Kapitel 47 - Abendessen zu dritt
Kilians p.o.v.
Ich hätte nie gedacht, dass es mit Xenia so sein könnte. So liebevoll und zärtlich. So herzerwärmend. So rundum perfekt. Einen Moment lang sahen wir uns noch tief in die Augen. So als könnten wir geradewegs in die Seele des anderen blicken. Und wer weiß, vielleicht war es sogar so?
Zumindest hatte ich mich ihr noch nie so nah gefühlt wie in diesem Moment.
Doch wie jeder perfekte Moment musste auch dieser irgendwann zu Ende sein. Ein Klopfen an der Tür unterbrach uns. Ich war so sehr in Xenias wunderbar sanften braunen Augen versunken gewesen, dass ich nicht einmal Deryas Schritte vernommen hatte. Blinzelnd riss ich mich von ihrem Anblick los und sah zur Tür.
"Ja?", fragte ich.
Deryas Stimme ertönte durch das Holz.
"Wenn ihr Hunger habt, es gibt Spaghetti Bolognese zum Abendessen."
Ich blickte wieder zu Xenia zurück und sah sie fragend an. Sie nickte lächelnd.
"Wir kommen", erklärte ich Derya.
Dann stand ich auf und streckte Xenia eine Hand hin. Ohne zu zögern ergriff sie sie und bescherte mir somit ein warmes Prickeln. Ich zog sie hoch und ja, vielleicht brachte ich dafür ein wenig mehr Kraft auf als notwendig gewesen wäre. Überrascht stolperte Xenia in meine Arme. Instinktiv fing ich sie auf und drückte sie an mich. Vergrub die Nase in ihrem schweren Haar und sog tief ihren lieblichen Duft nach Blumen und Frühling in mich auf. Sie sagte nichts, sondern schloss wortlos ihre Arme um meine Mitte und schmiegte sich an mich, als brauchte auch sie diese Nähe zu mir.
Einen Moment verharrten wir so, genossen einfach die Nähe des anderen, bis ich schließlich tief Luft holte und mich von ihr löste.
"Nicht, dass das Essen kalt wird", meinte ich mit einem gezwungenen Lächeln.
Ich würde das Essen tausendmal kalt werden lassen, wenn das bedeuten würde, sie nie mehr loslassen zu müssen. Aber ich wollte nicht riskieren, die Beherrschung über mich zu verlieren und sie zu markieren. Nicht, nachdem wir uns heute näher gekommen sind. Xenia nickte und ließ mich dann los. Keine Sekunde später schon vermisste ich ihre Wärme, doch da spürte ich plötzlich ihre kleine zierliche Hand, die nach meiner tastete. Mein Herz machte einen freudigen Hüpfer.
Lächelnd verschränkten wir unsere Hände und lächelten uns liebevoll an. Dann gingen wir zur Tür, machten sie auf und liefen zur Küche, von wo ich bereits das Hackfleisch und die Tomatensauce riechen konnte.
Derya hatte für jeden von uns einen Teller mit einer mittelgroßen Portion angerichtet.
Sie legte gerade das letzte Besteck hin, bevor sie sich setzte.
Mit ihren kaffeebraunen Augen sah sie zu uns und lächelte erfreut, als sie unsere verschränkten Hände sah. Dann blickte sie zu Xenia.
"Dein Schutzschild ist noch intakt?" Xenia nickte.
"Gut. Dann setzt euch bitte und esst. Ihr müsst bei Kräften bleiben."
Bei ihren Worten musste ich schmunzeln, da ich an einen gänzlich anderen Grund denken musste, wieso es gut war bei Kräften zu bleiben. Und der hatte rein gar nichts mit der Prophezeiung zu tun, oder der Gefahr, in der wir schwebten, sondern nur mit Xenia und mir.
Doch ich hielt den Mund, weise wie ich war und nahm mit Xenia an dem kleinen Tisch Platz.
