Kapitel 55 - Zerstörte Hoffnung
Xenias p.o.v.
Wie gelähmt stand ich da, mitten in Kilians Wohnung. Ich konnte mich nicht bewegen. Konnte kaum einen klaren Gedanken fassen über das tiefe Entsetzen, den großen Schmerz und auch die leise Wut in meinem Herzen. Es war mir kaum begreiflich, wie alles so schnell hatte ruiniert werden können. Im einen Moment waren wir noch ein verliebtes Pärchen, zwar mit einer schwierigen Aufgabe anbetraut und doch so voller Hoffnung. Zumindest hatte ich das gedacht. Aber im nächsten Moment zerstörte Kilian diese glückliche Illusion.
Ich hatte die Wahrheit gesprochen. Ich verstand seinen Schmerz. Verstand, weshalb er glaubte, es gäbe keinen anderen Weg, dass er das tun musste.
Aber ich konnte nicht verstehen, wie er hatte denken können, ich würde mich ihm anschließen. Ich liebte ihn, aber ich hatte noch immer eine eigene Persönlichkeit, einen eigenen Willen. Was er verlangt hatte….das war keine Liebe.
Das war vollkommene Unterwerfung. Dabei sollten in einer Beziehung beide Partner auf derselben Stufe stehen, einander gleichwertig sein. Meiner Meinung nach. Vielleicht sahen es ja manche Frauen anders. Aber ich konnte nicht mit jemandem zusammen sein, der Unterwerfung verlangte. Und so wie es aussah, tat Kilian genau das.
Mit der Hand rieb ich mir über die Brust, als könnte das etwas an dem brennenden Schmerz ändern, der sich dort eingenistet hatte. Ich hatte gewusst, dass das mit Kilian und mir schwierig sein würde. Hatte gewusst, dass wir mehr Hindernisse zu überwinden hätten als ein normales sterbliches Pärchen. Aber ich hatte an uns geglaubt. An unsere Liebe zueinander. Ich hatte ihm vertraut, einem Werwolf, einem Feind. Hatte meine Familie für ihn angelogen. Log meine ganze Art an. Wob Schutzschilde um Kilian und mich.
Ich hatte so viel für diese Liebe investiert. Mit frohem Herzen, denn was ich Kilian gesagt hatte, stimmte. Ich liebte ihn. So sehr, dass ich fast alles für ihn getan hätte. Aber das ...den Hexen den Kampf anzusagen? Meiner Familie? So voller Hass und Rachedurst zu handeln? Das war zu viel verlangt. Kilian hätte das wissen müssen. Ich hatte die Liebe gewählt statt die Vorurteile, die Angst. Er hatte der Rache den Vorzug vor der Liebe gegeben. War mehr als bereit, meine Familie auszulöschen.
Es interessierte ihn nicht, dass ich dagegen war. Ich hatte es in dem entschlossenen kalten Ausdruck seiner Augen gesehen. Offensichtlich interessierte ich ihn nicht. Nicht mein wahres Ich. Er wollte doch nur eine handzahme Seelengefährtin, mit der er schmusen und lachen konnte, die tat, was er wollte. Er wollte jemanden, der bei jeder grausamen Tat auf seiner Seite war. Aber das konnte ich ihm nicht geben. Wollte es ihm nicht geben. Es handelte sich hier um meine Familie. Und egal, wie sehr ich jemanden liebte, ich konnte für diese Liebe nicht meine Familie opfern.
Es war schon schlimm genug, dass ich sie angelogen, ja verraten, hatte. Aber dem Tod ausliefern? Nein. Alles in mir begehrte dagegen auf.
Dass Kilian es dennoch von mir verlangt hatte...das zeigte mir nur, dass er mich nicht kannte. Und jetzt, wo er es wusste, wollte er mich nicht kennen.
Der Gedanke riss ein schmerzhaftes Loch in meine Brust. Unwillkürlich krümmte ich mich zusammen, ging in die Knie. Aber als die Tränen zu fließen begannen, tat ich alles in meiner Macht stehende, nicht zu schluchzen. Er sollte mich nicht weinen hören. Sollte nicht wissen, wie sehr er mir wehgetan hatte. Dass er nicht nur die Hoffnung auf die große Liebe zwischen uns zerstört hatte, sondern auch zugleich mein Herz zerbrochen hatte. Der kalte Ausdruck in seinen ozeanblauen Augen hatte sich in mein Hirn gebrannt.
