Prolog

Kilians p.o.v.

Gerade war noch alles ganz normal gewesen. Wir waren in unserem Zuhause, tief im Wald in einer gut versteckten Höhle, gewesen und hatten Karten gespielt.
Und dann kam das Geschrei.
Herzzereißendes, schreckliches Geschrei.

Für einen Moment waren wir alle geschockt gewesen, unfähig, uns zu rühren.
Erst als unser Alpha aus der Höhle preschte, erwachten wir aus unserer Trance.

Ich wollte meinem Vater hinterher, doch Mum hielt mich auf.

"Kilian!", rief sie, während sie von der anderen Seite des Gemeinschaftsraums der Höhle auf mich zulief.

Ich biss die Zähne zusammen und ballte die Fäuste. Ich war hin- und hergerissen.
Alles in mir drängte danach, Dad zu folgen und dem noch immer schreiendem Wesen zu helfen.
Ich hätte dieser Person sowieso geholfen, aber etwas sagte mir, dass es meine Schwester war. Meine kleine unschuldige süße Schwester.
Ich musste da raus und ihr zu Hilfe eilen.
Bei ihrem unmenschlichen Geheul zerriss es mir das Herz.

Was war so wichtig, dass Mum mich jetzt aufhalten musste?
Da war sie schon bei mir und umklammerte meine Oberarme.

"Kilian.", Mit vor Angst geweiteten Augen blickte sie mich an.
Ich konnte ihren Angstschweiß riechen. Angst. Mum hatte nie Angst.

"Kilian, du musst jetzt genau das machen, was ich dir sage, okay?"

Ich verstand nicht. Was war los?

"Kilian, die Hexen sind hier. Du musst verschwinden. Sofort. Geh aus dem Hinterausgang heraus. Wir werden uns schon noch um sie kümmern. Sieh nicht zurück, und komm auf keinen Fall zurück, egal, was passiert, ja? Versprich mir das, Kilian! Du musst hier weg."

Wie paralysiert starrte ich sie an.
Ich war wie gelähmt.
Zum zweiten Mal heute.
Ich vernahm zwar ihre Worte, doch sie ergaben keinen Sinn.

Klar, wir wussten, dass die Hexen uns alle vernichten wollten.
Den Grund dafür kannten wir nicht. Andere unserer Art hatten schon ein friedliches Gespräch mit diesen Biestern gesucht, doch vergebens.
Am nächsten Tag sind ihre Leichen gefunden worden.

Aber woher wollte Mum wissen, dass das da draußen Hexen waren, die uns angriffen?
Wieso sollte ich abhauen?
Ich gehörte nach draußen, ich musste kämpfen!
Mein Rudel, meine verdammte Schwester, verteidigen!

Mum musste den Widerwillen und die Verwirrung in meinen Augen gesehen haben, denn sie redete schnell weiter.

"Kilian, bitte! Du bist unsere letzte Hoffnung. Du musst dich verstecken und andere Werwölfe finden. Finde deine Mate. Ihr müsst einen Weg finden, Frieden zwischen Werwölfe und Hexen zu schaffen! Und jetzt geh! Lauf, los!"

Damit schubste sie mich in die entgegengesetzte Richtung, weg vom Kampf, der nun draußen tobte.

Noch immer unwillig machte ich einen Schritt und blickte dann zwischen ihr und dem Ausgang nach draußen hin und her.
Wenn ich jetzt ging, ließ ich mein Rudel zurück. Meine Freunde. Meine Familie.
Ich ließ sie im Stich.
Dabei hatte ich geschworen, mich immer um sie zu kümmern, immer für sie da zu sein.

"Geh!", schrie Mum mich an.
Ein Blick in ihre blauen Augen offenbarte mir ihre Gefühle.
Stumme Panik schwamm in ihren Augen, tiefste Verzweiflung, unermessliche Trauer und Liebe, Liebe zu mir, ihrem einzigen Sohn.
Und auch etwas anderes blitzte mir in ihrem Blick entgegen - Entschlossenheit.
Ich wusste nicht, was sie vorhatte.
Ich wusste nur, dass ich sie würde enttäuschen müssen.
Ich konnte nicht einfach gehen.

Also biss ich die Zähne zusammen, sah ihr traurig in die Augen und flüsterte:
"Es tut mir leid, Mum. Ich kann nicht."

Dann wollte ich mich abwenden, doch irgendwie ging das nicht.
Es schien, als würden Mums Augen plötzlich... leuchten.
Als würde ein Licht aus ihnen scheinen. Ein Licht, dem ich mich nicht entziehen konnte.

"Geh.", sagte sie noch einmal, doch diesmal lag eine Kraft in ihren Worten, die vorhin so nicht da gewesen war.
Ich wollte immer noch nach draußen preschen, den anderen zu Hilfe, doch ....ich konnte nicht.
Ich konnte einfach nicht!
Was war los? Was geschah hier?

