Kapitel 41 - Interpretation

Xenias p.o.v.

"Also, die erste Strophe ist ja ziemlich klar", erklärte ich und zeigte Kilian das Blatt.
"Einst zwei Völker in Frieden, damit sind bestimmt die Hexen und Werwölfe gemeint, die vor einiger Zeit in Frieden gelebt haben. Im zweiten Vers wird das noch deutlicher gemacht mit Hexen und Werwölfe freundschaftlich Hand in Hand. Und, doch dann aus Liebe plötzlich Funken des Hasses entstiegen, na ja, irgendwie haben die zwei Parteien sich dann gehasst?"
Ich runzelte die Stirn. Das war hier nicht näher erklärt. Wie es aussah, war das Ganze doch nicht so einfach, wie es schien.

"Was denkst du, Kilian?"

Fragend drehte ich ihm den Kopf zu. Erst jetzt bemerkte ich, wie nah wir uns waren. Als ich mich auf die Couch gesetzt hatte, hatte ich Abstand zwischen uns gelassen, wegen der ganzen Markierungssache, doch jetzt war von diesem nichts mehr zu sehen.
Aber gut, er musste ja zu mir rutschen, um mit auf das Blatt sehen zu können.

Aber seine Aufmerksamkeit lag ganz und gar nicht auf dem Blatt.
Er starrte mir auf den Hals. Unwillkürlich musste ich an seine Erklärung denken. Dass die Seelengefährten in den Hals gebissen wurden...meine Wangen färbten sich rot, und ich tat das Beste, was mir einfiel: ich schlug Kilian auf den Arm. Sanft natürlich.

"Hey!" Er riss die Augen auf und sah mich empört an.
"Wofür war das denn?"
Mit strengem Blick deutete ich auf das Papier.
"Wir müssen das hier verstehen. Und ich mach ganz bestimmt nicht die ganze Arbeit allein. Also hilf gefälligst."

Kurz zuckte sein Blick wieder zu meinem Hals, dann seufzte er auf, fuhr sich mit einer Hand durchs Haar und nickte.
"Also: was glaubst du ist mit doch dann aus Liebe plötzlich Funken des Hasses entstiegen gemeint? Glaubst du, das mit den Funken ist wortwörtlich zu verstehen? Dass jemand etwas angezündet hat und dann haben sich die beiden Parteien plötzlich gehasst?"

Er runzelte die Stirn.
"Nein..ich glaube, das lässt sich nicht auf Hexen und Werwölfe im Allgemeinen beziehen. Sondern eher auf einen Einzelfall. Vielleicht hat ein Werwolf eine Hexe geliebt und irgendwie ist aus dieser Verbindung Hass geworden. Und das hat sich dann auf die zwei Völker im Gesamten ausgebreitet?"
Er klang mehr als nur unsicher.
Aber es gab da noch eine Sache, die ich nicht verstand.
"Ich dachte, diese Liebe zwischen Werwolf und Mate ist die wahre Liebe? Wie kann daraus Hass entstehen?"

Er blinzelte verwirrt, doch dann schien er zu verstehen.
"Oh, ich meine nicht die Liebe zwischen Mates. Sondern einfach Liebe."
"Oh…" Ich runzelte die Stirn. Irgendwie hatte ich angenommen, dass es für Werwölfe nur die eine wahre Liebe zwischen Mates gab und davor...na ja, nichts. Jetzt kam ich mir dumm vor. Und trotzdem musste ich nachfragen.

"Also könnt ihr euch auch...normal verlieben?"
Meine Wangen brannten wieder und ich schaffte es bei dieser so lächerlich klingenden Frage nicht, ihm in die Augen zu sehen. Stattdessen starrte ich auf die Prophezeiung in meiner Hand.
"Ja, können wir. Wie Menschen. Der einzige Unterschied in Sachen Liebe ist nur, dass wir unsere wahre Liebe erkennen, wenn sie vor uns steht. Und na ja,...dass wir eben auch bestimmte Instinkte haben, die ein Mensch so nicht hat."

Ich wollte das Folgende nicht fragen. Schließlich ging es mich auch nichts an. Und es war vielleicht auch bisschen früh für diese Frage, wir kannten uns ja erst seit Dienstag. Das waren gerade mal fünf Tage. Abgesehen davon war die Frage dumm, denn sie änderte ja nichts.
Und doch...verdammt, trotz all dieser Gründe öffnete ich den Mund und fragte leise:
"Und hast du...hast du dich schon einmal ... normal verliebt?"

Kaum hatte ich die Frage gestellt, bereute ich es auch schon. Gott, sie war so dumm. So peinlich. Ich verzog das Gesicht, und mit immer noch roten Wangen murmelte ich:
"Du brauchst nicht zu antworten, sorry, dass ich überhaupt gefragt habe, es geht mich ja auch gar nichts an…"
Die Worte sprudelten nur so aus mir heraus und ich hätte wahrscheinlich noch weiter gesprochen, wenn Kilian mich nicht unterbrochen hätte.

