Bruchstücke Teil 2
Es waren nun schon einige Jahre vergangen, seit der Nacht, in der Veil in den Palast gebracht worden war. Trotz der langen Zeit hatte er sich nicht einleben können. Er hatte viel gelernt und viele Menschen getroffen. Man hatte ihm auch lesen und schreiben beigebracht, etwas auf das er in seinem alten Leben nicht so einfach hätte hoffen können. Doch seit der Nacht, als er dem Stadtherrn, der nun sein neuer Vater war, zum ersten Mal getroffen hatte, hatte er das Grundstück des Palastes nicht wieder verlassen. Das Eigenartige war, dass er es in den ersten Jahren gar nicht gemerkt hatte, erst in letzter Zeit war es ihm immer mehr bewusstgeworden, dass er hier gefangen war. Und damit kam auch das Heimweh zurück, dass er eigentlich geglaubt hatte abgelegt zu haben. Es sorgte dafür, dass in seinem Kopf die Idee heranwuchs, einfach abzuhauen und zu seiner echten Familie zurückzukehren. Da es so lange dauerte, das Vorhaben in seinem Kopf zu verarbeiten, erschien es sehr willkürlich, als er eines Nachmittags einfach eine kleine Tasche packte und sich aus seinem Zimmer schlich. Veil kannte den genauen Weg nach draußen und wie er von dort unbemerkt das Anwesen verlassen konnte. Ankamna und der Herr waren zu dieser Zeit beschäftigt und der Unterricht fiel heute aus, so dass Veil nirgendwo erwartet wurde. Man würde denken, er würde lernen oder lesen, wie er es sonst so häufig getan hatte. Doch nun wollte er nicht mehr mitspielen. Das Leben am Hof war nichts weiteres als ein langweiliges Spiel, das für ihn keinen Sinn ergab. Man kaufte Dinge die niemand brauchte und einzig und allein Zeitvertreib waren. So wie Veil schon glaubte, dass er selbst nichts weiter war als ein Zeitvertreib für den Stadtherrn, der in seinem eigenen Schloss gefangen saß. Veil wollte kein Zeitvertreib mehr sein, er würde ausbrechen und zu seinem eigenen Leben zurückkehren.
Er verließ sein Zimmer und ging den Gang hinunter Richtung Garten. Auf halbem Weg kam er an der Küche vorbei und blieb verwirrt stehen. Die Küche war nicht auf diesem Stockwerk. Er ging zurück um noch einmal nachzusehen, doch er hatte sich nicht geirrt. Irritiert rieb er sich die Stirn. Er war sich sehr sicher, dass er nicht irgendwo falsch abgebogen war und er lebte jetzt schon so lange hier, dass er sich auch nicht verlaufen konnte. Schließlich lief er weiter, stehen bleiben würde auch nichts helfen. Er würde einfach das Stockwerk wechseln und hinaus in den Garten gehen. Er hielt inne, als er die Tür erkannte, an der er gerade vorbeilief. Es war sein Zimmer. Ein wenig außer Atem, hob er den Kopf und sah geradeaus. Am Ende des Ganges war die Tür zum Arbeitszimmer des Stadtherrn, obwohl dieses sich gar nicht an dieser Stelle befand. Veil stolperte einen Schritt zurück und stieß mit Ankamna zusammen, der plötzlich direkt hinter ihm stand. Seine Hand legte sich auf Veils Schulter. „Der Herr möchte mit dir sprechen.", erklang Ankamnas sanfte Stimme.
„Ja.", sagte Veil, dem gar nicht mehr bewusst war, warum er so außer Atem war und was er um diese Uhrzeit außerhalb seines Zimmers trieb. Er ging zum Arbeitszimmer und merkte gar nicht, dass die Tür in sein eigenes Zimmer verschwunden war. Er war die ganze Zeit über hierhergelaufen, ohne es gemerkt zu haben.
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Als Veil eintrat, saß der Herr über seinen Schreibtisch gebeugt und ging einige Dokumente durch.
