4 | Manche Dinge sind besser, wenn sie vorbei sind

Edina

Ich zögerte. Ich hatte mit Yana abgeschlossen und auch keine Lust mehr, mich länger mit ihr auseinander zu setzen. Yana war einer dieser Menschen aus meiner Vergangenheit, bei denen ich erkannt hatte, dass sie mir mit ihrem Verhalten schadeten und es wichtig für mich war, mich von ihnen fernzuhalten. Die Erinnerung an die Zeit mit ihr war von all dem überschattet, was in den letzten Wochen vor meinem Wegzug passiert war. Momente, die in meinem Bauch ein unwohles Grummeln erzeugten.

Das mit Yana und mir war vorbei.

Auch wenn es mich interessierte, was sie jetzt machte. Wie es ihr ging, wie ihr Leben weitergegangen war. Vielleicht auch zu sehen, ob sie aus ihren Fehlern gelernt hatte, auch wenn es für mein Leben keine Relevanz hatte. Ob sie mittlerweile besser mit ihren starken Gefühlen umgehen konnte. Ob sie Träume gefunden hatte in der Zeit, in der ich meine verloren hatte.

»Okay. Können wir machen«, stimmte ich zu. Solange ich auf meine Bedürfnisse achte und sofort eine Grenze zog, wenn mir das hier nicht mehr guttat, konnte ich mich darauf einlassen. Ich wusste, was ich mir zumuten konnte und wann der Moment war, eine Situation zu beenden.

»Okay, cool!« Auf Yanas Gesicht tauchte ein Grinsen auf. Sie wirkte nervös, etwas, das ich kaum von ihr kannte. Wie zur Bestätigung von diesem Eindruck griff sie nach ihrer Fanta-Flasche und trank einen großen Schluck daraus. Würde mich ja stark wundern, befände sich in der Flasche nur Fanta.

Wir setzten uns in Bewegung. »Erzähl mal. Was ist aus deinem Plan geworden, auf einem Hof mit einem Haufen Tieren zu leben?«

»Jugendliche Spinnereien«, winkte Yana ab und ich konnte den Klang ihrer Stimme nicht recht deuten. War es Wehmut, war es Belustigung? »Aber ich hab zwei Katzen adoptiert. Ratte und Mausi. Und eine Hündin, Amaya.«

»Wie kommts, dass die Ratte und Mausi heißen?«

»Ich fands einfach lustig.«

Uns kam ein schwankender Punk mit plattgedrücktem Iro und Bier in der Hand entgegen, das er prostend hochhob, als er uns entdeckte. Yana erwiderte den Gruß, in dem sie ihre Flasche hochhob. Ein paar Meter gingen wir schweigend weiter und ich wusste nicht so recht, wohin das führen sollte. Klar, irgendwie interessierte es mich schon, wie es ihr jetzt ging, aber gleichzeitig ... war einfach zu viel passiert, als dass wir auf einer entspannten Ebene miteinander connecten konnten. Mit ihr hier zu laufen, der ersten Frau, die ich so richtig geliebt hatte und die mir doch nur wehgetan hatte, fühlte sich komisch an. Nicht, weil ich mir aus dem von damals noch was machte, das war vorbei. Ich war nicht mehr verletzt, war an einem ganz anderen Punkt in meinem Leben als damals. Und doch war alles zwischen ihr und mir viel zu vorbelastet als dass es sich angenehm anfühlen konnte.

Eher nach zwei Menschen, die sich nichts mehr zu sagen hatten.

»Wald oder Campingplatz?« Yana deutete mit der rechten Hand in Richtung des Weges, der den Wald hinaufführte, dann zum Campingplatz.

