Das Spiel des Wolfes
Ankamna hatte die moderne Welt in der er zwangsläufig leben sollte nie verstehen können. Eine unbekannte Anzahl aller möglichen Kreaturen hatten sich der menschlichen Gesellschaft angeschlossen und versuchten einen Frieden zu halten, dem mindestens fünfzig Prozent aller Wesen mit Zähnen und Klauen im Weg standen. Schließlich hatten die gefährlichen fünfzig Prozent es geschafft und der berüchtigte Schattenkrieg war ausgebrochen. Ein Krieg der eigentlich keiner war, denn es gab keine Schlachtfelder, keine Armeen. Nein. Er fand in der Schatten der Häuser, in der Dunkelheit der Städte und in den finstersten Ecken der Zivilisation satt. Der Notstand war ausgerufen, selbsternannte Krieger stellten sich Gefahren gegenüber. Irgendwann wusste man nicht mehr Freund von Feind zu unterscheiden und Anarchie verschlang das Land.
Ankamna erinnerte sich noch gut daran. Er war damals in dieser Welt unterwegs gewesen, hatte Monster getötet, bis er nach Hause zurückgekehrt war und Aurun davon berichtete. Diese Welt, sie sei am Ende. Besser wäre es jetzt das zu retten mit dem man noch etwas anfangen konnte. Menschen waren wichtige Rohstoffe und sie waren immer schnell hierher zu holen, was zu dieser Zeit noch einfacher sein würde. Doch es waren nicht die Worte die Aurun hören wollte. Nein, er wollte diese Welt retten, denn sie hätte Potential. Also schwärmten sie aus und innerhalb einer einzigen Vollmondnacht war der Friede in diese Welt zurückgekehrt.
Fast ein halbes Jahrhundert verging und sie erfuhren von dem Kind.
Wie sollte man es nur verstehen? Wie konnte ihr Herr, wie konnte Aurun nur ein Kind mit einer Dämonin zeugen? Natürlich war es biologisch möglich. Er konnte mit jeder Kreatur Nachwuchs zeugen, doch was hatte ihn nur dazu veranlasst es mit einem Sukkubus... Doch wer war er nur, dass er es wagte über die Handlungen seines Herrn zu urteilen. Er war doch nur ein Niemand.
Er sah das Kind, das den nichtssagenden Namen Shin trug, zum ersten Mal vor neun Wintern. Es war elf Jahre alt und lebte in der Stadt in der damals alle Dämonen lebten. Ankamna erkannte es sofort, denn es hatte nicht die roten Augen der Dämonen, nein, sie waren Honiggelb und fast so golden wie bei einem von ihnen. Auch stellte er fest, dass es sich so gut es ging von den anderen Dämonen distanzierte, nur mit einem anderen Inkubus, mit es irgendwie verwandt war, verbrachte es viel Zeit. Ankamna beobachtete es, auf Auruns Anweisung, über die Jahre hinweg. Wie es mit seiner Mutter in eine Menschenstadt zog, wie es menschliche Freunde fand, wie es die Schule abschloss und an der Universität anfing zu studieren. Dann war da noch diese andere Sache. Shin suchte die körperliche Nähe zu männlichen Wesen und was das faszinierende daran war, er bekam sie immer. Egal wie die Situation war, was das Interesse der anderen war. Wenn Shin es wollte, bekam er sie alle. Ankamna verstand sehr schnell, dass die Magie eines Inkubus hier nur rudimentär eine Rolle spielte, denn ein Inkubus konnte sich nur von Verlangen ernähren, das schon in den Opfern vorhanden war. Doch Shin stürzte sich auf alles was ihm gefiel und pflanzte ihnen dieses Verlangen selbst ein. Dies war nicht die Kraft eines Dämons, versteckte Träume heraufzubeschwören. Dies war die Kraft von Aurun, Träume selbst zu erschaffen und zu kontrollieren. Und dieses Kind tat es ohne davon zu wissen und seine Kraft wurde von Tag zu Tag immer stärker.