„Aurun...", sagte Veil und machte eine kleine Verbeugung. In seinem Kopf schwirrte Freude und der Wunsch nach Aufmerksamkeit, die er immer dann empfand, wenn er dem Herrn entgegentrat. All seine Sorgen waren verschwunden.
Aurun blickte von seiner Arbeit auf und er nickte. Es war das erste Mal, dass er Veil bei einer Begegnung kein Lächeln schenkte. „Es scheint, als hättest du dir in deinem Kopf ein paar Gedanken und Pläne zurechtgelegt, die dich fast dazu gebracht hätten, uns zu verlassen. Es enttäuscht mich."
Shin erstarrte vor Zorn. Was würde er jetzt nur nicht gerne tun. Veils Körper trug keine von Auruns Narben, in diesem Körper unterlag er keiner permanenten Kontrolle und er würde sich nicht durch den Schein von ihm blenden lassen. Doch konnte er sich nicht gegen den Verlauf der Vergangenheit wehren und Veils Emotionen erlangen die Überhand. „Es tut mir leid.", sagte er mit erstickter Stimme und Shin verschwand wieder in den Hintergrund, verlor sein eigenes Bewusstsein und wurde zu Veil.
Nun jedoch, trat das ersehnte Lächeln auf Auruns Gesicht und er bedachte Veil mit einem amüsierten Blick. „Es ist gut, ich sehe ja, dass es dir leidtut. Also möchte ich dir die Gelegenheit geben, mein Vertrauen, dass du durch dein achtloses Handeln zerstört hast, wiederherzustellen." Jeder einzelne Laut in Auruns Stimme vermittelte die Großzügigkeit, die dieses Angebot in sich trug und die Überzeugung die diese Worte in sich trugen, übertrugen sich auf Veil, der voller Hoffnung aufsah. Sein eigentliches Vorhaben, der Grund warum er weggehen wollte, wurde durch einen einzigen Satz aus Auruns Mund nichtig gemacht.
Und Veil trat vor und griff nach dem Messer, dass sein Herr ihm reichte. Wie in Trance hob er die Waffe und drückte die Klinge in das Fleisch seines Unterarms, bis Blut daraus hervorquoll und auf den marmornen Boden tropfte. Es folgte ein Moment des Zögerns, als Veil begann zu realisieren, was er dort gerade getan hatte, oder noch dabei war zu tun. Er schrie erschrocken auf und ließ das Messer fallen. Verwirrt versuchte er den Blutfluss zu stoppen, unsicher was ihn dazu getrieben hatte, als er ein zurückhaltendes Lachen hörte.
Zwischen dem Schmerz der selbstzugefügten Wunde und dem Lachen das von Aurun kam und das so unschuldig und echt klang, wie es ein Lachen nur konnte, kroch aus Veils Innersten ein Urinstinkt hervor. Etwas das man fühlen sollte, wenn man sich in einer dunklen Höhle verkroch und man dort merkte, dass man nicht allein war. Etwas das einem auflauerte und alles in einem schrie: Lauf. Und kalte Angst machte sich in Veil breit. Warum hatte er es nicht früher bemerkt? Man hatte ihn gefangen in Schönheit, in falscher Fürsorge und in Versprechen. Das Bild seiner verängstigten Eltern kehrte in seinen Geist zurück, damals als Ankamna ihn in jener Nacht mit sich genommen hatte.
„Siehe mich an.", sagte Aurun plötzlich.
„Nein.", sagte Veil mit zitternder, aber entschlossener Stimme, seinen Blick fest auf sein eigenes Blut und das Messer auf dem Boden unter sich gerichtet. „Du lässt mich falsch denken."
„Ich lasse dich richtig denken. Überleg doch mal, egal was du tust, oder für was du dich entscheidest, es spielt keine Rolle. Mir gehört alles hier und jeder wird tun was ich sage, du hast es am eigenen Leib erfahren. Ist es nicht viel besser für dich, wenn du diese Dinge mit Freude machst?"
„Nein.", er starrte auf das Blut und plötzlich wurde seine Stimme lauter: „Ich will das gar nicht machen! Ich will zurück zu meiner Familie!"