Erneut zögerte ich. Ich könnte ihr sagen, dass ich mich umentschieden hatte, dass ich doch keine Lust mehr hatte aus spazieren gehen. Das war völlig okay, das wusste ich, und ich war auch bereit, meine Bedürfnisse durchzusetzen. Doch irgendwas hielt mich noch immer in dem Gespräch. War es der Wunsch danach, dass es noch angenehmer wurde, die Hoffnung, diese Begegnung in nicht allzu schlechter Erinnerung zu behalten? »Wir können da am Waldrand entlang. Da, wo die ganzen Hochsitze kommen, weißt du, wo ich mein?«, schlug ich vor, weil ich keine Lust hatte, den Weg hoch in den Wald zu gehen. Ein bisschen abseits vom Campingplatz zu sein und den vielen Menschen, auch wenn sie schliefen, klang aber verlockend.

Wir ließen die Zelte hinter uns und gingen vorbei an ein paar hohen Tannen, in deren Ästen der Wind säuselte, in Richtung des Trampelpfads. Zu unserer Rechten befanden sich die Bäume, zu unserer Linken die freien Felder, die ein wenig abschüssig waren. In ein paar Kilometern Entfernung das Dorf, das friedlich da lag, die Straßenlaternen bereits ausgeschaltet, und sich nur wenig von dem nachtschwarzen Himmel abhob.

Yana trank immer mal wieder einen Schluck aus ihrer Flasche. »Trinkst du eigentlich mittlerweile? Also nicht, dass du sollst, ich frag nur, weil ich dir sonst was anbieten würde.« Sie hob die Flasche und strich sich mit der freien Hand eine Strähne hinters Ohr.

»Nee, immer noch nicht. Aber danke.«

Tau an den hohen Gräsern ließ meine Waden feucht werden und es tat gut, die Natur um mich zu haben. Auch wenn wir nicht weit weg waren vom Campingplatz, war es doch schön, mehr Ruhe zu haben. Ob Yana sich daran erinnerte, wie gut mir das tat und sie deshalb gefragt hatte? Irgendwie hoffte ich, dass das nicht der Fall war. Nicht, dass sie nachher noch die Hoffnung hatte, zwischen uns könnte sich wieder was entwickeln ...

Okay, selbst wenn, sie deshalb gefragt hatte, müsste das ja nicht der Grund sein. Schließlich war es ja nichts Schlechtes, wenn Menschen aufmerksam für ihr Umfeld waren und nicht nur an sich dachten.

Was ja echt was Neues für Yana wäre.

Ich presste kurz die Finger meiner rechten Hand auf den Handballen. Kein Grund so gehässig zu sein, dass hatte Yana nicht verdient. Kurz warf ich ihr einen Seitenblick zu.

Ihr Gang war einigermaßen stabil, doch manchmal muteten ihre Bewegungen ein wenig fahrig ein. Ich konnte nicht einschätzen, wie betrunken sie war, doch wenn sie noch immer in dem selben Tempo wie früher trank, musste sie einiges intus haben.

Da bemerkte sie meinen Blick und erwiderte ihn mit einem vorsichtigen Lächeln, woraufhin ich schnell wieder wegsah. Ich würde nicht da weitermachen, wo wir aufgehört hatten, dafür war zu viel passiert. Yana und ich, wir gingen getrennte Wege und das zwischen uns war nichts mehr als eine dumme Teenie-Romanze gewesen. In einer Zeit, in der ich zu wenig über mich selbst wusste, in der ich zu viel Angst hatte, um selbstbestimmt mit mir zu agieren.

»Du hast dich echt verändert.« Yanas Stimme war leise, ein bisschen rau, wahrscheinlich von den vielen Kippen aus den letzten Jahren. Damals hatte sie noch kindlicher geklungen, doch schon immer unbeeindruckt von wem auch immer, der sich ihr in den Weg stellen wollte.

