7 | Nichts wie weg von hier
Yana
»Yana! Yana, komm, wach auf!«, vernahm ich eine Stimme, deren Bedeutung ich nur langsam verstand. Irgendetwas mit aufwachen. Keine Ahnung. Dann ein Rascheln.
»Mhm«, machte ich. Es war viel zu warm und stickig. Von irgendwoher klang Musik. Ausgelassene Rufe.
»Hey, wir müssen bald los! Die machen den Campingplatz bald dicht.« Das Ratschen eines Reißverschlusses und es wurde augenblicklich heller. Blinzelnd sah ich auf und erkannte Niklas, der in mein Zelt hereinschaute.
»Lass mich.« Ich zog mir meinen Schlafsack über den Kopf, in den ich heute Nacht wohl nicht richtig reingekrochen war. An meiner Brust spürte ich den Kuscheltier-Otter, den ich zu allen Übernachtungen mitnahm und der immer in meinem Rucksack blieb. Ich konnte mich nicht daran erinnern, ihn rausgeholt zu haben.
Es dauerte noch eine ganze Weile, bis Niklas es geschafft hatte, mich aus meinem Zelt zu befördern. Unser Camp hatte sich bereits aufgelöst. Der Pavillon stand nicht mehr, die umliegenden Zelte ebenso nicht mehr. Mel war gerade dabei, unser wildverteiltes Pfand in einen großen Plastikmüllsack zu stopfen und Ronja bepackte den Bollerwagen. Wehmut kam in mir auf. Hier auf dem Festival fühlte es sich immer ein paar Tage so an, als wäre die Welt in Ordnung und wie in all den Jahren zuvor stimmte mich das Abbauen traurig. Jetzt würden wir wieder in unseren Alltag zurückkehren, in die Normalität. In Orte, in denen sie mit über 30% rechtsextrem wählten und Geflüchtete nicht an der Grenze abknallen eine radikale Meinung war.
»Sorry«, wandte ich mich an Niklas. »Für meine miese Laune eben.«
»Habs nicht anders erwartet.« Er grinste und drückte mir eine Flasche Wasser in die Hand. Nach ein paar großen Schlucken machte ich mich daran, meinen ganzen Kram in meinen Rucksack zu stopfen. Mein Magen rumorte bei jeder Bewegung. Während ich die Heringe aus dem Boden zog, sah ich mich immer wieder nach Edina um. Ich wollte ihr noch Tschüss sagen. Wer weiß, wann wir uns das nächste Mal wiedersehen würden. Ob wir uns überhaupt wiedersehen würden. Ob mit diesem Wochenende dieser Spuk vorbei wäre. Die Vergangenheit würde dann wieder Vergangenheit sein, unantastbar verschüttet unter gut verdrängten Erinnerungen.
Doch wahrscheinlich wars das jetzt schon gewesen. Ich entdeckte keine Spur von Edina und auch nicht von Kerime. Vielleicht waren die beiden längst auf dem Weg zurück nach Leipzig, wahrscheinlich musste Edina morgen wieder zur Uni.
Die Zeit, in der wir all unseren Kram zusammen packten und zu den Autos schleppten, dann noch das Müllpfand abgaben und dafür 5€ wiederbekamen, wir mit den letzten Sachen durch die pralle Sonne zum Parkplatz liefen, zog sich ewig. Ich sehnte mich nach meinem Bett, nach Dunkelheit und Ruhe. Endlich schlug ich meinen Kofferraumdeckel zu. Niklas und ich waren mit meinem Auto hergekommen, während die anderen drei unserer Gruppe von Ronja gefahren wurden.
»Ich kann auch gerne fahren, wenn du dich noch nicht fit fühlst«, bot Niklas an.
»Passt. Aber danke.« Ich winkte ab. Dafür fuhr ich einfach viel zu gerne.
»Ja, dann. Auf geht's.« Mel verabschiedete sich von uns beiden mit einer engen Umarmung. »War wie immer toll mit euch. Ich denke, wir sehen uns die Tage?«
»Ja, safe. Ich muss mich jetzt erstmal paar Tage von Menschen fernhalten.« Ich grinste leicht und drückte sie, gefolgt von Ronja und Jeremy. Autotüren knallten, ich steckte das Aux-Kabel in mein Handy und wählte eine ruhige Playlist aus. Bisschen runterkommen. Wir hatten es alle nicht weit nach Hause, nicht eine halbe Stunde Landstraße, und doch fühlte es sich an, wie die Reise in eine andere Welt.