„Ach so.", Auruns Stimme änderte sich plötzlich und war erfüllt von Mitleid. „Aber du solltest wissen, dass man sich nicht immer auf die Menschen verlassen kann, die einem am nächsten sind. Denkst du sie wollen dich wieder bei sich haben, weil ihr vom gleichen Blut seid? Sie haben damals sehr viel Geld von uns bekommen, damit du zu uns kommst. Du wurdest verkauft."
Eigentlich hatte Veil entgegnen wollen, dass dies eine Lüge sei, denn er hatte sich an die ängstlichen Blicke seiner Eltern erinnert, doch Auruns Art erzeugte in ihm Unsicherheit. Er starrte immer noch vor sich auf den Boden, doch sein Blick wurde immer glasiger, während seine Sinne sich nach dem Klang von Auruns Stimme ausrichteten. Er begann wieder sich zu verlieren. Es war gar nicht so schlecht. Es war sogar viel besser, als der Schmerz in seinem Arm und die Sehnsucht nach seinem Zuhause. Seine Augen füllten sich langsam mit Tränen und vernebelten komplett die Sicht auf die Dinge vor ihm auf dem Boden. Bevor er es sich versah, hatte Aurun sich ihm genähert und ihn in die Arme geschlossen.
„Du bist verwirrt. Das ist ganz normal, aber es ist beachtlich, wie du den Einfluss auf dich entdecken konntest. Manche Wesen, besonders wenn sie diesem schon in jungen Jahren ausgesetzt sind, tragen ihn ein Leben lang in sich, ohne es zu wissen. Trotzdem wirst du mir langsam langweilig und hier bietet sich eine gute Gelegenheit, dies alles aus der Welt zu schaffen." Er entfernte sich wieder von Veil und nahm eine kleine verzierte Schale von einer Anrichte. Darin befanden sich kleine Beeren von einer blassblauen Farbe. Aurun nahm eine davon heraus und hielt sie zwischen Zeigefinger und Daumen, damit Veil sie besser sehen konnte. „Eine davon, jeden Tag und dir ist verziehen."
Veil musterte die kleine Frucht und ein Unbehagen beschlich ihn. „Sie sind giftig.", sagte er mit unsicherer Stimme.
„Ja.", Aurun legte die Beere zurück in die Schüssel. „Aber bitte denke nicht schlecht von mir, als ob du dazu überhaupt in der Lage wärst." Er lachte kurz auf und fuhr dann fort: „Es geschieht lediglich, weil ich an der Wirkung interessiert bin. Es ist ja nicht einmal meine eigene Idee. Ich habe herausgefunden, dass das Adelsgeschlecht, dass vor mir diese Stadt regiert hat eine Freizeitbeschäftigung pflegte, in der sie Sklaven oder niedrig gestellte Diener dazu zwangen jeden Tag von den Beeren zu essen und dann dabei zusahen, wie sie langsam daran erkrankten und verendeten. Man könnte sagen, es ist eine alte Tradition. Nur, dass ich dich nicht dazu zwinge, du darfst es freiwillig machen."
„Warum?"
„Warum was? Bitte sprich in ganzen Sätzen."
„Warum interessiert es dich? Warum soll, oder darf, ich das tun?"
Aurun legte plötzlich eine Hand auf Veils Kopf, grub seine Hände in die langen Haare und hielt sie dann fest. Es war keine gewalttätige Geste, aber der Griff war stark genug, um Veil, der nun schon langsam erwachsen wurde, mit Leichtigkeit in die Knie zu zwingen. „Du irritierst mich wirklich sehr.", sprach er und in seiner Stimme lag ein Hauch von Ärger als er fortfuhr: „Für einen Zeitvertreib stellst du mir zu viele Fragen, warum kannst du dich nicht einfach so benehmen, wie alle anderen Wesen die unter meinem Einfluss stehen. Also, nimm sie freiwillig." Und er hielt Veil die Schale mit den Beeren hin.
