Das friedliche Leben
Die Loup Parole war mehr als nur eine Schule. Den Aufmerksameren Bürgern der neuen Welt war schon vor langer Zeit klar geworden, dass dieses Institut mehr einem eigenen kleinen Staat ähnelte als einem Internat. Die Halbinsel auf der sie sich befand, war durch einen magischen Zaun vom Festland getrennt und auch auf dem Meer fanden sich, teilweise weniger offensichtliche, Barrieren. Über den Luftraum hatte sich noch niemand Gedanken gemacht, oder jedenfalls diese Gedanken nicht laut ausgesprochen. Sicher, an der Loup Parole gab es geflügelte Kreaturen, aber sie blieben dort. Das hatte sicherlich seine Gründe.
In dem Moment als Nell den ersten Schritt auf dem gepflegten Rasen der Parkanlage machte, war ihm klar, dass es sich bei der Loup Parole um ein Gefängnis handelte. Aber er hatte nichts weiter gesagt, über diese Ebene war er schon weit hinaus. Er hatte seine Eltern angebrüllt, dass sie die Wahrheit niemals einsperren konnten. Danach hatte er sein fleischfressendes Meerschweinchen an der Tür des Gartenhauses gekreuzigt und das lebendig, es war erst einen halben Tag später quiekend verreckt und das auch nur, weil sich einer von der Dienerschaft dazu erbarmt hatte es mit der Heckenschere zu erstechen. Leider hatte Nell nicht mehr herausfinden können wer es gewesen war, ein Glück für die betreffende Person. Die darauffolgenden Tage hatte er sich in seinem Zimmer verkrochen und den Flur bis dorthin mit einer ganzen Menge an sehr geschickten Fallen bestückt. Ein Dienstmädchen kam ums Leben und ein Butler verlor einen Arm. Doch irgendwann schien das Fass übergelaufen zu sein und Nells Mutter stand plötzlich in seinem Zimmer: „Schätzchen. Ich finde du übertreibst ein wenig. Nur ein bisschen. Die Angestellten wollten dir doch nur etwas zu Essen bringen. Ich habe diese Schule nur erwähnt und du rastest aus, dabei wäre es wirklich nur zu deinem Besten. Oder wenigstens zu dem Besten deiner Mitmenschen." Mit diesen Worten und einem zuckersüßen Lächeln hatte sie ihn am Kragen gepackt und aus seinem Zimmer gezogen. Nell musste zugeben, dass er was die Fähigkeiten anging noch nicht an seine Eltern, oder zumindest seine Mutter, tippen konnte. Doch warum mussten sie das Erbe ihres Geschlechts so mit Füßen treten? Hinter ihnen stand eine Jahrhunderte alte Tradition aus Chaos, Dunkelheit und Grausamkeiten, doch seit dem Ende der Schattenkriege (bei denen es klar gewesen war auf welcher Seite diese Familie hier gestanden hatte), waren sie nichts weiter mehr als brave Bürger. Alle bis auf Nell. Er war durch seine Praktiken immer auffälliger geworden und jetzt wollten sie ihn Mundtot machen, indem sie ihn in eine primitive Besserungsanstalt steckten! Bedingt versuchte er sich gegen die Handgreiflichkeit seiner Mutter zu wehren, doch die strenge Erziehung ließ eine tödliche Auseinandersetzung einfach nicht zu.
Und so endete die neunzehnjährige Schreckensherrschaft des jungen Herrn Nell auf dem Anwesen der Bellefleurs mit einem einzigen Anruf und einer hochsicherheits-Limousine. Herr und Frau Bellefleur standen am Haupteingang der Villa und sahen zu wie das teure Auto ihr Grundstück verließ. Frau Bellefleur sah recht zufrieden mit sich aus und schenkte ihre Aufmerksamkeit ihren dunklen Krallen, an denen immer noch ein paar Hautfetzen ihres Sohnes hingen. „Tse.", sagte sie nur und ging dann zurück nach drinnen um die morgige Gartenparty zu organisieren. Ihr Ehemann kümmerte sich darum, dass hier draußen dafür alles perfekt war. Was führten sie doch für ein friedliches Leben, nur zu schade, dass ihr einziger Sohn nicht verstand was es hieß seine kleinen schmutzigen und blutigen Bedürfnisse im Keller auszuleben und die Opfer danach gründlich zu entsorgen oder richtig anzuketten.
