6.Spannungen
Remus
„Wo gehst du hin?", Sirius steht in der Tür zu unserem Zimmer. Ich ziehe mir gerade meinen Mantel über.
„Nach draußen. Spazieren.", antworte ich knapp, da ich schon relativ spät dran bin.
Ich sehe seinen irritierten Blick. Sein lautloses Warum?.
Doch er fragt nichts. Steht nur da, als wüsste er nicht recht, was er sagen sollte.
Nach den Testspielen von letzter Woche wurden heute endlich die Ergebnisse veröffentlicht.
James ist tatsächlich Kapitän geworden und liegt uns seit heute Mittag damit in den Ohren. Sirius konnte seinen Platz als Treiber behalten, obwohl es ziemlich viele Bewerber dieses Jahr dafür gab.
Aber auch Ethan hat seine Stelle wacker verteidigt. Wir haben heute nach der Mittagspause unsere Partnerarbeit präsentiert. Er hat nicht wirklich euphorisch nach den Ergebnissen gewirkt, als wäre es ihm gleichgültig. Aber er hat mich tatsächlich gefragt, ob wir uns nicht heute treffen wollen. Und hier stehe ich nun.
„Allein?"
Ich schüttle schnell den Kopf.
„Nein, mit Ethan. Ich muss jetzt auch wirklich los.", damit verabschiede ich mich und er gibt mir den Weg frei um aus der Tür treten zu können. Er wirkt darüber nicht glücklich. Das sollte mich jedoch nicht weiter interessieren. Immerhin hängt er ständig mit Leuten ab, die ich total furchtbar finde.
Ich haste die Treppen förmlich nach unten und komme relativ schnell am Ausgang des Schlosses an. Ich blicke auf meine Uhr, wo mir die Zahlen 19:02 entgegen springen. Er ist anscheinend auch zu spät. Oder kommt nicht.
Ich tippe auf ersteres und trete schonmal nach draußen um die frische Sommerluft einzuatmen.
Nach wenigen Momenten nehme ich hinter mir Schritte war und weiß, dass es Ethan ist.
„Hey.", begrüßt er mich und bleibt vor mir stehen. Er trägt nur sein weißes Hemd. Ohne den Mantel.
„Hey.", wir setzen uns automatisch in Bewegung und laufen in Richtung des Sees.
„Warum wolltest du dich treffen?", frage ich rundheraus, da mir diese Frage schon seit dem Unterricht im Kopf herumschwirrt.
Er zuckt zögerlich mit den Achseln. Plötzlich wirkt er etwas nervös. Warum wirkt er nervös?
„Wir verstehen uns gut. Klar, wir kennen uns erst seit letzter Woche, aber du bist mir wirklich sympathisch, Remus. Ich dachte, wir könnten uns vielleicht besser kennenlernen.", antwortet er plötzlich mit einem Selbstbewusstsein, wovon ich nur träumen kann.
Er schaut mich abwartend an, weshalb ich meinen Mund zu einer Antwort öffne.
„Ja, können wir. Es würde mich freuen.", gab ich zu.
Warum nicht? Ich hänge die meiste Zeit nur mit James, Sirius, Peter und Lily zusammen und ein neues Gesicht kann nicht schaden. Obwohl das eigentlich nicht meinem introvertierten Typ entspricht. Aber es ist immerhin mein letztes Jahr, also was spricht groß dagegen?
„Ich glaube, ich sollte ganz ehrlich mit dir sein.."
Er muss meinen verwirrten Gesichtsausdruck bemerkt haben. Wo ist der Haken?
„Ich kann mir eine Freundschaft mit dir gut vorstellen. Aber durchaus auch..mehr."
Ich bin zu überwältigt um etwas darauf zu antworten, aber das muss ich auch nicht, denn er redet einfach weiter.
„Natürlich kann ich nicht erwarten, dass du- naja. Du weißt schon. Auch auf das gleiche Geschlecht stehst. Das tue ich wirklich nicht. Ich möchte nur ganz offen mit dir sein."
Reden, Remus, reden.
Sag irgendwas.
Irgendetwas.
„Oh, damit habe ich jetzt nicht gerechnet.", ich habe tatsächlich nie die Möglichkeit erwogen, dass er nicht auf Mädchen stehen könnte.
Die meisten der Schüler hier sind hetero und sonst probieren sich viele Mal aus. Immerhin sind wir in einem Alter, wo man noch ziemlich orientierungslos ist, was die Selbstfindung angeht. Verständlicherweise.
Und trotzdem bringe ich keinen Ton heraus.
Vielleicht vor allem deswegen, weil ich nicht damit gerechnet habe, das mich jemand nur ansatzweise attraktiv finden könnte.
Er will gerade wieder zum Sprechen ansetzen, als ich ihm zuvorkomme. Ich will nicht, dass er etwas falsch interpretiert.
„Ich stehe tatsächlich auf Jungs. Ich.. würde gerne sehen, wo die Richtung hingeht.", sage ich also und bin selbst überrascht von meiner Reaktion. Ich hätte es leugnen können, doch die Worte kamen einfach so aus mir heraus.
Ethan bleibt ruckartig stehen. Als könnte er es nicht wirklich fassen.
„Das klingt.. gut.", er lächelt und lässt seinen Blick über den See gleiten um kurz danach wieder in mein Gesicht zu blicken.