Als wir am Norma vorbeifuhren und ich langsamer wurde, weil vorne eine Vorfahrtsstraße kam, entdeckte ich ein paar Leute, die über den Parkplatz liefen. Mein Herz schlug schneller, als ich meine Augen zusammenkniff. Doch, tatsächlich. Im hinteren Teil der Gruppe sah ich Edina, mit einem rosa Wanderrucksack auf dem Rücken.
»Planänderung«, sagte ich und setzte den Blinker rechts statt links, wo wir eigentlich hingemusst hätten.
»Was hast du vor?«, erkundigte sich Niklas.
»Da ist Edina. Ich will ihr noch Tschüss sagen. Vorhin war sie schon weg.« Ich wurde langsamer und fuhr auf den Parkplatz. Es war ein Sonntag, der Laden hatte zu, und doch hingen davor ein paar Punks im Schatten rum. Edina und die anderen Leute, die eben erst angekommen waren, ich meinte auch Kerime unter ihnen entdecken zu können, gesellten sich zu der Gruppe.
Erst, als ich bereits ausstieg und in Edinas Richtung sah, hoffte ich, dass sie das nicht doof auffassen würde. Ging es zu weit? War es grenzüberschreitend, einfach noch anzuhalten und ihr einen Abschied aufs Auge zu drücken, den sie vielleicht nicht einmal wollte? Hätte ich einfach weiterfahren sollen?
In diesem Moment entdeckte sie mich. Ich erkannte es daran, wie Edinas Blick an uns hängen blieb. Mehr Reaktion konnte ich nicht erahnen, dafür waren wir noch zu weit voneinander entfernt.
Auch Niklas war ausgestiegen und kam auf meine Seite, wir setzten uns in Bewegung. »Kommt das nicht total stalkermäßig rüber?«, wisperte ich.
»Nee. Sie weiß ja, dass wir hier lang müssen. Außerdem, ist doch nichts verkehrt daran, nochmal tschüss zu sagen.«
»Mhm.« Ich begann zu drehen. Die Gleichmäßigkeit der Bewegung beruhigte mich ein wenig.
Schließlich erreichten wir beiden die Gruppe, aus der Edina sich löste und ein paar Schritte auf uns zumachte. »Hey.« Sie warf uns beiden ein leichtes Lächeln zu, wirkte aber auch ein wenig irritiert. Ihre Locken hatte sie im Nacken zusammengebunden und sie trug ein gemustertes Tuch als Sonnenschutz. Dessen lila und rosa Farben harmonierten mit dem rosé ihrer Piercings.
»Hey. Wir wollten dir nur kurz Tschüss sagen«, übernahm Niklas das Reden, wofür ich ihm wirklich dankbar war.
»Ja, cool, euch nochmal zu sehen.« Edina grinste und ich konnte nicht sagen, ob sie das wirklich so meinte oder nur so sagte. »Dann wünsch ich euch auf jeden Fall ne gute Heimfahrt.«
»Ist ja schon fast geschafft.« Über meine Lippen huschte ein Grinsen, ehe ich mein Feuer aus der Bauchtasche hervorholte und meine Kippe ansteckte.
»Krieg ich auch?«, rief eine Person, die auf einem auf dem Boden liegenden Rucksack saß, und ich warf ihr das Feuerzeug zu.
»Das ist schon nice. Wir haben noch ein paar Regionalzüge vor uns. Knapp vier Stunden.« Edina seufzte. »Und das bei der Hitze. Der nächste Bus kommt auch erst in einer Stunde, deswegen hängen wir hier noch rum.«
»Ätzend«, stimmte Niklas zu. Derweil fing ich wieder mein Feuerzeug. «Aber, mir fällt gerade ein, ich hab noch ne Flasche Cola übrig. Wollt ihr die haben?«
»Oh, gerne, da sag ich nicht nein.« Edina lächelte und begleitete uns dann zum Auto. Während wir durch die grellen Sonnenstrahlen liefen, warf ich ihr ein paar Seitenblicke zu. Es fühlte sich so unreal an, dass wir uns jetzt für ein ganzes Wochenende immer wieder gesehen hatten. Als wäre keine Zeit vergangen, als hätte es die letzten Jahre alle nie gegeben. Und jetzt schon würde sie wieder aus meinem Leben verschwinden, ehe dass wir uns richtig aussprechen hatten können.