Wir sprachen nicht viel, während wir aßen. Aber deswegen war unser Schweigen noch lange nicht unangenehm. Nein, einvernehmlich genossen wir das leckere Essen - Derya wusste, wie man gut kochte. Ab und an suchte meine Hand Xenias unter dem Tisch und malte kleine Kreise auf ihre Haut. Ich konnte ihr einfach nicht lange fernbleiben, sondern musste sie irgendwie berühren.
Ich war mir sicher, dass sich Derya dem bewusst war, aber sie sagte nichts, sondern lächelte nur ihr geheimnisvolles, wissendes Lächeln. Doch dieses Mal ging es mir nicht auf die Nerven. Nein, dafür war ich viel zu sehr auf Xenia konzentriert. Auf die vielen kleinen verstohlenen Blicke, die sie mir zuwarf, auf ihre noch so kleinen Bewegungen, wie sie sich das Haar hinters Ohr strich...einfach alles. Der Schmerz über den Verrat meiner Mutter war keineswegs vergessen, nein, er würde wahrscheinlich immer ein Teil von mir sein. Aber Xenia hatte mir geholfen, indem sie einfach da gewesen war, mir zugehört und mit mir geredet hatte.
Schließlich hatten wir fertig gegessen und die Teller in die Spülmaschine gestellt und wollten gerade in mein Zimmer gehen, als Deryas Stimme uns aufhielt:
"Ich glaube, es ist jetzt Zeit, dass du uns erzählst, was du über Anton herausgefunden hast, Xenia."
Verwirrt blieb ich stehen und drehte mich um, Xenias Hand immer noch in meiner, sodass ich sie mit zog.
"Was meinst du?", fragte ich Derya. Doch die blickte nur mit einem undefinierbaren Blick in den kaffeebraunen Augen Xenia an.
Da sie keine Anzeichen machte, meine Frage zu beantworten, sah ich schließlich ebenfalls zu Xenia.
Die knabberte an ihrer Unterlippe und blickte mich unsicher an.
"Wir können auch morgen darüber reden, es ist nicht eilig. Heute war ein langer Tag."
Heute war mehr als nur ein langer Tag gewesen, aber deswegen brauchte sie nicht Dinge aufzuschieben.
"Was meint Derya?", fragte ich nun Xenia. Als sie erkannte, dass ich nicht vom Thema ablassen würde, seufzte sie auf und nickte dann zum Wohnzimmer hin.
"Wir sollten uns auf die Couch setzen."
Ein mulmiges Gefühl schlich sich in meine Magengrube. Normalerweise endete es nie gut, wenn man gebeten wurde, sich erst zu setzen. Doch ich folgte ihrem Vorschlag. Was blieb mir auch anderes übrig?
Derya folgte uns und setzte sich mit uns auf die Couch, doch ich nahm sie kaum wahr. Meine ganze Aufmerksamkeit lag auf Xenia.
Sie setzte sich so hin, dass sie mir geradewegs in die Augen blicken konnte.
"Während du deinen Freiraum brauchtest, bin ich zu Lillian gegangen - einer Hexe und einer Art Fan von Anton - um sie über ihn auszufragen."
Alles in mir erstarrte. Anton. Der Typ, über den wir geredet hatten, vor...all dem anderen. Derjenige, dem wir laut Derya auf den Grund gehen sollten und der mit der ganzen Geschichte bestimmt etwas zu tun hatte. Und somit ebenso sicher gefährlich war. Sie mochte ihn nicht direkt ausgefragt haben, aber sie hatte sich bei einer Hexe nach ihm erkundigt. Ich traute den Hexen nicht - Xenia ausgenommen. Diese Fragerei musste Aufmerksamkeit, vielleicht sogar Misstrauen bei dieser Hexe erregt haben.