Doch dieser trat zurück, wich unter Auruns Hand hervor und lies die Blutpfütze zurück. Ohne den Blick wieder auf Aurun zu richten, drehte er sich um und rannte aus dem Zimmer.
Als Veil aus dem Zimmer verschwunden war, stellte Aurun die Beeren zurück und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. Er sah auf das Messer und den Blutfleck, die immer noch an der Stelle auf dem Boden waren, wo Veil bis eben noch gestanden hatte. Es war wirklich amüsant.
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Veil stand schwer atmend in seinem Zimmer und versuchte die Angst festzuhalten, die Aurun in ihm ausgelöst hatte. Erinnerungen fielen auf ihn zurück. Szenen in denen er schon einmal ähnliche Konfrontationen mit ihm gehabt hatte, die jedoch alle irgendwann in Vergessenheit geraten waren. Er musste sie festhalten, er hatte es schon so oft versucht. Er sank mit dem Rücken gegen seine Zimmertür auf die Knie und umklammerte den verletzten Arm, der langsam schon aufgehört hatte zu bluten und nur noch seine Kleidung benetzte, als er plötzlich eine Bewegung vor sich wahrnahm. Erschrocken sah er auf und entdeckte einen fremden Jungen in seinem Alter. Veil erhob sich und rieb sich schnell über die Augen, um vergeblich zu verbergen, dass er geweint hatte. Nun musterte er den Fremden. Er war schlank, hatte rotes, unordentliches, jedoch gepflegtes Haar und hellgrüne Augen, deren kritischer Ausdruck ihm sehr bekannt vorkamen.
„Hey.", sagte der Junge.
„Hallo.", sagte Veil mit erstickter Stimme zurück. „Wer bist du?"
Der Junge senkte zögerlich den Kopf. „Du kennst mich, wir hatten nur nie die Zeit, uns besser kennenzulernen, vor allem nicht in dieser Gestalt.", damit deutete er auf sich selbst. „Ich bin meistens bei Ankamna."
Veil starrte ihn fragend an, bis es ihm einleuchtete. „Du bist der Fuchs? Ich meine, du bist kein normaler Fuchs, du bist ein magisches Geschöpf?"
„Ja, so sieht es aus."
„Warum bist du hier?", fragte Veil, der die menschliche Gestalt vor sich nun mit leichter Faszination musterte.
„Ich möchte mich dir vorstellen, was ich schon vor langer Zeit hätte tun sollen: Mein Name ist Ren und ich glaube wir teilen ein ähnliches Schicksal, dem keiner von uns entkommen kann. Sowie du unter dem Bann von Aurun stehst, werde ich von Ankamna kontrolliert. Ich habe auch viel durchmachen müssen und ich will für dich da sein" Ren hielt den Kopf weiterhin gesenkt, doch Veil konnte sehen, dass seine Hände zitterten. Vielleicht war es mehr als nur ein Angebot, sondern auch eine Bitte, ob auch Veil für ihn da sein würde und Veil ging dem nach, stand auf und setzte sich neben Ren auf das Bett.
„Das wäre schön.", gab er seine Antwort.
Ren hob den Kopf und sah ihn an. Ein gequälter Ausdruck lag in den grünen Augen, doch dann rang er sich zu einem Lächeln durch und sagte: „Ich danke dir."
Es war eine Freundschaft, die langsam aber stetig heranwuchs. Sie trafen sich jeden Abend in Veils Zimmer, oder in der Bibliothek und redeten. Erst zögerlich, dann immer vertrauter gingen sie miteinander um und fanden immer mehr Möglichkeiten allein zu sein. Ren mied die Gegenwart von Ankamna, doch dieser schien dessen Umgang mit Veil zu dulden, auch wenn dieser ihn immer weniger im Palast antraf. Es war nur noch er und Ren, der ihn häufig auf seinen Streifzügen durch das Anwesen begleitete und mit ihm zusammen die Mahlzeiten zu sich nahm, so dass es sich mehr und mehr wie ein Zuhause anfühlte. Es war eine andere Art sich zu jemandem hingezogen zu fühlen. Es war ganz anders als bei Aurun, dessen verstörende Unterhaltungen er wieder komplett aus seinen Erinnerungen verbannt hatte und er jetzt nur noch Liebe für ihn empfand. Doch bei Ren war etwas anders. Veil konnte den Unterschied erst fassen, als er mit Ren eines Abends zusammen in seinem Zimmer war und sie sich gegenseitig aus einem Buch vorlasen. Veil kam beim Lesen an eine Stelle, an der das Paar sich küsste und die Metaphorik aufgebaut wurde, dass zwischen den beiden noch mehr geschah, als nur ein Kuss. Veil brach ab und mied Rens Blick. „Ich wusste nicht, dass es so ein Buch ist.", sagte er schüchtern und legte das Buch weg.