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Die Loup Parole war zwar keine Schule im eigentlichen Sinne, doch Nell lernte allen Zweifeln zum Trotz sehr schnell. Nach einem einzigen Monat verstand er sich darauf alle anderen hier einzuschüchtern und hatte seinen Bettnachbarn schon so sehr gequält, dass dieser freiwillig auf einer der Toiletten nächtigte und Nell das Zimmer ganz für sich allein hatte. Natürlich gab es hier auch Unterricht den Nell nur zu gerne besuchte und mit ausgezeichneten Noten bestand. Nach einem halben Jahr, erhielten die Bellefleurs einen Brief in dem vermerkt war, dass ihr Sohn sehr tüchtig und intelligent sei, es jedoch zu bedauern sei was er mit den Fabeltieren aus der zoologischen AG angestellt hatte und man doch bitte die beigelegte Rechnung begleichen solle. Und wenn man schon einmal dabei war, blieb Nell noch auf unbestimmte Zeit an der Loup Parole eingeschrieben.
Nell hatte den Brief sehr wohl mitbekommen, aber es machte ihm nichts aus. Diese Schule fing langsam an ihm Spaß zu machen. Sich nach dem Vorbild seiner Eltern zu benehmen... das konnte er immer noch machen wenn er damit anfing sich hier zu langweilen. Doch das würde sobald nicht passieren. Es gab einfach zu viel zu tun und das erste auf seiner Liste war, allen hier klar zu machen vor wem sie sich zu fürchten hatten. Und das war auch schon alles. Nell hatte nicht die Absicht über die anderen wie ein König zu herrschen, er genoss es einfach wenn man ihm aus dem Weg sprang, wenn über ihn geflüstert wurde und wenn sie sich alle vor Angst am liebsten verkriechen würden. Er wollte herrschen wie ein Tyrann und es war herrlich wie gut es funktionierte. Unter seinen Mitschülern, oder den anderen Insassen wie er sie gerne nannte, gewann er in Windeseile einen sehr schlechten Ruf. Einen Ruf den es galt zu verteidigen. Nell wurde dabei Zeuge eines recht faszinierenden Phänomens. Auf der Loup Parole gab es sehr viele bösartig veranlagte Kreaturen, da aber er selbst alles darauf setzte, die anderen dabei zu übertreffen, kam es dazu, dass ein paar davon auf die Idee kamen sich ihm anzuschließen. Tatsächlich wurde er einmal von ein paar Mitschülern aufgesucht, die ihm vorschlugen, dass er ihr Boss sein konnte. Nell hielt wirklich nicht viel davon. Gruppenverhalten war ihm zuwider, also hatte er sie weggejagt. Die die sich nicht schnell genug verzogen hatten, oder die dachten man könnte ja noch einmal darüber diskutieren, tja die... sagen wir einfach wir erinnern uns an das was einmal mit einem gewissen Meerschweinchen passiert ist. Jedenfalls würden sie nicht weiter stören und Nell lernte bei diesem Ereignis, dass es viel mehr Spaß machte, wenn sein Opfer die menschliche Sprache beherrschte.
Jedoch gab es eine Person die ihn nicht in Ruhe ließ. Als hätten seine Ausschreitungen mit den armen Irren die jetzt immer noch im Krankenhaus lagen, nur als Auslöser für ein neues Interesse gewirkt. Als Nell sich nämlich drei Tage später darüber freute, dass sein eigentlicher Zimmernachbar endgültig ausgezogen hatte, stand plötzlich ein Fremder neben seinem Bett. Nell hatte anfangs nicht verstanden, dass es sich hier ebenfalls um einen der Schüler der Loup Parole handelte, denn die Person stand in der Gestalt eines Tieres vor ihm. Es war ein Rotfuchs mit einem so frechen Blick, dass Nell ihn am liebsten sofort gepackt und ihm den Hals umgedreht hätte. Doch er war auch neugierig was das Tier von ihm wollte. „Ja?", fragte Nell und bedachte den Fuchs mit einem kalten Blick.
