die Nachbarin
Ich lief durch den dunklen Wald. Die Tiere, die Blätter, der matschige Boden. Alles interessierte mich nicht. Ich lief einfach nur gerade aus. Ich wusste, wo die Stadt lag, ich bin schon öfters für die Hausfrau dort hin geritten. Eine Bekannte wohnte dort. Eine ältere Frau mit zwei winzigen Hunden, die eher die Größe einer Katze hatten. Für mich war sie unsere weit entfernte Nachbarin. Eine nette alte Frau, zu der ich immer konnte, wenn es Probleme gab. Ich konnte schon die Lichter der Stadt sehen, da legte jemand seine Hand um meinen Mund und zog mich nach hinten. Das Licht fiel über meine Haut, könnte ich mich umdrehen, dann wüsste ich also, wer diese Person war. Sein Kopf war so nah, dass ich seine Lippen an meinem Ohr spüren konnte. "Du solltest um diese Uhrzeit nicht rumlaufen. Für Mädchen ist das gefährlich, besonders in der Nacht. Aber du magst die Gefahr anscheinend. Das ist für deinen nächsten Regenausflug, damit du was siehst." Mir wurde etwas auf meinen Kopf gelegt und dann wurde ich los gelassen. Ich drehte mich schnell um, aber da war er schon am wegrennen. Nur noch der blonde Haarschopf war zu erkennen. Was hatte er mir da auf den Kopf gelegt? Ich fasste danach und spürte einen Hut. Es war also wirklich der Junge von vorhin. Ein seltsames Gribbeln war in meinem Bauch zu spüren. Ich schob es darauf, dass ich heute noch nichts gegessen hatte und lief weiter. Es freute mich aber schon irgendwie. Ein Hut, ein einfacher Hut, ließ meinen ganzen Schmerz und all die schlechten Gedanken einfach von mir abfallen, als hätte es soetwas nie für mich gegeben, als wäre ich schon immer ein ganz glücklicher Mensch gewesen. Die Freude war aber genauso schnell weg, wie sie gekommen war, sobald ich vor der Tür unserer Nachbarin stand. Ich klopfte ein paar mal gegen die helle Tür. Kurz darauf war ein Poltern zu hören. Die Tür öffnete sich und da stand sie im Schlafkleid, eine dünne Decke über ihren Schultern, die sie mit einer Hand hielt und mit der anderen ein Kerzenhalter mit brennender Kerze. Sie sah erst verwirrt aus, doch sobald sie mich sah, fing sie an zu lächeln. "Oh hallo, Everilda. Komm doch rein." Sie deutete mir mit ihrer Hand rein zu kommen, dabei verrutschte die Decke. Ich trat ein und sie schloss die Tür hinter mir. Sofort richtete sie die Decke wieder und lief mit mir die Treppe nach oben, die direkt neben der Tür war. Oben war ein schön eingerichtetes Wohnzimmer, wenn man weiter gehen würde an die rechte Ecke des Zimmers, dann würde man in ihr Schlafzimmer kommen, welches etwas kleiner war. Es hatte Platz für ein Bett, Standspiegel, Komode (über der noch ein Spiegel hängt) und ein Nachtschrank. Es gab ein kleines Fenster gerade aus zur Tür. Auf der linken Seite war das Bett, daneben der Nachtschrank und der Standspiegel. Auf der rechten Seite zur Tür die Komode mit Spiegel. Der Boden hatte ein dunkles Holz. Ich stand gerne in dem Zimmer und sah raus. Man hatte einen guten Blick zu einem Hühnerstall. Die Tiere waren immer zu lustig zu beobachten. Sie stritten sich wirklich um alles. Ich würde gerne auch welche haben, aber ich habe ja kein Anrecht auf so was. Ich musste bei dem Gedanken daran seufzen. "Oh, was hast du denn?", fragte die Nachbarin. Ich sah zu ihr, neben der Schlafzimmertür, an der anderen Wandseite, war noch die Küchentür aus der sie gerade mit einem Tablett in ihren Händen rauskam. Ich saß auf einem Sofa, mit dem Rücken zum Schlafzimmer. Hier waren auch nur zwei Fenster an der rechten Seite von mir, mit Gardinen. Die Fenster waren aber umso größer und wenn es Tag gewesen wäre, hätte die Sonne den ganzen Raum erleuchtet. Die Nachbarin gab mir eine Tasse. Tee, ein roter, der wunderbar duftete. Sie gab mir dazu noch einen Teller mit Gebäck. Hier war die obere Etage zum Wohnen, ihr Bad war unten, mit einem Gästezimmer.