"Hey", sagte er sanft, hob mein Kinn an und drehte es zu ihm, sodass ich ihm in die Augen sehen musste.
Da lag pure Zuneigung in seinen blauen Tiefen. Kein Amüsement über meine lächerlichen Fragen oder dergleichen...nur Verständnis und Zuneigung. Unwillkürlich entspannte ich mich ein wenig.

"Du bist die Erste, in die ich mich jemals verliebt habe. Und du wirst auch die Letzte bleiben."
Bei seinen Worten wurde mir warm ums Herz und obwohl es nichts bedeuten sollte, schmolz ich bei seinem Blick.

Tief blickten wir einander in die Augen, versanken darin. Ich kann nicht  sagen, wer sich zuerst bewegt hat. Jedenfalls waren unsere Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt und ich schloss die Augen. Ich dachte nicht an die Konsequenzen. Dachte nicht an unsere Vereinbarung. Da war nur pure Sehnsucht. Ich musste seine Lippen wieder auf den meinen spüren. Unser Atem vermischte sich und dann endlich - endlich - lagen unsere Lippen aufeinander.
Mein Herz machte einen Satz, obwohl es nur eine sanfte Berührung war. Kurz hielten wir inne, zogen den Moment in die Länge. Bis ich es einfach nicht mehr länger aushielt und mit der Zunge um Einlass bat. Kilian öffnete sofort den Mund.
Und als wäre dabei ein Ventil geöffnet worden, explodierte die Leidenschaft quasi in uns.

Ich klammerte mich an seinen Schultern fest und krabbelte auf seinen Schoß, während wir uns noch immer küssten. Unsere Zungen vollführten geradezu einen Tanz der Leidenschaft und jeder Gedanke war ausgeschaltet. Da war nur noch Gefühl. Das Gefühl seiner warmen Hände an meinen Wangen, seiner Zunge an meiner und die Hitze, die er abstrahlte und die mich einhüllte. Die festen Schultern unter meinen Händen und seine Zähne an meiner Lippe. Ich erschauerte und keuchte, als er mich leicht biss.

Die Schmetterlinge in meinem Magen feierten Party und ich wollte einfach mehr, mehr, mehr.
Mit den Händen fuhr ich ihm über den Nacken und zu seinen weichen Haaren, zog ein wenig daran, was ihm ein Keuchen entlockte.
"Verdammt, Xenia", knurrte er, und ließ seine Hände über meinen Rücken nach unten gleiten, zog mich noch näher an sich.
Dann hielt er zitternd inne.

"Ich…", presste er schwer atmend heraus, aber es war mir egal, was er sagen wollte. Ich wollte nicht reden. In diesem Moment wollte ich nur fühlen.
Ich wollte ihn wieder küssen, aber er drehte den Kopf weg.
"Xenia..." Seine Stimme war gepresst, aber es lag eine eindeutige Warnung darin. Nur war ich gerade nicht in der Verfassung, diese Warnung zu verstehen. Und sie interessierte mich auch nicht.
Da seine Lippen mir nun verwehrt blieben, widmete ich mich seinem Hals.

Ganz leicht küsste ich seine Haut, doch bereits das ließ ihn scharf die Luft einziehen.
Er spannte sich an, als müsse er sich schwer beherrschen, doch das kümmerte mich nicht.
Ich war wie in einem Rausch vor Verlangen und Sehnsucht, nahm kaum noch was wahr, außer seinen Geschmack und seine Hitze, bis…
Plötzlich knurrte er leise auf und dann waren da seine weichen Lippen, die sich ihren Weg  meine Kieferlinie entlang nach unten zu meinem Hals küssten.
Meine Haut prickelte, wo er sie berührte und als seine Zunge hinzukam...fuck. Ich war nur noch ein hormongesteuertes Wrack, und hielt ihn nicht auf, selbst als ich seine Zähne über meine Haut fahren spürte….

"Kilian."
Eine strenge Stimme erklang und ich riss die Augen auf. Erst jetzt wurde ich mir wieder richtig meiner Umgebung bewusst. Ich war hier in Kilians Wohnung. Das war Deryas Stimme. Und ich saß auf Kilians Schoß, der gerade aggressiv knurrend den Kopf zu Derya herumriss und mich noch etwas näher an sich zog, als wollte er mich beschützen.

Noch immer war da wie ein Schleier aus Verlangen vor meinen Augen, doch so langsam fand ich wieder zu mir selbst zurück.
Derya erwiderte Kilians Knurren, leise zwar, aber bedrohlich leise. 
Schließlich verstummte Kilian und atmete tief ein und aus.
Und erst da wurde mir bewusst, was gerade beinahe passiert wäre. Ich hätte fast zugelassen, dass Kilian mich markierte.

Nein. Ich hätte es zugelassen, wenn Derya nicht gekommen wäre und es verhindert hätte.
Verdammt. Ich war schockiert. Ich hatte gedacht, dass es besser war, wenn wir Abstand hielten, dass ich im Fall der Fälle aber die Notfallbremse ziehen könnte. Aber das hatte ich nicht getan. Tatsächlich war ich diejenige gewesen, die hatte weitermachen wollen. Kilian hatte aufhören wollen, aber ich….verdammt.