Ankamna hatte sich immer bedeckt gehalten. Es gab für ihn Möglichkeiten sich unsichtbar zu halten, so konnte er dem jungen Herrn folgen, ohne von ihm entdeckt zu werden. Doch er hatte nicht ahnen können, dass die Unsichtbarkeit ihn auch vor der Magie des Jungen beschützt hatte. Als er an dem Bahnhof ankam, hatte er Shin sehr schnell gefunden und schrieb es dem Zufall zu. Als er sich zum ersten Mal richtig mit ihm unterhielt, spürte er wie die Aufregung in ihm anstieg und hielt es für normal, da er immerhin das Kind von Aurun vor sich hatte. Doch als Shin sich ihm plötzlich annäherte und ihn umarmte, lief Ankamna ein Schauer über den Rücken. Ein Gefühl das ihm vollkommen fremd war und ein Verlangen machten sich in ihm breit. Er verstand was es damit auf sich hatte, trotz dieses Wissens war es ihm nicht möglich sich dem Bann des Jungen zu entziehen. Shin ging mit seiner Kraft um als wäre er noch ein Kind und Ankamna war soeben zu seinem neuen Spielzeug geworden.
Shin ließ sich sehr viel Zeit. Dies war ein Fernzug und die nächste Haltestelle würde erst in über einer Stunde kommen. Langsam kaute er an seinem Frühstück, während sein nervöser Begleiter immer wieder demonstrativ aus dem Fenster sah. Aber Shin hatte es natürlich durchschaut. Als würde er es nicht bemerken wie Ankamna ihn jedes Mal anstarrte, wenn Shin gerade so tat als würde er sich auf etwas anderes konzentrieren.
„Wie ist das so?", fragte Shin schließlich als er fertig mit Essen war, die zusammengeknüllte Papiertüte zum kleinen Mülleimer warf, nicht traf und sie zu Ankamnas Ärger dort auf dem Boden liegen ließ. „Bist du eine Art Dämon von der man nichts weiß?"
Ankamna zog über diese Frage etwas ärgerlich die Luft ein und erhob sich um Shins Müll ordnungsgemäß zu entsorgen. Als er sich wieder hingesetzt hatte, sagte er: „Nein, natürlich nicht. Niemand würde auf die Idee kommen uns mit Dämonen zu vergleichen, schließlich sind es nur...", er stockte und sah betreten zu Shin.
Dieser sah interessiert auf. „Sind wir Abschaum?" Er fragte es mit Gelassenheit, wobei es ihm auch wirklich egal war was über Dämonen gesagt wurde. Er hatte seine Kindheit in der Dämonenstadt verbracht und hielt selbst nicht sonderlich viel von ihnen, obwohl er sich selbst dazu zählte. Es machte ihm im Moment einfach Spaß Ankamna ein wenig zu quälen.
Und es schien wunderbar zu funktionieren. Ankamna rutschte nervös auf seinem Platz hin und her, bis er sagte: „Du bist eigentlich kein Dämon."
Etwas an der Art wie die Frage beantwortet wurde, ließ Shin aufhorchen und er kam plötzlich darauf was es war. Allen seinen Fragen war bis jetzt fast immer ausgewichen worden. „Du kannst nicht lügen und es fällt dir immer schwerer meinen Fragen auszuweichen." Ein Grinsen umspielte seine Lippen. „Du bist in meinem Bann und auch wenn du mich nicht für einen Dämon hältst, so bin ich doch einer und diese Situation hier werde ich nur allzu gerne ausnutzen."
„Shin das geht nicht.", Ankamna Stimme klang erstaunlich ernst, doch Shin ignorierte seinen Einwand und setzte sich kurzerhand auf dessen Schoß.
„Keine Angst.", hauchte Shin in sein Ohr. „Es wird sehr schön für dich sein."
Ankamna lehnte sich von ihm weg und sagte: „Ich zweifle nicht an deinen Fähigkeiten, es ist nur-", doch Shin hatte schon sein Gesicht gepackt und ihn wieder zu sich gezogen. Vorsichtig hatten sich seine Finger in den langen Haaren vergraben und Shin hatte Ankamnas Worte mit einem Kuss erstickt. Shins Zunge bohrte sich in seinen Mund und missachtete jeden Widerstand, bis sich der Inkubus mit verträumtem Lächeln wieder aufrichtete. Ankamna wandte sich erschrocken ab und hob sich die Hand vor den Mund.
