Kapitel 16
Die letzte Ferienwoche brach an und folglich war Marcel nur noch ein paar Tage da. Marcel versuchte sich den ganzen Tag nach seiner Unterhaltung mit Natalie zu entschuldigen, aber sie wich ihm aus. Er hatte die ganze Zeit über eine Engelsgeduld und versuchte immer wieder mit ihr zu reden. Als Natalie abermals die Flucht ergreifen wollte, hielt er sie mit seiner gesunden Hand fest. Er packte sie so, dass sie ihm nicht mehr entwischen konnte und wetterte los:
„Den ganzen Tag versuche ich schon mich bei dir zu entschuldigen, aber du rennst die ganze Zeit weg. Sieh endlich ein, dass man vor seinen Problemen nicht weglaufen kann!"
Inzwischen waren die anderen, die Eis holen waren, wieder zurück und hatten diese einseitige Unterhaltung - die mitten im Park stattfand - mitbekommen. Nick befreite Natalie sofort von Marcels festem Griff und legte beschützend einen Arm um ihre Schultern.
„Was fällt dir ein, Natalie so zu behandeln?", brauste Nick auf. „Was sollte das gerade überhaupt?"
„Das war, weil..."
„Das ist eine Sache zwischen ihm und mir!" Natalie löste sich von Nicks Arm. Das Gefühl des Schutzes hatte ihr gut getan und neue Kraft gegeben, um gegen Marcel anzukommen. Sie sah ihm fest in die Augen.
„Komm mit. Wir müssen reden."
Zu den anderen gewandt sagte sie: „Wir sehen uns später, bis dann."
Und speziell an Nick gewandt mit einem Lächeln: „Danke" und streifte dabei mit ihrer Hand kurz seinen Arm.
Dann drehte sie sich um, ging los und zerrte einen verblüffen Marcel hinter sich her.
Natalie schleppte ihn in ein kleines Café und setzte ihn in die hinterste Nische. Noch bevor er fragen konnte, was das alles zu bedeuten hatte, fing Natalie an zu reden:
„Es tut mir Leid. Ich hab mich total daneben benommen. Ich war nur völlig überrascht, als du..." Sie verstummte. Kurz darauf redete sie weiter: „Du hast auch Recht damit, dass ich vor dir weggelaufen bin. Aber das mach ich ja immer." Sie lachte kurz auf. Es schien als hätte sie Marcel ganz vergessen und rede mit sich selbst. Aber dann sah sie Marcel fest in die Augen und redete weiter. „Ich hab dem Jungen, den ich gerne habe ja auch immer noch nicht gesagt, wie viel er mir bedeutet." Natalie senkte ihren Blick.
„Das ist also der Grund. Willst du darüber reden?" Marcel sah sie mitfühlend an, obwohl ihm der Gedanke, dass es einen anderen Jungen für Natalie gab, einen Stich versetzte, und legte seine Hand auf ihre. Natalie schwieg. Um sie herum war es mucksmäuschenstill. Bei dem schönen Wetter saßen die meisten Gäste an den Tischen draußen, nur eine Ecke wurde von einem Mann besetzt, der vollkommen in seine Zeitung vertieft war. Plötzlich durchbrach Natalie die Stille und fing an zu erzählen.
„Er ist total süß und ich kenn ihn auch schon länger." Sie machte eine kurze Pause. „Aber er mag eine andere." Eine kleine Träne kullerte über Natalies Wange. Immer versuchte sie diesen Gedanken zu verdrängen oder zu verharmlosen, aber jetzt wo sie sich selbst eingestanden hatte, was sie für Nick empfand, konnte sie die Tränen nicht mehr ganz zurückhalten.
Marcel beugte sich über den Tisch, um ihr die Träne weg zu wischen. Danach nahm er wieder ihre Hand und fing an ihr tröstend zuzusprechen: „Vielleicht ist er ja gar nicht in jemand anderen verliebt. Es könnte doch auch sein, dass er dich mag, wer auch immer es ist. Es geht ihm vielleicht genauso wie dir und er traut sich nicht. Es wäre also gut, wenn du den ersten Schritt wagst und ihm sagst, dass du ihn gern hast."
Natalie hatte den Kopf gehoben und sah Marcel unsicher an. „Meinst du wirklich? Aber was ist, wenn er genauso reagiert wie..." Natalie brauchte den Satz nicht zu Ende zu sprechen, denn Marcel wusste, dass sich Natalie Vorwürfe machte, wie sie ihn behandelt hatte.
„Das wird er nicht."
„Vielleicht hast du Recht und ich sollte es einfach versuchen."
„Er wäre ein Volltrottel, wenn er dich ablehnen würde."
Eine Weile später fanden Marcel und Natalie die anderen im Garten von Nick. Als sie durch die Terrassentür kamen, sahen die anderen zu ihnen und es herrschte bedrückende Stille. Natascha brach als Erste das Schweigen.
„Alles wieder klar bei euch?"
Wie aus einem Mund bestätigten die beiden: „Klar! Alles bestens!"
Sie setzten sich zu den anderen, die gerade mit einem Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel beginnen wollten. Zusammen verbrachten sie noch den Rest des Tages und spielten, nachdem die Abstimmung einstimmig verlief, Canasta. Als es anfing zu dämmern, verabschiedeten sich Natalie, Natascha und Marty. Auf dem Weg nach draußen fragte Natascha, ob Natalie nicht Lust hätte gleich mit zu ihr zu kommen, um bei ihr zu übernachten. Natalie freute sich sehr und meinte, dass sie noch schnell ihre Sachen von zu Hause holen müsse.