Gegen meinen Willen tat ich etwas, das ich mir geschworen hatte, nie zu tun.
Ich drehte mich um und rannte auf den hinteren, geheimen Ausgang der Höhle zu.
Sah nicht zurück. Selbst als das Schreien und Wolfsheulen so ohrenbetäubend wurde, dass es mir in der Seele schmerzte.

Doch ich konnte nichts anderes tun, als Mums letztes Wort zu befolgen. So sehr ich auch dagegen ankämpfte, es brachte nichts.
Ich war machtlos gegen meinen eigenen Körper, der die Kontrolle übernommen zu haben schien.
Machtlos gegen meinen Körper....oder gegen etwas anderes.

Wahrscheinlich war es gut, dass ich abhaute ...wenn ich jetzt kämpfte, würde ich höchstwahrscheinlich sterben. Mit meinem Rudel.
Trotzdem wollte ich nicht vernünftig sein. Ich wollte für mein Rudel kämpfen. Und wenn ich dafür mein Leben lassen musste.
Doch mein Körper zwang mich, weiter zu gehen.

Wenigstens blieb mir noch ein kleiner Trost: auch wenn ich nun vor dem Kampf floh....so würde ich mich doch später rächen können.
Denn Frieden mit den Hexen schließen?
Mir denen, die mir und allen Werwölfen so viel Leid und Schmerz gebracht hatten?
Das kam ganz und gar nicht in Frage.

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Schon seit Tagen lief ich nun herum. Auf der Suche nach Werwölfen. Nach meiner Mate.
Doch ich hatte nicht den zartesten Geruch von Werwölfen aufgefangen.
So allmählich fragte ich mich, ob überhaupt noch welche von uns existierten. Oder ob diese Hexenbiester nicht schon alle von uns abgeschlachtet hatten.

Ich konnte nicht für ewig so weitermachen, so herumirren.
So fiel ich auf. Denn ein 18-Jähriger, der mit verdreckten und eingerissen Klamotten Tag und Nacht herumlief?
Ich konnte das nicht riskieren.
Ich brauchte eine Wohnung.
Aber da ich nichts hatte, außer dem, was ich am Leib trug, war ich auf andere angewiesen.
Ich brauchte Freunde. Ein Rudel.

Allein bei dem Gedanken schmerzte mein Herz.
Ich hatte ein Rudel. Nein, ich hatte ein Rudel gehabt.
Und ich hatte es im Stich gelassen.
Wenn auch gegen meinen Willen.
Doch was auch immer mich dazu gezwungen hatte, zu gehen.... vielleicht hätte ich es besiegen können...wenn ich mich nur mehr angestrengt hätte. Vielleicht war ich einfach zu schwach.
Und mein Rudel hatte dafür büßen müssen.
Waren sie alle tot?
Meine Familie, meine Freunde?

Der Gedanke war unerträglich.
Aber es war beinahe unmöglich, die Hexen zu besiegen.
In einem Kampf gegen sie zu bestehen.

Fuck. Mit der Hand rieb ich mir über die Brust, dort, wo mein Herz war. Es schmerzte unerträglich.
Wenn ich mein Herz sehen könnte, wäre es bestimmt nicht mehr als ein schwarzer toter Klumpen, der nur noch automatisch schlug.
Alle, die ich kannte und liebte, waren höchstwahrscheinlich tot.
Ich war allein.

Und nicht nur das.
Ich hatte ein Versprechen einzulösen.
Auch wenn ich nicht explizit gesagt hatte, dass ich es machen würde....es waren wahrscheinlich die letzten Worte meiner Mutter gewesen.
Ihr letzter Wille.
Dem konnte ich mich nicht widersetzen.

Nun ja, bei einer Sache würde ich sie leider doch enttäuschen müssen.
Niemals könnte ich mit den Hexen Frieden schließen.
Mit ihnen Frieden für meine ganze Art vereinbaren.
Sie mussten büßen. Dafür büßen, was sie getan hatten.
Und ich würde nur zu gerne Rache üben.

Nur in dieser einen Sache würde ich mich Mums Willen widersetzen.
Doch was meine Mate und andere Werwölfe anbelangte, würde ich ihr gehorchen.
Ich würde ein neues Rudel finden.
Und würde meine Mate finden.

Koste es, was es wolle.
Und wenn das geschafft war....dann würde ich Rache üben.
Und die Hexen würden endlich zur Vergangenheit gehören.

Zu diesem Zeitpunkt war ich fest entschlossen.
Der Rachedurst brannte nur so in meinen Adern.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich ja keine Ahnung, dass das alles nicht so einfach war, wie es schien....

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