Das Tier zeigte keine Spur von Angst, sondern öffnete sein Maul und sagte: „Der Direktor schickt mich. Ich soll dir anbieten meiner Arbeitsgemeinschaft beizutreten."
Die einzige relevante Information die Nell daraus zog, war dass es tatsächlich Leute gab, die schon einmal den Direktor zu Gesicht bekommen hatten. Nell verstand sehr schnell was für ein Wesen er hier vor sich hatte, eine falsche Bewegung und der kleine Fuchs war über alle Berge. Wenn er mehr über den Hintergrund der Schule erfahren wollte, musste er behutsam vorgehen und zum Glück hatte er sich ein wenig von seinen Eltern abgucken können. Auf Nells Gesicht bildete sich ein interessiert aufgeschlossener Ausdruck und er fragte: „Was für eine AG ist das denn?"
„Botanik", der Fuchs sah sich in Nells Zimmer um. „Wir kümmern uns um die Schulbepflanzung und haben ein eigenes Gewächshaus."
„Botanik.", Wiederholte Nell weniger begeistert. „Ich weiß nicht ob ich damit so viel anfangen kann. Ich mag eher lebendigere Dinge." Das so viel hieß wie: Dinge die sich wehrten und schreien konnten.
Der Fuchs seufzte. „Es mag dir vielleicht nicht aufgefallen sein, aber Pflanzen sind lebendig. Außerdem ist es Pflicht einer AG beizutreten und da du, soviel ich weiß, aus der zoologischen AG geschmissen wurdest, solltest du dich langsam mal um etwas Neues bemühen."
Nell drohte langsam seine Vorsätze zu vergessen. Dieser kleine Fuchs erweckte in ihm den Wunsch schreckliche Dinge anzustellen. „Ach ja?", sagte Nell und seine Stimme hatte sich in ein liebevolles Flüstern verwandelt. Mit einem bösartigen Grinsen, das seine spitzen Zähne zeigte, beugte er sich über das Tier. „weißt du denn auch warum ich raugeschmissen wurde? Was ich so Böses getan haben soll?"
Es kam ein seltsamer Moment in dem sie sich anstarrten und keiner von beiden sagen konnte wie viel Zeit verging. Nell war fasziniert, wie lange der Fuchs ihm standhalten konnte, bis er genug hatte und sich von ihm abwandte. „Ich erwarte dich." Sagte er knapp und verließ damit Nells Zimmer.
So geschah es, dass Nell Bellefleur aus purer Neugier der Botanik AG beitrat. Und so geschah es auch, dass nur zwei Tage nach seinem Beitritt alle anderen Mitglieder die AG aus verschiedenen, und teilweise sehr kreativen, Umständen verließen. Schließlich blieb es bei zwei Mitgliedern. Der eine war natürlich Nell und das andere Mitglied war der AG-Leiter. Dabei handelte es sich um die Person der Nell schon begegnet war, aber er war jetzt nicht mehr in der Gestalt eines Fuchses, sondern als Mensch unterwegs. Er war kleiner und schmächtiger als Nell, trotzdem ließ er sich kein Stück einschüchtern oder herumkommandieren. Es ging sogar soweit, dass Nell sich plötzlich an der AG beteiligte und das Pflanzenwachstum dokumentierte. Aus irgendeinem Grund erweckte es sein Interesse und der AG-Leiter hatte auch sehr viel Interessantes zu erzählen. Nell verstand nicht was hier vor sich ging. Nach und nach hatte er gar keine Lust mehr die anderen ständig zu schikanieren. Stattdessen ging er ihnen lieber aus dem Weg und erschien dafür immer öfter in dem abgelegenen Gewächshaus. Als hätte jemand dafür gesorgt, dass es ihn zu sich rief.
Was war es nur? Natürlich handelte es sich um einen Fluch, der die betreffende Person immer wieder an den gleichen Ort zurücklockte. Doch wie die meisten Leute die unter diesen Umständen verflucht waren, ahnte Nell davon natürlich nichts.
Einer der gefährlichsten und dominantesten Schüler des Loup Parole fing langsam an seine Prioritäten zu verlagern. Zwar war er immer noch eine Gefahr, doch wurde er nach und nach ruhiger und leichter zu kontrollieren. Das Leben an der Schule wurde wieder überschaubarer.
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