Er hatte alles zwischen uns so schnell zerstört….als wäre es nichts wert. Als wäre es nicht mehr wert als die Rache, auf der er brannte. Das tat weh. So weh. Die Erkenntnis, dass die letzten Wochen, die die schönsten in meinem ganzen Leben gewesen waren, ihm rein gar nichts bedeutet hatten - nicht wirklich - das schmerzte. Und am liebsten würde ich mich in diesem Schmerz suhlen, würde in Selbstmitleid versinken, wochenlang nicht mein Bett verlassen, nur...ich durfte nicht.
Er war drauf und dran, meine Familie und meine Freunde zu töten. Und obwohl ich ihn liebte, konnte ich das nicht zulassen. Er hatte seine tote Familie gewählt, die Rache, die ihm Frieden schenken würde, wie er dachte. Ich hatte nun ebenfalls eine Entscheidung zu treffen. Und genau wie er wählte ich meine Familie. Nur dass sie noch lebte.
Ich würde ihn aufhalten. Und wenn es die Splitter meines Herzens noch mehr in mein Fleisch grub. Ich würde es für meine Familie tun. Schließlich waren sie das Einzige, was mir jetzt noch blieb.
Und er sollte wissen, wem er sich entgegenstellte. Also atmete ich tief durch, obwohl jeder Atemzug schmerzte. Dennoch schaffte ich es irgendwie, mich zu konzentrieren, mir Kilians Bild vor Augen zu führen und die Brücke zwischen uns. Und dann flüsterte ich klar und deutlich auf diesem telepathischen Weg zwischen Seelengefährten:
Du hast die Entscheidung getroffen, Rache zu üben. Auch ich habe mich entschieden. Für meine Familie. Ich werde sie mit allen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, beschützen.
Ich schluckte schwer, bevor ich die folgenden Worte aussprechen konnte. Kaum wollten sie mir über die Lippen kommen, nicht einmal in Gedanken. Aber ich musste es tun. Und so sagte ich mit bestückter Stimme:
Ab heute werden wir Feinde sein. So wie es von Anfang an hätte bleiben sollen.
Ich wartete nicht auf seine Antwort, auf eine mögliche Reaktion. Nein, ich erhob mich schwerfällig und ging so schnell aus der Tür und aus diesem Apartmentgebäude, wie ich nur konnte. Aber ich ging nicht nach Hause. Ich konnte nicht. Wusste nicht, was ich dort tun sollte. Ihnen von meinem Verrat erzählen? Von Kilians Vorhaben? Ich musste es eigentlich tun, aber... vielleicht konnte ich ihn auch allein aufhalten, ohne meine ganze Familie und die anderen noch mit reinzuziehen. Denn ich wusste, erzählte ich ihnen alles, würden sie ihn töten.
Und er mochte zwar dasselbe beabsichtigen, aber deswegen hatte er noch lange nicht den Tod verdient. Allerdings hatte ich keine Ahnung, wie ich alles wieder gerade biegen sollte.
Derya hatte einmal gesagt, das Wichtigste wäre, dass wir zusammen wären, die Liebe zwischen uns siegen ließen. Ich schnaubte bitter. Tja. Das hatten wir ja super hingekriegt. Wieder flammte der Schmerz in meiner Brust auf, als ich daran denken musste. Ich biss die Zähne zusammen, während ich ziellos durch die Stadt lief, kaum etwas von meiner Umgebung wahrnahm.
Ohne ihn würde es schwer werden. Aber es musste eine Lösung geben. Für alles gab es eine Lösung. Man musste sie nur finden. Und manchmal dauerte es eben länger als kürzer. Ich hoffte nur, ich würde rechtzeitig eine Lösung für alles finden, bevor mir das ganze Chaos hier um mich in die Luft ging.
Und das Beste? Das konnte ich auch noch mit einem solchen Herzschmerz tun, dass ich gar nicht wusste, wie ich überhaupt die nächsten Tage durchstehen, geschweige denn etwas zustande bringen sollte. Ich sehnte mich nach der Umarmung meines Bruders. Sehnte mich danach, dass er mir sagen würde, alles werde gut, auch wenn es das nicht würde. Aber noch konnte ich nicht zu ihnen gehen. Ich musste erst herausfinden, wie ich mit dieser ganzen Situation umgehen sollte.
Und dann...dann könnte ich mich vielleicht in den Armen meines Bruders verkriechen. Wenn er mich überhaupt noch ansehen konnte, nachdem ich einen Werwolf geküsst hatte. Und ihm das wochenlang nicht gestanden hatte.
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