Einer ihrer Hund kam gerade zu mir. Die Nachbarin hatte keine Kinder, sie war nur kurz verheiratet. Ihr Mann starb, aber weil sie keine Jungfrau war, war sie keinem mehr etwas wert. Dennoch hatte sie das Geld ihres Mannes geerbt, auch wenn die Familie erst was dagegen hatte -eigentlich immer noch- aber sie war seine Frau, keiner konnte ihr das Erbe deswegen wegnehmen. Sie war dennoch glücklich. Sie liebte ihren Mann zwar nie, aber sie hasste ihn auch nicht. Sie hatte ihn immer als guten Freund beschrieben. Ich musste an vorhin denken. Was sollte das eigentlich. Den Hut hatte ich beim reingehen an den Hagen neben der Tür gehangen. "Seit wann trägst du eigentlich Hüte?" Ich drehte mich zu ihr. Sie hatte sich vor mich gesetzt und hatte ebenfalls eine Tasse Tee in ihrer Hand. "Seit heute, war ein Geschenk." Sie nickte. Ich hatte es wohl etwas zu schnell beantwortet. "Dann erzähl mal, was besuchst du mich so spät?"
"Naja, ich habe mich mit Charlotte gestritten. Und Vater auch, das ist ja aber nichts neues."
"Dass du dich mal mit Charlotte streitest. Du verträgst dich doch wieder mit ihr?"
"Ich weiß nicht. Ich will eigentlich nicht zurück. Vater hat mich geschlafen, nicht nur einmal."
"So weit schon?"
"Ja, es ist kaum noch aus zu halten. Und dann heiratet Johanna ja bald."
"Oh, stimmt. Er ist ja dann immer besonders gemein zu dir. Aber mich lässt er dich ja nicht adoptieren, dieser Schuft."
"Ich verstehe es auch nicht so richtig. Er kann mich ja nicht mal leiden, nur weil ich ein Mädchen bin."
"Das ist im ganzen ein Problem. Aber was soll man da schon ändern können?"
"Mehr Rechte für Frauen! Oder besser gesagt, überhaupt Rechte für Frauen. Ich meine, wo haben wir denn bitte irgendwelche Rechte?"
"Das stimmt wohl. Wenn du nicht reich bist und alleinstehend, da kannst du als Frau nichts machen. Wobei es beim Reichtum auch darauf ankommt, ob du einen Mann oder Kinder hast." Wir führten öffters solche Gespräche, ernste Gespräche. Männer trauten Frauen das ja nicht zu und wenn es doch dazu kam, dass einer das mitbekam, dann gab es große Probleme für die Frauen. Es war alles einfach unerträglich. "Ich finde, dass du zurück solltest. Es wäre besser so. Du kannst nicht für immer hier bleiben und du solltest dich mit Charlotte vertragen. Und was ist mit deinem Schwarzen?" Da musste ich ihr recht geben. Ich hatte mein Pferd. Wie sollte ich das versorgen? Wie sollte ich mich um mich selber kümmern? Frauen verdienen nicht ein mal die Hälfte für das, was ein Mann verdient, ja nicht mal ein viertel. "Ich glaube, ich gehe jetzt besser wieder nach Hause." Sie nickte nur, als hätte sie mir gar nicht richtig zugehört. "Das ist gut so. Ein Mädchen sollte wissen, wie es um sie steht." Sie stand auf und nahm mir die mittlerweile leere Tasse ab. "Komm Kindchen, steh auf." Ich schob den kleinen Hund von mir und stand auf. Sie legte mir eine Hand um meinen Rücken und brachte mich nach unten. Sie öffnete mir die Tür und ich wollte gerade raus gehen, da sagte sie mir: "Vergiss deinen Hut nicht." Ich drehte mich erschrocken zu ihr um. Schnell nahm ich ihn mir und sie lachte nur. "Die erste Liebe muss sich schön anfühlen." Sie verabschiedete sich und schloss lachend die Tür. Ich war zu erstarrt um etwas zu sagen. Mein Gesicht musste gerade so rot wie eine Tomate sein. Was soll das Gerede von erster Liebe? Das ist ja wohl alles andere, als erste Liebe. Der Kerl hat mich ausgelacht! Und dann hat er ... Ich drückte meine Finger in den Hut. So ein Schweinehund! Nein, den mochte ich sicher nicht! Erst lacht er mich aus und dann macht er so eine Provokation. Das kann und werde ich nicht auf mir sitzen lassen! Warte nur ab, du nerviger Fremde, dir werde ich es schon noch zeigen! Verlass dich drauf.
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