Ren lachte: „Sie haben sich doch nur geküsst."
„Da ist doch eindeutig mehr passiert! Wie kann man sowas in einem Buch schreiben.", beklagte Veil sich und merkte, wie er rot im Gesicht wurde. Überfordert versuchte er Rens neugierigen Blick zu meiden und rutschte nervös ein Stück zur Seite, doch dieser beugte sich zu ihm und nahm Veil das Buch aus den Händen.
Zu allem Überfluss, begann Ren auch noch laut daraus vorzulesen. „... und als ihre Lippen sich berührten, fühlten sie sich wie die Woge der See und das Leuchten des Mondes, wenn diese des Nachts aufeinandertreffen und in Schönheit sich vereinen. Sie lösten sich voneinander, nur um dann das Bett zu teilen und mit der Nacht sich wieder zu verbinden." Er kicherte und neckte Veil: „Oh, ich bitte dich, deswegen muss man sich doch nicht schämen. Es ist ja kaum etwas erwähnt."
„Ja, es ist nur... es laut vorzulesen.", Veil war sichtlich aufgebracht und machte Anstalten sich aus dem Bett zu erheben.
Ren kam ihm zuvor und legte seine Arme um Veils Oberkörper, was diesen an seinem Vorhaben hinderte. „He...", flüsterte Ren ihm ins Ohr. „Kann es sein, dass es dich erregt?" Seine Hände tasteten vorsichtig Veils Bauch hinunter und glitten langsam unter den Bund seiner Hose. „Da hatte ich wohl recht."
„Das ist nicht...", begann Veil, doch Rens Hand legte sich im selben Moment um seinen Penis und fuhr langsam auf und ab. Von jemand anderem angefasst zu werden, war anders als Veil es erwartet hätte, er hätte auch nicht erwartet, dass es eine männliche Person sein würde. Doch nun keuchte er, als er in Rens Hand kam. „Was soll das?", fragte er schockiert.
Ren antwortete nicht, nahm jedoch seine Hand aus Veils Hose und ohne Zögern, leckte er sie mit seiner Zunge ab.
„Lass das!", sagte Veil und zog an Rens Arm, um ihn an seinem Vorhaben zu hindern.
„Ich mache sie nur sauber.", sagte Ren und lächelte. „Weil du sie schmutzig gemacht hast."
Veil wurde wieder rot im Gesicht. „Dann geh sie doch abwaschen."
„Ich habe aber keine Lust jetzt aufzustehen.", entgegnete Ren. „Wenn du es nicht magst, dann mach du mich sauber, ist ja von dir."
Veil schauderte, dann nickte er jedoch und ergriff Rens Hand. Er redete sich ein, dass es nicht eklig war, schließlich war es aus seinem eigenen Körper gekommen, was ihn jedoch zutiefst irritierte, war, dass Ren ihn dabei die ganze Zeit über genau beobachtete.
Als er fertig war, seufzte Ren auf: „ich hätte wirklich nicht gedacht, dass du es wirklich tust." Er neigte sich ein wenig nach vorne, um seine eigene Erektion zu verbergen.
Veil lächelte ihn schüchtern an. „können wir das wieder machen? Ich will es auch für dich tun."
„Da gibt es noch viele andere Sachen, die wir machen können.", antwortete Ren und zwinkerte.
