1.Hitzige Zugfahrt

Remus

Manchmal wünschte ich, das Leben wäre einfacher.
Ich versuchte gerade zu meinem Gleis zu gelangen während ich fast eine ältere Dame umstieß. Doch wenn ich mich nicht beeilte, würde der Hogwartsexpress gleich ohne mich losfahren! Und wem hatte ich das zu verdanken?
Meiner verdammten Beinprothese.
Ich bin kaum mehr als 20 Schritte am Stück in den Ferien gelaufen und legte jetzt einen halben Sprint hin. Wie auch immer das möglich war.
Ich bekam kaum noch Luft. Oh man.
Ich bin so erledigt.
Anstatt stehen zu bleiben, hetzte ich eilig weiter bis ich über mein eigenes Bein stolperte. Verdammt!

Ich sah einen Mann mittleren Alters auf mich zukommen und versuchte mich schnell wieder aufzurichten, doch kam aus eigener Kraft nicht sofort hoch.
Ich ergriff also doch seine helfende Hand, packte den Griff meines Koffers und bedankte mich eilig um meinen Weg fortsetzen zu können. Ich blickte flüchtig auf meine Armbanduhr: 10:57 Uhr.
Das würde echt knapp werden.
Ohne auf meine Mitmenschen zu achten, drängelte ich mich durch die überfüllte Menge an Reisenden und blieb vor der Steinwand zwischen Gleis 9 und 10 stehen.
Anlauf nehmen. Na super.
Aber ich hatte wohl keine andere Wahl und versuchte so gut es nunmal ging, auf die Mauer zu zu rennen, was echt kläglich aussehen musste. Trotzdem schaffte ich es wie ein Wunder hindurch. Wenigstens die Steine hatten heute Erbarmen mit mir.

Als ich endlich am Gleis 9 3/4 ankam, brannte meine Lunge, als wäre ich einen Marathon gelaufen, dabei war ich nicht einmal gerannt.
Ich stieg in allerletzter Minute in den Zug, als er sich kurz darauf auch schon in Bewegung setzte. Eigentlich wollte mich meine Mutter zum Bahnhof bringen, hätte jedoch ein wichtiges Meeting verpasst, weshalb ich darauf bestand, alleine zu fahren. Und es hat ja auch irgendwie geklappt. Gerade so.
Wenn sie jemals Wind von dieser Aktion bekommen sollte, würde sie mich nie wieder alleine irgendwo hingehen lassen. Das ist sicher.

Ich lief nach vorne um das Abteil mit meinen Freunden zu finden, die ich nebenbei erwähnt die ganzen Ferien ignoriert habe.
Ich überlegte umzukehren um mir ein anderes Abteil zu suchen, doch das ist lächerlich. Wir sind Freunde seit unserem ersten gemeinsamen Jahr in Hogwarts. Sie werden wahrscheinlich sauer sein und das kann ich ihnen wirklich nicht verübeln, aber wir haben uns bis jetzt immer verziehen. Früher oder später werden sie mir verzeihen. Zumindest hoffe ich das. Ich wüsste nicht, was ich ohne sie machen würde.
Schweratmend hielt ich mich an einer Stange recht in der Mitte des Zuges fest. Jetzt wo das Adrenalin nachlässt, fällt mir wieder schmerzlich ein, wie erschöpft ich eigentlich bin und wie auslaugend die letzten Wochen waren.

Ich hätte einen tollen Sommer haben können, aber habe mich stattdessen in dieses Auto gesetzt. Dabei wollte ich nur zu James' Haus fahren um meine Freunde zu treffen.
Ich schüttelte über das ständige Selbstmitleid den Kopf. So ist es nun. Man kann es nicht ändern.
Mit wackligen Beinen setzte ich den Weg fort bis ich endlich ein bekanntes Gesicht durch das Glas erkennen konnte. Peter!
Ich öffnete entschlossen die Tür und blickte in drei verwirrte Gesichter.
„Hey.", ich stand wie angewurzelt vor dem Abteil und wartete auf eine Antwort. Stattdessen erhoben sich alle und stürmten auf mich zu um mich in eine Umarmung zu ziehen.
Okay. Anscheinend doch nicht allzu wütend. Ich atmete erleichtert aus.

„Wir haben gar nicht mit dir gerechnet, ehrlich gesagt.", entgegnete James, während wir uns setzten.
Ich wippte nervös mit meinem noch vorhandenem Bein und wusste nicht recht, was ich darauf erwidern sollte.
Noch vor einer Woche dachte ich auch, dass ich erstmal nicht zurückkehren würde.
„Wie geht es dir?", fragte mich Sirius, der neben mir saß und seinen Blick vom Fenster nahm.
Wie ging es mir?
„Gut.", antwortete ich ohne groß darüber nachzudenken. Wer würde denn schon gerne hören, dass es einem nicht gut ging?

Plötzlich kippte die Stimmung. Alle wurden ruhig und ich fühlte mich plötzlich ganz unwohl. Hatte ich wahrheitsgemäß auch schon vorher, aber irgendwie verschlimmerte es sich mit dieser Situation noch. Ich habe gewusst, dass es so kommen würde. Immerhin hatte mich keiner seit dem Tag mehr gesprochen und jede Kommunikation lief über meine Mutter, die ihnen meistens von meinem Zustand erzählt haben musste. Eben weil ich niemanden zu diesem Zeitpunkt sehen wollte.
„Okay, Leute. Die Stimmung hier ist echt nicht gut. Lasst uns einfach über etwas anderes reden?", fragte ich in die Stille und James ging glücklicherweise sofort darauf ein.
„Ich habe eine echt gute Chance, dieses Jahr Kapitän zu werden. Ich will es auf jeden Fall versuchen.", sagte er und ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen.
Das war schon immer sein Traum gewesen.
„Das solltest du. Du bist eindeutig der Richtige dafür.", ich versuchte mich ebenfalls an einem Lächeln, doch das fühlte sich irgendwie falsch an.