Der Gedanke, dass Xenia sich wissentlich in Gefahr gebracht hatte und mehr aus Glück als sonst was heil aus dieser ganzen Geschichte rausgekommen war, ließ mich panisch werden. Ich hätte bei ihr sein sollen, um sie im Notfall zu beschützen. Zwar hätte ich nicht zu der Hexe gehen können, aber ich hätte vor dem Haus in einem Gebüsch oder anderes warten können. Ich wäre jedenfalls in der Nähe gewesen, doch stattdessen hatte ich heulend in meinem Zimmer gehockt. Mehr als weit weg von Xenia. Ihr hätte alles Mögliche passieren können.
"Kilian?" Xenias besorgte Stimme sowie ihre sanfte Berührung an meinem Arm rissen mich aus meiner Erstarrung.
"Warum hast du das gemacht?", presste ich heraus.
Ich wollte ihr nichts vorwerfen. Nein, es war meine Schuld gewesen. Ich hätte sie nicht wegschicken sollen. Dennoch hörte sich mein Tonfall genau nach einem Vorwurf an. Verdammt. Ich musste mich zusammenreißen. Aber der Tag war lang gewesen und meine Kraftreserven vollends am Ende.
Nun runzelte Xenia verwirrt die Stirn.
"Du weißt doch, dass ich es tun musste, wegen der Prophezeiung."
"Aber doch nicht, wenn ich nicht dabei bin!", zischte ich ausgebracht. Erschrocken zog Xenia die Hand von meinem Arm. Ich biss die Zähne zusammen und schloss die Augen. Tief holte ich Atem. Ich musste mich zusammennehmen. Als ich die Augen wieder öffnete, stieß ich die Luft seufzend aus und fuhr mir erschöpft durch die Haare.
"Es tut mir leid. Ich bin gerade nicht ich selbst."
"Das verstehe ich."
Und tatsächlich: reines Verständnis leuchtete mir aus Xenias warmen braunen Augen entgegen.
"Und das ist auch okay. Mehr als okay. Das heute war kein leichter Tag für dich." Gelinde ausgedrückt. "Aber ich verstehe nicht, was dich so aufregt. Erklär es mir bitte."
Ich sah ihr in die Augen, in denen Verständnis, Geduld und Zuneigung lagen. Gott, ich hatte sie nicht verdient. Doch ich schob den Gedanken weg. Stattdessen gestand ich leise:
"Der Gedanke, dass du in Gefahr warst und ich nicht bei dir war, macht mich ganz krank."
Derya befand meine Erklärung wohl für nicht gut genug, denn sie fügte noch etwas hinzu:
"Als Werwolf ist Kilians Beschützerinstinkt besonders groß, vor allem gegenüber seiner Seelengefährtin. Das heißt nicht, dass er dir nichts zutrauen würde, nein, du könntest die stärkste Person auf Erden sein und sein Beschützerinstinkt wäre gleich groß."
Xenia nickte verstehend, ohne den Blick von mir zu nehmen.
"Sorry. Ich hab nicht darüber nachgedacht."
Obwohl ich den Gedanken nur schwer ertragen konnte, für Xenia nicht da gewesen zu sein, rang ich mir ein Lächeln ab und suchte nach ihrer Hand. Sanft drückte ich sie und meinte: "Alles gut. Es war nicht dein Fehler."
Xenia erwiderte den Druck meiner Hand. "Aber deiner auch nicht", erwiderte sie bestimmt. So als könnte sie direkt in meine Seele sehen und würde wissen, was in mir vorging. Vielleicht sollte ich das gruselig finden. Aber ich tat es nicht.
"Dann erzähl mal, was hast du herausgefunden?", fragte ich, um mich davon abzuhalten, sie sanft zu küssen, so wie vorhin. Doch dieses Mal wusste ich nicht, ob ich nicht weitergehen würde. Und das konnten wir uns nicht leisten.
Xenia holte tief Luft, dann fing sie an zu erzählen.
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