»Wird das jetzt eines dieser klischeehaften Gespräche zwischen Menschen, die sich Jahre lang nicht gesehen hatten?« Über mein Gesicht huschte ein sarkastisches Grinsen. »Ja, ich habe mich verändert. Ich bin auch obviously keine Neunzehn mehr.«

Einen Moment lang sah Yana mich an. Ich sah ihre Augenbrauen, die ein wenig heller als ihre schwarz gefärbten Haare mit dem dunkelblonden Ansatz, sich kräuseln. Kam jetzt ihre Wut? Fühlte sie sich provoziert, so wie damals, wenn ihr gerade etwas nicht in den Kram passte und sie ihre Reaktion kaum noch steuern konnte? Wenn leere Glasflaschen gegen Bushaltestellen-Schilder flogen, wenn ihr rechter Boot in Autospiegel krachte. Früher hatte sie mir in solchen Momenten Angst gemacht. Einzig die Frage war da, was wenn sich ihre Wut gegen mich richten würde. Heute wusste ich, dass ich damit umgehen konnte. Ich würde mich nicht mehr von ihr schlecht behandeln lassen, nie wieder.

»Ja, sorry, was Besseres fiel mir nicht ein.« Über Yanas Gesicht huschte ein Grinsen, ehe sie sich wieder abwandte. Wir gingen ein paar Schritte weiter, da deutete sie auf einen Hochsitz, der ein paar Meter von uns entfernt lag. »Wollen wir da hoch?«, schlug sie vor und ich stimmte zu. Hintereinander gingen wir durchs hohe Gras zu der Leiter. Sie war alt, knarzte unter Yanas Gewicht, als sie zuerst hochkletterte. Einmal platzierte sie ihren Fuß unkoordiniert, geriet ins Straucheln. Ich bereitete mich schon darauf vor, dass sie fallen würde, dass ich ausweichen musste. Sie auffangen klang nicht so realistisch. Aber da fing sie sich wieder, erreichte einen Moment später die Plattform.

Ich tat es ihr gleich, spürte das moosige, feuchte Holz unter meinen Händen. Oben befand sich ein kleines Bänkchen, auf dem Yana sich bereits niedergelassen hatte. Zumindest saß sie so weit am Rand, dass ich mich setzen konnte ohne Gefahr zu laufen, ihr zu nahe zu kommen.

Yana stellte ihre Fantaflasche auf dem Boden ab, platzierte das eine Bein auf der Sitzfläche, zog es an. Es war eine untypische Position für Yana, die sich doch sonst kaum eine Chance entgehen ließ, hart zu wirken. Von diesen Momenten, an denen es sich anfühlte, als könnte man durch Yanas Panzer dringen, gab es damals nur wenige.

»Edina«, sagte sie da leise und ich konnte nicht verhindern, dass sich das für den Bruchteil einer Sekunde gut anfühlte. Ich hatte es damals schon gemocht, wie sie meinen Namen sagte und es klang immer noch gut. Weckte in mir für einen Wimpernschlag, über alles von früher hinweg sehen zu können. Vergessen, was war. Daran glauben, dass sich Yana geändert hätte.

Aber das war es nicht wert, mich nochmal auf sie einzulassen. Das hatte ich ja auch überhaupt nicht vor. Nur weil sie sich gerade so vertraut anfühlte, hieß das nicht, dass ich meine Prinzipien über Bord werfen würde. Dass war ja auch kein Wunder, wir waren einander so nahe gewesen. Natürlich löste sie etwas in mir aus.

»Hm?« Ich musste mich räuspern, um meine Stimme zu befreien.

»Ich hab mich oft gefragt, wie das wär, sollten wir uns wiedersehen«, erklärte Yana. Drehte den silbernen Ring, den sie um den Daumen trug. Die Haut an ihrem Fingernagel war eingerissen. »Und worüber ich mit dir reden möchte. Das ist eigentlich so viel. Ich will wissen, wies dir in Leipzig geht. Oder ob du jetzt woanders lebst. Wie du wohnst. Wer in deinem Leben wichtig ist. Was du so machst. Wie dein Studium so ist. Was du erlebt hast in all den Jahren. Aber, keine Ahnung, ich will dich auch nicht damit löchern. Und irgendwie ist es ja auch komisch, so zu reden, als wär nichts. Vielleicht ... können wir das auch irgendwie aus der Welt räumen.«