Mehr als peinlich berührt vergrub ich mein nun vor Scham rot leuchtendes Gesicht an Kilians Brust, versteckte mich quasi, was zwar total kindisch war, aber das war mir egal.
Ich hörte Schritte. Derya ging wahrscheinlich gerade wieder in die Küche. Erst da bemerkte ich die Musik, die von dort kam. In meinem Rausch hatte ich sie komplett ausgeblendet.
Wie so vieles andere…

Ich könnte Kilian nie wieder unter die Augen treten. Und Derya auch nicht. Ich würde für immer hier bleiben, an Kilians Brust, wo es sowieso schön warm war und…
"Hey." Kilians sanfte Stimme riss mich aus meinen Gedanken, doch ich rührte mich nicht.
Ganz leicht streichelte er mir über den Rücken, als wollte er mich besänftigen, mich dazu bringen, ihn anzusehen.

Aber das konnte ich nicht. Ich schwöre, mein Gesicht war noch nie so rot gewesen und wenn ich das sagte, wollte das schon etwas heißen.
"Es tut mir leid", brachte er schuldbewusst hervor. Okay. Was? Ihm tat es leid? Nun konnte ich nicht anders als den Kopf zu heben. Er sollte sich nicht schuldig fühlen. Schließlich hatte er nichts gemacht. Ich hatte ihn dazu getrieben, weiterzumachen.

"Nein, mir tut es leid." Ernst sah ich ihm in die Augen.
"Ich hab weitergemacht, obwohl du aufhören wolltest, wegen mir ist es dazu gekommen..."

"Hey, alles gut", meinte Kilian und strich mir sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Dich trifft keine Schuld. Ich hätte mich einfach mehr beherrschen sollen…"

Doch ich schüttelte energisch den Kopf, sodass mir die Haarsträhne wieder ins Gesicht flog.
"Nein, du hast nichts falsch gemacht, ich bin diejenige, die…"

Da grinste er plötzlich. Ich stutzte. "Was?", fragte ich verdutzt.
Er zuckte mit den Schultern. "Bevor wir uns noch Ewigkeiten darüber streiten, wer denn jetzt schuld war, wie wär's, wenn wir uns einfach darauf einigen, dass uns beide ein Teil der Schuld trifft?"
Das klang zwar schlau, aber ...ich war nun mal wirklich dran schuld, also…

"Hey." Wieder strich er mir die Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Einigen wir uns einfach darauf, dass wir unser Bestes geben, dass sowas nicht nochmal vorkommt, okay? Zumindest nicht, bis du nicht damit einverstanden bist."
Okay. Es war offiziell. Kilian war der perfekte Freund auf Erden. Und viel zu gut für mich. Genau das sagte ich ihm auch.

"Ich verdien dich nicht", murmelte ich leise vor mich hin, ohne ihm in die Augen sehen zu können. Vor Scham. Denn es stimmte.
Aber er hob nur wieder sanft mein Kinn an, sodass ich ihm in die Augen blicken musste, die mich ernst anblickten.

"Sag sowas nicht", verlangte er. "Okay? Ich will sowas nicht hören. Denn es stimmt nicht. Wir verdienen einander. Wir verdienen es, glücklich miteinander zu sein. Und es wäre doch eine Schande, wenn wir uns das kaputtmachen ließen, nur weil wir glauben, dass der andere so viel besser ist als wir selbst, nicht wahr?"
Ich zuckte mit den Schultern, lächelte leicht und murmelte: "Na ja…"

"Hey, tu nicht so, du weißt genau, dass ich recht habe", sagte er. Daraufhin musste ich grinsen.
"Du bist ja sehr von dir überzeugt", neckte ich ihn.
Auch er grinste mich an. "Natürlich. Ich weiß eben, dass ich toll bin."

Ich schnaubte nur, konnte aber nicht aufhören zu grinsen. Doch dann beugte sich Kilian leicht vor und küsste mich sanft auf die Nase. Natürlich mussten sich meine Wangen wieder färben. Er war einfach zu süß.
"Und wenn es dir nichts ausmacht, würde ich dich bitten, von meinem Schoß runterzugehen", meinte er ein wenig verlegen.
"Sonst kann ich für nichts mehr garantieren."

Ups. Das hatte ich ganz vergessen. Nun mit roten Wangen krabbelte ich so hastig von seinem Schoß , dass ich auf den Hintern fiel.
"Au", machte ich, stand auf und rieb mir den Hintern.
Und bemerkte, dass Kilian sich die Hand auf den Mund gepresst hatte und sich offensichtlich ein Lachen verkniff.

"Hey, das ist nicht lustig!", sagte ich empört.
"Sorry", stieß er heraus und versuchte sein Lachen mit einem Husten zu kaschieren. Ich verdrehte die Augen. So viel zu süß. Das nahm ich wieder zurück. Aber irgendwie bildete sich dennoch auch auf meinem Lippen ein Lächeln, gegen das ich nicht ankam...

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