„Was denn?", murmelte Shin und begann die Hose seines Gegenübers zu öffnen. „Keine Reaktion. War es so schlecht?"
Ankamna wirkte alarmiert. „Du solltest es lassen, bitte."
„Warum denn? Noch Jungfrau?", summte Shin, als er plötzlich innehielt und in die geöffnete Hose starrte. „Du bist eine Frau?" Es war das erste das ihm logischerweise in den Sinn kam, als er feststellen musste, dass männliche Geschlechtsteile fehlten. Vollkommen fassungslos hob er das Shirt von Ankamna an um ganz sicher zu gehen, dass sich dort keine Brüste befanden, so wie er es vorher schon festgestellt hatte. Natürlich, flach. „Hä?", stellte er in den Raum und sprang zurück auf seinen eigenen Sitz.
„Du hast doch ganz genau hingesehen. Ich bin auch keine Frau. Ich bin gar nichts." Ankamna hielt sich immer noch die Hand vor den Mund und sah von Shin weg, aus dem Fenster.
„Hääää?", Shin verstand es irgendwie nicht. Er sah zu wie man sich die Hose wieder zumachte und dann schweigend aus dem Fenster sah. In dem Kopf des Inkubus herrschte gerade berechtigterweise sehr viel Verwirrung und er rang sich zu dazu durch: „ich habe aber dein Verlangen deutlich spüren können. Was war das dann?"
Ankamna sah immer noch aus dem Fenster des fahrenden Zuges, doch es hatte sich ein Lächeln auf seinem Gesicht gebildet was gar nicht zu ihm und dieser Situation passen wollte. Bei diesem Anblick lief es Shin kalt den Rücken hinunter.
„Deine Kraft beziehst du also nur auf körperliches Verlangen. Was für eine maßlose Verschwendung. Den armen Ankamna so zu quälen." Er sah auf und Shin bemerkte, dass der goldene Schimmer in Ankamnas Augen viel intensiver geworden war. Dies hier war nicht mehr sein unsichtbarer Begleiter.
„Wer bist du?", fragte der Inkubus.
„Ich wollte nur einen kurzen Blick auf dich werfen und keine überflüssigen Fragen beantworten. Vielleicht errätst du es ja selbst. Aber ich nehme meinen kleinen Diener hier wieder mit. Ich glaube heute hast du genug mit ihm gespielt." Er erhob sich und bedachte Shin mit einem amüsierten Blick. Dann beugte er sich über ihn und hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn. „Viel Erfolg auf deiner neuen Schule." Er wandte sich zur Abteiltür zum Gehen.
Shin saß vollkommen perplex auf seinem Platz und hatte unbewusst eine ordentliche Haltung angenommen. War das „...Aurun?"
Der Angesprochene blieb stehen und schenkte Shin noch einmal ein Lächeln. „Ja." Dann öffnete er innerhalb eines Augenblicks die Abteiltür, verschwand nach draußen und zog sie hinter sich zu.
Shin war sofort aufgesprungen, doch war er nicht schnell genug gewesen und als er die Tür wieder öffnete, war dort niemand mehr zu sehen. Er lief sogar den Zug auf und ab und blickte in die anderen Zugabteile, doch Ankamna, beziehungsweise Aurun, tauchte nicht wieder auf.
Eine halbe Stunde der ergebnislosen Suche später, kehrte Shin in sein Abteil zurück. Mit leisem Quietschen, hielt der Zug an der ersten Station. Am Bahnhof standen nur wenige Leute und Shin war darüber froh, denn das hieß er musste sein Abteil nicht mit jemandem teilen. Er hatte noch über fünf Stunden Fahrt vor sich. Mit einem leisen seufzen, kippte er um und lag jetzt halb auf der unbequemen Sitzbank.
Was war da nur vorhin passiert?
Er hatte zum ersten Mal seinem Vater gegenübergestanden und er hatte das was Shin tat, eine Verschwendung genannt. Was für ein schönes erstes Gesprächsthema zwischen Vater und Sohn. Und dann war da noch Ankamna. Shin hatte schon viele dumme Sachen gemacht, aber er hatte noch nie versucht ein Geschlechtsloses Wesen zu verführen. Das Ganze bereitete ihm sowohl Scham, als auch Mitleid. „Was soll das alles?", fragte er laut.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top