgeistert starrte er Shin an. „Was sollte das denn? Bist du wirklich so Lebensmüde?!"
„Warum erzählen mir das immer alle?", fragte Shin. Es tat kaum weh, das Messer hatte nur die Seite vom Hals erwischt, wo sich schon die andere Narbe abzeichnete. Er legte die Hand darauf und spürte wie das Blut sich dagegen staute. Er traf seine nächste Entscheidung. Das einzige was ihm jetzt noch helfen konnte. Er wischte die Handfläche über das Blut, beugte sich zu Lelio vor, schlug mit dem anderen Arm das Messer zur Seite und drückte die Handfläche mit dem Blut auf Lelios Mund. Dieser war so überrumpelt, dass Shin sich überhaupt wehrte, dass er nichts groß tun konnte.
Das Blut drängte sich in seinen Mund. Gar nicht so wie es eine Flüssigkeit eigentlich machen sollte. Es war lebendig, verführerisch. Zwar trug jedes Blut Leben in sich, doch dieses schien viel mehr ein Teil dessen zu sein, von dem es stammte. Es war immer noch Shin, selbst wenn es seinen Körper verlassen hatte und so war es Shin, der jetzt in Lelio eindrang.
Obwohl ihm sofort klar war, wie falsch es war, schluckte er es unter und wurde mit dem wundervollen Gefühl belohnt, dass es in seinen Körper glitt und ihn vollkommen machte. Alles um ihn herum wurde unwirklich und bedeutungslos. Er schenkte seiner Umgebung keine Beachtung mehr, ließ von Shin ab und ging ein paar Schritte von ihm weg, bis er mit dem Rücken gegen jemanden stieß. Komisch, er hatte gar niemanden bemerkt. Hatte der Inkubus etwa so sehr seine Aufmerksamkeit gefordert, dass er darüber ganz vergessen hatte auf sein Umfeld zu achten? Die Person hinter ihm legte die Arme um seinen Hals, ohne die Hände zu benutzen. Genau genommen legte er seine Arme sehr fest und unangenehm um Lelios Hals, so dass er ein Röcheln von sich gab. Doch gleichzeitig war er immer noch wie paralysiert, seine Gliedmaßen weigerten sich auf seine Befehle zu hören und waren immer noch damit beschäftigt die Intensität von Shins Blut zu verarbeiten.
„Hm.", machte Nell etwas enttäuscht, während er Lelio festhielt. „Er wehrt sich ja gar nicht... soll ich ihm trotzdem den Hals umdrehen?"
Shin hatte den Schock über das was er gerade getan hatte noch kaum überwunden, als er schon aufsprang und die Hände auf Nells Arme legte. „Du kannst doch niemanden umbringen!"
Nell sah Shin an wie man ein kleines Kind ansieht, das eine simple Tatsache nicht verstehen konnte und man es ihm mit Genugtuung erklärte. „Natürlich kann ich ihn umbringen. Es wäre sogar recht einfach."
„Aber das... nein!" Shin packte Lelios Gesicht und drehte es in seine Richtung. „Hör zu!"
Lelio wendete ohne Widerworte seine Aufmerksamkeit Shin zu.
„Du bist nichts weiter als ein Mensch.", sagte Shin.
„Ja?", fragte Lelio vorsichtig.
„Was soll das werden?", erkundigte sich Nell und war etwas eifersüchtig, weil die Gesichter der anderen beiden sich jetzt so nahe waren.
„Ich will nur etwas versuchen.", murmelte Shin und fuhr an Lelio gewandt fort: „Ein Mensch ohne Fähigkeiten oder Veranlagungen. Außerdem bezeichnest du dich selbst als Pazifisten und bist für das friedliche Zusammenleben. Dies hier ist für dich wie jede andere Schule und du konzentrierst dich auf deine akademischen Pflichten und sozialen Kontakte."
Lelio wollte nicken, als er gerade noch inne hielt und dann die Stirn runzelte. „Das ist nicht die Wahrheit. Du zwingst es mir nur auf."
„Ja.", bestätigte Shin und war selbst überrascht, dass er sich keinen einzigen Augenblick von Lelios Gegenwehr verunsichern lies. „Aber es wird ganz einfach zu deiner Wahrheit werden, bis ich sage, dass Schluss ist."
Und Lelio konnte es sehen, das unwirkliche goldene Schimmern in den Augen des Wesens, das er für einen gewöhnlichen Inkubus gehalten hatte. „Ach ja, richtig.", sagte er mit einem Lächeln. „Das ist wirklich wahr."
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„Jemandem seinen Willen aufzwingen.
Daran musste man denken.
Doch es war anders.
Sie zwangen einem nicht ihren Willen auf.
Nein.
Sie zwangen einem ihr ganzes Wesen auf. Alles was sie waren in einem winzigen Tropfen von ihrem Blut. Und alles was sie waren verband sich mit allem was man selbst war.
Das was sie sagten, was sie von einem verlangten, es waren keine Befehle sondern vielmehr Bitten. Wenn sie einen um etwas baten, war es als würde man in ihren Augen wichtig werden. Plötzlich stand man im Mittelpunkt und wollte ihnen gefallen. Man wollte sich im Glanz ihrer goldenen Augen sonnen.
Sich dagegen zu wehren, würde das Ende der eigenen Person bedeuten. Sie verändern die Instinkte und das Ende der Verbindung zu ihnen wird so signifikant wie das Ende des eigenen Lebens.
Sie mussten sich unsere Welt gar nicht nehmen.
Wir machten sie ihnen zum Geschenk."
„Aber was ist dann mit eurer Welt passiert?", fragte Ankamna.
Das Wesen sah ihn aus leeren Augen an.
„Sprich endlich weiter.", befahl er mit gedämpfter Stimme.
„Warum?"
Die Stimme kam nicht von dem Wesen vor ihm, sondern aus einem der Baumwipfel über ihm. Ankamna hob erschrocken den Kopf und sah wie sich etwas von den Ästen schwang und elegant neben ihm landete. Es war einer von ihnen. Goldene Augen und ein hübsches Gesicht. Ankamna wich unsicher vor ihm zurück.
Der Fremde jedoch lächelte ihn an. „Du Kommst Aus Dieser Welt Hier nicht wahr?" Etwas an der Art wie er sprach war ungewöhnlich. Als hätte er Probleme damit beim Sprechen sinnvolle Pausen zu machen und so kamen die Wörter in einem immer gleichen Rhythmus aus seinem Mund. Es war anstrengend ihm richtig zu folgen.
„Ja.", sagte Ankamna, immer noch verunsichert.
„Was Darf Ich Dir Erzählen?", fragte sein Gegenüber und lächelte dabei auf die gleiche Weise wie Aurun es immer tat.
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