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Ein paar Wochen später, schlich Veil sich alleine hinunter zur Küche um sich einen Tee machen zu lassen. Es waren keine Diener in der Nähe und Ren hatte den Vormittag zu tun. Veil hatte bis eben das Bett gehütet, da ihm sehr unwohl war. Genau genommen ging es ihm schon seit mehreren Tagen nicht gut, doch heute Morgen war der Schmerz schlimmer gewesen. Aurun hatte sofort einen Arzt holen lassen, der ihm Bettruhe und Medikamente verschrieben hatte. Es war nur eine Erkältung. Auf halbem Weg zur Küche wurde ihm schwindlig und er musste sich gegen eine Wand lehnen. Seine Glieder schmerzten und ihn quälte die kratzende Kehle. Dort geschah es, dass er durch die offene Tür der Bibliothek, ein Gespräch zwischen Ankamna und Ren vernahm.
„... befreundet, aber das?", war das Ende des Satzes, das Veil noch von Ankamna verstehen konnte.
„Stört es dich?", fragte Ren.
Es entstand eine kleine Pause, bis Ankamna sagte: „Nein, eigentlich nicht. Solange du deine Aufgabe erfüllst und er die Beeren zu sich nimmt."
„Natürlich.", erklang Rens Stimme.
„Und wie es aussieht, zeigt das ganze schon seine Wirkung, der Herr hat heute Morgen den Arzt rufen lassen, weil es dem Menschen nicht gut geht."
Der Rest verschwand, weil Veil sich die Ohren zuhielt und sich dabei fest mit dem Rücken gegen die Wand drückte, in der er sich wünschte zu verschwinden. Als er blinzelte, verließ Ankamna die Bibliothek und schloss die Tür hinter sich. Sie sahen sich an.
„Du wusstest, dass ich hier bin und hast das Gespräch trotzdem weitergeführt.", sagte Veil mit schwacher Stimme.
Ankamna tat überrascht. „Nein, keineswegs. Hast du etwa alles mitbekommen?"
Veil starrte ihn herausfordernd an. „Jemand wie du bekommt es mit, wenn etwas in der Nähe ist. Du hast es auch an dem Abend gewusst, als du mich eingesammelt und hierhergebracht hast."
„Na gut", Ankamna lächelte. „Das muss dir den ganzen Spaß nehmen, denn du scheinst ja gerne die Gespräche anderer zu belauschen. Aber wenigstens kann ich dir versichern, dass Ren dich nicht bemerkt hat."
„Ist es wahr?", Veil konnte die Angst in seiner Stimme nicht mehr verbergen.
Die Antwort war wieder ein Lächeln, während Ankamna an ihm vorbeiging und Veil alleine stehen ließ.
Er könnte in die Bibliothek gehen und Ren darauf ansprechen, dann erinnerte er sich an das erste Gespräch das sie geführt hatten, als Ren sagte, er stünde ebenso unter einem Bann. Was davon war wahr?
Veil öffnete vorsichtig die Tür, die tatsächlich leise aufging. Irgendwie hatte er erwartet, sie würde bei ihrer Größe ein imposantes Geräusch machen. Er trat ein und schlich die Buchreihen entlang, bis er am hinteren Regal Ren erblickte. Dieser hielt den Kopf gesenkt.
Veil wollte fragen was es gewesen war. Sie hatten fast jeden Tag zusammen gegessen. Hatte Ren die Beeren unter Veils Portionen gemischt?
Als er noch einen Schritt näherkam, sah er etwas Merkwürdiges an Rens Hals. Eine kleine rote Spur, bis Veil erkannte, dass es eine frische Wunde war aus der Blut nässte.
Plötzlich bekam er Angst. Vor ihm stand die einzige Person, zu der er einen echten Bezug hatte. Wenn er ihn jetzt zur Rede stellte, würde alles in seinen Fingern zerbrechen. Im letzten Moment wandte er sich um und rannte aus der Bibliothek.
Hinter sich hörte er Ren verwirrt seinen Namen rufen, doch er blieb nicht stehen, bis sein ganzer Körper schmerzte und er sich im obersten Stockwerk befand.