„Ich begleite dich und dann gehen wir zusammen zu mir." Natascha drückte Marty einen Kuss auf die Wange, nahm Natalies Hand und marschierte los.
Marcel und Nick räumten die Spiele wieder in den Schrank.
„Was war eigentlich mit dir und Natalie los?", fragte Nick nun neugierig nach.
Nach kurzem Schweigen antwortete ihm Marcel. „Ich hab's ihr gesagt." Und dann erzählte er Nick alles: wie er bei ihr zu Hause war und sie geküsst hatte, dass sie ihm danach aus dem Weg gegangen war und dass er sie dann gezwungen hatte ihm zuzuhören. Er stockte kurz, als er zu der Unterhaltung in dem Café kam. Durfte er Nick einfach so davon erzählen? Andererseits war Nick einer von Natalies besten Freunden, wenn er nicht sowieso schon Bescheid wusste, dann würde sie mit Sicherheit kein Problem haben, wenn Marcel mit ihm darüber sprach. Also redete er sich alles von der Seele und als er fertig war, fragte er Nick: „Hast du eine Ahnung in wen sie sich verliebt haben könnte?"
„Nein... obwohl! Doch! Es könnte dieser Felix sein mit dem sie mal zusammen war." Seine Stimme bekam einen zornigen Unterton. „Aber sie hat mit ihm Schluss gemacht, weil er ständig andere Mädchen im Kopf hatte, nur nicht sie."
„Bist du dir ganz sicher, dass sie ihn immer noch mag?"
„Ganz sicher bin ich mir nicht, aber jemand anderen kann ich mir nicht vorstellen." Etwas leiser, sodass Marcel es nicht hören konnte, fügte er hinzu: „Leider."
Natalie war nun bei Natascha und sie hatten es sich auf ihrer roten Couch mit den gelben Blüten bequem gemacht. Für die beiden war es schön mal wieder etwas alleine zu machen. Nicht, dass sie nicht gern mit den anderen etwas unternahmen, aber beste Freundinnen brauchten auch Zeit für sich. Sie redeten über die vergangenen Wochen, was sie alles erlebt hatten, wie viel Spaß sie hatten und was sie die noch verbleibenden Tage machen wollten.
„Wir könnten doch ins Schwimmbad gehen. Marcel wird bestimmt seine Badesachen dabeihaben. Und er scheint keine großen Probleme mehr zu haben. Auf seine Hand müsste er halt noch ein bisschen aufpassen."
Natascha sah Natalie mit schief gelegtem Kopf an.
„Dann vertragt ihr euch also wirklich wieder?"
Natalie lachte.
„Das haben wir doch vorhin schon gesagt!" Und mit gespielter Gekränktheit fügte sie hinzu: „Hast du uns etwa nicht geglaubt, oder was?"
Beide mussten lächeln.
„Doch, schon, aber das war schon ziemlich krass was ihr beiden geliefert habt..."
„Ja, tut mir leid, aber das war alles eher meine Schuld. Ich hab ihn die ganze Zeit einfach ignoriert, dabei wollte er sich nur entschuldigen..."
„Warum? Weshalb hast du ihn ignoriert? Und was hat er überhaupt getan, dass er sich bei dir entschuldigen musste?"
Natalie blickte verlegen auf ihre Hände und fing an ihre Nägel zu bearbeiten.
„Er... er ist gestern zu mir gekommen."
Sie machte eine kurze Pause, schloss die Augen und ließ die Szene noch einmal vorüberziehen, bevor sie weitersprach.
„Es ging alles so schnell. Wir sind in mein Zimmer gegangen und dann hat er mir gesagt, dass er sich in mich verliebt hat und hat mich geküsst. Ich war so überrumpelt, dass ich ihn einfach rausgeschmissen habe."
Natascha war sprachlos.
„Deswegen hast du ihn ignoriert und irgendwann wurde ihm das zu bunt und ihr habt euch ausgesprochen. Richtig?"
Natalie nickte.
„Wow. Das ist jetzt echt 'ne Überraschung: Du und Marcel! Dann hatte ich gestern im Krankenhaus doch recht!"
„Nein! Nichts 'Ich und Marcel'! Ich hab ihn abblitzen lassen."
„Oh. Dann hast du dich nicht in ihn verliebt? Aber du sahst irgendwie immer so glücklich aus, wenn er da war."
Natalie sah sie an und entgegnete entrüstet: „Ich sah glücklich aus, weil ich mit euch allen zusammen war!" Na gut, vor allem wegen Nick. Aber das wollte sie vorerst noch für sich behalten. Vielleicht sogar für immer.
Natascha rückte näher an Natalie heran und nahm sie in den Arm.
„Schön, dass du genauso gern mit uns zusammen bist, wie wir mit dir!"
Nachdem sie sich wieder losgelassen hatten, meinte Natalie: „Aber jetzt genug von meinen kleinen Problemchen! Wie läuft's denn zwischen dir und Marty?" Sie grinste Natascha an.
„Also..."
Die Nacht wurde sehr lang.
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Wer hat noch so eine beste Freundin, mit der man solche Nächte verbringen kann? <3
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