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Sirius

Gedankenverloren blickte ich aus dem Fenster während sich die anderen weiter über Quidditch unterhielten.
Der Sommer war für alle ziemlich schwierig gewesen. Eigentlich sollte mich Remus' Anwesenheit etwas beruhigen. Ihm ging es eindeutig besser.
Doch das tat es nicht. Es hat mich fertig gemacht, dass er uns alle nicht sehen wollte und wir nicht wussten, wie es nun weitergehen würde. Die Informationen die Mrs. Lupin uns geben konnte, waren eher mau. Nicht weil sie uns etwas verschweigen wollte, sondern weil sie es selbst nicht besser wusste. Sie war genauso verzweifelt wie wir, weil Remus niemanden seit dem Tag des Unfalls an sich herangelassen hat. Und das machte mir Sorgen.

Er lächelte als Peter ihm von seiner neuen Freundin erzählte, obwohl wir alle wussten, dass diese Beziehung nicht lange halten würde. Aber das sprach natürlich keiner laut aus.
Ich beobachtete Remus weiterhin. Jede noch so kleinste Bewegung.
Er strich sich nervös durch die zerzausten Haare (Warum waren sie so zerzaust?). Wippte mit seinem Bein hin und her. Seine Wangen rötlich verfärbt.
„Bist du gerannt?", fragte ich ihn, unsicher, ob die Frage unangebracht war.
Er hatte die Prothese erst seit 3 Wochen. Ich habe gelesen, dass man dort meist erst mit dem Laufen anfängt.

Er drehte sich zu mir um. Ich konnte in James' und Peters Gesicht deutlich erkennen, dass ich diese Frage eher nicht hätte stellen sollen. Aber Remus antwortete unbeirrt: „Ich kann nicht richtig..rennen. Aber ja, ich musste mich beeilen, da ich beinahe den Zug verpasst hätte."
James fing an zu grinsen.
„Du und zu spät kommen? Wow. Das ist wirklich- Ein Wunder!", Peter sah ihn verblüfft an.
Etwas in Remus' Gesicht veränderte sich. Er wirkte plötzlich bedrückt, doch versuchte sich nichts anmerken zu lassen.
Doch wenn man ihn kannte, konnte man es kaum übersehen. Das schienen auch die anderen beiden zu bemerken.

„Tut mir leid. Wir wollten nicht-", stotterte Peter schuldbewusst.
„Was? Es ist alles gut.", sagte Remus resigniert, doch stand schließlich auf um "frische Luft schnappen zu gehen".
Wir alle sahen ihm nach bis er schließlich aus unserem Sichtfeld verschwand. Ich schaute wieder aus dem Fenster.
„Wow. Es hat nicht länger als 5 Minuten gedauert.", kam es von James, welcher mit seinen Fingern abwechselnd auf sein Knie klopfte, passend zum prasselnden Regen, der an die Scheiben schlug.
Ich spürte Peters Blick auf mir.
„Du hättest ihn das nicht fragen sollen.", sein Blick lag immer noch auf der Glasscheibe Richtung Gang.
Ich nickte.
„Ich weiß."

„Was ist denn los mit dir?", fragte mich James im selben Moment. Seine Frage kling aufrichtig, doch hatte trotzdem einen mitschwingenden Unterton. Seine Bemerkung vorhin hatte schon vor Sarkasmus getrieft. Ich fühlte mich leicht angegriffen.
„Was ist los mit euch? Wollt ihr nicht auch wissen-"
Ich wurde von ihm unterbrochen.
„Natürlich. Aber er ist gerade mal seit 3 Minuten hier gewesen und du musst ihn sofort auf sein Bein ansprechen!", er funkelte mich wütend an.
Ich setzte mich aufrecht hin und sah ihm ebenfalls direkt in die Augen. Wir waren beste Freunde und wussten beide, dass diese Diskussion total unnötig war und sie sowieso keiner gewinnen würde.
„Ich habe ihn nicht direkt auf sein Bein angesprochen, James. Er ist gegangen, weil ihr euch über seine Unpünktlichkeit lustig gemacht habt, obwohl ihr hättet wissen müssen, dass es an seinem Bein liegen könnte! Gebt mir also nicht die Schuld.", gab ich wütend zurück.

Peter räusperte sich.
„Jungs-"
„Also gibst du uns die Schuld? Das ist doch nicht wirklich dein ernst!", James legte es wirklich darauf an.
„Hey, Leute-"
„Ich sage nur, dass es nicht allein meine Schuld ist, okay?", ich strich mir erschöpft durch die Haare.
„Kein Wort mehr über das Bein.", sagte ich und sah dabei erst James und danach Peter an.
Doch als ich ihn ansah, wurde mir bewusst, weshalb er dazwischen gehen wollte. Er starrte direkt zur Tür, die wieder offen war.
Mit Remus im Rahmen. 
Fuck.

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