Er stand vor einer Tür, die noch größer und prunkvoller war, als die zur Bibliothek oder zu Auruns Arbeitszimmer. Sie war eine Grenze, die den verlassenen Teil des Schlosses, von dem bewohnten abgrenzte. Veil hatte schon oft davorgestanden und sich immer gefragt was sich dahinter verbarg, war aber jedes Mal zu feige gewesen, sie zu öffnen. Jetzt drückte er dagegen und zu seiner Überraschung glitt sie sofort auf. Er fand sich in einem langen düsteren Flur wieder, dessen Wände mit verhüllten Gemälden ausgestattet waren. Der Boden war mit einem langen schweren und verstaubten Teppich ausgelegt, was darauf schließen ließ, dass ihn schon lange niemand mehr betreten hatte. Beinahe ehrfürchtig, setzte Veil seinen Weg fort, ungewiss wohin ihn dieser führen würde. Alle Räume waren ausgestattet mit abgedeckten Möbelstücken und verhangenen Bildern. Raum um Raum. Verborgen unter weißen Stoffen. Veil hatte irgendwann genug und begann in einem langen Seitengang, die Stoffe von den Gemälden zu entfernen. Er sah in das gemalte Gesicht eines alten Mannes, der mit roten Stoffen eingekleidet war. Etwas in den Augen, auch wenn es von nahem nur Pinselstiche waren, war sehr einschüchtern. Veil entkleidete die anderen Bilder und merkte schnell, dass es sich um eine Ahnenreihe handelte. Und nicht nur irgendeine Ahnenreihe, sondern die der herrschenden Könige. Herrscher um Herrscher. Alles beginnend vor zweihundert Jahren, als das Geschlecht der Tinwalker den Thron der Stadt an sich riss und erfolgreich verteidigte. Das vorletzte Portrait zeigte den alten König, der noch auf manchen Münzen abgebildet war. Er war durch einen Putsch gestürzt worden und zusammen mit seiner Familie ermordet. Nachdenklich blieb Veil vor dem letzten Bild stehen. Eigentlich sollte die Linie hier zu Ende sein. Er griff nach dem Stoff, zog ihn vorsichtig herunter und blickte hinauf. Das Portrait zeigte eine junge Frau mit nachdenklichen blauen Augen und einer aristokratischen Haltung. Veil hatte sie noch nie zuvor gesehen und so trat er einen Schritt näher, um zu lesen, was auf der kleinen Tafel unter ihr stand. Er las:
„Amelia Rosamunde Tinwalker."
Darunter das Krönungsdatum.
Es sah sehr falsch aus, bis er merkte warum. Die Herrschaft der Tinwalkers endete zwei Tage vor der Krönung von Amelia. Veil trat wieder zurück und verglich ihre Gesichtszüge mit denen ihres Vorgängers. Er hatte ihren Namen schon einmal gelesen, aber immer nur in Zusammenhängen mit einer Heirat oder der Herrschaft ihres Vaters. Sie war nicht wichtig, weil sie nie die Gelegenheit hatte gekrönt zu werden, dabei hätte sie die nächste Königin werden sollen. Veil starrte ihr Portrait an und fragte sich wie nahe es ihrem echten Aussehen kam und war sie wirklich hier in diesen Gemäuern aufgewachsen?
„Eine wirklich nette Familie.", sagte jemand im Plauderton.
Veil erschrak und erblickte Aurun neben sich, als wäre dieser schon die ganze Zeit über hier gewesen.
Aurun deutete auf die Portraits der ehemaligen Herrscher. „Der hier hat die nette kleine Sache mit den Beeren eingeführt und diese hier", damit wies er auf die vorletzte Königin. „Ließ Elfen die Ohren abschneiden, um sie zu richtigen Menschen zu machen. Wir können wirklich viel von ihnen lernen."
„Was ist mit ihr?", fragte Veil und deutete auf Amelia.