Ich zögerte. Mit Yana über alles zu reden, was damals war, war das letzte, was ich wollte. Zumindest in Bezug auf uns beide. Ich wollte keine alten Wunden aufreißen. Ich hatte mit allem abgeschlossen. Diese Beziehung war Teil meiner Vergangenheit und ich schuldete Yana nichts. Sie hatte kein Recht darauf, dass ich ihr zu hören müsste. Wahrscheinlich nur, um sich selbst von ihrer Schuld reinzuwaschen. Sich besser zu fühlen mit ihrem beschissenen Verhalten von damals. Das würde ich ihr nicht geben, gleich wie sehr es mich selbst interessiert hatte, mehr von ihr und ihrem heutigen Leben zu erfahren. Und vielleicht auch von den Leuten, die wir gemeinsam gekannt hatten.

»Ich hab ehrlich keine Lust, die Sachen von damals aufzureißen.« Meine Stimme klang entschieden und das war ich auch.

Yana nickte. Griff etwas fahrig nach der Flasche, wog sie in den Händen hin und her. Die rotgelbe Flüssigkeit bewegte sich, ehe Yana den Deckel aufdrehte und einen Schluck nahm. »Das respektier ich.«

Skeptisch wanderte meinen Augenbrauen nach oben. Wow, wie nett. Sie respektierte meinen Wunsch. Applaus.

»Aber darf ich eine Sache dazu noch sagen? Bitte?« Sie klang so kleinlaut, wie ich sie sonst noch nie erlebt hatte. Wie ich niemals gedacht hatte, sie so zu erleben.

»Rück raus.« Ich war kurzangebunden. Sah von ihr weg über die weiten Felder. Die Strommasten. Die Hügel im Hintergrund. Ein paar vereinzelte Wolken am Himmel. Ein Uhu, der sein Leid klagte.

»Ich möchte mich bei dir entschuldigen. Dafür, dass ich dich damals unter Druck gesetzt habe. Dass ich erwartet habe, du würdest Entscheidungen nicht für dich, sondern für mich treffen. Dass ich überhaupt etwas erwartet habe.«

Jetzt sah ich sie doch wieder an. Das war mehr, als ich von Yana erwartet hatte. Mehr, als ich ihr zugetraut hatte. Yana, das war ein Mensch, der mit dem Kopf durch die Wand ging. Der Verwüstung zurückließ und sich nicht um die Folgen kümmerte.

Niemand, der für seine Fehler gerade stand. Offen und ehrlich darüber sprach.

Aber na gut, irgendwie wurden wir alle erwachsen. Waren nicht mehr die unreifen Teenager von damals.

»Danke.« Ich lächelte leicht. »Aber ich glaub, ich geh jetzt zum Campingplatz zurück.«

Scheinbar klang ich so entschieden, allein zurückgehen zu wollen, dass Yana keine Absichten äußerte, mich zu begleiten. Sie nickte nur. »Pass auf dich auf.«

»Mach ich.«

Mit zu vielen Gedanken im Kopf kletterte ich die Sprossen nach unten. Was ich fühlte, konnte ich nicht so recht deuten. Aber erst einmal allein zu sein, half bestimmt. Die vielen Bilder von damals aus dem Kopf zu bekommen. Wie es war, als Yana und ich uns einmal vor dem Kino gestritten hatten, weil wir doch nicht den Film sehen konnten. Groß hatte sie mir damals versprochen, mich auf ein Date einladen zu wollen, weshalb ich natürlich kein Geld eingepackt hatte. Sie selbst hatte ihr Portemonnaie vergessen oder mal wieder keine Kohle oder wie auch immer. Wie ich nicht mit ihrer angepissten Stimmung klarkam.

Manche Dinge waren besser, wenn sie vorbei waren. 

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