Könnte dieses Jahr vielleicht wirklich noch mein Jahr werden? Doch eine weitere Frage drängt sich unwillkürlich in meinen Kopf: kann ich überhaupt jemals über Sirius hinwegkommen?
Ich versuche verzweifelt meine Gedanken zu sortieren. Ich muss es. Das habe ich mir fest vorgenommen.
Sirius bleibt Sirius. Und das kann ich nicht ändern. Also warum sollte ich diese Chance nicht nutzen?
„Würdest du mir dann die Ehre erweisen nächstes Wochenende mit dir Essen zu gehen?", fragt er mich, immer noch lächelnd.
Ich tue es ihm gleich.
„Ja.", ich nicke zur Bestätigung.
Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob das wirklich funktionieren kann.
***
Ich komme erst gegen 21 Uhr zurück in den Gemeinschaftsraum. Die Ausgangssperre hat bereits vor einer halben Stunde begonnen. Ich kann mich also glücklich schätzen, nicht erwischt worden zu sein.
Ich steige die Treppen zu unserem Schlafsaal empor. Als ich die Tür öffne, unterbricht das Gespräch abrupt und ich ernte irritierte Blicke von James und Peter. Mir sieht Zuspätkommen eigentlich nicht ähnlich.
„Wo warst du?", fragt mich James.
Hat Sirius denn nichts erzählt? Ich schaue zu ihm, doch er scheint in Gedanken versunken zu sein. Sein Blick ist auf das Fenster fixiert.
„Ich war mit Ethan unterwegs.", antworte ich ihm mit einer kurzen Verzögerung.
„Seid ihr jetzt Freunde?", fragt Sirius.
Er hört also doch zu. Würdigt mich jedoch keines Blickes. Ist er wirklich sauer deswegen?
„Ja, so in der Art. Wir gehen nächstes Wochenende nach Hogsmeade."
Ich ziehe meinen Mantel aus und hänge ihn an den dafür vorgesehenen Hacken. Es ist plötzlich ganz still im Raum und das bereitet mir Unbehagen.
„Essen.", füge ich hinzu, weil es langsam echt unheimlich wird. Wenige Sekunden später stelle ich fest, dass ich das lieber hätte verschweigen sollen.
„Ihr geht Essen? In einem Restaurant? Du und er.", stellt Peter fest. Selbst ich merke langsam wie sich das anhört. Wie ein Date. Aber ist es nicht genau das?
„Ist das etwa ein Date?", James sieht im Gegensatz zu den anderen beiden ganz begeistert aus.
Ich habe mich nie offen als schwul geoutet, aber das brauchte ich auch gar nicht. Sie wussten es einfach irgendwann. Glaubte ich zumindest.
Nach Peters verwirrtem Blick bin ich mir da jedoch nicht mehr so sicher. Immerhin hatte ich nie einen Grund darüber zu reden, ich hatte nie jemanden. Ich ging einfach davon aus, dass es ziemlich offensichtlich war.
Vielleicht doch nicht so offensichtlich.
„Ich schätze schon.", gab ich ehrlich zu.
Erst jetzt dreht sich Sirius vom Fenster weg. Er möchte etwas sagen, doch hält sich zurück. Doch mich interessiert was er darüber denkt.
„Spuck es aus, Sirius.", ich blicke ihn herausfordernd an.
Er lehnt sich in seinem Bett an die Wand an.
„Du willst wirklich mit ihm ausgehen? Mit Ethan?", fragt er schließlich. Als könnte er das nicht glauben. Ich kann es selbst kaum.
Aber: Ja. Will ich.
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Sirius
„Ja."
Meine Brust fängt plötzlich an zu schmerzen und ich verstehe nicht warum. Wahrscheinlich habe ich jetzt schon ein ungutes Gefühl bei der Sache.
Sie sind nicht nur Freunde. Sie daten sich.
Das kam so unerwartet, dass ich nicht einmal etwas darauf erwidern kann.
Ich muss das verhindern, schießt es mir plötzlich durch den Kopf. Ohne wirklich darüber nachzudenken, verlassen meinen Mund Worte, die ich direkt danach am liebsten zurücknehmen würde.
„Und er weiß das mit deinem Bein?"
Ich höre, wie James und Peter scharf die Luft einziehen. Doch Remus bleibt regungslos stehen. Sieht mich nur mit harten, kalten Augen an.
„Worauf willst du hinaus?", fragt er. Doch er kennt die Antwort bereits längst. Er will sie nur nochmal von mir bestätigt bekommen.
Ich schließe für einen Moment die Augen. Sag es nicht. Sag es nicht. Sag es nic-
„Vielleicht will er dich dann doch nicht mehr haben.", kommt es aus mir heraus.
James sagt irgendetwas, doch ich kann es durch das Rauschen in meinen Ohren nicht verstehen.
Remus hat sich kein Stück bewegt. Er wirkt nicht einmal schockiert oder überrascht.
Mir ist plötzlich unglaublich schlecht. Warum habe ich das bloß gesagt?
Er erwidert nichts, doch löst sich langsam aus seiner Starre. Sein Blick entfernt sich von mir und im nächsten Moment läuft er zielgerichtet auf das Bad am Ende des Raumes zu. Ich höre, wie die Tür zugeknallt wird.
James und Peter sehen mich vorwurfsvoll an.
„Was zur Hölle sollte das?"
Das wüsste ich auch gern.
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