„Früh verheiratet, früh verwitwet und wieder in die Obhut ihrer Familie gegeben. Einen Tag darauf habe ich sie zusammen mit den anderen beseitigt. Ich bin mir nicht sicher, ob sie selbst von ihrer kommenden Krönung wusste.", Er zuckte mit den Schultern, wandte sich daraufhin in scheinbarem Desinteresse um und spazierte zwischen den verhangenen Möbeln herum.
Veil holte tief Luft und sagte: „Der Sturz der Familie Tinwalker ist fast fünfzig Jahre her. Du siehst nicht älter als Vierzig aus, also kannst du kein Mensch sein, Aurun."
„Natürlich nicht, aber es ist in dieser Welt auch nichts Besonderes, wenn man nicht menschlich ist. Aber was soll dieses Geschwätz? Es gibt doch etwas, das du viel dringender mit mir besprechen möchtest."
„Warum willst du mich töten?", fragte Veil so ruhig und emotionslos wie er konnte. Er wollte sich keine Blöße geben, er wollte nur, dass Aurun wusste, dass er es herausgefunden hatte.
Aurun blieb stehen und blickte aus einem der Fenster, während er zu überlegen schien. Dann begann er zu reden: „Ich habe einmal ein Buch gelesen, in dem es um eine Stadt ging, in der alle Menschen plötzlich unsterblich wurden. Zuerst war es ein berauschendes Gefühl, sie lebten wie sie es sonst nie hatten tun können. Sie fühlten sich frei und voller Macht. Doch dann begann alles zu verschwinden, alles was sie ausgemacht hat. Ihre Freude, ihre Sexualität, ihre Kreativität und ihre Liebe. Alles wurde grau und eintönig. Sie hatten nichts mehr, für das es sich zu leben lohnte. Es gab nichts weiterzugeben und nichts mehr zu erreichen. Sie befanden sich im Stillstand. Eine Darstellung die mich sehr beeindruckt hat, da sie doch sehr gut wiederspiegelt, was man in einer solchen Situation empfindet, oder nicht empfindet. Ich glaube das richtige Wort ist Indifferent. Das und Langeweile. Ich hatte eine solche Angst vor dem Tod, und nun ist es als wäre ich schon vor langer Zeit gestorben."
„Was ist passiert?", hörte Veil sich fragen, obwohl er es eigentlich nicht wissen wollte. Es war als würde Aurun ihn nur als Instrument für seinen Monolog benutzen.
„Ich lag einst im Sterben, so wie jede Kreatur es irgendwann tut. Als Wesen das innerhalb der Zeit erschaffen wurde, war es mir bestimmt, auch in ihr wieder zu zerfallen. Doch bevor es mit mir zu Ende ging, wurde ich von dem Blut eines Titanen berührt und zur Unsterblichkeit gezwungen. Es gibt natürlich noch andere Wesen die das gleiche Schicksal erfuhren, Ankamna zum Beispiel, aber keines hatte schon zuvor ein so gefülltes Leben gehabt."
„Kannst du dich noch an dein altes Leben erinnern?" Schon wieder, Veil senkte irritiert den Kopf.
Aurun stand nun wieder vor ihm und nahm Veils Gesicht in seine Hände. „Vieles habe ich vergessen, an vieles kann ich mich erinnern. Einst habe ich in dieser Welt hier gelebt, doch sie fühlt sich fremd an. Du solltest glücklich sein, dass du nur dieses Leben vor dir haben wirst, danach kannst du für immer frei sein."
„Warum darf ich dann kein langes Leben haben?" Veil spürte, wie seine Angst verschwand und unterdrückt wurde, wie er in einer falschen Liebe ertrank, die sein Innerstes betäubte. Bis er unterging.
Aurun sagte: „Willst du mir denn nicht den Gefallen tun?"
„Doch, ich bitte darum.", antwortete Veil, unfähig wieder zu sich selbst zu finden. Schließlich war er hier glücklich und es würde ihm gut gehen.
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Ren stand am Ende des Ganges, der zu Auruns und Veils Aufenthaltsort führte, und hatte das ganze Gespräch mitgehört. Er zögerte kurz, doch es gab nichts was er tun konnte, also wandte er sich ab und lief zurück in die Bibliothek.
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