Andererseits ... für sie war alles geklärt, oder? Und darum ging es. Ich hatte kein Recht auf eine Aussprache, egal, wie sehr ich mir das wünschte. Das Thema war vorbei und auch wenn die letzten Tage so vieles in mir aufgewirbelt hatten, änderte das nichts an dem, was war. Nur wie aus weiter Ferne bekam ich mit, wie Niklas in meine Hosentasche griff, den Kofferraum öffnete. Wie er Edina eine Flasche Cola überreichte und wie sie sich bei ihm bedankte. Die beiden wechselten ein paar Worte, die nicht bei ihr ankamen.
»Machs gut, Yana.« Edina hob ihre Hand und lächelte ein wenig.
»Du auch.« Ich räusperte mich. Meine Stimme klang seltsam belegt und erst da fiel mir auf, wie lange ich meine Kippe hatte abbrennen lassen, ohne daran zu ziehen. Ich klopfte die Asche ab und nahm einen Zug. Dieser Abschied tat weh, lange nicht so sehr wie der vor ein paar Jahren. Als wir abends bei ihr waren und ich ihr dabei half, ihre Sachen für ihren Umzug zu packen. Doch dazu, dass ich ihr auch dabei half, alles nach Leipzig zu bringen, kam es nie, denn wir trennten uns noch am Vorabend. Da war das Gewissheit geworden, was ich schon die Wochen davor befürchtet hatte. Dass unsere Beziehung all dem nicht standhalten würde, dass wir an den Unterschieden zueinander zerbrechen würden. Doch wir hatten es nicht einmal geschafft, dass sie nach Leipzig gehen würde und wir die ersten Wochen noch zusammen waren, es war schon davor vorbeigewesen.
Ob sie jetzt auch daran dachte? Ob ihr die Bilder genauso greifbar vor Augen standen, ob der Schmerz für sie genauso deutlich war? Oder hatte sie im Gegensatz zu mir längst damit abgeschlossen?
Kurz hatten wir noch einmal Blickkontakt, dann drehte sich Edina um und kehrte zurück zu ihrer Gruppe. Ich drückte die Kippe aus, obwohl noch etwas übrig war, und verstaute sie in meinem Taschen-Aschenbecher. Nichts wie weg von hier. Wie mechanisch zog ich die Autotür hinter mir zu, startete den Motor. Konzentrierte mich ganz aufs Fahren. Felder zogen an uns vorbei, wechselten mit Wäldern und tiefgrünen Weiden. Schafe grasten am Straßenrand und ein paar Mal musste ich runterbremsen, weil wir ein Dorf durchquerten.
Die ersten paar Minuten schwieg Niklas. »Du vermisst sie, nicht wahr?«
Kurz zögerte ich. »Keine Ahnung. Ist doch eh vorbei«, erwiderte ich dann. Klopfte im Takt zur Musik auf mein abgenutztes Lenkrad.
»Ja. Aber man kann ja trotzdem Leute vermissen.«
»Ja ...« Ich seufzte. »Kommt halt alles wieder hoch. Ich war so dumm damals. Ich hab so viele Fehler gemacht, die ich nicht wiedergutmachen kann.«
»Du hast dazu gelernt, das ist das wichtigste. Und das entschuldigt nichts oder macht es besser, aber wir machen alle Fehler. Und Edina hat dir verziehen, das wirkte zumindest auf mich so.«
»Mhm. Trotzdem. Egal.« Ich fokussierte mich auf die Straße, die vielen Kurven. Ein paar Motorradfahrer*innen waren unterwegs, manchmal wurden wir überholt. Manchmal fuhr ein Trecker vor uns und ich war diejenige, die auf die andere Spur wechselte. Einfach fahren. Gehirn aus.
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